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4. Kapitel

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Claas öffnete schwungvoll die Eingangstür. Sein glattes, dunkles Haar war mit Gel zu einer modischen Frisur gestylt. Das enganliegende Shirt und die figurbetonte, ausgewaschene, löchrige Jeans unterstrichen seine schlanke Figur. Sein Outfit stand im krassen Widerspruch zur Anzugspflicht seines Berufsalltags und unterstrich sein Bestreben, die Arbeitswelt auszuklammern. Es blieben ihm nur noch wenige Stunden des Wochenendes, Tanja aufzuzeigen, was sie ihm bedeutete, gegen Misstrauen und Enttäuschung erneut anzukämpfen. Er wusste um ihren Geschmack und hoffte, sie durch seine lässige, sportliche Kleidung, zumindest in der kurzen verbleibenden Zeit, für sich einnehmen zu können.

„Das macht gute Freunde aus. Pünktlich auf die Minute. Auf euch ist eben in jeder Situation Verlass“, empfing er Bernd und Corinna Kampe überschwänglich. Mit einem High-Fife klatschten sich die beiden Freunde ab. Nach ihrem Begrüßungsritual näherte sich Claas mit leichter Verzögerung Corinna, umfasste ihre Schultern, gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange und achtete mit einer verkrampften Haltung sorgsam darauf, dass sich ihre Körper nicht berührten. Corinna schien diese Art der Begrüßung erwartet zu haben und reckte Claas mit einem angedeuteten Lächeln ihre Wange entgegen, um sich schnell wieder aufzurichten.

„Kommt rein. Ist doch toll, dass das heute noch geklappt hat mit uns“, wandte er sich mit leicht gerötetem Teint wieder an seinen besten Freund.

„Na ja, wenn nicht sonntags, wann dann? Du bist in der Woche wenigstens abends zu Hause bei deiner Frau. Ich kann mich überhaupt nicht mehr um Corinna kümmern. Bin nur noch am rabotten, hoffe, sie nutzt das nicht für irgendeinen Blödsinn aus“, lachte Bernd und versetzte seiner Frau einen kurzen, liebevollen Knuff in die Rippengegend, was sie ohne Mienenspiel mit einem angedeuteten Kopfschütteln quittierte

„Wie lange wollt ihr denn noch vor der Tür stehen? Habt ihr Angst vor mir?“, ertönte Tanjas Stimme aus dem Hintergrund.

„Wo ist meine Zweitlieblingsfrau?“, rief Bernd aus und stürmte durch den Flur ins Wohnzimmer. „Man siehst du gut aus, umwerfend.“ Zwanglos nahm er Tanja in den Arm und drehte sich mit ihr im Kreis. Sie mochte Bernds unkomplizierte, liebenswerte Art und bereute nicht, dass sie dem Besuch zugesagt hatten, erhoffte sich, die so dringend erforderliche Ablenkung. Claas stand mit Corinna unbeholfen auf dem Flur und beobachtete abwesend die Szene. Mit großen Schritten, Tanja am Handgelenk mit sich zerrend, lief Bernd auf die beiden zu, umklammerte auch das Handgelenk seiner Frau und zog sie mit ins Wohnzimmer.

„So, mein Lieber, lass dich mal anschauen“, taxierte Bernd seinen Freund, der ihnen gefolgt war. „Na ja, ist doch ganz passabel. Scheinen dich gut zu behandeln, dein Arbeitgeber und deine Frau. Spar dir aber bitte deine Kommentare über mein Aussehen.“ Mit einem leichten Stöhnen ließ er sich in einen Sessel fallen. Unverhohlen musterte Claas seinen Gast, wusste, dass ihre langjährige Freundschaft persönliche Kritik vertragen konnte, ja, sogar danach verlangte, scheute sich aber an diesem Tag, Bernd die Wahrheit über sein Erscheinungsbild unverblümt mitzuteilen. Übermäßig schlank, nahezu schlaksig dürr, Falten, die sein ausgemergeltes Gesicht wie tiefe Furchen durchzogen, von dunklen Schatten umrandete Augen, bot Bernd seinem Betrachter einen Anblick, der nach Hilfe zu schreien schien.

„Mensch Alter. So beschissen hast du ja in der 12. Klasse nicht ausgesehen, als wir zwei unseren ersten Rausch hatten. Was ist los?“, zwang sich Claas nach kurzer Besinnungspause zu einer ehrlichen Aussage.

„Ich arbeite einfach zu viel. Die Arbeit macht mir ja Spaß, aber...Sag mal, wo sind denn die Frauen abgeblieben?“

„In der Küche. Tanja hat was zu essen vorbereitet. Vielleicht wollen die Frauen ja auch mal unter sich sein. Nun rede schon weiter“, forderte Claas seinen Freund ungeduldig auf.

„Ich werde mich verändern. Ich habe eine Autowerkstatt gekauft. In einem kleinen Kaff in Bayern, kennst du nicht. Hat mir mein jetziger Chef vermittelt. Eine Tankstelle gehört auch dazu. Die ist aber natürlich gepachtet. Dann bin ich endlich mein eigener Herr. Es ist mir schon klar, dass ich die ersten Jahre hart arbeiten muss, härter noch als jetzt. Ich muss mir eine Stammkundschaft heranziehen. Es fällt mir aber ganz schön schwer, hier meine Zelte abzubrechen.“

„Wie hast du das denn finanziert? Warum hast du mich denn nicht gefragt, verdammt noch mal. Ich hätte dir als Banker doch Tipps geben können.“

„Nee, lass gut sein. Ich wollte das ganz alleine durchziehen. Wahrscheinlich hatte ich Angst, dass du mir die ganze Sache ausredest. Ich muss mich aber verändern. Unter uns, auf lange Sicht, weiß ich nicht, ob Corinna das jetzige Leben mit mir noch lange mitmacht. Wenn wir uns in den nächsten Jahren erst etwas aufgebaut haben, ist noch Zeit genug, es sich gemeinsam schön zu machen. Ich habe es ihr versprochen. Wir müssen dann wieder mehr raus, unter Leute, Events und sowas. Es ist ja irgendwie nicht normal, dass ich nur einen Freund habe. Andere Freundschaften hätten bei den seltenen und unregelmäßigen Treffen gar keinen Bestand. Schön, dass es dich gibt, alter Kumpel.“

„Und was sagt Corinna dazu?“, fragte Claas während er seinen Freund nachdenklich betrachtete.

„Corinna sagt dazu, so soll es sein.“

Ihre Antwort kam für die beiden Männer unerwartet. Mit einem Tablett, das sie auf der rechten Handfläche balancierte, kam sie aus der Küche, näherte sich dem Tisch und konnte die Platte, als sie sich bedenklich zur Seite neigte, noch rechtzeitig abstellen. Claas versuchte in ihrem Gesicht zu lesen, konnte aber keinerlei Emotionen ausmachen, wollte sich nicht anmaßen, ihre versteinerte Mimik als unausgesprochene Ablehnung zu interpretieren. Ihr rundliches Gesicht, dessen Proportionen nicht so recht zu ihrer schlanken Gestalt passen wollten, wurde von halblangen, braunen Haaren umrahmt, denen es an Fülle und Spannkraft fehlte. Corinna war eine Frau, der man mit sehr viel Wohlwollen ein durchschnittliches Aussehen attestieren konnte. Sie verstand es jedoch, durch gekonntes, dezentes Schminken und eine sorgfältig ausgewählte Garderobe, ihr Aussehen aufzuwerten.

„Da hörst du’s, Claas. Wir haben die Entscheidung gemeinsam getroffen. Ihr seid die ersten, die das erfahren. Das ist natürlich jetzt Quatsch. Wem sollte ich es schon erzählt haben? Hab doch nur dich und natürlich meine Zweitlieblingsfrau Tanja“, fügte er mit einem wiehernden Lachen hinzu. „Ich hätte ja gerne, dass Corinna in der Tankstelle mit hilft. Sie könnte an der Kasse stehen. Sie ist doch Verkäuferin. Aber sie will partout nicht.“ Bernd ließ seinen Blick kurz zu seiner Frau wandern, die ihn jedoch nicht beachtete, sondern Claas aus den Augenwinkeln beobachtete. Unruhig rutschte Claas auf dem Stuhl hin und her, zeigte Erleichterung, als seine Frau das Wohnzimmer betrat.

„Was will Corinna nicht?“, fragte sie, Interesse heuchelnd, in die Runde und stellte einen Stapel Teller auf dem Tisch ab.

„Komm, ich helfe dir in der Küche beim Salat. Dabei erzähle ich dir Bernds umwerfende Pläne.“ Corinna unternahm keine Anstrengung, ihren Sarkasmus zu verbergen, erwartete von ihrem Mann keine Gegenreaktion, wandte sich zum Gehen, blieb in der Küchentür stehen, drehte sich um, starrte mit versteinertem Blick in Claas Richtung, versuchte Kontakt herzustellen, was ihr nicht gelang, verschwand schulterzuckend in der Küche. Es war nur schwer auszumachen, ob Tanja die Feinheiten der Situation wahrgenommen hatte oder bewusst überspielte, indem sie sich kokett mit den Hüften wackelnd ihrem Mann näherte.

„Gegessen wird später, Schatz“, flüsterte sie zweideutig auch für Bernd verständlich. „Also Finger von den Häppchen. Es gibt noch Salat“, fügte sie lauter an, streichelte ihrem Mann die Wange und tänzelte singend in die Küche.

„Ihr kommt so prima miteinander aus. Manchmal beneide ich euch. Tanja ist so lebhaft, so direkt. Kann mich ja nicht beklagen, aber Corinna ist meistens so zugeknöpft. Sie kann ihre Gefühle nicht richtig zeigen. Oft weiß ich gar nicht, wo ich mit ihr dran bin. Ich bin so froh, dass ich dich zum Freund habe. Wir können uns alles erzählen, geben uns Ratschläge, können uns einfach so geben wie wir sind. Oh, sorry, den Werkstattkauf jetzt mal ausgenommen. Aber das wollte ich alleine durchziehen, muss ja mal erwachsen werden. Du bist mir hoffentlich wegen meines Geheimnisses nicht böse. Du wirst mir fehlen, da unten, aber Bayern ist ja nicht aus der Welt, na ja, fast nicht.“

Bernd erhob sich aus dem Sessel, nahm am Tisch Platz, legte seine Hände mit gespreizten Fingern auf die Tischplatte und betrachtete schweigend seine Fingernägel, die die Spuren harter manueller Arbeit aufwiesen. Claas spürte leichte Übelkeit in sich aufsteigen. Auch er schätzte die Freundschaft mit Bernd, hatte ihn aber nie als seinen Verbündeten betrachtet, mit dem er Geheimnisse teilen konnte oder wollte. Unvermittelt schämte er sich, nie mit Bernd über seinen Seitensprung gesprochen zu haben, obwohl er um die Unmöglichkeit und die zerstörerische Kraft dieser Beichte wusste.

>Vergiss den Seitensprung. Du könntest ihm aber jetzt von deinem aktuellen Problem erzählen, ihn um Rat bitten. Du brauchst Rat, gesteh dir das ein. Bernd lässt dich nicht hängen. Mach dir nichts vor, du schaffst das nicht alleine<, ging es ihm siedend heiß durch den Kopf.

„Irgendetwas beschäftigt dich doch auch, alter Junge, sehe ich doch“, sprach Bernd ihn unverblümt an.

„Bist du dir ganz sicher, dass Corinna zu dem Kauf steht?“, brachte Claas statt einer Antwort gequält hervor.

„Nein, das bin ich nicht. Kann ich bei ihr nie sein. Wann gibt’s denn hier den Startschuss fürs Essen?“, schrie er laut in Richtung Küche und lenkte von seiner Befangenheit ab.

„Lass diese Machos ruhig schreien. Und du willst wirklich nicht in der neuen Firma deines Mannes arbeiten? Könnte euch doch schneller in ruhigeres Fahrwasser bringen, und ihr seid dann auch am Tag zusammen“, bemühte sich Tanja, die Entscheidung von Corinna nachzuvollziehen und goss das Dressing über den Salat.

„Auf gar keinen Fall. Ich brauche meine Freiheit. Außerdem belastet mich das gar nicht, wenn Bernd und ich uns nicht so viel sehen. Das bildet er sich nur ein. Ich kann dann meinen Freizeitbereichen nachgehen, und das lasse ich mir nicht nehmen.“

Tanja überlegte krampfhaft, von welchen Freizeitbereichen hier die Rede sein könnte und stellte überrascht fest, dass sie wenige Einblicke in Corinnas Leben hatte.

„Was meinst du mit Freizeitbereich?“, hakte sie, nun deutlich an dem Thema interessiert, nach.

„Nicht so wichtig, für dich zu wissen“, wiegelte Corinna ab. „Es wird schwer sein, in der neuen Stadt eine Arbeit für mich zu finden. Schließlich will ich auch nicht jeden Verkäuferjob annehmen“, wechselte sie das Thema.

„Kann es sein, dass nur unsere Männer befreundet sind, und wir als Ehefrauen wohl oder übel einfach nur das dazugehörige Anhängsel?“, warf ihr Tanja gereizt an den Kopf und widerstand dem Versuch, von ihrer eigenen Unzufriedenheit in ihrem Beruf zu erzählen.

„Wir gehen jetzt rein zu den beiden Männerfreunden“, ging Corinna einer weiteren Vertiefung des Gesprächs aus dem Weg.

„Setz dich doch hier neben Claas“, forderte Bernd seine Frau auf und zeigte auf den freien Stuhl. „Dann kann sich Tanja neben mich setzen, und wir können unsere Freundschaft fast hautnah genießen“, lachte er schallend in die Runde. „So schnell haben wir das ja nicht mehr, wenn wir erst einmal da im unteren Teil Deutschlands sind“, hängte er melancholisch an. Corinna zögerte, bevor sie der Aufforderung ihres Mannes nachkam. Claas rückte seinen Stuhl unmerklich von Corinnas Seite, verschaffte sich Distanz, stellte mit Unbehagen fest, dass seiner Frau die Flucht vor Nähe nicht entgangen war.

„Schade, dass die beiden so weit wegziehen. Ist ja fast wie auswandern. Ich könnte gut ohne Corinna auskommen, aber er wird dir bestimmt als Freund fehlen. Wir sollten sie wirklich so schnell wie möglich besuchen.“ Claas lag bereits im Bett und beobachtete die Anstrengungen seiner Frau, sich von ihrem BH zu befreien.

„Ja, sollten wir machen“, antwortete er geistesabwesend. Je länger er seine Frau betrachtete, überkamen ihn erneut Zweifel, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Er bereute, dass er seinen Freund nicht eingeweiht hatte, ahnte, dass sich die Gelegenheit nicht mehr ergeben würde.

„Lass uns schlafen“, kuschelte sich Tanja an die Schulter ihres Mannes und genoss das von Angst befreite wohlige Gefühl, wissend, dass es nur von kurzer Dauer sein würde.

Todbringende Entscheidung

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