Читать книгу Die unverhoffte Genesung der Schildkröte - Marc Bensch - Страница 6
Kapitel eins
ОглавлениеDüsternis kroch durch Konstantin von Kornwegs Büro. Sie war sein Dauergast. Denn Konstantin von Kornwegs Büro war das einzige mit Vorhängen in der Firma, die seinen Namen trug, aber nur in den seltensten Fällen seine Handschrift. Und diese Vorhänge, in einem gewiss freundlichen, aber eben kaum Helligkeit spendenden Orange gehalten, hatten in Anwesenheit des Finanzbuchhalters stets geschlossen zu sein. Und da Konstantin von Kornweg einer sehr exakten Vorstellung von Tagesabläufen folgte, es nur ganz und gar unvorhersehbaren Ereignissen zähneknirschend erlaubte, sie zu torpedieren, wusste seine Sekretärin stets, wann sie die Vorhänge öffnen durfte und wann sie sie zu schließen hatte. Denn dass die Vorhänge und sogar die Fenster dahinter gelegentlich geöffnet werden mussten, billigte selbst Konstantin von Kornweg, der gegen kohlenstoffdioxidgetränkte Luft immun zu sein schien, insgeheim aber sehr wohl froh darüber war, morgens frischen Sauerstoff einzuatmen.
Die einzige Lichtquelle um ihn herum war eine Tischleuchte mit geschwungenem Hals. Ihr schmaler Kegel erhellte eine Handvoll Akten inmitten penibel geordneter Stapel aus Belegen und Protokollen. Der Schreibtisch war ein Monstrum. Er nahm den halben Raum ein, und der Mann, der an diesem Freitagnachmittag um 17:58 Uhr mit gekrümmtem Rücken über ihm und den Akten saß, wirkte vergleichsweise zwergenhaft. Das wirkte er von Natur aus, hatte die ihm doch einen knochigen Körper und eine zerbrechliche Statur beschert. Das Monstrum verschärfte den Effekt nur noch.
Konstantin von Kornweg saß im Halbdunkel und befand sich im Tunnel. Die Quartalsabrechnung verlangte seine vollste Konzentration. Die Zahlen waren nicht gut. Sie waren überhaupt nicht gut. Sie waren annähernd verheerend. Konstantin von Kornweg aber lächelte. Er grinste regelrecht.
Wer in diesem Moment mit diesem Wissen in den Raum getreten wäre und ihn gesehen hätte, wäre unweigerlich zu dem Schluss kommen, der Buchhalter hecke einen teuflischen Plan aus und müsse der Bösewicht in dieser Geschichte sein. Nichts aber läge weiter entfernt von der Wahrheit als eine solche Schlussfolgerung.
Beim Arbeiten versorgte ihn das Pendel der Standuhr mit Rhythmus und Ruhe. Ein dröhnender Gong war nun für ihn das Zeichen, dass sein Tagwerk für diese Woche beendet war. Während des zweiten Gongs blickte er auf und vergewisserte sich, dass er nicht irrte. Während des dritten trank er den letzten Schluck des erkalteten Kaffees. Während des vierten, fünften und sechsten sammelte er die Akten zusammen und verstaute sie im Regal links des Tisches. Er tat das mit aller gebotenen Sorgfalt, ganz ohne Eile. Als alles an seinem Platz war, schlenderte er zu dem eisernen Kleiderständer mit Krone, der vor langer Zeit bereits seinem Großvater gedient hatte. Konstantin von Kornweg nahm Mantel und Hut, zog sich an, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und harrte exakt siebzehn Sekunden aus, bevor er zur Bürotür hinausging.
Seine Sekretärin, eine früh gealterte Endfünfzigerin mit Nickelbrille, weißen Haaren und einem immensen Bauch voll Gutmütigkeit, besaß keine Armbanduhr. Aber ihr Computer lief nach der Atomuhr, also wusste sie genau, wann ihr Chef heraustreten würde und sie dieses Lächeln sehen würde, das im ersten Moment durchaus ansteckend war – wobei sie um Gottes willen niemandem wünschte, er möge sich anstecken. Das Schicksal ihres Chefs war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, ein Drama!
Sie wünschte Konstantin von Kornweg viel Glück im Spiel und ein angenehmes Wochenende. Er erwiderte natürlich nichts, huschte nur vorbei und lupfte wie gewohnt seinen Hut. Doch als sie sich schon in sein Büro aufmachen wollte, um Vorhänge und Fenster aufzureißen und den schrecklichen Mief darin zu verjagen, kehrte er, völlig unerwartet, noch einmal zurück.
»Verzeihen Sie«, sagte er in dem ihm eigenen Flüsterton. »Dieses Buch, das brauchen Sie doch gerade nicht, oder?«
Er deutete auf einen der Romane, die sie in der jüngeren Vergangenheit verschlungen und noch nicht wieder mit nach Hause genommen hatte. Sie war eine Leseratte und frönte ihrer Leidenschaft auch während der Arbeitszeit – mit seinem stillen Einverständnis. Er griff nicht allzu häufig auf ihre Assistenz zurück, überließ ihr einzig die Entgegennahme von Anrufen, den Kontakt mit der Außenwelt, und erledigte ansonsten das, wozu er imstande war, selbst. Nicht, weil er ihr nicht vertraute, sondern weil er sich mehr vertraute.
»Nein, Herr von Kornweg«, sagte sie irritiert, da sie ihn noch nie einen Roman in die Hand hatte nehmen sehen. »Sie dürfen es sich gern ausleihen.«
»Danke«, flüsterte er, drückte das Buch an seine Brust und verschwand in Richtung Hinterausgang.
Konstantin von Kornweg trat hinaus in die Seitengasse, in der normalerweise sein Wagen stand, lief aber nicht nach rechts zu seinem Stellplatz, sondern nach links. Den Hut zog er sich tief ins Gesicht.
Natürlich gab es einen Grund für sein Verhalten. Die ungewöhnliche Bitte um das Buch, der ungewohnte Heimweg und das zermürbende Gefühl der Bedrücktheit, das ihn malträtierte, hingen einzig und allein mit dem ganz und gar unvorhersehbaren Ereignis des Morgens zusammen. Es war auf halbem Weg in die Firma geschehen. Sein Wagen hatte mit einem Mal zu ruckeln begonnen, stärker und regelmäßiger noch als in den Tagen zuvor. An denen hatte Konstantin von Kornweg das Problem samt der höhnisch funkelnden Warnleuchte aus Furcht vor den Konsequenzen noch erfolgreich ignoriert. An diesem Morgen hatte sich das Problem nicht mehr ignorieren lassen, weil zum Ruckeln eine starke Rauchentwicklung dazugekommen war. Er rollte in Schrittgeschwindigkeit dahin und krallte seine Hände am Steuer fest – bis am Straßenrand eine Werkstatt auftauchte und er an einen Gnadenakt des Schicksals glaubte.
Die Hoffnung freilich, er habe Glück im Unglück gehabt, erstarb rasch. In der Werkstatt saß er zitternd und verärgert über die Umstände und über das Zittern in einem winzigen Warteraum, leerte einen Becher mit labbrigem Kaffee, hielt sich die aufgeblätterte Tageszeitung vom Vortag vors Gesicht, las aber keine Zeile, sondern richtete seine alleinige Aufmerksamkeit auf die Geräusche in seiner Umgebung. Schlagschrauber schnurrten, Hebebühnen surrten, Motorhauben knallten, Mechaniker lärmten. Sie warfen sich derbe Sprüche an den Kopf und lachten.
Einer von ihnen, ein Meister Mitte vierzig mit Schmerbauch im übergroßen Blaumann, kam schließlich in den Warteraum.
»Herr von Kornweg?«, fragte er, damit sein Kunde die Zeitung zusammenfalten und ihm zuhören möge. Der Mechaniker wischte sich die öligen Finger an einem Tuch ab, das vor langer Zeit einmal weiß gewesen war, und befreite mit dem Arm seine Stirn vom Schweiß.
Konstantin von Kornweg blickte auf, ohne zu antworten. Der Meister nahm nur dieses irritierende Lächeln wahr, das ihm schon bei der Auftragsannahme aufgefallen war.
»Also, es ist folgendermaßen: Ihre Einspritzpumpe ist defekt. Da lässt sich auf die Schnelle nichts machen.«
Konstantin von Kornweg blieb stumm. Und lächelte.
»Ist Ihnen denn die Warnleuchte nicht aufgefallen? Wenn Sie sofort zu uns gekommen wären, hätte ich Ihnen vielleicht einfacher helfen können. Jetzt werden wir an einem Austausch nicht vorbeikommen. Ihnen ist klar, dass Sie das mindestens tausend Euro kosten wird, möglicherweise auch doppelt so viel?«
Konstantin von Kornweg schaute zu Boden. Und lächelte.
»Finden Sie das lustig? Finden Sie mich lustig?«
Konstantin von Kornweg schüttelte den Kopf. Und lächelte. »Tun Sie, was nötig ist. Und machen Sie sich bitte keine Gedanken um das«, sagte er und zeigte auf sein Gesicht. »Eine lange Geschichte. Hat nichts mit Ihnen zu tun.«
Er war es so müde, sich zu erklären.
Die Reaktionen anderer auf Konstantin von Kornwegs Problem ähnelten sich häufig.
»Was gibt’s denn da zu grinsen?« Diesen Spruch hörte er immer wieder.
Fast jeder freute sich über ein Lächeln. Fast jeder lächelte zurück. Zunächst. Irgendwann schlug die Freude in Verwirrung um, weil der Fremde nicht aufhörte zu lächeln. Weil dieses beständige Lächeln Zweifel an der Freundlichkeit des Unbekannten hervorrief.
Lächelte der etwa gar nicht, sondern lachte? Lachte einen aus, wegen eines gigantischen Popels im Gesicht oder aus irgendeinem anderen Grund?
Wenn Konstantin von Kornweg Glück hatte, ignorierten ihn die Leute nach einer gewissen Zeit.
Wenn er Pech hatte, beschimpften sie ihn.
Wenn er großes Pech hatte, wurden sie handgreiflich.
Er gab sein Bestes, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Er gab sein Bestes, unsichtbar zu sein.
Konstantin von Kornweg lebte seit achtzehn Jahren unter einer Glocke. Drei Wochen nach dem rauschenden Fest seines fünfundzwanzigsten Geburtstags war er wild entschlossen in einen Squash-Court marschiert, in das Finale eines Ranglistenturniers, in das er es dank eines fabelhaften Laufs geschafft hatte, der ihm selbst unerklärlich war. Mitte des zweiten Satzes war er, komfortabel in Führung liegend, gepackt von schlagartig auftretenden heftigen Kopfschmerzen und von Schwindel, in sich zusammengesackt.
»Schlaganfälle kommen auch bei kerngesunden jungen Menschen wie Ihnen häufiger vor, als man gemeinhin annimmt«, erklärte ihm ein Neurologe hinterher und versuchte ihn zu beruhigen. »Nach der nötigen Reha kommen Sie sicher wieder vollständig auf die Beine. Sofern es keine weiteren unvorhersehbaren Ereignisse gibt.«
Zu dem, was sie Fazialisparese nannten, hatten die Spezialisten wenig zu sagen, nur dass ihnen eine solche Art der Gesichtslähmung noch nie untergekommen sei. Dass sie allem widerspreche, was man über den menschlichen Körper wisse. Dass die Mundwinkel, wenn überhaupt, auf einer Seite hängen müssten. Nicht wie bei ihm permanent auf beiden Seiten nach oben gerichtet sein.
»Das dürfte es eigentlich gar nicht geben. Aber sicher handelt es sich nur um ein vorübergehendes Phänomen«, prognostizierte sein Neurologe. »Das legt sich wieder.«
Eine Erklärung für das vorübergehende Phänomen und warum es sich nicht legte, konnte er auch nach achtzehn Jahren nicht anbieten, eine Therapie genauso wenig. »Mit beschädigten Nerven ist das nun mal so eine Sache. Die regenerieren sich nicht ohne Weiteres, die lassen sich nicht stimulieren«, schwadronierte er schulterzuckend und wischte seine früheren Aussagen weg. Und keiner der anderen Ärzte, bei denen sich Konstantin von Kornweg vorstellte, widersprach dem Kollegen.
Dabei gab es durchaus Therapieansätze, heftig umstrittene allerdings, deren Effekte nicht ausreichend belegt waren, doch je mehr Schulmediziner vor ihnen warnten, desto attraktiver wirkten sie auf Konstantin von Kornweg. Aber seine Krankenkasse sah diese Art der Behandlung durch seine Police nicht abgedeckt.
So blieb dem Buchhalter nur, zu sparen und zu warten und zu hoffen und jedes Jahr im Winter für drei Wochen in ein südliches Land zu flüchten, in dem Menschen, die beständig lächelten, nicht so sehr auffielen und schon gar keine ablehnenden Reaktionen hervorriefen. In seiner natürlichen Umgebung ging er, so gut es ging, allem und jedem aus dem Weg.
Ähnlich wie ich dich durch diese Geschichte zu navigieren gedenke – behutsam, einen Schritt nach dem anderen – lässt er sich von einer unerschütterlichen Devise leiten: Meide alles, worüber du keine Kontrolle hast.
Die Fahrt von der Werkstatt ins Büro mit einem Taxi, dessen Fahrer unentwegt über andere Verkehrsteilnehmer grummelte und Konstantin von Kornweg nach einiger Zeit skeptisch durch den Rückspiegel beäugte, hatte ihn größte Überwindung gekostet. Er war nur eingestiegen, weil ihm in diesem Moment keine bessere Option eingefallen war. Sich zum Feierabend erneut eines zu bestellen, kam überhaupt nicht infrage.
Ebenso wenig wollte er jemanden aus der Firma behelligen, am allerwenigsten seine Schwester.
Und so gelangte Konstantin von Kornweg, so absurd das angesichts seiner Lebensphilosophie erscheinen mochte, zu dem Entschluss, es bliebe ihm nur die Fahrt mit der Straßenbahn. Eine Fahrt, die einen probaten Schutzschild erforderlich machte: das Buch seiner Sekretärin, über dessen Inhalt doch zu lächeln erlaubt sein musste.
Die Haltestelle lag nur einen Katzensprung vom Firmensitz im Gewerbegebiet entfernt. In die Innenstadt aber tuckerte die Tram fünfundzwanzig quälende Minuten lang. Zu seinem Glück fand er einen Platz ganz hinten im Wagen, mit dem Rücken zu fast allen Mitfahrern. Das beruhigte sein trampelndes Herz. Vom Hauptbahnhof aus waren es noch einmal zehn Minuten zu Fuß zu seiner Kellerkneipe, in der er, endlich angekommen, durchatmete.
Sein Thekenplatz ganz links ganz hinten an der U-förmigen Bar war frei, darauf konnte er sich verlassen. An zwei der kleinen Tische kauerten fahrige Vagabunden mit glasigen Augen. Bei seinem Eintreten mussten sie allein für einen kurzen, furchtvollen Blick zur Tür viel Kraft aufbringen. Am anderen Ende der Theke standen der übergewichtige Chef einer Fahrschule, der auf einer kubanischen Zigarre herumkaute, ein gedrungener Steuerfahnder mit hängenden Schultern und ein Schriftsteller im weißen Jackett. Seinen Hut, ebenfalls weiß, setzte er selbst dort nicht ab, wo die Sonne niemals schien.
»Das hat sie nicht getan. Das erfindest du doch«, gackerte der Steuerfahnder und schüttelte sich vor Lachen.
»Ich schwör’s euch«, antwortete der Fahrlehrer und bekräftigte die just erzählte Zote über eine seiner Schülerinnen.
»Formidabel«, posaunte der Schriftsteller. »Das hat das Zeug zu einer Kurzgeschichte.«
In den riesigen Aschenbechern vor den Kneipenbrüdern türmten sich Kippen. Einige glimmten noch. Die Schwaden hingen im ganzen Raum. Konstantin von Kornweg mochte den beißenden Qualm eigentlich nicht. Selbst wäre er nie auf die Idee gekommen zu rauchen. Aber er schätzte die Ruhe dieses Etablissements, das den Menschen schon oben an der Eingangstür neben der zerbrochenen Laterne, dem verschmutzten Putz und den hingeschmierten Graffiti entgegenbrüllte, dass dies ein Club der Eingeweihten war. Das Passivrauchen war ein Preis, den er gewillt war zu zahlen – auch auf die Gefahr hin, an Passivlungenkrebs zu erkranken. Im Laufe der Zeit war er mangels Alternativen zu der Überzeugung gelangt, dass alles, was passierte, einem tieferen Sinn folgte.
Eine Antwort darauf, welchen Sinn seine Gesichtslähmung hatte oder welchen er selbst, suchte er noch.
Der Wirt hatte Oberarme wie andere Menschen Schenkel. Auf ihnen gab es immer wieder ein neues Tattoo zu entdecken. Sein vollrasierter Kopf über dem Stiernacken glich einer Bowlingkugel. Er guckte permanent grimmig, doch wenn er seine Stammgäste mit groben Beleidigungen bedachte, wenn er sie »Saukerle« schimpfte, garnierte er das meist mit einem brüllenden Lachen. In Wirklichkeit war er lammfromm – und er besaß die seltene Gabe der Sensibilität. Nach einem krachend gescheiterten Anlauf beim ersten Besuch hatte er nie wieder versucht, Konstantin von Kornweg ein Gespräch aufzuzwingen. Wann immer der Buchhalter reinschneite, also an jedem Montag, Mittwoch und Freitag, sofern keine ganz und gar unvorhersehbaren Ereignisse dazwischenfunkten, standen sofort eine Halbe und ein Kräuterlikör vor dem Gast, und der Wirt drehte ihm wieder den Rücken zu.
Konstantin von Kornweg kippte den Schnaps in einem hektischen Zug, ließ sich beim Bier etwas mehr Zeit und beobachtete die anderen aus der Ferne. Gelegentlich fragte er sich, ob auch er, wenn alles anders gekommen wäre, heute mit zwei, drei Kameraden in einer Kneipe wie dieser säße, mit ihnen söffe, nach zwei bis fünf Stunden anschreiben ließe und Arm in Arm mit einem Kumpan, sich gegenseitig stützend, die Stufen in die Wirklichkeit hinaufstürzte. Nur an Freitagen blieb für solche Gedanken kein Platz. Da füllte ihn ein Gefühl der Hoffnung aus. Immer so lange, bis er sich auf seiner Armbanduhr versicherte, dass es an der Zeit war, das Smartphone zu zücken und die Gewinnzahlen zu überprüfen.
Er wusste stets sofort, dass es wieder nicht hingehauen hatte mit dem Jackpot, weil er selbstverständlich jedes Mal mit denselben Zahlen spielte.
Und so steckte er sein Smartphone wieder ein, was dem Wirt als Zeichen galt, einen neuen Kräuterlikör hinzustellen, den Konstantin von Kornweg erneut in einem Zug kippte, diesmal weniger hektisch als resigniert. Für die zweite Halbe ließ er sich exakt eine Viertelstunde Zeit, klopfte auf die Theke, ließ die Scheine und Münzen für Rechnung und haargenau zehn Prozent Trinkgeld liegen und ging langsam zur Treppe.
Daheim wartete Chronos.
Das Schicksal liebt die Ironie. Du hast das vermutlich auch schon mal erfahren oder wenigstens bei einem Nahestehenden erlebt. Im Falle des Lächlers besteht die Ironie darin, dass jemand, der allem Ärger aus dem Weg geht, in eine Geschichte wie diese hineinstolpert. Dass er, der doch niemandem wehtun möchte, weil er sich selbst so sehnlichst das Ende seiner Schmerzen wünscht, darüber spricht, jemanden leiden zu lassen.
Nun, lass mich dir berichten, wie es zu der Szene mit dem blasierten Schmierfinken und dem bewaffneten Schnüffler in der heruntergekommenen Lagerhalle kommen konnte. Lass mich dir erklären, warum deine Hilfe gefragt ist und was von dir erwartet wird.
Keine Sorge, es ist kein Hexenwerk.
Zunächst musst du die weiteren Figuren in diesem Stück kennenlernen, musst etwas über Ursache und Wirkung erfahren. Damit du verstehst, wie sich aus einer Reihe mal mehr, mal weniger glücklicher Umstände diese Geschichte entwickelte.
Erster glücklicher Umstand, vorgefallen vor ein paar Monaten: Eine Frau, Mitarbeiterin in der Presseabteilung eines stolzen Traditionsunternehmens des hiesigen Mittelstands, ist schwanger. Ihre Wangen glänzen schon, ihr Bauch wächst mehr und mehr zur Kugel heran. Sie teilt ihrer Chefin mit, dass sie ihren Posten für ein Jahr räumen will, um sich ganz auf die Mutterrolle konzentrieren zu können. Die Firma muss einen Ersatz finden.
Da wittert ein Mann mit ambitioniertem Ziel seine Chance.