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Das Zebra des Emporkömmlings

Sie waren wie Brüder. Früher. Aus gleichem Holz, vom selben Stamm. Ein Paar von der Stange: Leo Baldwin und Tom Shotton. Schwänzte der eine die Schule, dann war auch der andere krank.

Gemeinsam pafften sie die ersten geklauten Zigaretten. Sie stießen aufeinander an, bevor sie sich das erste Pint in die Kehle schütteten. Ja, Tom Shotton und Leo Baldwin verloren sogar in derselben Nacht ihre Unschuld an die spindeldürre Patsy Cheever. Niemand in der Straße hätte es damals gewagt, die beiden beim Fußballspiel in verschiedene Mannschaften zu wählen. Ihre Fäuste waren berüchtigt, und vor Rektor Wideman mussten sie stets zu zweit antanzen.

Als Leo dann seinen Job an den Docks verlor, schmiss keine Stunde später auch Tom die Brocken im Schlachthaus hin. Drei Tage und drei Nächte zogen sie durch die Pubs und stiegen in die Fässer. Die zwei hatten einen Schlund wie die Einkommenssteuer!

Gewiss, Tom Shotton und Leo Baldwin liebten die Frauen – und die Frauen liebten sie. Doch dass Leo am Ende ausgerechnet Theodora Helstone heiraten würde, die schmalhüftige, blasse Tochter des steinreichen Fabrikanten Helstone, und dass dieser die Verbindung auch noch akzeptierte, kam selbst für Tom überraschend. Ach, was, es war eine faustdicke Sensation, aber niemand in der Stadt freute sich darüber mehr als Tom. Er wusste, dass Leo nun in Lebensverhältnisse aufstieg, von denen sie als Arbeiterkinder nicht zu träumen gewagt hätten: Das Schicksal ist eine launische, aber manchmal trotzdem willige Jungfrau.

Und so fuhr Leo auf einmal einen Bentley, ging regelmäßig zum Friseur, er trug eine goldene Taschenuhr bei sich und aß zweimal in der Woche im sündhaft teuren Chabon’s. Tom kannte keine Spur von Neid, er war sogar stolz auf Leo und gönnte seinem Kumpel jeden Penny von ganzem Herzen, und selbstredend blieben die beiden weiterhin die besten Freunde und sahen sich oft.

Allein mit der Zeit stellte Tom an Leo eine Veränderung fest, und diese Wandlung missfiel ihm sehr, nach und nach wurde sie ihm sogar unerträglich: Anstatt dass Leo sein neues Leben in vollen Zügen genoss und mit gehobener Stimmung durch die Welt lustwandelte, war er anscheinend bemüht, vor Tom seinen Frohsinn zu dämpfen und seine Ausgelassenheit und Unbekümmertheit zu verbergen. Ja, fast schien es so, als wollte Leo sein Glück mit Tom nicht teilen! So war Leo, wenn die zwei sich trafen, stets auffallend nachlässig gekleidet und zeigte immer noch dieselbe Grobschlächtigkeit und Ungehobeltheit, die er auch früher an den Tag gelegt hatte.

Gleichzeitig verdoppelte Leo seine Aufmerksamkeit gegenüber Tom und war bemüht, unterwürfig zu erscheinen, so als habe Leo ihm gegenüber etwas gutzumachen. Dieser Umstand kränkte Tom zutiefst.

Letzten Sommer hatte Tom dann diese vermaledeite Pechsträhne ereilt, die sich wie das genaue Spiegelbild von Leos Dusel ausnahm. Tom verlor beim Hunderennen einen gewaltigen Batzen Geld. Natürlich hätte er sich von Leo die Summe borgen können, und gewiss hätte er dies auch getan, wenn Leo in letzter Zeit nicht so seltsam gewesen wäre, so aber schied diese Möglichkeit für Tom aus, und er verfiel auf den Plan mit dem Zebra.


»Das Zebra des Emporkömmlings« ist der zweite Roman des nordenglischen, 1960 geborenen Autors Brian Toomer, der mit seinem Debütwerk »Ulabula – Am Anfang war der Ort« einen internationalen Bestseller schrieb und seit 1998 an der University of London kreatives Schreiben unterrichtet. Im Mittelpunkt des mit absurdem Witz und lakonischer Selbstsicherheit verfassten Buches steht ein junger Mann, der versucht, seinem zu Wohlstand gekommenen besten Freund auf verschiedenste, immer abstrusere Weise Geld abzuluchsen. Brian Toomer, der mit der Fotografin Cynthia Paley verheiratet ist, dreht zur Zeit für die BBC einen Dokumentarfilm über den irischen Dichter Flann O’Brien.

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