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Der doppelte Becker

Ich sehe aus wie Boris Becker. In der Schule wurde ich gehänselt, auf der Straße tuschelt man hinter meinem Rücken.

»Das ist er doch!«

»Blödsinn, guck dir doch mal die Klamotten an!«

Nach der Schule jobbte ich in einem Supermarkt. Es ist unglaublich, was mir die Kunden alles erzählten. Sie sprachen mit mir über ihre Geldsorgen, prahlten mit ihren Liebschaften, schimpften auf Norbert Blüm und die CDU. Nach einem Erstrundenaus war es immer ganz besonders schlimm. Die Leute störte es nicht, dass ich nicht Boris Becker war, sondern bloß eine gewöhnliche Auffüllhilfe. »Ich bete trotzdem für Sie«, verabschiedete sich einmal eine Kundin von mir.

In meiner Stammkneipe hieß ich nur »der Leimener«. Ständig wollten meine Kumpels, dass ich einen Hechtsprung mache – für zwanzig Mark habe ich es manchmal getan. Ich konnte das Geld gut gebrauchen. Beim letzten Mal riss mir dabei links ein Kreuzband und ich verlor meine Anstellung im Supermarkt.

Ständig werde ich von Frauen angesprochen. Im Stadion, im Einkaufszentrum oder auf dem Amt. Von der halben Damenwelt, darunter jungen, bildhübschen Mädchen … Das ist wie mit einem Hund beim Gassi gehen. Doch sobald wir ins Gespräch kommen und ich meinen Namen nenne, verlieren die Frauen das Interesse an mir und wenden sich ab. Dabei bin ich nicht auf den Mund gefallen.

Viele Jahre war ich unzufrieden mit meinem Aussehen … Bis ich eines Abends in der Diskothek von diesem Rechtsanwalt angesprochen wurde: Es war kurz bevor Boris Becker mit Barbara Feltus zusammenkam. Der Anwalt war ein aalglatter Kerl in Anzug und offenem Hemd, mit Goldkettchen und verspiegelter Sonnenbrille – er roch noch nach Zahnpasta. Als er mich tanzen sah, geriet er völlig aus dem Häuschen. Er zerrte mich von der Tanzfläche, orderte eine Flasche Champagner und stellte sich als Berater aus dem inneren Kreis um Ion Tiriac vor. Nach der Disco fuhr er mich in seinem Sportwagen nach Hause, am anderen Tag waren wir zum Essen im teuersten China-Restaurant der Stadt verabredet. Der Anwalt hatte inzwischen mit Gott und der Welt telefoniert und machte mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Beim Dessert unterschrieb ich ein über einhundert Seiten langes Vertragswerk. Zwei Tage später saß ich im Flieger nach Monaco.

Am Flughafen wartete eine Limousine mit schwarzgetönten Scheiben auf mich. Sie brachte mich zu meinem neuen Arbeitsplatz: Das Luxusappartement von Boris Becker. Die Wohnung war ein Palast. Mit Sauna, Schwimmbad und Fitneßraum … Mit eigenem Tennisplatz und begehbarem Schuhschrank. Wenn man auf der Terrasse stand, konnte man meinen, das Mittelmeer sei nur für diesen Ausblick angelegt worden. Für jeden Wochentag hatte Boris ein eigenes Schlafzimmer. Der Kühlschrank besaß einen separaten Liefereingang und wurde zweimal am Tag frisch gefüllt. Es dauerte Tage, bis ich mich in der Wohnung zurechtfand.

Meine Aufgabe bestand darin, immer, wenn Boris spielfrei hatte und offiziell in Monaco weilte, mich in dessen Wohnung aufzuhalten und dreimal am Tag ans Fenster zu treten und mich von den Paparazzi auf der Straße fotografieren zu lassen. Mehr nicht. Die restliche Zeit könne ich tun und lassen, was ich wolle: Lesen, fernsehen, schlafen oder telefonieren. Allerdings dürfe ich unter keinen Umständen mit jemanden reden – außer mit den Hausangestellten, die eingeweiht waren. Sollte Boris in der Stadt sein, würde ich in einem Hotel auf dem Lande untergebracht werden – das aber käme so gut wie nie vor. Es hatte etwas mit Steuervergünstigungen zu tun und damit, dass sich Boris die Hälfte des Jahres im Fürstentum aufhalten musste, was bei seinem vollen Terminkalender und den vielen Verpflichtungen allerdings unmöglich sei. Deshalb habe man mich eingestellt – so hielten es die anderen prominenten Monegassen im übrigen auch. Die Bezahlung war königlich, und ich war davon überzeugt, endlich meinen Traumjob gefunden zu haben – doch das Ganze entwickelte sich zum Alptraum.


Die Idee zu dem ursprünglich als Drehbuch geplanten Roman »Der doppelte Becker« kam dem Autor Michael Schattenmann während seiner Arbeit an Boris Beckers vorletzter Autobiographie »Punkt, Satz und Sieg – Die Zeit ohne Schläger«. Ein Doppelgänger des Tennisstars verliebt sich in Monaco in eine Pizzalieferantin, eine englische Boulevard-Journalistin erfährt von der Romanze und bauscht sie zur so genannten »Kofferraum«-Affäre auf … Die Romanfassung des Drehbuchs erschien jetzt im 2004 gegründeten Hannoveraner Gold & Silben-Verlag, dessen »Literatur-Rollen« – eine Toilettenpapieredition von Gedichten und Erzählungen junger, größtenteils noch unbekannter deutschsprachiger Autoren – letztes Jahr für enormes Aufsehen in den Medien sorgte.

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