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Nackt

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Und wieder ein sonniger Tag. Josi, ich und zwei, drei andere hingen auf den Straßen rum. Wir hatten selbstverständlich unsere Rucksäcke dabei, mit Bier und Kletterschuhen. Wir trieben durch eine aufgedunsene Stadt kreuz und quer über die Brücken, saßen herum, lungerten herum und leichtsinnig kletterten wir an Brücken und Gebäuden, erst war es Tag dann Nacht, es war nicht verboten, doch es fühlte sich so an.

Später waren vereinzelt Sterne sichtbar, da wusste ich nicht weiter. Wir schlenderten durch die atmosphärischen Schluchten großer Geschäftshäuser und begegneten ein paar vermummten Kids, sie beäugten uns misstrauisch. Wir bekamen etwas Angst, möglicherweise waren das Faschisten auf Beutezug. Als wir an ihnen vorbei waren, kümmerten sie sich nicht weiter um uns. Unsere Anspannung ebbte ab und wir nahmen unser Gespräch wieder auf. Als wir an einer Filiale der Dresdner Bank vorbeikamen, war die Fassade frisch mit einem Graffito besprüht worden. Der Geruch des Lösungsmittels hing noch in der Luft. „Früher national, heute wirtschaftsliberal“ war zu lesen. Das war keine Falschaussage, stellten wir fest. Josi meinte: „Das könnte man auch über viele meiner ehemaligen Schulkameraden sagen.“

Dann war ich allein und saß in der Nähe des Flusses, Nebel stieg aus ihm auf und die Wiesen wurden allmählich feucht. Mit den beleuchteten Ruinen der Stadt im Rücken kehrte die miese Stimmung des geschäftigen Tages zurück und ich verfing mich in ungesunden Gedanken an Laura. Zwei Monate zuvor hatten wir uns getrennt.

Es begann, als ich merkte, dass ich unfähig war, in ihrer Gegenwart das alte Leid zu spüren. Lange Zeit war das okay. Nur ist es aber so, dass ich es brauchte, um diesen Antrieb zu haben, um kreativ zu sein, um überhaupt aufzustehen und auf die Straße gehen zu können. Da bemerkte ich es wieder, das Phänomen der Unmöglichkeit, glücklich zu sein. Mir schien es, als könne Glück nur aus einer dauerhaften Traurigkeit hervorgehen. Und dumm wie ich war, sagte ich nichts, wie ich nie etwas sagte. Ich redete von Büchern, ich redete von Plänen und verlor darüber die Wut, wurde müde und vergaß, was mich im Innern unzufrieden machte. Ich redete mehr mit mir als zu ihr, dabei spürte ich schon den Verlust der Nähe, auf der alles begründet war. Ich redete, um nicht mit ihr reden zu müssen. Es war, als trügen wir T-Shirts mit der Aufschrift „Jedem Anfang wohnt das Ende inne“. Heute würde ich mir diesen Satz wahrscheinlich andersherum aufdrucken lassen. Dennoch bleiben die schweren Dinge schwer, sie werden mit der Zeit höchstens etwas handlicher. Und mit der scheinbaren Bewegungslosigkeit der Sterne sprach ich meinen Monolog in die Nacht: „Laura, niemand ist allein, wenn ich alleine bin, alles schmerzt, Vergangenheit, Gegenwart und so weiter. Du fehlst mir, ich will nicht mit dir zusammen sein, nicht einmal mit dir schlafen, mein Egoismus aber macht, dass ich ebenso nicht will, dass du ein eigenes Leben führst, dass dich jemand anderes als ich liebt, dass du mit andern schläfst. Du sollst mein Ideal sein, unberührt, gegenwärtig, wie ein Meisterwerk, das ich mühevoll erworben habe, das ich aber niemals betrachte, aber auch niemals anderen zeige, das ich der Welt vorenthalten will.

Und mir ist das bewusst. Ich versuche, Haltung zu bewahren, wenn ich an dich denken muss, wenn ich erfahre, dass du jemanden Neues hast. Ich wünsche dir alles Gute. Ich hoffe, ich meine es ehrlich. Und auch wenn es heute noch nicht so sein sollte, hab ich immerhin die Hoffnung, dass es einst so sein wird. Du warst Rapunzel, ich deine Zauberin.“

Ich fiel um auf den Rücken und blieb liegen, schaute in die Dunkelheit und merkte schnell, wie lächerlich pathetisch ich schon wieder war. Das freute mich und ich konnte gar nichts Schlechtes daran finden. Dann ging ich nach Hause.

Da sich die Stadt im Sommer tagsüber stark aufheizt, strömt nachts, wenn sie langsam auskühlt, kalte Luft von den Hängen hinab ins Elbtal. So gibt es nachts immer einen leichten Wind, der die großen Einfallstraßen entlangstreicht. Jemand hatte mir erzählt, dass bei der Bebauung der Talseiten beabsichtigt Schneisen freigelassen wurden, um dies zu ermöglichen. Um ein angenehmes Klima in der Stadt zu schaffen. Auch in dieser Nacht wehten Plastiktüten und spitze Hüte über Chausseen und Parkplätze. Am Tag danach aber lag die Stadt wieder da wie eine Bratpfanne. Die gestaute Hitze im aufgeheizten Zimmer hatte mich kurz vor acht geweckt. Ich hatte nackt geschlafen, das Betttuch unter mir war feucht. Unruhig erhob ich mich, versuchte, Dehnübungen zu absolvieren und die Augen vom Krust zu befreien. Ich riss das Fenster auf, die Sonne bestrahlte mich und ungewohnt morgendliche Geräusche durchfluteten das Zimmer. Entfernt drang das Geläut eines Gotteshauses herüber. Da es überhaupt zu früh war, um sich zu bekümmern, kleidete ich mich an, ohne mich zuvor mit aktuellen Informationen versorgt zu haben. Dann hing ich mir meinen kleingeldgefüllten Brustbeutel um und stolperte mit einem leichten Rucksack auf dem Rücken aus der Wohnung. Ich fiel aus dem Haus auf den Gehsteig und blieb erst mal stehen. Schaute mich genüsslich um und dachte über die Richtung nach, die ich einschlagen sollte. Ein Kinderwagen schob sich vorbei, ich stand still, dann begegnete mir ein Hund. Die morgendliche Neustadt zeigte sich gewohnt angefressen. Ich war überrascht, wie sehr die Sonne schon wärmte, wie nüchterne und wache Menschen umherliefen, da sagte ich mir: „Ich werde etwas um die Ecke gehen, vielleicht Brötchen bei einem andern Bäcker besorgen.“

Ich folgte dem Kinderwagen, die Sonne kam nun von vorn, hinab bis zumMartin Luther Platz mit seinen schattigen Seitenstrassen.Dort wechselte ich meine Bezugsperson und ließ mich von anderen mitreißen. Allmählich zogen mich so die Menschen, schob mich so die Stadt ganz unwillkürlich zu den Elbwiesen hin. Bald bemerkte ich, dass ich zum unterwegs sein zu viel an hatte und da ich begann zu schwitzen zog ich meinen Pullover aus und stopfte ihn in den Rucksack.

Ich lief stromaufwärts am geknickten Ufer und begegnete nicht nur Stockenten, sondern auch sportlichen Mädchen und immer gleichen alten Schachteln, die verschiedene Hunderassen umherführten. Andere Männer waren oft in deren Nähe. Als ich so im weichen Boden vorankam, mich immer weiter von meinem Ausgangspunkt entfernte, verging auch Zeit dabei. Kurz nachdem ich die Johannstädter Elbfähre passiert hatte, sah ich am anderen Ufer Strand und dort vereinzelt Menschen.

Ich setzte mich ins Gras und schaute rüber. Und in einem Maße glücklich tat ich etwas, was den alteingesessenen Dresdner mit Schrecken erfüllt. Seit frühester Kindheit hatte man ihnen eingebläut, um Gottes willen nicht in der Elbe baden zu gehen. Man erzählte von braunen Schaumkronen, von chemischem Gestank, von Giften und Kloake. Niemand, der bei Trost ist, wäre in diesem Industrieabwasser schwimmen gegangen. Die Elbe war Dreck. Ich kannte diese Bedenken zwar, wusste aber auch um die drastische Verbesserung der Wasserqualität seit der politischen Wende. Öfter hatte ich schon Leute an manchen Uferbereichen ins Wasser gehen sehen. Vor der Zerstörung der Stadt war es üblich, in der Elbe zu baden, es gab mehrere Freibadeanstalten. Mit dem massiven Anwachsen der chemischen Industrie in Tschechien allerdings musste der Fluss als Ressource für Wasser und Entsorgung herhalten. Mir war das egal. Ich zog, bis auf meine Shorts, alle Sachen aus und stopfte sie in den Rucksack, den ich am Ufer zurückließ.Den kleinen, angeblich wasserundurchlässigen Brustbeutel mit dem Kleingeld, den Ausweisen und Chipkarten, der mit den Jahren immer schwerer zu werden schien, hing ich mir, wie ein nach salzigen Seeigeln tauchender Korse, lässig um den Oberkörper umständlich stolperte ich dann ins Wasser. Die vielen Steine und die Strömung machten das Vorwärtskommen schwer. Als ich etwa zehn Meter vom Ufer entfernt war, erreichte der Pegel meinen Bauchnabel. Ich sprang in das dunkelgrüne Wasser und schwamm mit hektischen Zügen zum andern Ufer. Die Strömung zerrte an mir und ich trieb etwas flussabwärts. Der Sand am anderen Ufer war warm. Von Weitem konnte ich einen Raddampfer der Weißen Flotte erkennen, es war die „Meissen“.

Ringsum war dieser Strand eingehaust von grünem Dickicht, man konnte nicht hindurchgehen und hatte so den Eindruck, auf einer Insel in der Stadt zu sein. Menschen waren hier noch keine, Hundespuren deuteten aber darauf hin, dass diese Gegend nicht unbekannt war.

Ich kämpfte mich barfuß einen kleinen Trampelpfad entlang und durchschritt so das grüne Band, dann trat ich auf einen asphaltierten Radweg, der sich die gesamte Elbe entlangzog. Unweit der Elbwiesen, am Rande der Johannstadt kaufte ich dann Kuchen und Eiskaffee in einem Tetrapack.

Als ich mit Kaffee und Kuchen zum Strand zurückkehrte, saßen dort drei Körper (ohne Verkleidung). Zwei sahen weiblich aus und einer vage männlich. Ich selbst, der in der Frage der FKK eher betroffen reagierte, setzte mich in ihre Nähe und begann mit meinem Frühstück. Sie erinnerten mich spontan an Hunde und wollten Süßes, ich gab ihnen von meinem Kuchen. Da sie keine Hunde waren, revanchierten sie sich mit O-Saft und Bier. Die Sonne briet ihre Nudistenkörper und über kurz oder lang sprachen wir über ihre Bewegung. Ich brachte mein Wissen dazu ein, welches sich im Großen und Ganzen auf ein Bild bezog, das Hermann Hesse als Nacktkletterer zeigt. Nebenher versuchte ich so, den Bogen zum Kokovorismus zu schlagen. Das machte wenig Eindruck und das Gespräch kam ins Stocken. Da ich immerzu versuchte, mich dadurch nicht unangenehm berühren zu lassen, schlug ich vor, doch noch etwas schwimmen zu gehen. Ich zog mich nun meinerseits vollends aus und mein bleicher Körper spannte sich in dem Moment, da er im Wind stand. Aufrecht ging ich zum Fluss hinunter. Sie folgten mir und als ich mich zu ihnen umdrehte, fiel mir auf, dass alle drei besonders ausgeklügelte Frisuren hatten. Nicht sonderlich provozierend oder abstrus, nein, man merkte aber bei jedem von ihnen, dass dort etwas wohlbedacht getan war. Das Mädchen mit der rasierten Scham zum Beispiel hatte eine sehr zurückhaltende, fast unmerkliche Frisur, einen Bob, der dezent ihre stoischen Gesichtszüge unterstrich. Der gerade Schnitt fixierte alles auf ihre grünen Augen. Die Symmetrie der glatt zu beiden Seiten herabfallenden Haare ließ ihren Hals nofretetenhaft erotisch und zugleich emanzipiert in ihren Nacken überfließen. Sie sagte so: Mach mich bloß nicht blöd an, ich bin zu clever für dich!

Ich schwamm mit kräftigen Zügen der Strömung entgegen in der Hoffnung, meine Muskeln dadurch etwas aufzupumpen, um meinem gesamten Erscheinungsbild so etwas mehr Authentizität im Hinblick auf meine Selbstwahrnehmung zu geben.

Als wir dann in der Sonne trockneten, sprach ich das Mädchen mit den Rastas und dem zurückhaltenden Körper auf meine Beobachtung an. Ich sagte: „Mir sind eure Frisuren aufgefallen. Steckt da was dahinter?“

In diesem Moment hellte sich ihr etwas gelangweiltes Gesicht auf. Sie sagte: „Na ja, irgendwie schon. Weißt du, die Frisur ist das einzige, mit dem man nackt eine Haltung ausdrücken kann.“

Ich verstand, was sie meinte.

„Natürlich auch unten rum“, fuhr sie fort.

„Ah“, sagte ich, „das macht wirklich Sinn.“ Und ich schaute jedem Einzelnen der drei kurz bestätigend in die Augen. Dann aber warf ich ein: „Zumindest unter der Annahme, dass man heutzutage überhaupt noch nackt sein kann. Unter all dem Zeug, das man aus dem Alltag mitschleppt, also ich meine Tattoos, Körperschmuck, Einstichlöcher, Narben und so weiter, da ist doch keiner mehr wirklich nackt und ohne Haltung, die Haltung kommt ja hauptsächlich aus den persönlichen Historien zustande.“„Ja, aber das ist doch alles aufgetragen. Bei den Haaren trägst du hauptsächlich ab, das ist eher wie Bildhauerei“, sagte das Mädchen mit den Rastas und Kai, der Dritte im Bunde, merkte an: „Oder besser noch wie bei diesen buddhistischen Sand-Mandalas, die Frisur verändert sich ja schließlich ständig und kann immer neue Aussagen annehmen, so wie du selber ja auch. Und schau sie dir doch mal an, die meisten Leute verlieren doch jegliche Haltung, sobald sie nackt sind, die sind so in ihrer gesellschaftlichen Prüderie gefangen, dass sie in der Gleichförmigkeit nackter Leiber ohne all ihre Accessoires untergehen würden. Die einzige Idee, die Nicht-Nudisten in diesen Fällen haben, ist, ihre Schwänze oder Ärsche zu vergleichen.“

Was für ein Bild man auch abgibt, wichtig ist nur, es abzufackeln.

Monate später zog auch ich mich gern aus und schwamm im trüben Flusswasser.

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