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Familien I

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„Zwei Beine hat mein Vater / Das eine ist aus Holz / Er hats vom Krieg. Nun ratet: / Auf welches ist er stolz?“

Heiner Müller 1949

Im Mai 1988, ich war gerade vier Jahre alt, beabsichtigte die ganze Familie, die Neubauwohnung in der Dresdner Johannstadt zu verlassen und in das schöne Striesen zu fahren, um den Geburtstag meines Großvaters zu feiern. Der Himmel war bewölkt, am nächsten Tag erwartete man Dauerregen. Die Elbe stand hoch und die Raddampfer zirkulierten emsig. Das neue Laub an den Bäumen war von einem kurzen Schauer noch ganz nass. Dann wieder brach das Sonnenlicht durch die Wolken und tauchte alles in ein spiegelndes Grün, für Sekunden, bis sich die Wolken zusammenschoben und alles erneut in ein fahles Grau verfiel. Es waren genau jene Tage im Jahr, in denen das Grün der Wiesen und überhaupt alles Lebende so frisch und lebendig war wie den ganzen Rest des Jahres nicht mehr.

Bald würde die drückende Hitze kommen und mit ihr das Flirren des Asphalts. Das Grundwasser würde sinken und die Wiesen vergilben, die ganze Gegend staubig und trocken werden.

Der Tag lud nicht zu Spaziergängen ein und dennoch war die Welt um uns herum fruchtbar und die Luft warm und feucht. Man wollte nach draußen. War man draußen, zog es einen wieder hinein.

Ich und meine Schwester standen auf dem kleinen Balkon im dritten Stock und schauten hinab, unserer Spucke hinterher. Mutter warf einen schnellen Blick auf uns und im Vorbeihasten sagte sie mahnend, mit pädagogischem Unterton: „Na!“

Unsere Eltern versuchten sich anzukleiden, versuchten sich für die Geburtstagsfeier fertigzumachen. Tamara und ich waren schon adäquat angezogen und daher auf den Balkon verbannt. Unter dem Druck der gesellschaftlichen Erwartungen und der Enge der Wohnung gab es bei solchen Gelegenheiten immer wieder Auseinandersetzungen zwischen unseren Eltern. Einmal war es die Unpünktlichkeit meines Vaters, dann wieder hatte ich kurz vor dem Verlassen der Wohnung auf meinen frischen Pullover irgendein Getränk verkippt. So wollte man nicht, konnte man nicht, unter keinen Umständen, das Haus verlassen. Die Hektik zog sich hin. Tamara und ich schlichen auf Socken vom Balkon, zwischen den Eltern hindurch, in unser Zimmer. Wir versuchten, ihren großen unendlich behäbigen Körpern auszuweichen und krabbelten unter dem Wohnzimmertisch hindurch. Wir hatten eigene Pfade und gaben unser Kindermögliches, um uns ruhig zu verhalten, bis sich auch unsere Eltern angekleidet hatten. Im Kinderzimmer schütteten wir eine große Kiste mit PEBE-Steinen auf den Boden, es schien uns wohl eine gute Idee, der angespannten Stimmung mit Konstruktionen zu begegnen. Unter all diesen roten und weißen Plastiksteinen waren uns die in unserer Kiste spärlich auftretenden, von der Westverwandtschaft geschickten LEGO-Steine am liebsten. Beide Systeme ließen sich kombinieren. Zu Weihnachten hatten wir jeder ein kleines LEGO-Modell bekommen. Ich irgendein Rennauto und meine Schwester irgendwas vom Bauernhof, uns wurde dieses Spielzeug kommentarlos übergeben. Wie wir dazu kamen, blieb uns verborgen, denn über die imperialistische Verbindung zu alten Bekannten meines Großvaters wurde selten gesprochen, umso aufmerksamer hörten wir hin. Kinder haben eben jene natürliche Fähigkeit der Überwachung der etablierten Bewohner. So kannten wir dann den Ort München, wir hatten das Wort aufgeschnappt. Es war ein Ort außerhalb unserer Welt, ein mystischer Ort, der nicht zu betreten war. Bis heute bin ich noch nie dort gewesen.

Langsam zeichnete sich in dem Trubel der Eltern so etwas wie ein Sinn ab, das Geschenk lag verpackt zusammen mit einem Strauß bleicher Tulpen auf dem Küchentisch. Ein neues Set Schnitzmesser und Beitel, das Vater von einem Freund aus Annaberg besorgen konnte. Auch die Schuhe waren schon geputzt und paarweise bereitgestellt. Dann verschwanden sie im Schlafzimmer.

Meine Mutter, immer noch eine sehr attraktive Frau, trug damals unerklärlicherweise ständig eine Dauerwelle und eine Polyesterverkleidung aus Gardinenstoff. Mein Vater dagegen hatte das Glück, ein der Mode unabhängiges ästhetisches Empfinden zu besitzen. Um seine Ingenieursseele mit der Arbeiterschaft zu solidarisieren, bevorzugte er Cord und war immer etwas unrasiert.

Wir spielten bei geöffneter Tür und hörten sie reden.

„Ich hab echt keene Lust auf dieses ganze Trara, jedes Jahr das Gleiche.“

„Komm schon, er ist nun mal mein Vater. Ein Mal im Jahr wirst du das doch aushalten, dafür gehen wir dann morgen ins Kino und Marlies passt auf die Kinder auf. Was hältst du davon?“

„Hm … schön … aber du weißt genau, dass dein Vater wieder anfangen wird!“

„Ach Mensch, Sahra, er ist nun mal ein alter Idiot. Du darfst dich nicht immer von ihm provozieren lassen. Lass ihn doch reden.“

„Das ham se damals auch gesagt. Sozialistisches Verhalten ist das jedenfalls nicht.“

„Jetzt hör aber auf. Wir trinken unser Bier, essen Kartoffelsalat und gehen so schnell wie möglich wieder nach Hause. Wir schieben es einfach auf die Kinder, dass die müde sind? Ich will jedenfalls, dass wir da jetzt hingehen.“

„Nö, so nicht! Entweder wir entscheiden das jemeinsam oder gar nich.“

„Oh Mann! Na dann bleib doch hier sitzen! Toll, von allen Seiten wird man fertiggemacht!“

Vater kam aus dem Schlafzimmer, mit traurigem Blick, und sagte: „Na los, ihr beiden, wir gehen schon mal vor. Eure Mutter kommt vielleicht später nach.“

Aber da kam Mutter schon. Auch irgendwie betroffen und entschuldigend sah sie hinab zu uns, küsste Vater auf die Wange und sagte: „Bin ja schon fertig. Aber ich such den Film aus!“

Als wir über den Kiesweg auf den Eingang des kleinen zweistöckigen Hauses zugingen, hatten wir aschfahle Gesichter. Die Liguster-Hecke wollte wuchern, frische Schnitte hatten die Ordnung gewahrt. Wir schritten bunt getupft durch die Spießruten. An den Fenstern bewegten sich sanft die Gardinen. Als Vater die Zunge der Hundekopfklingel mit den rot glühenden Augen herunterdrückte, war unsere Ankunft für niemanden mehr eine Überraschung.

Oma Margot öffnete die schwere Holztür und sagte: „Ach, wie schön, dass ihr kommen konntet!“ Sie umarmte meine Mutter, dann Vater und als Letztes hob sie uns Kinder hoch, um uns ekelhafte Küsse zu geben.

Das Haus war praktisch eingerichtet. Man musste die Schuhe an der Eingangstüre ausziehen und bekam Pantoffeln gereicht. Es war so gemütlich, dass man pausenlos tief einatmen mochte.

Wir wurden den Flur entlanggeführt, bogen ab und betraten das Wohnzimmer, in dem zentral auf dunklem Teppichboden die Geburtstagstafel stand. Schön, mit einer weißen Tischdecke und ordentlich platzierten Gedecken. Unmengen an Kuchen und Torten lagerten unangetastet auf ihr. Das ganze Zimmer roch nach Kaffee und süßlichem Fett. Großvater saß am Kopf des Tisches, mit einem guten Blick aus dem Fenster.

Einige andere Gäste, in ähnlichem Alter, saßen bereits auf den ihnen zugewiesenen Plätzen. Als wir eintraten, kippten sie Pfefferminzlikör. Der skeletthafte Garderobenständer im Flur war mit Mänteln gut bestückt. Ich glaube, wir Kinder waren sofort sehr eingeschüchtert. Da meine Schwester stumm blieb und sich nur auf Anweisung bewegte, tat ich es ihr gleich. Damals machte ich von jeher alles, was meine Schwester machte. Da wir Großvater nur als mürrischen alten Mann kannten, wirkte er dort am Ende der Tafel wie immer. Mein Vater reichte ihm zuerst die Hand. Er gratulierte ihm zu seinem Ehrentag und überreichte ein kleines in buntes Papier gewickeltes Päckchen. Das war von der ganzen Familie. Als meine Mutter ihm dann die Hand zur Gratulation gab, sagte er nicht einmal Danke. Daraufhin sah sie mit einem Blick meinen Vater an, als wollte sie sagen: ,Ich hab’s dir gesagt!‘ Da griff er nach ihrer Hand und zog sie neben sich, fort von der Quelle des Unmuts. Er ging mit ihr sehr lange am Tisch entlang, bevor er geeignete Plätze fand.

Tamara, die vermutlich diese Anspannung zwischen unseren Eltern wahrgenommen hatte, trat wiederum mit mir an der Hand zu Großvater und sagte schüchtern: „Ich will dir ein Lied singen zum Geburtstag.“

Bevor aber Stromer etwas sagen konnte, antwortete Margot schon mit dieser unangenehm hohen, gekünstelten Stimme: „Ach, das ist aber schön von dir!“ Sie blickte Stromer an: „Nicht wahr?“ Und an die Gesellschaft gewandt: „Seid doch mal leise, Tamara will für den Opa ein Geburtstagslied singen!“

Stromer sagte nichts.

Tamara stellte sich neben Stromer und grinste ihn an. Ich blieb stehen, wo ich stand. Sie sagte: „Das haben wir in der Schule gelernt.“ Dann begann sie mit ihrer leisen, aber unglaublich klaren Stimme. Sie sang:

„Häschen in der Grube,

saß und schlief, saß und schlief.

Armes Häschen, bist du krank,

dass du nicht mehr hüpfen kannst?

Armes Häschen, bist du krank,

dass du nicht mehr hüpfen kannst?

Häslein hüpf, Häslein hüpf, Häslein hüpf!

Häschen vor dem Hunde,

hüte dich, hüte dich!

Hat gar einen scharfen Zahn,

dass er dich wohl packen kann.

Hat gar einen scharfen Zahn,

dass er dich …“

Da stand Stromer beherzt auf und herrschte Tamara an: „Ja, ja, ist ja gut jetzt! Das ist ja nicht mal ein Geburtstagslied. Wir wollen jetzt endlich Kaffee trinken!“ Er legte seine Hand auf ihren Rücken und schob sie grob von sich weg. „Los, geht schon! Setzt euch zu euren Eltern.“

Meine Schwester hörte auf, eine gute Miene zu machen. Sie nahm mich an meinem Pulloverärmel und zog mich fort. Als gute Gastgeberin versuchte Margot, die Situation dieser Gemeinheit vor den Gästen zu überspielen, indem sie hastig umherzulaufen begann, allen Kaffee einschenkte und Torte verteilte. Meine Eltern blieben stumm. Sie tranken ihren Kaffee und aßen Eierschecke. Ihre Zähne knirschten. Die Gespräche an der Tafel drehten sich um Fußball. Kurz darauf räumte Margot ab. Mutter half ihr dabei. Margot redete leise auf Mutter ein, die schüttelte den Kopf. Wir Kinder durften unterdessen in den Garten und spielten mit der Katze. Drinnen wurde Goldkrone und Pfeffi getrunken. Vater sagte nicht viel und trank aus Frust mit. Mutter war anscheinend froh, dass sie in der Küche mithelfen konnte. So war sie beschäftigt und musste nicht im Wohnzimmer bei den anderen Gästen sitzen. Dann wurde schon zu Abend gegessen, Kartoffelsalat, Wiener und reichlich Bier lullten die Gehirne weiter ein. Alle wurden fett davon, nicht nur an diesem Tag. Der Mangel der Nachkriegsjahre schien viele traumatisiert zu haben. Essen bedeutete nicht mehr und nicht weniger als absolutes Glück. Ein Glück, das die nächste Generation schon nicht mehr zu verstehen schien.

Nach dem Abendessen wurde wieder Kaffee serviert. Mutter schenkte jedem ein. Die Gäste verrührten viel Zucker in der schwarzen Flüssigkeit. Als Mutter Stromer die Tasse füllen wollte, fuhr der sie heftig an: „Gib her, das kann ich selber!“ und versuchte, ihr die Kanne aus der Hand zu nehmen. Dabei wurde heißer Kaffee auf das Tischtuch und Stromers Hose gekippt.

Er sprang auf. Eine Sammeltasse zersplitterte auf dem Boden.

„Scheiße!“, schrie er. „Du dumme Kuh!“ Dabei zuckte sein rechter Arm so, dass Mutter unwillkürlich zurückwich. „Was haste denn jetzt schon wieder angerichtet! Da sieht man’s wieder, nichts wert, diese Frau!“

Mutter ließ daraufhin die Kaffeekanne fallen und rannte ohne ein Wort nach draußen. Vater versuchte, sie zurückzuhalten, aber sie riss sich los. Dann sprang er auf Stromer zu und schrie ihn durch gefletschte Zähne an. Seine Fäuste waren geballt, seine Knöchel weiß.

Er beugte sich bedrohlich über seinen achtundsechzigjährigen Vater und jeder der Anwesenden hätte in diesem Moment schwören können, dass er ihm jetzt gleich den Schädel einschlägt. Es war in meinem kurzen Leben das erste Mal, dass ich dermaßen die Anwesenheit von Gewalt spüren konnte. Und das zu einer Zeit, in der meine aktive Erinnerung gerade eingesetzt hatte.

Noch nie hatten wir Kinder unseren Vater so gesehen. Auch Tage später wurde in der ganzen Familie nur sehr leise und behutsam geredet, alle hielten sich zurück und waren ausnehmend freundlich zueinander, wie um zu versuchen, die fragile Harmonie nicht zu stören. Erst mit der Zeit wurden wir Kinder wieder aufmüpfig.

Vaters Faust schlug auf die Tischplatte und an der gesamten Tafel sprangen die Kaffeetassen von ihren Untertellern.

„Was bist du für ein Scheißkerl!“

Der Schmerz in seiner Faust führte vermutlich dazu, dass er sich beruhigte, unbewusst öffnete und schloss er sie immer wieder, ringend nach Kontrolle über die Wut, über die Spontaneität gegen das Offensichtliche.

„Warum behandelst du uns so verdammt unhöflich?“

Speichel spritzte durch meines Vaters Zähne auf den verängstigt zusammengezogenen alten Mann unter ihm.

„Was willst du denn? Ist es, weil sie Jüdin ist? Hast du damit immer noch ein Problem? Warum zum Teufel hasst du uns so? Was haben wir dir denn getan?

Wir kommen extra zu deinem beschissenen Geburtstag und du behandelst uns wie Scheiße!“

Stromer sagte leise, aber mit fester, beruhigender Stimme: „Junge, erzähl keinen Quatsch. Ich hab dir damals gesagt: Pass auf, mit wem du dich da einlässt! Die Hälfte von denen sind zionistische Agenten und die andere Hälfte will ihr Eigentum zurück, um wieder Kapitalist spielen zu können. Unsere lieben jüdischen Mitbürger werden schließlich nicht umsonst registriert. Und nur, weil du so eine geschwängert hast, hättest du sie ja nicht gleich heiraten müssen. Ich meine, ich versteh das nicht, wir leben schließlich im Sozialismus, ich hätte da schon eine Lösung für dich gefunden. Aber statt auf mich zu hören, nimmst du aus Trotz auch noch ihren Drecksnamen an. Heiraten ist eine Sache, aber das? Ich meine, hast du auch nur mal für eine Sekunde an die Konsequenzen für deine Kinder gedacht? Mein Gott, Junge! Du kannst eigentlich froh sein, dass ich dich überhaupt noch in mein Haus lasse.“

Man konnte sehen, wie ein weiterer Schauer meinen Vater durchlief, rot vor Wut traf er eine Entscheidung. Er sprach jetzt ruhiger. Die anderen Gäste waren verunsichert, was nun passieren würde. In ihren feisten Blicken lagen Empörung und Verständnislosigkeit.

„Du bist so ein verdammtes Schwein! Ich wünschte, die Rotarmisten hätten dich damals so richtig fertiggemacht. Dann wäre ich nicht geboren und du wärst nicht so enttäuscht worden. Aber nu is’ es, wie’s is’ – und wenn du noch ein Wort gegen meine Frau oder meine Kinder sagst … Ich schwöre dir, ich vergess, dass wir verwandt sind! Du dämliches altes, verbohrtes Arschloch! Ich frag mich, wie so ein opportunistisches Nazischwein nur mein Vater sein kann. Wieso musste ausgerechnet bei unserer Familie die Entnazifizierung versagen?“

Einer der Gäste, ein Freund Stromers aus dem Kegelklub und zugleich Parteisekretär, zuckte heftig mit den Ohren, als er das hörte. Das waren Dinge, die offiziell abgeschlossen waren, über die man nicht so gern redete. Die dunklen Jahre waren schließlich seit 1953 vorbei und die DDR war ein vorbildliches Land, das die historische Schuld bereits im Sinne des Volkes aufgearbeitet hatte. Es existierten keine Nazis mehr in dieser Utopie. Der Begriff „Entnazifizierung“ schreckte den Kegelbruder daher auf. Er wollte, wie er später zu Protokoll gab, schlichtend zwischen Vater und Sohn gehen. Erhob sich und sagte: „Nun ist aber gut. Das ist hier doch eine Geburtstagsfeier.“Unser Vater sah ihn an. „Was mischst du dich ein, Arschloch?“

Das hatte Konsequenzen und Vater musste sich später bei einer Aussprache für sein unsozialistisches Verhalten entschuldigen. Stromer wiederum brauchte sich für seinen antisemitischen Ausfall nicht weiter zu genieren. Von allen kommunistischen Staaten, so sagte man damals, war die DDR derjenige, der Israel am feindseligsten gegenüberstand. Bis 1953 wurden Juden vielfach offen verfolgt und viele verließen das Staatsgebiet. Später normalisierte sich die Situation zwar, die wenigen, die geblieben waren, wurden aber weiterhin beobachtet, da man sie aufgrund ihrer oft ausländischen Kontakte und ihrer bürgerlichen Art als der Sache der Arbeiterklasse abträglich eingestufte. Das Verhältnis der DDR zu seinen Staatsbürgern mit jüdischem Glauben war also von Beginn bis zu ihrem Ende äußerst ambivalent. Geburtstagsfeiern mit antisemitischem Überschwang waren daher kaum das, was man einen Skandal nennen würde.

Vater ließ die Genossen also einfach stehen, nahm mich unter den Arm, meine Schwester bei der Hand und zerrte uns vor Wut schäumend aus dem Raum. Er nickte Margot kurz zu, sagte wertschätzend: „Mutter!“ und war im Flur. Sie sah uns schrecksekundentaub nach und stürzte dann in den Raum zurück, um den verschütteten Kaffee aufzuwischen.

Vater ließ Tamara los, ihr linkes Handgelenkte hatte durch seinen Griff bereits rote Druckstellen. Tamara aber spürte wohl die Drastik der Situation, sodass sie stumm blieb und sich nicht beklagte. Dann griff er nach seinem Jackett und riss im Vorbeigehen den filzmantelbehangenen Kleiderständer mit sich. Graue Hüte flogen rückwärts durch den Flur.

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