Читать книгу Das Problem der Armut ist die Armut - Marc Lindner - Страница 6
b. Auswirkungen einer Schere zwischen Arm und Reich
ОглавлениеDer Unterschied zwischen arm und reich ist die viel gepriesene Treibkraft des Kapitalismus, die Menschen, und dadurch auch Unternehmen zu mehr, und höher qualitativer Leistung anspornt.
Auch deshalb wird dem Kapitalismus eine sehr bedeutende effizienzsteigernde Wirkung zugesprochen, die eine Planwirtschaft niemals erreichen kann. Diese Triebkraft, die die meisten zu mehr Leistung motiviert, kann durchaus als positiv und wünschenswert angesehen werden. Dabei ruft sie auch Auswüchse wie Betrug, Diebstahl und Unzufriedenheit hervor. Letztlich gilt wie bei allem: Alles in Maßen. Werden die Unterschiede zu groß, so wie es derzeit ist und eigentlich immer war, so nehmen die negativen Auswirkungen überproportional zu, bis die Situation so gravierend ist, dass es zu einem Aufstand kommt – zurecht.
Gleichzeitig ist es aber auch so, dass eine ungleiche Verteilung von Vermögen zu einer Reduktion von gesellschaftlichen Nutzen führt. Dies lässt sich sehr einfach von dem Grenznutzen des Geldes ableiten.
Bei den meisten Dingen, die man besitzen, benutzen oder genießen kann, ist es so, dass mit zunehmender Menge der Nutzen sich nur unterproportional steigern lässt. Sprich, wenn sich die Menge verdoppelt, ist der Nutzen weniger als doppelt so groß wie zuvor. Dieses allgemein beobachtbare Phänomen versteht man unter abnehmendem Grenznutzen. Das bedeutet, dass mit jeder zusätzlichen Einheit, der erzielbare zusätzliche Nutzen geringer ist, als noch bei der Einheit zuvor.
Wir wissen nun also um den abnehmenden Grenznutzen des Geldes. Wir wissen auch, dass Geringverdiener zunächst ihre Grundbedürfnisse mit ihrem Lohn erwirtschaften müssen, und genau hier wird mit dem Ausgeben des Geldes am meisten Nutzen geschaffen. Deshalb kann es nicht für die Gesellschaft optimal sein, dass körperlich produktiv arbeitende Menschen, die die Produkte und Dienstleistungen anfertigen oder anbieten, die wir alle konsumieren, auf gerechten Lohn verzichten, damit die Wirtschaft wächst – eine nüchterne, nichts aussagende Zahl wie das BIP. Erst recht nicht, wenn dadurch Millionengehälter für Spekulanten und Wirtschaftsbosse ermöglicht werden sollen. Der Lohn der Arbeit muss so aufgeteilt sein, dass jeder davon leben kann, und damit meine ich nicht nur das reine Überleben. Das ist eine der wichtigsten Forderungen für die Nutzenmaximierung der Gesellschaft und für soziale Nachhaltigkeit.
Wenn wir uns in der Skizze 1 anschauen, welche Folgen es hat, bewusst ungleiche und ungerechtfertigte Gehälter zu haben, wird deutlich, wie wichtig ein nachvollziehbarer Mindestlohn für unsere Gesellschaft ist.
Skizze 1: Auswirkung der Verteilung des Vermögungs auf den Gesamtnutzen der Gesellschaft. Bild links: Nutzen als Funktion des Vermögens. Bild mitte/rechts: Gleich-/Ungleichverteilung
Denn wenn ein Vermögen X zu gleichen Teilen auf hier 5 Personen aufgeteilt wird, resultiert für diese 5 Personen in der Summe mehr Nutzen, als wenn 4 Personen einen geringeren Teil erhalten, während der Fünfte einen Großteil erhält. Aufgrund des abnehmenden Grenznutzens des Geldes, der aus dem linken Teil der Grafik abgeleitet werden kann, führt eine ungleiche Verteilung des Vermögens zu einem reduzierten gesellschaftlichen Nutzen, hier in Höhe von B anstelle von A bei einer gerechten Verteilung des Vermögens.
Es ist deshalb aus gesellschaftlicher Sicht unabdingbar, ein zu starkes Auseinanderklappen von arm und reich zu unterbinden. Denn mit dem wenigen Vermögen, das die Armen besitzen, entsteht relativ gesehen mehr Nutzen, weil sie es sinnvoller investieren. Sie kaufen sich Nahrungsmittel und sie erlauben es sich, sauberes Trinkwasser zu nutzen. Wenn dann noch etwas übrig bleibt, ermöglichen sie sich und ihren Kindern Bildung und den Zugang zu Gesundheitseinrichtungen. Demgegenüber verschwenden reiche Menschen (Ausnahmen bestätigen die Regel) ihr Vermögen, indem sie wenig nutzbringend Ressourcen aufbrauchen, oder sie lassen das Geld auf ihren Bankkonten liegen. So unterstützen sie im heutigen System das fortwährende Fließen von Geld zu Geld und die Ausbeutung der untersten Einkommensschicht.
Es gibt folglich im gesellschaftlichen Sinne eine Forderung, die besagt, dass es zur Nutzenmaximierung unserer Gesellschaft unabdinglich ist, den Unterschied zwischen arm und reich klein zu halten.
Gleichzeitig kann aber auch festgehalten werden, dass derjenige, der Gleichheit für alle fordert, die Triebkraft unserer Gesellschaft zu zerstören droht. Dann hätten wir kaum noch Innovationen und Qualität für uns zu erwarten, sprich unser gesellschaftlicher Nutzen würde zerfallen.
Der Schere zwischen Arm und Reich kommt eine wichtige Aufgabe zu. Sie ist in gewisser Weise notwendig, um unsere Gesellschaft funktionsfähig zu halten, weil sie als Triebkraft für Innovations- und Handlungsfreude erforderlich ist. Gleichzeitig zerstört sie aber auch gesellschaftlichen Nutzen, indem sie auf der Seiten der Reichen zur Ineffizienz der Rohstoffnutzung führt und auf Seiten der Einkommensschwachen eine Unterversorgung sinnvoller Bedürfnisse bedingt. Vor allem aber ist es Armut, die in unverhältnismäßigem Maße gesellschaftlichen Nutzen zerstört.