Читать книгу Jahresabschluss nach dem Schweizer Rechnungslegungsrecht - Marco Gehrig - Страница 19

1.2.2 Zielsetzung der Buchführungs- und Rechnungslegungsvorschriften

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Wenn der Gesetzgeber auf dem Gebiet der Buchführung tätig geworden ist, wollte er bestimmte Interessen schützen und fördern. Mit der Pflicht zur Führung von Geschäftsbüchern und zum Abschluss in regelmässigen Abständen (Rechnungslegung), sollte der Unternehmer in die Lage versetzt werden, sich ein Bild über seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu machen. Die laufenden Aufzeichnungen in der Buchführung sind periodisch in besonderen Abschlussrechnungen (Jahresrechnung), mindestens jährlich, vorzugsweise jedoch in kürzeren Zeitabständen in der Rechnungslegung zusammenzustellen. Die Selbstinformation des Unternehmersist deshalb ein wichtiger Zweck der Buchführung und Rechnungslegung. Damit soll verhindert werden, dass der Unternehmer aus Unkenntnis seiner Vermögens- und Finanzlage seine Verpflichtungen nicht mehr erfüllen kann und dadurch die Gläubiger geschädigt werden. Deshalb will der Gesetzgeber zum Gläubigerschutz mit zahlreichen Vorschriften verhindern, dass im Jahresabschluss die wirtschaftliche Lage zu günstig dargestellt und die Gläubiger über die Kreditfähigkeit des Unternehmens getäuscht werden. Auch die Bestimmungen zum Eigenkapitalschutz bei Kapitalgesellschaften (beispielsweise durch Vorschriften über die Gewinnverwendung und Kapitalentnahmen) dienen dem Schutz der Gläubiger und damit im weiteren Sinne auch der Arbeitnehmer.

Bei grösseren Unternehmen und Unternehmensgruppen (Konzernen) dient die Buchführung und Rechnungslegung den Aufsichts- und Leitungsorganen als Führungsinstrument, um gestützt auf aussagekräftige Entscheidungsgrundlagen die Finanzverantwortung (OR 716a I) wahrzunehmen.

Auf eine ordnungsgemässe Buchführung als Grundlage der Rechnungslegung ist auch das öffentliche Gemeinwesen angewiesen. Dieses dient somit nicht nur den am Unternehmen Beteiligten, sondern auch öffentlich-rechtlichen Zwecken. Es liefert, gestützt auf das Massgeblichkeitsprinzip, die Bemessungsgrundlage für die Veranlagung der Gewinnsteuern des Bundes und der Kapitalsteuern der Kantone.10 Die steuerlich zulässigen Wertansätze müssen auch im handelsrechtlichen Jahresabschluss verbucht werden, damit sie bei der steuerlichen Erfolgsermittlung berücksichtigt werden können (Verbuchungsprinzip).11 Auch für die Erhebung der Mehrwertsteuer sind die Geschäftsbücher »nach den handelsrechtlichen Grundsätzen« zu führen (MWSTG 70 I). und so einzurichten, dass sich die für die Abrechnung der MWSt massgebenden Tatsachen zuverlässig ermitteln lassen.

Mit der wachsenden Bedeutung der Finanzmärkte stellte sich heraus, dass bei grösseren Aktiengesellschaften auch die Informationsansprüche der nicht an der Geschäftsleitung beteiligten Aktionäre schutzbedürftig sind. Dem Zweck der Rechenschaft dienen strengere Anforderungen an die Rechnungslegung, indem Bilanz und Erfolgsrechnung zwingend durch einen umfangreicheren Anhang, eine Geldflussrechnung und einen Lagebericht ergänzt werden müssen (OR 961). Für börsenkotierte Publikumsgesellschaften (SIX Swiss Exchange und Berner Börse) gemäss Finanzmarktinfrastrukturgesetz 2015 gelten zusätzliche Vorschriften.12 Die Minderheitsrechte von Gesellschaftern werden zudem durch erhöhte Anforderungen an die Transparenz (OR 963b) geschützt.

In der arbeitsteiligen, auf Kreditbeziehungen beruhenden Wirtschaft wirkt sich eine nicht zuverlässige erstellte Jahresrechnung negativ aus. Zudem lässt die Abrechnung für die Mehrwertsteuer nicht zuverlässig ermitteln. Eine unzulängliche Geschäftsführung mit einer mangelhaften Buchführung und Rechnungslegung wirkt auf alle Anspruchsgruppen (Stakeholder) nachteilig aus. Durch den finanziellen Zusammenbruch, insbesondere von grösseren Unternehmen oder von Grosskonzernen, werden nicht nur die beteiligten Eigentümer, Finanzgläubiger und Arbeitnehmer betroffen, sondern wegen der dadurch ausgelösten allgemeinen Verunsicherung auch andere Marktteilnehmer.13 Der Zwang zu einer ordnungsmässigen Buchführung und Rechnungslegung dient somit dem Wirtschaftssystem als Ganzes (Systemschutz).14

1 Busse von Colbe/Crasselt/Pellens, Lexikon des Rechnungswesens, S. 599.

2 Botschaft 2007, S. 169: Für alle Buchführungs- und Rechnungspflichtigen war im VE RRG 2 noch die »neutrale« Bezeichnung »Organisation« vorgesehen. Diese wird im Swiss GAAP FER-Rechnungslegungsstandard verwendet.

3 Z. B. bei nicht gewinnorientierten juristischen Personen wie Stiftungen und Vereine.

4 Mikrounternehmen können unabhängig von der Rechtsform bei Nettoerlösen von nicht mehr als CHF 100‘000 eine vereinfachte Buchhaltung führen. Von Mikrounternehmen wird in der Schweiz bei KMU mit Mitarbeitenden bis zu 10 Personen gesprochen.

5 Handbuch Harmonisiertes Rechnungsmodell 2 der Finanzdirektorenkonferenz (Bern 2008).

6 Pfaff/Ganz/Stenz/Zihler, Kommentar, Anmerkung zu OR 959a, S. 305.

7 Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung des schweizerischen Buchführungsrechts enthält: Bourquin, G.: Le principe de sincérité du bilan (Genf 1976).

8 In Deutschland wurde der Mindestinhalt der Gewinn- und Verlustrechnung erstmals schon 1931 vorgeschrieben.

9 Böckli, Neue OR-Rechnungslegung, S. 2.

10 Böckli, Neue OR-Rechnungslegung, S. 5.

11 Pfaff/Ganz/Stenz/Zihler, Kommentar »Massgeblichkeit«, S. 879.

12 Die strengen Informationspflichten und der dadurch bewirkte erhöhte administrative Aufwand hat 2015 mittelgrosse Gesellschaften (wie die Loeb Holding, Biella) veranlasst, auf die Börsenkotierung ihrer Aktien zu verzichten und diese nur noch ausserbörslich (OTC-Markt) handeln zu lassen.

13 Die Lösung der durch einen grossen Unternehmenszusammenbruch entstandenen Probleme erweist sich – wie verschiedene jüngere Beispiele zeigen – als anspruchsvoll und wegen der damit verbundenen rechtlichen Auseinandersetzungen als langwierig. Das Nachlassverfahren der SAir Group läuft z. B. seit 2001 und ist 2017 noch nicht abgeschlossen.

14 Böckli, Neue OR-Rechnungslegung, S. 5.

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