Читать книгу unGlaubliche Patienten - Marcus Schütz - Страница 6
Monsieur S.
ОглавлениеEs ist Spätsommer. Meine Mutter erteilt Monsieur S. seit kurzer Zeit Englischunterricht. Heute ist er mit seiner ganzen Familie zu Besuch, meine Mutter hat ihre Kinder auch dazu eingeladen. Es ist ein ungewohnter Anblick in Ostberlin: Familie S. kommt aus Brazzaville. Während der Attaché S. ein eleganter Mann mit filigranen Körperformen ist, sind seine Frau und seine acht Töchter in alle Himmelsrichtungen gewachsen; selbst der grüne Rasen, scheint unter dem Gewicht der Fruchtbarkeitsverehrung zu ächzen. Es ist ein lustiger Nachmittag mit Kaffee und Kuchen, die Verständigung ist etwas schwierig. Das Englisch des Attaché ist noch nicht sehr fortgeschritten, Französisch ist in Ostberlin eine nahezu ausgestorbene Sprache, nur eine Freundin meiner Eltern, Romanistin, versucht hier und da ein paar Wortfetzen durch die Kulturen zu transferieren. Also lächeln wir uns hauptsächlich freundlich an und nagen an unserer Torte.
Trotzdem versuchte man auch ein paar politische Themen anzuschneiden. Zum Beispiel, dass wir den in Kürze bevorstehenden 7. Oktober, den Jahrestag der DDR, hassen, weil Honecker dort seine Militärparade durch die Hauptstadt jagt und von der Berliner Bevölkerung erwartete, dass sie mit Winkelementen, den Erfolgen des Sozialismus zujubelte. Dabei zermalmen die schweren Panzer Asphalt und Kopfsteinpflaster zur Unkenntlichkeit und entreißen den eh noch von den Kriegseinwirkungen stark zerrütteten Fassaden der wilhelminischen Architektur die letzten Stuckbröckchen. Plötzlich, als wir auf die Militärparade zu sprechen kommen, fangen Monsieur S. Augen an zu leuchten. Schließlich ist er der Militärattaché der Volksrepublik Kongo im Diplomatischen Corps der DDR.
Er stehe immer direkt hinter Honecker und gebe dann beharrlich die Bestellung durch, wenn das neueste Militärgerät des Ostblocks den Marx-Engels-Platz zum Beben bringt. Raketen, Schützenpanzerwagen, der gute russische T34 stehen regelmäßig auf seiner Bestellliste. Schließlich war auch sein Chef, Präsident Sassou-Nguesso lange selbst Militär und in diesen und jenen Putsch verwickelt.
Meine Mutter wechselt das Thema, will ihre Kinder vorstellen. Ihr Sohn Marcus sei Biologe arbeite jetzt aber bei Prof. Werner an der Humboldt-Universität, der nicht nur ein bekannter Forensischer Psychologe, sondern vor allem der prominenteste Chiropraktiker der DDR sei. Das könne ihr Sohn inzwischen auch. Das träfe sich gut, Monsieur S. habe da gerade ein Rückenproblem. Also legen wir den Militärattaché auf die Gartenwiese und unter den neugierigen Augen seiner Familie knacke ich den Rücken des Generals ein und prompt kann er wieder aufrecht an seinem Kaffeetässchen schlürfen.
Natürlich leben noch mehr Afrikaner in Ostberlin, eher isoliert, versteht sich, obgleich sie doch aus dem befreundeten Angola und Mosambik stammen. Eine Kommilitonin, die dem Tierpark-Friedrichsfelde gegenüber im Hans-Loch-Viertel wohnt, hat da so ihre Sorgen mit den befreundeten Mosambikanern. Immer, wenn sie von der U-Bahn-Station nach Hause laufe, komme sie an dem Block vorbei, in dem die mosambikanischen Gastarbeiter und Studenten wohnten. Nicht nur, dass es immer dieses klatschende Geräusch gäbe, wenn ein Afrikaner gerade wieder stockbesoffen aus dem 10. Stock kotze, und der Wind den angedauten Speisebrei an die Betonfassade klatsche, sondern auch die plumpe Anmache sei ihr zuwider. Doch dann denke ich, so heimlich für mich: Blond und Schwarz macht eigentlich immer eine schöne Mischung und sind die Nachkommen von Mischehen aus erster Generation nicht überhaupt die schönsten Menschen? Viele Schauspieler leben von diesem Vorteil, bedienen sie doch sekundäre Geschlechtsmerkmale gleich mehrerer Ethnien - Hollywood lässt grüßen.