Читать книгу unGlaubliche Patienten - Marcus Schütz - Страница 8
Blutegel
ОглавлениеEine Italienerin. Ihre Freundin hat sie angeschleppt, der hatte ich mal den Fuß gerichtet. Seit dem kann sie wieder laufen. Die Italienerin hat’s auch am Fuß. Sie hätte sich den Fuß beim Schwimmen verstaucht. Sie müsse jetzt viel laufen, die Stadt erkunden. Berlin hätte so unglaublich viel zu bieten.
Stimmt, denke ich. Man müsste sich immer mal wieder aufs Fahrrad setzen und einen entfernteren Stadtbezirk erkunden. Auch wenn man ihn von früher her kenne. In den zwanzig Jahren nach der Wende hat sich so viel, so unglaublich viel in der Stadt verändert. Selbst als Einheimischer, einer der wenigen Exemplare, die hier sogar geboren sind, hat man immer etwas Neues zu ergründen.
Ich fange an die Sehnen an ihrem Fuß zu richten, sie sehen eigentlich gut aus. Unter dem Knöchel gibt es eine bläulich verfärbte Stelle.
Da tue es weh. Und stellen Sie sich vor, in Italien habe man ihr Heparin gespritzt.
Das sei gar nicht so verkehrt gewesen, sage ich.
Sie ist verwundert. Die kleinen Piekser in den Bauch hätten ihr immer so weh getan, sie habe es abgesetzt.
Sie hat eine Thrombose. Ich greife zur Alternativmedizin und bestelle zwei Blutegel. Sie sind steril und kommen aus der Türkei. Mein alter Lehrer hatte sich als Schüler immer nackig in einen Tümpel gestellt. Anschließend hatte er seine Ernte an ein Krankenhaus verkauft. Da nahm man es mit der Sagrotanwelt noch nicht so genau. Am nächsten Tag setze ich die Egel am Thrombus an. Die kleinen Biester fangen an zu saugen, nach einer halben Stunde haben sie ihr Körpervolumen mindestens verdoppelt. Nach einer dreiviertel Stunde sind sie satt und fallen ab, zwei rote Rinnsale am Fuß hinterlassend, so wie nach einem Fernseh-Vampir-Biss.
Der Blutegel, den ich zuletzt eingefangen hatte, war wunderbar gefärbt, hellgrün mit dunklen Streifen. Er war mir bei einer Expedition durch einen gemäßigten Regenwald auf meine Lederhose gefallen, wo er sich vergeblich festsaugte, haha, nix von meinem Blut ergatterte.
Der Thrombus am Fuß der Italienerin löst sich auf. Ich verbinde die stark blutende Wunde und empfehle mit der Stadterkundung noch einen Tag zu warten und das Bein lieber Hochzulegen. Sie läuft gleich los, schmerzfrei, es gibt so viel zu entdecken.