Читать книгу unGlaubliche Patienten - Marcus Schütz - Страница 9
Neureiche Russen
ОглавлениеSpitzt man seine Ohren im Berliner Omnibus, vernimmt man nicht mehr die Gassenhauer von damals; Türkisch klingt es von jedem Sitz. Max findet dit voll krass und Moritz hat sich längst aus dem Staub gemacht. Am Ku'Damm flanieren gestöckelt die christiandiorten Russinnen handynierend in Pelzen entlang, warten auf ihre edlen Limousinen, die sie vom Bummel zum nächsten Appointment transportieren. Am Schlesischen Tor duften Knoblauch und gebratenes Lamm aus dem Döner-Laden, das Starbucks-Café hat amerikanische Touristen zum Potsdamer Platz getragen, im Scheunenviertel wird wieder koscher gekocht, im Prenzlberg wird schwäbisch gesprochen und am Pariser Platz hält man es französisch wie einst. Gesternte Köche verwöhnen die oberen Zehntausend mit Gebratenem und Gesottenem zu den Ersten Bordelaiser Gewächsen.
Ich werde ins Adlon gerufen. Eine russische Oligarchin empfängt mich zum Tee in der Lobby. Sie macht einen gebildeten Eindruck, ist Mitte 50 und hat ein rundes jugendliches Gesicht.
Sie esse jetzt nur noch gesund, viel Salat, wenig Kalorien, keine Mayonnaise.
Ein kleines Erdbeer-Sahne-Törtchen wird serviert. Ich gucke sie fragend an.
Das gönne sie sich einmal in der Woche.
Ihr reicher Mann habe sie - oder sie hat ihn - verlassen, erklärt mir die Dolmetscherin. Sie hätte jetzt einen jungen Stecher und braucht eine Schönheits-OP.
Im freundlich lächelnden Gesicht der Russin verschwindet gerade wieder ein Stückchen der reichhaltigen Torte. Den Tee süßt sie mit dicken Kandisstücken. Ihr Gesicht ist wirklich Jugendlich, was will sie da für eine OP, denke ich. Ihre kleinen prallen Händchen greifen nach ihrer Louis Vuitton Handtasche, sie will das Törtchen bezahlen.
Sie komme gerade aus Mailand. Sie musste ihren Koffer selbst schleppen, auf dem Flughafen. Jetzt habe sie Rückenprobleme.
Deswegen sei ich hier. Ich verkneife es mir, sie zu bedauern. Wir gehen in ihre Suite. Ein Eck-Apartment mit Blick auf Pariser Platz und Wilhelmstrasse. Alles ist großzügig gehalten, gediegen. Zum Nachbarapartment gibt es eine Durchgangstür.
Ihre Tochter komme am Wochenende.
Wir erkoren den Esszimmertisch zur Behandlungsliege. Die Dame verschwindet kurz im Schlafzimmer. Völlig entkleidet und mit einer Bettdecke kommt sie zurück. Schließlich will sie es weich haben, auf dem Esszimmertisch. Augenblicklich wird mir klar wo ihr Schönheitsmakel liegt. Während ich die Wirbelsäule einrenke und den Rücken hart massiere, erklärt die Dolmetscherin: Die Haut an den Oberschenkeln wird durchtrennt, dann wird die gesamte Haut an den Beinen heruntergezogen, das Fett entfernt und wieder hochgekrempelt. Ich glaube, da hätte ich doch lieber auf das Sahnetörtchen verzichtet. Immerhin ist so ein invasiver Eingriff nicht ohne Risiko, da ist schon so manche auf der Matte liegen geblieben. Und ob das Resultat den jungen Stecher halten wird, wage ich zu bezweifeln.
Als mir die russische Dame 50 € Trinkgeld auf mein Honorar drauflegt, erahne ich, was den Stecher in der besten Zeit seines Lebens wirklich bei der mittelalten Dame halten könnte.