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3.2.2 Wohlfahrtsstaatliche Leitbilder für die Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit

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Die feministische Kritik an der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung macht deutlich, dass die Betrachtung allein der Verantwortungsteilung zwischen Staat, Markt und Familien eine wesentliche Dimension der Organisation von Sorgearbeit und damit eines Teils von Care-Regimen verdeckt: Die wohlfahrtsstaatliche Säule der Familie ist maßgeblich durch die industriell-kapitalistische, geschlechtsdifferenzierte Arbeitsorganisation durch eine männlich kodierte Erwerbsarbeitssphäre und weiblich besetzte Sphäre der Sorgearbeit bedingt. Ebenso beeinflusst die wohlfahrtsstaatliche Tradition Politik in der Weise, dass im Fall der konservativ und familiaristisch geprägten Bundesrepublik Deutschland lange Zeit Maßnahmen zum Statuserhalt oder zur Familiarisierung dominierten. Neuere gesetzliche Regelungen oder familienpolitische Leistungen deuten eine stärkere Defamiliarisierung und damit einen Wandel der wohlfahrtsstaatlichen Leitbilder55 an, der von Bemühungen um eine geschlechtsneutrale statt androzentrische Perspektive geprägt ist (vgl. Leitner, Ostner, Schratzenstaller 2004; Ohrem 2015). So wurde das Ernährermodell (oder male breadwinner model) zu Beginn des 21. Jahrhunderts durch das adult worker model (mit Fokus auf Paarbeziehungen auch dual earner model) ersetzt, welches geschlechtsunabhängig allein Erwerbspersonen definiert. Der Fokus auf die Erwerbsarbeit zeugt dabei jedoch von einer „Reproduktionsblindheit“ (Gottschall und Sehröder 2013: 167) des Doppelverdiener-Modells. Ebenso zeigt die Realität weiblicher Erwerbsverläufe der letzten Jahrzehnte, dass in der Bundesrepublik vielmehr ein sog. Zuverdiener-Modell gelebt wird, welches sich weiterhin durch einen männlichen Hauptverdiener und eine – spätestens ab Zeitpunkt der Familiengründung – weibliche Zuverdienerin in geringfügiger oder Teilzeitbeschäftigung auszeichnet.56 In zwei Dritteln aller Familienhaushalte sind heute beide Elternteile erwerbstätig, wobei die Verantwortung für die Haus- und Sorgearbeit bei den Frauen verbleibt, sodass sich wiederum eine Traditionalisierung der Rollenverhältnisse einstellt – mit dem bekannten Risiko einer schlechteren Existenzsicherung für Frauen und einem erhöhten Armutsrisiko, insbesondere im Alter (vgl. BMFSFJ 2012a; Gottschall, Schröder 2013; Wanger, Bauer 2015; BMFSFJ 2017).

Die Sachverständigenkommission zum Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung betont daher die Notwendigkeit eines integrierenden Leitbildes, in dem die Organisation der Sorgearbeit in enger Verbindung mit der Organisation der Erwerbsarbeit zu sehen ist. Das Erwerb-und-Sorge-Modell (earner carer model) verfolgt die bereits im Ersten Gleichstellungsbericht erarbeitete Zielstellung, „dass eine gleichstellungsorientierte Gestaltung der Erwerbs- und Sorgearbeit allen Menschen unabhängig vom Geschlecht ermöglichen muss, während ihres Lebensverlaufs Erwerbs- und Sorgearbeit gleichberechtigt zu verbinden“ (BMFSFJ 2017: 101). Damit einher geht die Aufforderung, Sorgearbeit gesamtgesellschaftlich zu organisieren und nicht mehr allein in privater Verantwortung zu belassen, sodass schließlich auch „Zweiverdiener-Arrangements ohne Überforderung gelebt werden können“ (ebd.). Um dies realisieren zu können, ist schließlich nicht nur ein Umdenken in Politik, Gesellschaft und Unternehmen erforderlich, sondern es braucht vielmehr entsprechende Rahmenbedingungen, die diese selbstbestimmten Lebensverläufe ermöglichen. Neben verschiedenen gleichstellungsorientierten politischen Maßnahmen ist dabei auch „eine gute Infrastruktur der privaten Haushaltsführung (…) sowohl für die Integration der Beschäftigten in existenzsichernde Arbeitsverhältnisse als auch für die gleichstellungsorientierte Organisation von Erwerbs- und Sorgearbeit von Bedeutung“ (ebd.: 170). Schließlich wird mit dieser Forderung auch die Relevanz haushaltsnaher Dienstleistungen für die Realisierung wohlfahrtsstaatlicher Leitbilder deutlich.

51 Die Kategorie „Wohlfahrtsstaat“ ist abzugrenzen vom Terminus des „Sozialstaates“, der die rechtlich-normative Dimension der entsprechenden Politikbereiche betont (vgl. Schmid 2011).

52 Die Realität weicht also stets – in mehr oder minder großen Anteilen – von diesen Typen ab, Reinformen treten praktisch nicht auf (vgl. Esping-Andersen 1997).

53 Ostner (2011) verweist ausdrücklich darauf, dass sich die skandinavischen Länder, die in den wohlfahrtsstaatspolitischen Diskursen häufig als Vorbild angeführt werden, untereinander ebenfalls stark unterscheiden. Dies wird deutlich, wenn etwa Leitbilder und Strategien der Familienpolitik verglichen werden: „Norwegen und Finnland sind Abweichler im nordeuropäischen Cluster: Lange Zeit investierte Norwegen wenig in die öffentliche Kinderbetreuung; Finnland bietet Eltern kleiner Kinder wiederum ein Betreuungsgeld, Dänemark vor allem Alleinerziehenden kaum Zeit und Geld, um die Kinder selbst zu betreuen. All dies legt nahe, dass von einem einheitlichen nordeuropäischen care regime nicht die Rede sein kann […].“ (Ostner 2011: 471) Auch Heintze hebt in ihrer vergleichenden Analyse der Pflegesysteme in Skandinavien und Deutschland eine Sonderstellung von Finnland, aber auch Island hervor (vgl. Heintze 2013; 2015).

54 Die beiden Termini gehen auf Bosch und Lehndorf (2005) zurück, die damit unterschiedliche Formen der Dienstleistungsökonomie beschreiben. Heintze (2013) definiert aufgrund dessen die Highroad als „Konfiguration […], bei der ein durch hohe Produkt- resp. Dienstleistungsqualitäten geprägter Output auf einem Arbeitsregime basiert, das durch hohe Qualifikationsanforderungen bei gleichzeitig hohen Arbeitsstandards und guter Entlohnung geprägt ist. Die Lowroad bezeichnet die gegenteilige Konfiguration mit stark schwankenden Dienstleistungsqualitäten auf der Basis eines Arbeitsregimes, das für die meisten Beschäftigten wenig attraktive Bedingungen bietet (hoher Leistungsdruck, schlechte Entlohnung, weniger Weiterbildungsmöglichkeiten).“ (Heintze 2013: 33)

55 Zu den folgenden Ausführungen vgl. auch Bröcheler 2018.

56 Der Trend zu diesem Erwerbsmuster bei Paaren mit Kindern hat in Westdeutschland zu einem Rückgang des traditionellen Ernährermodells geführt, in Ostdeutschland hingegen zu einem Rückgang des bis dato vorherrschenden Zweiverdiener-Arrangements (vgl. BMFSFJ 2017).

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