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Auf der Stelle treten
ОглавлениеSie tappten im Dunkeln – seit Tagen. Sie hatten nichts, fast nichts. Den Halter des Wagens konnten sie schnell identifizieren. Ein Mitarbeiter des Belgischen Rundfunks in Eupen, Robert Cremer. Rosenthal hatte die junge Kollegin Burrenscheidt zu dem Redakteur geschickt.
Eva Burrenscheidt war ein üppiges Vollweib mit blonden schulterlangen Haaren und verschmitzten blauen Augen. Die Jeans saß knackig, die Bluse auch. Sie war in Marco Bärs Alter, Mitte 30. Die männlichen Kollegen legten in ihrer Gegenwart eine Überbietungshaltung an den Tag. Theresa Rosenthal mochte die neue Mitarbeiterin, fand es aber besser, sie sporadisch zu Außenrecherchen zu schicken, damit die Herren mal wieder an die Arbeit gingen und sich nicht wie die Gockel produzierten.
Der Redakteur in Eupen hatte der jungen Kommissarin willig Auskunft gegeben. Cremer hatte seinen Wagen eine Woche vor dem Wiederauftauchen am Kölner Stadtwald als gestohlen gemeldet. Für die Tatzeit in Sachen Mord legte er ein wasserdichtes Alibi vor. Während der Unbekannte am Stadtwald erschossen wurde, saß Cremer im Rundfunk vor dem Mikrofon. Er berichtete live über das Thema Lebensmittelverschwendung: Jeder belgische Haushalt entsorge im Jahr Lebensmittel im Wert von 174 Euro in die Abfalltonne. »In der Wallonie werfen wir in diesem Jahr wieder Essbares im Wert von 1,4 Milliarden Euro effektiv weg. Jeder von uns muss sich darüber Gedanken machen, sein eigenes Gewissen erforschen«, forderte Cremer gerade in dem Moment, als sich das Drama am Kölner Stadtwald in seinem dunkelroten Renault abspielte. Die vollgestopften Plastiktüten hatten sich im wiederentdeckten Wagen übrigens nicht angefunden, was Robert Cremer zusätzlich verärgerte. Eine Lebensmittelverschwendung, die ihn schuldlos traf. Um sich aufzumuntern, lud er die Kommissarin Burrenscheidt zum Mittagessen ein. Ein kleiner Flirt – musste seine Ehefrau nicht erfahren. Eva lehnte freundlich ab. War vielleicht besser für Robert. Eupen war klein, und ein Geheimnis ließ sich dort schlecht hüten.
»Warum macht sich jemand die Mühe, ein Auto in Belgien zu klauen, um darin in Köln einen Mann umzubringen?«, überlegte Bär daheim im Kommissariat. »Fälscht nicht einmal das Kennzeichen.«
»Frag mich was Leichteres«, maulte Rosenthal. »Vielleicht hat er einen Hass auf Renaults.« Sie war genervt, weil sie in dem Fall kein Stück vorwärtskamen. In solchen Situationen gab es kräftig Druck von oben. »Mein erster Wagen war übrigens ein alter Renault 4, mittelblau, kastenförmig, mit so einer komischen Knüppelschaltung am Armaturenbrett, unglaublich, die Scheibenwischer musste ich mit der Hand bedienen.«
»Sag mal, in welchem Jahrhundert bist du geboren?«, staunte Bär.
»Die Kiste übernahm ich von einem älteren Cousin, so ein 68er, der auf den umgeklappten Rücksitzen die Mädels vernascht hatte. Ich fand zwischen den Sitzen tatsächlich einen schwarzen BH«, erinnerte sich Rosenthal. Ihre Laune hob sich kurzfristig, bis sie auf den aktuellen Fall zurückkamen.
Die KTU hatte magere Ausbeute geliefert. Das Mordopfer war Mitte 50. Der Mann trug Kleidung, die man in jedem Aldi, H&M-Laden oder bei Kik kaufen konnte. Sie hatten die Hersteller herausbekommen, aber in den Einkaufszonen jeder mittelgroßen Stadt gab es Filialen. Adidas-Turnschuhe – Massenware. Fingerabdrücke nicht in der Datei. In den Zähnen ein paar Plomben, die jeder Zahnarzt verfüllt haben konnte. Raucher. Kein Ehering. Kein Tattoo. Kein Handy. Wenn das Opfer irgendetwas bei sich trug, was die Identifizierung erleichtert hätte, dann hatte der Täter es mitgenommen. Ein Profi.
Ein Profi, ein Profi, hämmerte es im Kopf der Kommissarin Theresa Rosenthal.
Sie las den Bericht des Gerichtsmediziners. Das Abendessen des Ermordeten hatte aus einer Currywurst und einem Bier bestanden. Herkunft unbekannt. Noch nicht ganz verdaut. Vielleicht könnten sie die Imbissbuden in der Umgebung abklappern und ein Foto des Ermordeten vorzeigen. Was hatte sie noch? Alkoholpegel des Toten: 0,1 Promille. Guter Gesundheitszustand. Lange Lebenserwartung, wenn da nicht das Loch im Kopf gewesen wäre. Die KTU hatte die Kugel vom Kaliber 7,65 Millimeter im Türrahmen des PKWs gefunden. Sie passte zu einer Walther PPK.