Читать книгу Schweigen über Köln - Maren Friedlaender - Страница 6
Alte Kollegen
ОглавлениеMüller traf Erwin Kraske in Dänemark, in Vester Vedsted. Das Örtchen liegt zwischen Ribe und Skærbæk in Nordschleswig, der deutschsprachigen Region. Dort hatte der Ex-Stasioffizier ein Häuschen angemietet, schon zu DDR-Zeiten, als er Major beim Ministerium für Staatssicherheit war, tätig für die HVA, Hauptverwaltung Aufklärung, Abteilung Auslandsspionage.
Linientreue Stasis hatten zu DDR-Zeiten Zugriff auf ein wenig Luxus gehabt, natürlich im Auftrag des Vaterlandes oder für den internationalen Sozialismus – wie man es nahm. Kraske und Müller waren sozusagen Kollegen – Exkollegen. Sie waren beide nicht mehr im Dienst. In ihrer aktiven Zeit hatten sie für gegnerische Seiten gearbeitet, waren sich persönlich aber nicht begegnet. So konnte Müller nicht beurteilen, ob Kraske mal ein gutaussehender und durchtrainierter Mann gewesen war. Er ging davon aus. Harte Schule der HVA in Golm bei Potsdam. Seine Form hatte der Kollege nicht nur aus Altersgründen eingebüßt. Schlaffe Gesichtszüge mit rötlichen Hautflecken verrieten den Trinker. Die Körperhaltung ließ auf Verfallserscheinungen schließen. Beim ersten Carlsberg blühte Kraske auf, wurde gesprächig und entwickelte einen Charme, mit dem er in guten Zeiten das schöne Geschlecht zur Mitarbeit an einer besseren Welt überzeugt hatte.
Typen wie Kraske mäanderten nach dem Fall der Mauer überall in Deutschland herum. Sie hatten ihre Jobs eingebüßt. Die Verlierer. Es gab auch die anderen, die Gewinner, Ex-Stasis, denen es blendend ging. Müller war sicher, dass sie im Ministerium für Staatssicherheit viel früher als im Westen Informationen darüber gehabt hatten, dass es mit ihrer DDR zu Ende ging. Müller, einst angestellt beim Bundeskriminalamt, hielt nicht viel von den eigenen Kollegen beim BND. Wie hatte Thomas de Maizière, damals Innenminister, bei einem Vortrag für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik gesagt: »Ohne die Amerikaner sind wir blind und taub.« Müller war bei der Veranstaltung im Kölner Hotel Excelsior dabei gewesen. Ihm wurde damals umgehend schlecht. Wozu unterhielten sie den Monsterbetrieb mit 6.500 Mitarbeitern in Berlin und Pullach, wenn sie dabei blind und abhängig blieben von den Brosamen, die vom reich gedeckten Tisch des CIA abfielen?
Die Jungs im Ministerium für Staatssicherheit waren ausgeschlafener gewesen. Immer gut informiert. Sie hatten Stasi- und SED-Vermögen beiseitegeschafft und nach der Wiedervereinigung eins zu eins gegen D-Mark eingetauscht. Aus wertloser DDR-Mark war eine harte Währung geworden. Das Geld war nicht verschwunden. Geld verschwand nicht, es wanderte. Irgendwo lagerte und arbeitete es. Insider profitierten. Einige Alt-Stasis saßen bis heute am Drücker. Kraske gehörte eher zu den Verlierern. Er hielt sich mit dem Verkauf von brisantem Material über Wasser.
Erwin Kraske holte zwei weitere Carlsberg aus dem Kühlschrank und brachte eine Flasche Aquavit aus der Tiefkühltruhe mit. Müller akzeptierte. Er wollte Kraske in Redelaune halten, machte sich aber keine Hoffnung, dass der Kollege im Suff mehr ausplaudern würde als gewollt. Knallharte DDR-Schule. Mit ein paar Schnäpsen kriegte man solche Spezialisten nicht unter. Der alte Stasi-Offizier hatte keine Eile. Er genoss das Gespräch unter Kollegen sichtlich, bediente sich im zweiten Gang an einer Flasche Gammel Dansk.
»Für den Magen«, grinste er und prostete Müller zu. »Auf die guten alten Zeiten.«
Die guten alten Zeiten – vielleicht für Stasi-Mitarbeiter. Sie hatten Privilegien genossen, durften teilweise im Ausland leben, es sich gut gehen lassen beim Klassenfeind, indem sie sich an dessen Lebensweise anpassten, im Auftrag des sozialistischen Staates und für die höheren Ziele. Trösteten nette Frauen von Mitarbeitern im westdeutschen Verteidigungsministerium mit Söhnlein Brillant, hörten aufmerksam zu. Methode »Romeo« nannten sie es im Ministerium für Staatssicherheit. Methode »Romeo« meinte, einsame Sekretärinnen von Politikern und hohen Militärs durch Liebesbekundungen zu gewinnen und emotional abhängig zu machen. Scheinheirat nicht ausgeschlossen. Im rüden Stasi-Jargon hieß die Taktik: »Intim betreuen« oder brutaler: »Ficken fürs Vaterland«. Unwissentlich gaben unzählige Frauen nachrichtendienstlich wichtige Erkenntnisse weiter. Wenn die Geliebte misstrauisch wurde, steckte sie schon so tief drinnen, dass man sie erpressen konnte.
Auch zu Hause im sozialistischen Einheitsstaat, wo die eigene brave Ehefrau saß, genossen die Stasi-Offiziere Exklusivität. Datschen und Zugang zu Waren gehörten dazu. Während Stasi-Mitarbeiter und ihre inoffiziellen Helfer die Bevölkerung bespitzelten, hatten die Funktionäre keine Ahnung, was die Menschen wirklich dachten. Darin glichen sich Monarchien und kommunistische Diktaturen wie ein Ei dem anderen. Sie verloren die Verbindung zu ihrem Volk. Selbst in den Demokratien: Wusste denn Frau Merkel, was in den Köpfen ihrer Mitbürger vorging?
Die Stasi hatte den Untergang der DDR vielleicht aus Millionen abgehörten Telefonaten herausgehört, aber das starre Regime war zu Reformen nicht fähig gewesen. Der wirtschaftliche Zusammenbruch zeichnete sich ab. Die Funktionäre sahen es. Eine Volkswirtschaft, die in 40 Jahren als technologisches Highlight einen Trabi präsentierte, auf den man zehn Jahre warten musste, war nicht zukunftsfähig. Das wussten die Strippenzieher des VEB-Deutschlands, die im Westen gern BMW und Audi fuhren.
Wahrscheinlich war Kraske kein großer Fisch gewesen, aber er hatte Zugang zu geheimem Material gehabt und selbst Berichte geliefert. Er erzählte dem Wessi-Kollegen von seinem Einsatz in Dänemark.
»Was haben euch denn die Dänen interessiert?«, wollte Müller wissen.
»Die Nordschleswiger«, erklärte Kraske. »Ich gab der Zentrale eine Lageeinschätzung zur politisch-operativen Entwicklung in der deutschen Minderheit in Dänemark. Durch die Nordschleswiger konnten wir das Bundesland Schleswig-Holstein beackern. Die deutsche Minderheit in Dänemark hat immer exklusive Kontakte nach Schleswig-Holstein gehabt. Wir nutzten auch die Spannungen zwischen Deutschen und Dänen. Ziemlich viele Leute waren vorbelastet durch den Krieg, also durch eine Nazi-Vergangenheit. Dadurch waren sie für die Stasi erpressbar.«
Kraske zündete sich eine Zigarre an und kippte einen weiteren Gammel Dansk, bevor er fortfuhr.
»Für uns war Nordschleswig in einem weiteren Punkt interessant. Hier wird Deutsch gesprochen, das gab uns die Möglichkeit, Bürgern der DDR oder sonstigen Deutschsprachigen eine neue Identität als dänische Staatsbürger zu geben. Sie fielen nicht auf.«
Das war das Stichwort. Es war das, was Müller vermutet hatte. Sie kamen zum Geschäft. Kraske überreichte dem Kollegen eine Mappe. Müller blätterte sie durch.
»Nur ein Name?«, fragte er. »Grundmann. Nie gehört.«
»Ein Name! Ein Honorar«, bestätigte Kraske. »Mach deinen Job, dann komm wieder. Es gibt mehr Namen – für mehr Geld.«
Müller zahlte den vereinbarten Betrag.
»Mach ihm etwas Feuer unter dem Hintern. Mach es ihm ungemütlich in seinem dänischen Refugium«, bat der Ex-BKA-Mann. »Ich will Grundmann raus aus Dänemark haben.«
Müller grinste: »Du kannst ein fettes Honorar für die Rückführung ins Vaterland von ihm kassieren. Die Kerle wussten immer schon, wie man sich Moneten beschafft.«
»Wird erledigt«, versprach Kraske. »Ich habe sowieso nie Sympathie für die Jungs von der Terroristentruppe gehabt, auch nicht für die Mädels. Alles Querköpfe.«