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Der weiße Wolf

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Es war einmal ein König, der auf der Jagd von seinem Gefolge abgeschnitten wurde und lange Zeit im wilden Wald umherirrte. Am dritten Tag, er war schon ganz verweint, erschien wie aus dem Nichts ein schwarzes Männlein vor ihm und sagte: „Ich führe dich aus diesem Wald hinaus, wenn du mir das schenkst, was dir zuhause als erstes entgegenläuft.“

Das „Wenn“ in des Männleins Worten war noch nicht verklungen, da rief der König schon: „Einverstanden!“, denn das „Wenn“ wollte er in diesem Moment einfach nicht hören. Zumal er ja auch von klein auf gewöhnt war, etwas zu bekommen, ohne dafür zahlen zu müssen.

Sie gingen los, das Männlein voraus und der König hinterher.

Unterwegs tauchte das „Wenn“ aus den Tiefen seiner Erinnerung jedoch wieder auf. Er hielt inne und sprach vor sich hin: „Ich hoffe wohl, dass mir, wenn ich nach Hause zurückkehre, mein Jagdhund entgegenläuft und mich als erstes erreicht. Ihn will ich, wenn es sein muss, für meine Rettung opfern.“

„Ich aber hoffe“, schmunzelte das Männlein, „dass dir deine jüngste und liebste Tochter entgegenläuft.“ Dann gingen die beiden weiter. Sie erreichten den Waldrand und traten hinaus in die Weite. Der König sah augenblicklich das heimatliche Schloss vor sich.

Dort ertönte ein Jubelruf aus der obersten Kammer des höchsten Turmes. Von hier aus hatte des Königs jüngste Tochter die ganze Zeit hindurch voll Sehnsucht und Sorge Ausschau gehalten. Kaum war er aus dem Wald ins Freie getreten, hatte sie ihren Vater schon entdeckt. Sie rannte mit fliegenden Röcken die Turmtreppe hinunter, ihm entgegen und fiel ihm um den Hals. Der lang Vermisste brach daraufhin in Tränen aus.

„Vater, wie gut, dass du gerettet und wohlbehalten wieder bei uns bist!“, rief die Prinzessin. „Aber was ist los? Freust du dich nicht?“

Schweren Herzens erzählte der Vater, er habe sie dem schwarzen Männlein zum Lohn für seine Rettung versprochen.

„Beim nächsten Vollmond sei bereit. Ich lasse dich abholen“, bestimmte das Männlein zufrieden und ging seiner Wege.

Nach einigen Tagen des Abschiednehmens stand der kugelrunde Mond am Himmel. Da kam ein riesengroßer, zottiger, weißer Wolf aus dem Wald, auf dessen Rücken die Prinzessin stieg.

Ein wilder Ritt begann. Der Wolf trug sie über Stock und Stein, abseits der gebahnten Wege. Sie hatte alle Hände voll zu tun, sich am dichten Fell festzuhalten, um nicht hinunterzufallen. Nach einer Weile fragte sie: „Bitte, wie lange muss ich noch so reiten?“


„Sei still!“ fauchte der Wolf und rannte weiter.

Die Prinzessin klammerte sich mit aller Kraft fest. Immer holpriger und heftiger wurde der Ritt. Zweige peitschten ihr Gesicht und Dornen zerrissen ihr Gewand.

„Bitte, wie weit ist es denn noch zum schwarzen Männlein?“, rief sie nach einer Weile abermals.

„Sei still und halt dich fest! Bis zum Glasberg ist’s noch weit!“, knurrte der weiße Wolf, warf ihr aus feurigen Augen einen flüchtigen Blick zu und rannte dann noch schneller.

So gut sie konnte, klammerte sich die Prinzessin fest und schwieg, bis sie fürchtete, sich nicht mehr halten zu können, denn der Wald wurde immer unwegsamer.

„Bitte“, stieß sie hervor, „wann sind wir denn endlich da?“

Da heulte der Wolf einmal kurz und laut, bäumte sich auf, warf sie ab und war gleich darauf im Unterholz verschwunden.

Die Prinzessin kam auf die Füße, schaute sich um und ging los, ohne auf die Dornen zu achten, die an ihrem Gewand zerrten. Als es finster wurde, sah sie zwischen den Bäumen ein Licht funkeln, ging darauf zu, fand eine Hütte und klopfte an. Eine alte Frau öffnete ihr und ließ sie ein. Über dem Feuer brodelte ein Topf mit Hühnersuppe. Die Prinzessin bekam eine Schüssel voll davon, aß mit der Alten und erzählte ihr, was ihr geschehen sei.

„Weißt du“, fragte sie zum Schluss, „wo ich den weißen Wolf finden kann?“

Die alte Frau schüttelte den Kopf. „Es tut mir leid. Ich weiß nicht, wo er wohnt. Aber geh zum Wind. Der bläst überall hinein und kann ihn dabei leicht getroffen haben. Bleibe über Nacht bei mir. Ich will dir ein Lager richten. Und morgen früh zeige ich dir den Weg zu seiner Hütte. Nimm dir die Hühnerknochen aus der Suppe mit. Die können dir noch nützlich sein.“

Und so geschah es.

Am Abend sah die Prinzessin ein flackerndes Licht zwischen den Bäumen, ging hin, fand eine Hütte und klopfte an. Der Wind war zuhause. Er kochte Hühnersuppe und lud sie zum Essen ein. Sie erzählte von ihren Abenteuern und endete mit der Frage: „Weißt du, wo der weiße Wolf wohnt?“

„Nein“, brauste der Wind, „vom weißen Wolf weiß ich nichts. Aber ich rate dir, frag die Sonne. Die ist den ganzen Tag unterwegs und schaut überall hinein. Übernachte bei mir und morgen will ich dir den Weg zu ihrer Hütte weisen. Und nimm dir die Hühnerknochen aus der Suppe mit. Du wirst sie alle brauchen.“

So geschah es.

Nach langer Wanderung sah die Prinzessin ein Licht durch den dämmrigen Wald funkeln und gelangte zur Hütte der Sonne. Sie klopfte an. Die Sonne war zu Hause, kochte eine Hühnersuppe und hieß sie willkommen. Sie aßen und die Prinzessin erzählte von ihrem Weg. „Weißt du, wo der weiße Wolf zu finden ist?“, fragte sie schließlich.

„Vom weißen Wolf weiß ich leider nichts“, bedauerte die Sonne. „Aber übernachte bei mir und geh morgen zum Mond. Den Weg zu seiner Hütte zeige ich dir und der Mond ist unterwegs, wenn sonst keiner unterwegs ist, und schaut, wenn sonst keiner schaut. Vielleicht weiß er etwas und kann dir helfen. Nimm dir diese guten Hühnerknochen mit.“

Am nächsten Tag ging sie lange in die angegebene Richtung, wurde sehr müde und auch mutlos, gelangte aber endlich zur Hütte des Mondes. Der Mond war zu Hause. Und was kochte er? Hühnersuppe natürlich. Nach dem Essen lehnte die Prinzessin sich zurück, wagte kaum zu fragen, konnte doch nicht anders. Sie erzählte ihre Geschichte, wie wir sie nun auch gehört haben, stellte ihre Frage und wartete zitternd auf die Antwort.

„Leider“, antwortete der Mond, „habe ich keine Ahnung, wo der weiße Wolf wohnt. Aber gib nicht auf. Lass uns über die Sache schlafen. Morgen kann die Welt ganz anders aussehen.“

Und wirklich begrüßte er sie am nächsten Morgen mit einer Idee: „Ich weiß, wo du fragen kannst. Im Glasberg feiert der Prinz des Waldes Hochzeit. Da ist allerlei Volk geladen, und dort kannst du fragen. Irgendwer von ihnen wird es schon wissen.“

„Der Glasberg! Das ist es!“, rief die Prinzessin und sprang auf. „Davon hat der weiße Wolf gesprochen!“ Schon wollte sie davonrennen, da rief der Mond ihr nach: „Nimm die Hühnerknochen aus der Suppe mit. Du wirst sie brauchen.“ In aller Eile griff sie nach den Knochen, dankte hastig und lief in die Richtung, die der Mond gezeigt hatte, davon.

Sie gelangte zum Glasberg. Aber der war steil und glatt wie Eis. Das Glas hatte scharfe Kanten und Spitzen. Beim Versuch hinaufzuklettern rutschte sie aus, fiel hin, glitt wieder hinab und blutete aus vielen Schnitten.

Da fielen ihr die Hühnerknochen ein. Sie legte sie auf das Glas und sie rutschten nicht. Nun konnte sie über die Knochen Schritt für Schritt aufwärts gehen. Beschwerlich war es, aber sie erreichte beinah den Gipfel des Glasbergs und hörte bereits Musik aus dem Berg hervordringen. Doch da waren die Hühnerknochen aufgebraucht.

„Hätte ich nur beim Mond alle Knochen mitgenommen“, dachte sie nun. Aber wie es oft ist, nachher weiß man es besser als zuvor und es hat keinen Sinn, über vergossene Milch zu weinen. Und weil die Prinzessin nichts dringender wollte, als in den Glasberg hineinzukommen, schnitt sie sich einen kleinen Finger ab, legte diesen auf den Berg und gelangte glücklich auf den Gipfel. Von dort führt eine Treppe in den Berg hinein, wo in einem großen kristallenen Saal ein herrliches Fest im Gange war.

Die Prinzessin erkannte auf den ersten Blick das schwarze Männlein, wenngleich es seine Erscheinung sehr verändert hatte. Vornehm stand es in Gestalt eines strahlenden Prinzen an der Seite einer anderen Prinzessin. Als Braut und Bräutigam begrüßten sie die Gäste.

In ihrem zerrissenen und verschmutzten Kleid, verschwitzt und nach wildem Wolf riechend, fiel die Prinzessin in der festlich gekleideten Menge sofort auf. Die Feiernden rückten von ihr ab und rümpften die Nasen. Sie aber nützte den so entstehenden Raum, trat in die Mitte des Saales und erzählte, wie sie es auf ihrem Weg schon so oft getan hatte, ihre Geschichte.

Ihre Stimme klang voll und schön. Sie füllte den Raum und umspielte die Zuhörenden.

So wurde auch der Prinz auf sie aufmerksam. Zuerst dachte er, da habe sich eine Bettlerin oder Gauklerin bei seinem Fest eingeschlichen. Aber dann hörte er, woher die Prinzessin kam, was sie alles hinter sich hatte, wie sie dem schwarzen Männlein versprochen worden und auf dem weißen Wolf geritten war, wie sie Wind, Sonne und Mond befragt hatte, wie sie eine Treppe aus Hühnerknochen bestiegen und ihren kleinen Finger hergegeben hatte, nur um zu ihm zu kommen. Und nachdem er all das vernommen hatte, da trat er auf sie zu und schaute sie staunend an. Im Glasberg, inmitten der festlichen Gesellschaft, tanzten die beiden miteinander.

Die andere Prinzessin fand ihr Glück in ihrer eigenen Geschichte. Aber der Prinz, der ein schwarzes Männlein gewesen war, und die Prinzessin, die auf dem wilden, weißen Wolf geritten war, diese zwei feierten Hochzeit und leben froh bis auf den heutigen Tag.

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