Читать книгу Der Jungbrunnen-Effekt - Margit Fensl, P.A. Straubinger - Страница 10

Der Kalorienmythos

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Wahrscheinlich kennen viele das Phänomen, dass die gleiche Menge Essen beim einen „anschlägt“, beim anderen nicht. Manche Menschen können Unmengen an Kalorien zu sich nehmen und halten ihr Idealgewicht, während weniger Gesegnete „das Essen nur anschauen müssen, um zuzunehmen“. Gar viele Gründe werden genannt, um diese Unterschiede zu erklären, das Kalorienzählen wird allerdings selten in Frage gestellt.


Es ist ein Ausdruck der Unwissenheit bezüglich der Wirkmechanismen der Nahrung in unserem Körper, dass das „Kaloriensystem“ nach wie vor am geläufigsten ist, wenn es darum geht, den Nährwert des Essens zu bestimmen. Hätten wir in anderen Bereichen unserer modernen Gesellschaft derart ungenaue und fehlerhafte Messwerkzeuge, würde das Chaos ausbrechen, weil wir nicht in der Lage wären, auch nur irgendetwas exakt zu quantifizieren bzw. zu qualifizieren.

Stellen wir uns eine Waage vor, die uns Folgendes mitteilt: „Wie viel Sie wiegen, kann ich leider nicht sagen, aber andere Personen in Ihrem Alter und mit Ihrer Größe wiegen 72 Kilogramm.“ Das ist in etwa die wissenschaftliche Aussagekraft der Kalorienbilanz: Um die Auswirkungen der aufgenommenen Kalorien auf Leistungsfähigkeit und Körpergewicht einer bestimmten Person messen zu können, hilft sie uns nicht wirklich weiter. Während man bei einer Maschine sehr genau vorhersagen kann, wie sich eine bestimmte Menge an Treibstoff auswirkt, verhält es sich mit organischer Nahrung und Lebewesen ganz anders. Der Grund für die mangelnde Aussagekraft der Energiebilanztheorie (sie geht zurück auf das 17. und 18. Jahrhundert) mit ihren Kalorien beruht auf ebendieser Gleichsetzung von Verbrennungsvorgängen in Maschinen mit den Stoffwechselvorgängen in lebenden Organismen. René Descartes (1595–1650), einer der verdienstvollen Väter der Aufklärung, sah Lebewesen, ganz im Sinne des damals aufkommenden mechanistischen Weltbildes, als reduktive Automaten, die ganz ähnlich erklärbar seien wie Maschinen.

,Die Konstruktion der berühmten „mechanischen Ente“ durch Jacques de Vaucanson (1738), die vermeintlich Körner verdauen und in Kot verwandeln konnte, ist ein Bild jenes Verständnisses von Lebewesen, welches das Zeitalter der Aufklärung geprägt hat. Die Ente hat natürlich nie wirklich funktioniert.


Die mechanische Ente (1738)

Antoine Lavoisier (1743–1794), einer der Pioniere der modernen Chemie, glaubte Ende des 18. Jahrhunderts, die Antwort auf die Fragen der Lebensenergie und der menschlichen Energiebilanz gefunden zu haben. Er entdeckte die entscheidende Rolle des Sauerstoffs in Verbrennungsvorgängen und veröffentliche 1777 seine Kalorientheorie. Lavoisier war der Ansicht, dass die Stoffwechselvorgänge in Lebewesen im Prinzip gleich funktionieren würden wie die Verbrennungsvorgänge in Maschinen – beide benötigen Treibstoff und Sauerstoff, erzeugen Wärme und Abfallstoffe. Und er war der Ansicht, dass die Natur dieser kalorischen Prozesse in lebendiger und toter Materie gleich wäre und man sie deshalb in Maschinen wie in Lebewesen gleich messen und quantifizieren könne.

Etwas mehr als hundert Jahre später folgte der vermeintliche Beweis für diese Theorie: Die thermodynamischen Gesetze wurden erforscht und Francis Benedict (1870–1957) und Wilbur Atwater (1844–1907) machten sich daran, den menschlichen Energiekreislauf mit den ersten Respirationskalorimetern zu vermessen. Sie konnten damit den aufgenommenen Sauerstoff und das abgegebene Kohlendioxid messen (die Ergebnisse sollten allerdings nur bis zum Aufkommen genauerer Messmethoden in den 1970-Jahren gelten) – und errechneten daraus eine theoretische Energiemenge. Das Ergebnis verglichen sie mit der tatsächlich produzierten Energiemenge ihrer Versuchspersonen. Sie berechneten die Durchschnittswerte ihrer Ergebnisse und sahen, dass sich direkte Kalorimetrie (Messung der Wärmeentwicklung) und indirekte Kalorimetrie (Messung der Atemluft) innerhalb einer gewissen Messtoleranz deckten. Das war es, was die Vertreter des mechanistisch-materialistischen Weltbildes hören wollten: Der Mensch ist eine, wenn auch komplexe, Verbrennungsmaschine.

Basierend auf diesen Erkenntnissen entwickelten Francis Benedict und James Arthur Harris (1880–1930) die bis heute gültige Harris-Benedict-Formel zur Errechnung des sogenannten Grundumsatzes, also der Menge an Kalorien bzw. Joule, die der Mensch im Ruhezustand bei 28 Grad Celsius pro Tag benötigt. Diese Formel beruht allerdings nur auf statistischen Mittelwerten und dementsprechend handelt es sich nicht um exakte Wissenschaft, sondern um reine Vorhersagen, wie bei der eingangs erwähnten Waage, die nicht exakt misst, sondern sagt, was „man“ im gleichen Alter und bei gleicher Größe durchschnittlich wiegt. Das tatsächliche Gewicht kann mehr oder weniger deutlich davon abweichen.

Der Kalorienverbrauch im menschlichen Körper ist tatsächlich sehr variabel. Dass die nach der Harris-Benedict-Formel errechneten Voraussagen zum Grundumsatz richtig sind, unterliegt wahrscheinlich einer Verteilung nach der Gauß’schen Glockenkurve. Das bedeutet, dass der errechnete Kalorienverbrauch für viele Menschen in etwa stimmt und je weiter wir auf der Kurve nach außen gehen, desto weiter weicht der tatsächliche Kalorienverbrauch ab (was dann auch weniger Menschen betrifft). Bis zu welchem Extrem diese Abweichungen reichen, lässt sich nicht sagen. Die Dokumentation „Am Anfang war das Licht“ zeigt einige Individuen, die offensichtlich mit extrem geringer Kalorienzufuhr über sehr lange Zeit bei bester Gesundheit leben können (siehe „Lichtnahrung“, Seite 22). Am anderen Ende der Skala finden wir Menschen, die trotz enormer Kalorienmengen kaum oder gar nicht zunehmen.

Der Jungbrunnen-Effekt

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