Читать книгу Der Jungbrunnen-Effekt - Margit Fensl, P.A. Straubinger - Страница 11
Wie viel Nahrung braucht der Mensch? – Das Diät-Drama
ОглавлениеDie reduktive, mechanistische Sichtweise der Natur ermöglichte den Siegeszug der Naturwissenschaften im 19. und 20. Jahrhundert. Wir verdanken ihr die Segnungen der modernen Technik und Medizin, aber auch eine gewisse Geringschätzung gegenüber dem Mysterium des Lebens, das bis heute nicht im Entferntesten enträtselt ist. Spätestens seit der Einführung der Quantenphysik ist dieses Weltbild auf dem Müllplatz der Wissenschaftsgeschichte gelandet – weil es aber das Leben verständlich macht, ist es nach wie vor sehr „erfolgreich“ und treibt in unseren Köpfen weiterhin seine Blüten!
Trotz der kaum zu übersehenden Mängel im klassischen Konzept des menschlichen Energiesystems als Verbrennungssystem wurde die Idee lange nicht hinterfragt. Es dauerte rund zweihundert Jahre, bis vier wissenschaftliche Institute gemeinsam wagten, die ketzerische Frage zu stellen, wie viel „Treibstoff“ der Mensch denn nun wirklich brauche. 1973 veröffentlichten das Physiologische Institut der Universität Glasgow, das National Institute for Medical Research in London, die Abteilung für menschliche Ernährung der London School of Hygiene and Tropical Medicine und das Institut für Ernährung am Queen Elizabeth College in „Nature“, dem angesehensten wissenschaftlichen Journal der Welt, den Artikel „How Much Food Does Man Require?“ – „Wie viel Essen braucht der Mensch?“ Kurz gefasst hieß die Antwort der Autoren: Wir wissen es nicht, weil es von Mensch zu Mensch und von Situation zu Situation so unterschiedlich ist. Genauer schreiben sie: „Wir glauben, dass die Energiebedürfnisse des Menschen und das Gleichgewicht zwischen Aufnahme und Verbrauch unbekannt sind … Die Ergebnisse von genauen Studien in einer Reihe von Ländern legen nahe, dass manche Menschen gesund und aktiv mit einer Energiezufuhr leben, die man nach derzeit gültigen Standards als ungenügend betrachten würde … Diese Studien unterstreichen das Ausmaß unserer Unwissenheit über die Mechanismen, mit denen unser Energiehaushalt aufrechterhalten wird.“
Auch wenn in der Öffentlichkeit oft ein anderer Eindruck vermittelt wird – die menschliche Energiebilanz ist für die Wissenschaft ein Buch mit sieben Siegeln. Die einfache Formel „Kalorienbedarf minus Kalorienzufuhr ist gleich Änderung des Körpergewichts“, funktioniert in der Praxis in den wenigsten Fällen. Wer 3.000 Kilokalorien verbraucht, aber nur 2.500 Kilokalorien zuführt, sollte in der Theorie das Defizit von 500 Kilokalorien in Form von rund 55 Gramm Fett verlieren. Fast jeder, der einmal versucht hat, mit dieser Art Diät dauerhaft Gewicht zu reduzieren, weiß, dass sie zum Scheitern verurteilt ist. Die Theorie klingt zwar plausibel, weil wir uns den Menschen als „Heizkessel“ vorstellen, aber der Mensch ist eben keine Maschine. Er steckt voller mysteriöser unerforschter Variablen, die vom Individuum und der Lebensweise abhängig sind.
Die erste Unbekannte in der Formel ist schon die Energiezufuhr, also die Kalorien selbst. Kalorie ist nicht gleich Kalorie: Ein Glas Cola mag vielleicht die gleiche Kalorienanzahl wie ein Stück Obst aufweisen, ihre Wirkung im Körper ist aber vollkommen unterschiedlich. Der Energieverbrauch ist bestenfalls als statistischer Mittelwert fassbar und schon der Grundumsatz, also der Kalorienbedarf eines Menschen im Ruhezustand, ist individuell so verschieden wie die Energiespeicherung.
„Je genauer wir messen, desto größer sind die Energiemengen, die wir nicht erklären können“, beschreibt der Stoffwechselforscher Paul Webb das Dilemma der Wissenschaftler, wenn es um den menschlichen Metabolismus geht. Webb entwickelte in den 1950er- und 60er-Jahren für die NASA hochsensible Kalorimeter, mit denen es ihm im Laufe der Jahrzehnte gelang, den Stoffwechsel immer genauer zu vermessen. Er entdeckte gewaltige Fehlbeträge in der menschlichen Energiebilanz. Wie schon Atwater und Benedict verglich auch Webb direkte und indirekte Kalorimetrie. Aus dem Sauerstoffverbrauch und der Kohlendioxidabgabe seiner Versuchspersonen errechnete er die theoretische Energiemenge, die durch die „Verbrennung der Kalorien“ entstehen müsste – und verglich sie dann mit der tatsächlich produzierten Energiemenge der jeweiligen Versuchsperson. Mit seinen modernen und genauen Messmethoden machte er eine verblüffende Entdeckung: Beim Vergleich von direkter und indirekter Kalorimetrie kam es erstens zu großen individuellen Unterschieden und zweitens zu Unterschieden, die nicht mehr als Messtoleranzen erklärt werden konnten. Während bei manchen Personen direkte und indirekte Kalorimetrie mehr oder weniger übereinstimmten, betrug die Differenz bei anderen bis zu 23 Prozent. Rund ein Viertel der Energie dieser Personen war also kalorisch nicht erklärbar und kam aus einer unbekannten Quelle. Webb nannte diese unerklärbare Energiemenge „unmeasureable energy“ – „nicht messbare Energie“. Die Studienergebnisse, die 1980 im renommierten „American Journal of Clinical Nutrition“ veröffentlicht wurden, zeigten zudem, dass das Ausmaß dieser kalorisch nicht erklärbaren Energie umso größer wurde, je geringer die zugeführte Menge an Nahrung war. Also: Je weniger Kalorien dem Körper zugeführt werden, desto weniger Kalorien benötigt er – ein Phänomen, das jeder beobachten kann, der über längere Zeiträume hinweg fastet. Während wir in den ersten Tagen sehr rasch an Gewicht verlieren, flacht die Kurve mit der Zeit immer mehr ab. Trotz gleichbleibendem Output an Energie benötigt der Körper weniger Energiereserven. Was den westlichen Wissenschaftlern Kopfzerbrechen bereitet, ist in den östlichen medizinischen Traditionen seit jeher bekannt. Wir beziehen unsere Lebensenergie nicht nur aus den Kalorien der Nahrung.
INFOBOX Lebensenergie
Was ist Leben und wie entsteht es? Wir brauchen gar nicht lange zu suchen, um eines der größten Mysterien auf diesem Planeten zu finden – das Phänomen Leben an sich. In jeder einzelnen Körperzelle existiert dieses Wunder. Wir alle haben es billionenfach „in uns“.
Auch wenn es manchmal erscheinen mag, als könnte die Wissenschaft den Kosmos im Großen und Ganzen erklären, sind wir doch weit davon entfernt. Glaubte man zum Ende des 19. Jahrhunderts, dass die Naturwissenschaft bald alle großen Fragen beantwortet haben werde, so brachten diese Antworten oft noch mehr ungelöste Fragen.
Seit Ende der 1990er-Jahre geht die Mainstream-Wissenschaft davon aus, dass rund 96 Prozent des Universums aus dunkler Materie und dunkler Energie bestehen, über deren Wesen und Existenz kaum etwas bekannt ist. „Über dunkle Materie wissen wir nichts und über dunkle Energie wissen wir weniger als nichts“, ist ein pointierter Spruch in Physikerkreisen. Dunkle Materie und dunkle Energie existieren auch in uns und unmittelbar um uns herum. Inwieweit das mit den umstrittenen feinstofflichen Energien der Grenzwissenschaften oder den Lebensenergiekonzepten aus Indien und China zusammenhängt, ist pure Spekulation. Fakt ist: Wir haben nicht die geringste Ahnung, wie man tote Materie zum Leben erweckt. Wissenschaftler können mit modernster Technik und Milliarden an Forschungsgeldern keine einzige Zelle aus ihren materiellen Substanzen synthetisieren und zum Leben erwecken. Das liegt daran, dass es einen prinzipiellen Unterschied zwischen Organischem und Anorganischem gibt, behaupten die Anhänger sogenannter vitalistischer Lehren, die eine eigenständige Lebenskraft als Grundlage und Prinzip alles Lebendigen ansehen.
In der Traditionellen Chinesischen Medizin wird dieses Prinzip mit dem Wort „Qi“ bezeichnet. Das Wissen um den richtigen Fluss des Qi, also der Lebensenergie im Körper, ist für TCM-Ärzte das entscheidende Kriterium: Um den Menschen zu heilen, soll zum Beispiel durch Akupunktur das Qi wieder zum Fließen gebracht werden. Dem Qi der Chinesen entspricht in der ayurvedischen Medizin Prana – es gilt als eigenständiges Prinzip des Lebendigen. Der Psychiater und Sexualforscher Wilhelm Reich (1897–1957) wollte diese Lebensenergie unter der Bezeichnung Orgon in den wissenschaftlichen Diskurs einführen und wurde von seinen Kollegen dafür mit Spott und Hohn bedacht.
Die unterschiedlichen Ansätze der Medizin in Ost und West sind für den Ayurveda-Onkologen Vaidya Tapan Kumar in den Grundlagen westlicher und östlicher Traditionen zu finden: „Die große Leistung der westlichen Medizin war es, Leichen zu sezieren, um den materiellen Bauplan des Körpers zu verstehen. Aus diesem Grund ist die westliche Medizin gerade in der Notfallbehandlung so effektiv. Die östliche Medizin hat seit jeher nur vom lebendigen Körper gelernt, versteht deshalb die energetischen Vorgänge besser und hat in dieser Hinsicht Vorteile.“
Zweifellos erzielen Ayurveda und Traditionelle Chinesische Medizin mit ihrem Zugang zur Lebensenergie auch Behandlungserfolge, die der westlichen Medizin versagt bleiben. Den Messmethoden der klassischen Wissenschaft entziehen sich Qi, Prana & Co. aber weiterhin, weshalb manche Skeptiker von „pseudowissenschaftlichem Unfug“ sprechen. „Wer heilt, hat Recht“, sagen die anderen und so bleibt die Lebensenergie weiterhin ein ungelöstes und allgegenwärtiges Rätsel.
INFOBOX Lichtnahrung
Eines möchten wir vorwegnehmen: Wir warnen dringend vor Selbstversuchen mit dem sogenannten Lichtnahrungsprozess und vor anderen Experimenten mit dauerhaftem Nahrungs- oder Flüssigkeitsentzug, da es in diesem Zusammenhang bereits mehrfach zu schweren Komplikationen und sogar zu Todesfällen gekommen ist. Gleichzeitig gab und gibt es in fast allen Kulturen immer wieder Berichte über Menschen, die angeben, von wenig physischer Nahrung dauerhaft leben oder gar ganz darauf verzichten zu können.
Die viel diskutierte Kinodokumentation „Am Anfang war das Licht“ verfolgt und untersucht einige dieser Geschichten – zum Beispiel jene des Schweizer Nationalheiligen Nikolaus von Flüe oder des indischen Yogis Prahlad Jani, der angibt, seit Jahrzehnten weder zu essen, noch zu trinken und sich in zwei vom indischen Militär überwachten klinischen Studien untersuchen ließ. Die Ergebnisse waren verblüffend, da der Yogi die zehn bzw. 15 Tage ohne Essen, Trinken und Urinieren nach gängiger Lehrmeinung nicht hätte überleben dürfen. Ein wissenschaftlicher Beweis für jahrelanges Überleben unter diesen Bedingungen ist das nicht, dafür bedürfte es ebenso langer Studien. Aber die Ergebnisse dienen als Indiz: Dem Menschen dürfte in dieser Hinsicht ein wesentlich breiteres Spektrum zur Verfügung stehen, als die Mediziner in der Vergangenheit für denkbar gehalten haben. Die bislang längste Fastenstudie wurde ebenfalls in Indien am „Sun Gazer“ Hira Ratan Manek durchgeführt, der sich einem medizinisch überwachten, 411-tägigen Fastenexperiment unterzog, bei dem er ausschließlich Wasser zu sich nahm. Manek verlor während der Zeit ohne kalorische Nahrung 19 Kilogramm Körpergewicht. Aufgrund dieses Gewichtsverlustes fehlt also auch hier der Beleg für die Möglichkeit, ganz ohne physische Nahrung auszukommen. Was wir dennoch daraus ablesen können, ist ein klarer Hinweis darauf, dass kalorisch nicht erklärbare Energiemengen einen sehr großen Anteil an der menschlichen Energiebilanz haben könnten.
Das medizinische Qigong der chinesischen Tradition geht davon aus, dass Essen und Atmen nur zwei Möglichkeiten sind, um Lebensenergie aufzunehmen. Das sogenannte Qi, die Lebensenergie, kann nach chinesischer Auffassung auch direkt über die Haut absorbiert werden und die physische Nahrung ganz oder teilweise ersetzen. In China wird diese Technik als „BiGu“, bezeichnet, was so viel bedeutet wie „ohne Brot“, oder genauer als „BiGu FuQi“, „ohne Brot und direkt durch Qi“.
Mittlerweile gibt es auch unter westlichen Wissenschaftlern erste Hypothesen darüber, wie der Körper Energie produzieren bzw. aufnehmen kann, ohne den Umweg über das Essen nehmen zu müssen. Bis zu welchem Grad das möglich sein kann, ist wissenschaftlich gesehen allerdings noch eine völlig offene Frage und bietet reichlich Stoff für zukünftige Forschungen.