Читать книгу Der Jungbrunnen-Effekt - Margit Fensl, P.A. Straubinger - Страница 8
DIE „EPIDEMIE DER ÜBERERNÄHRUNG“ UND IHRE MENTALEN WURZELN
ОглавлениеEs ist der Verdienst der Naturwissenschaften, im speziellen der modernen Agrarwissenschaft, dass wir Nahrungsmittel für die gesamte Menschheit im Überfluss produzieren können. Dass trotzdem täglich noch immer tausende Menschen verhungern, ist ein ebenso skandalöses wie trauriges Faktum, auch wenn sich die Zahl der Hungernden in den letzten Jahrzehnten sukzessive verringert hat.
In diesem Zusammenhang scheint die Tatsache, dass gleichzeitig die Überversorgung mit Kalorien zu einem riesigen Gesundheitsproblem geworden ist, noch absurder. Den rund 800 Millionen Hungernden stehen 2,2 Milliarden übergewichtige und fettleibige Menschen gegenüber, die unter ihrer Überernährung gesundheitlich leiden und teilweise sogar daran sterben. Laut einer Studie des „New England Journal of Medicine“ hat sich die Zahl der Übergewichtigen zwischen 1980 und 2015 in mehr als 70 Ländern verdoppelt, was in diesen Ländern für massive gesundheitspolitische Probleme sorgt. Rund ein Drittel der US-Amerikaner leidet an Übergewicht – das verursacht Kosten von rund 200 Milliarden Dollar jährlich für das Gesundheitssystem. In Europa ist die Situation leider nur geringfügig besser. „Übermäßiges Körpergewicht ist eines der schwerwiegendsten Gesundheitsprobleme der Gegenwart und betrifft fast jeden dritten Menschen“, bestätigt Ashkan Afshin, Professor am Department for Global Health an der Universität Washington.
Umfangreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass die Lebenserwartung mit zunehmendem Körpergewicht abnimmt, da Übergewicht als Ursache bzw. fördernder Faktor einer ganzen Reihe von Krankheiten gilt. Millionen von Todesfällen lassen sich jedes Jahr eindeutig auf die Folgen von Übergewicht zurückführen, wobei bereits ein leicht erhöhter Body-Mass-Index (BMI) die Risiken von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Diabetes drastisch erhöht. Während man früher glaubte, leichtes Übergewicht wäre normal, unschädlich oder sogar gesund, zeigte eine Metastudie aus 239 wissenschaftlichen Arbeiten, dass bereits ein paar Kilos zu viel auf der Waage zu signifikanten gesundheitlichen Nachteilen führen. Falsch- und Überernährung führen also in den meisten Ländern dieser Erde zu echten Epidemien – das heißt, vor allem die große Menge an leicht verfügbaren, hochkonzentrierten Kalorien in Form von süßem und fettem Essen ist dafür verantwortlich.
INFOBOX Weniger essen, länger leben – Kalorienrestriktion im Tierversuch
Bereits 1935 zeigte der amerikanische Biochemiker und Gerontologe Clive McCay an der Cornell University in Ithaca, New York, dass bei Versuchsratten die Halbierung der täglichen Kalorienmenge in der Nahrung fast zu einer Verdoppelung der Lebensdauer führte. Seine Studienergebnisse blieben ein halbes Jahrhundert unbeachtet, erst Mitte der 1980er-Jahre wurde das Thema Kalorienrestriktion wieder aufgegriffen. In Versuchen stellte man fest, dass Ratten durch geringere Futtergaben nicht nur länger lebten, sondern auch um 50 Prozent seltener an Krebs erkrankten. Mittlerweile sind die positiven gesundheitlichen Effekte einer geringeren Kalorienzufuhr bei unterschiedlichsten Organismen, zum Beispiel Würmern, Fliegen oder Nagetieren, gut erforscht. Besonderes Aufsehen erregte 2009 die Veröffentlichung von Langzeitstudien der University of Wisconsin-Madison. An Rhesusaffen, deren Alterungsverhalten dem der Menschen sehr ähnlich ist, konnte gezeigt werden, dass sich durch eine Kalorienreduzierung nicht nur die Lebensspanne, sondern auch die Lebensqualität verbesserte. Gewisse Alterungserscheinungen, wie Haarausfall, Muskelschwund, Diabetes, Arthritis oder Lethargie, wurden durch die kalorienreduzierte Diät verhindert. Man stellte zudem fest, dass es nicht nur auf die Zahl der Kalorien ankommt, sondern vor allem auch auf die Art und Weise der Einnahme dieser Kalorien – und auf deren „Zusammensetzung“. Die Qualität des Futters, aber auch die Fütterungsintervalle haben also einen großen Einfluss auf die gesundheitlichen Effekte der Nahrung.