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Einführung Die Pflanzen der Göttin

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Das Pflanzenreich beschenkt den Menschen seit Anbeginn der Zeit mit Nahrung, mit Baumwolle für Kleidung und Tücher, mit Holz für Gebrauchsgegenstände von der Wiege bis zum Sarg und nicht zuletzt mit Heil-, Schmerz- und Genussmitteln. Dabei macht Mutter Natur gewiss keinen Unterschied zwischen Frau oder Mann. Ihre Geschenke, die Heilkräuter, lässt sie seit Urzeiten für alle Geschöpfe gleichermaßen sprießen. Selbst die weniger naturverbundenen Menschen müssen doch zugeben, dass ohne die Gaben der Natur keine menschliche Existenz möglich wäre – wir hätten keinen Sauerstoff zum Atmen, unsere Tiere hätten nichts zu fressen, und unsere Teller wären leer … Spätestens wenn man sich dieser Tatsache bewusst wird, müssen einfach Dankbarkeit und Ehrfurcht aufkeimen.

Ebendiese Dankbarkeit und Ehrfurcht haben wohl unsere frühen Vorfahren empfunden, wenn sie das Wunder der sich ständig selbst gebärenden Natur beobachten konnten, die sich im Lauf der Zeiten unermüdlich erneuert und die als ewige Amme den Menschen wie alle anderen Geschöpfe dieser Erde beherbergt und nährt. Daher verehrten die alten Völker die Natur als Ausdruck göttlichen Wirkens, aber auch als Wohnort der göttlichen Mächte, und erhoben besonders wichtige Pflanzen schließlich zu Attributen ihrer Götter. Man denke dabei nur an die geburtsmächtige Mondgöttin Artemis, der die Artemisiagewächse wie etwa der Beifuß oder der Wermut unterstehen, die seit Urzeiten in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe Verwendung finden. Oder an das Kornmädchen Persephone, deren pflanzliche Attribute, Granatapfel und Mistel, bis heute frauenheilkundlich gebraucht werden. An Frau Holle, der einst als Muttergottheit und Seelengeleiterin Milchopfer dargebracht wurden und deren Name noch im Holunder mitschwingt. Oder man denke an Maria, welche die heidnischen Göttinnen im Zuge der Christianisierung abgelöst und deren Attribute übernommen hat (siehe die Tabelle auf Seite 16).

Zwar waren die alten Völker wie etwa die Griechen, die Römer oder die Kelten und Germanen bereits von Männern dominierte Gesellschaftsformen, doch das weibliche Urmysterium der Fruchtbarkeit und der Geburt hatte seinen Zauber in der Antike wie auch in der frühen Neuzeit noch lange nicht verloren. Vor allem in bäuerlichen Gemeinschaften erkannte man die Analogien zwischen Menschen-, Tier- und Pflanzenreich. Wie die Bäume, Sträucher und Pflanzen in Feld, Wald und auf der Wiese Früchte hervorbringen, so trugen eben Mensch oder Tier Leibesfrüchte aus. Daher brachten die Alten vor allem die fruchttragenden Gewächse wie etwa den Granatapfel, den Holunder, die Mistel oder den Mönchspfeffer mit ihren Fruchtbarkeitsgöttinnen in Verbindung. Die Ehre, einer Göttin unterstellt zu werden, wurde jedoch nur den wirkungsvollsten Pflanzen zuteil, die sich bei Mensch und Tier zuvor schon erprobt hatten.

Nicht weniger bedeutsam war wohl die Beobachtung, dass allein solche Bäume Früchte hervorbringen konnten, die zuvor geblüht hatten. Man erkannte sicherlich rasch, dass die Regel »Ohne Blüte keine Frucht« ebenso auf den Menschen zutreffen musste, und nannte die Mondblutung der Frauen daher »Monatsblum«, denn ohne dieses sichtbare Zeichen der Fruchtbarkeit konnte eine Frau keine Leibesfrucht empfangen und austragen. Daher waren alle menstruationsfördernden Kräuter von großer Bedeutung.

Das heilkundliche Interesse unserer Vorfahren drehte sich also hauptsächlich um die Fortpflanzungsfähigkeit sowie um die Geburt und um alles, was damit in Zusammenhang stand. Daher genossen ebenjene Heilkräuter und -wurzeln besonders hohes Ansehen, die über Kräfte verfügten, eine Mondblutung hervorzubringen, die Fruchtbarkeit zu steigern, eine Geburt zu erleichtern, eine Geburtsblutung zu stillen oder das lebensbedrohliche Wochenbettfieber zu verhüten. Alle Pflanzen, die den Frauen in ihren einst ureigenen Angelegenheiten beistanden, wurden früher oder später den zuständigen Göttinnen unterstellt und als Geschenke oder Attribute dieser Göttinnen verehrt, geheiligt oder geweiht und natürlich zu Heilzwecken verwendet. Daher ist auch der Umkehrschluss möglich, dem zufolge jede Pflanze, die einst mit einer Göttin assoziiert wurde, irgendwann einmal in der Frauenheilkunde oder Geburtshilfe eine Rolle gespielt haben muss. Beispielsweise finden alle Marienkräuter bis heute entweder in der Frauen- oder in der Kinderheilkunde Verwendung.

Die Ursprünge des Gebrauchs von Frauenheilpflanzen verlieren sich irgendwo in den Nebeln der Vorzeit. Bis ins Mittelalter hinein wurde das Frauenkräuterwissen üblicherweise innerhalb der Sippen mündlich weitergetragen. Meist war es die Dorfälteste, die während einer Geburt zu Hilfe gerufen wurde oder die man um Rat fragte, wenn zum Beispiel der Kindersegen zu lange ausblieb. Solche erfahrenen Frauen, in den alten Kräuterbüchern »empirische Weiber« genannt (oder geschimpft), kannten mitunter auch Möglichkeiten, dem übermäßigen Kindersegen mit Hilfe bestimmter Kräuter Einhalt zu gebieten, und endeten wegen ihrer Kenntnisse zur Geburtenregelung zu Abertausenden auf den Scheiterhaufen der Inquisition.


Schwertlilien sind Attribute der Götterbotin Iris. (Foto: M. Madejsky)


Blühende Myrte ist als Blume der Liebesgöttin Aphrodite bis heute im Hochzeitsbrauchtum vertreten. (Foto: O. Rippe)


Nach der Legende verfügt die Frühlingsgöttin Ostara über einen Schlüsselbund, mit dem sie die Herzen der Menschen aufschließen kann. Vermutlich dient die Schlüsselblume (Primula veris) der Göttin als Schlosskraut. (Foto: M. Madejsky)


Klostergarten auf der Fraueninsel, Chiemsee (Foto: O. Rippe) Viele Kräuter aus der Klostermedizin werden seit Urzeiten in der Frauenheilkunde verwendet.


Baldrianblüte (Foto: M. Madejsky)

Nach der Legende reitet die Göttin Bertha auf einem hopfengezäumten Hirsch durch den Götterhimmel und hält eine Baldriangerte in der Hand. Beide Gewächse, Baldrian wie auch Hopfen, zügeln im übertragenen Sinn die männliche Sexualkraft, die durch den Hirsch verkörpert wird.


Marienlinde in Linden bei Wessobrunn (Foto: M. Madejsky)

Ab dem 9. Jahrhundert löste Maria die heidnischen Muttergöttinnen ab. Zuvor galt die Linde als Wohnsitz der Ehegöttin Frigga, und der Frauenmantel war ebenfalls eines ihrer Attribute.


Verkündigung mit Madonnenlilie (J. W. Waterhouse, 1914)


Frauen im Hag (Holzschnitt, um 1500)


Die Akelei ist der Liebesgöttin Freya heilig und mit den Elfen im Bunde, daher auch der Name Elfenhandschuh. In der Gotik wurde sie zu einer Symbolpflanze Marias. Foto: O. Rippe.


Göttin Juno (Aquarell von G. Moreau, 1881)

Gewiss wurde ein Großteil des Frauenkräuterwissens zusammen mit den Hexen verbrannt, bei denen es sich nicht selten um kräuterkundige Hebammen handelte. Der Begriff Hexe, hegse oder hagsche leitet sich nämlich ursprünglich vom »Hag« ab, dem Wirkungsort dieser weisen Frauen, der eine Art Kräutergarten bezeichnet. Doch die Hexenpflanzen, Frauenkräuter und Mutterwurzen, welche die hagschen einst gesammelt und angewendet haben, gibt es immer noch, und manche von ihnen werden nun schon seit unzähligen Jahrhunderten in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe genutzt. Auch die Kräuterbücher des 16., 17. und 18. Jahrhunderts sind noch immer Schatztruhen voller Pflanzenwissen. Dort finden sich zahllose Hinweise auf die Kräfte der Frauenkräuter. Ein reichhaltiger Fundus, der neu entdeckt und wieder nutzbar gemacht werden will, denn jedes dieser Bücher beschenkt uns mit Dutzenden von frauenheilkundlich relevanten Stichwörtern – um nur einige zu nennen: »ehlich Werk befürdern« oder »reizet zu ehelichen Werken« (wirkt aphrodisierend), »Empfengnuß fürdern« (Fruchtbarkeit steigern), »stillet die übrige Zeit der Frawen« (wirkt blutflusshemmend), »verstandene Weiberzeit treiben« (regt die Menstruation an), »leget das Grimmen der Beermutter« (wirkt krampflösend), »Brüst so hart sind und Knollen haben von der Milch« (wirksam gegen Milchknoten), »Geburt fürdern und das Bälgle forttreiben« (Geburt und Nachgeburt austreiben), »treibet das Bürtlin« (wirkt geburtserleichternd), »Kindbetterin reinigen« (Wochenfluss anregen), »leget die Geschwulst der heimlichen Oerter« (heilt Wunden und Geschwüre am Genital) …

Göttinnen und ihre pflanzlichen Attribute

Aphrodite: griechische Liebesgöttin (römische Venus)Rose (Rosa centifolia u. a.): Gebärmutterarznei und Symbolpflanze der Liebe Madonnenlilie (Lilium candidum): Fruchtbarkeitspflanze Myrte (Myrtus communis): Symbol für Ehe und Kindersegen Rosmarin (Rosmarinus officinalis): Hochzeitspflanze, Aphrodisiakum und Emmenagogum
Artemis: griechische Mond-, Jagd- und Geburtsgöttin (römische Diana)Artemisiagewächse wie Beifuß (Artemisia vulgaris), Eberraute (Artemisia abrotanum) oder Wermut (Artemisia absinthium): Emmenagogum und Geburtsmittel
Bertha: keltische FruchtbarkeitsgöttinHopfen (Humulus lupulus): Fruchtbarkeitspflanze Baldrian (Valeriana officinalis): Beruhigungsmittel
Brigida: keltische MuttergöttinBirke (Betula sp.): Schamanenbaum und Wiegenholz
Demeter: griechische Vegetationsgöttin, KornmutterGetreidearten wie Hafer (Avena sativa) oder Roggen (Secale cereale): Kraftnahrung und Fruchtbarkeitssymbole Mutterkorn (Secale cornutum): Abortivum und Geburtsmittel Mohn (Papaver ssp.): Krampf- und Schmerzmittel
Freya: germanische LiebesgöttinLinde (Tilia): Hochzeitsbaum und Geburtsmittel Akelei (Aquilegia vulgaris): alte Liebespflanze Frauenhaarfarn (Adiantum ssp.): Nierenheilpflanze
Frigga: germanische Göttin für Ehe und KindersegenFrauenmantel (Alchemilla ssp.): Universalheilpflanze für Frauen Erdbeere (Fragaria ssp.): Liebes- und Fruchtbarkeitssymbol Rotklee (Trifolium pratense): Symbolpflanze der dreifaltigen Göttin
Hekate: griechische UnterweltsgöttinAlraune (Mandragora officinarum): Zauberwurzel, Aphrodisiakum, Betäubungsmittel und Abortivum Weide (Salix ssp.): Schmerzmittel
Hera: griechische MuttergöttinMönchspfeffer (Vitex agnus-castus): Symbolpflanze der Keuschheit; Anaphrodisiakum und Fruchtbarkeitspflanze
Holda oder Holle: frühgermanische Muttergöttin und SeelengeleiterinHolunder (Sambucus nigra): Gedeihbaum der Sippe, Fieberheilpflanze und Kindermittel
Iris: griechische Göttin des Regenbogens; geflügelte Götterbotin und TotengeleiterinIris (Iris versicolor): Symbolpflanze für Fruchtbarkeit und Wiedergeburt, Zahnungsmittel und Kosmetikum
Isis: altägyptische Fruchtbarkeits- und MondgöttinEisenkraut (Verbena officinalis): Fruchtbarkeitspflanze und Wehenmittel; Diplomatenkraut der alten Römer
Juno: römische MuttergöttinMadonnenlilie (Lilium candidum), die »Rose der Juno«, entspross aus Junos Muttermilch
Maria: christliche MuttergöttinFrauenmantel (Alchemilla): Symbolpflanze der unbefleckten Empfängnis und »Allerfrauenheil« der Volksmedizin Lavendel (Lavandula angustifolia): Symbolpflanze der Reinheit Mariendistel (Carduus marianus): Leberheilmittel und Milchbildungspflanze Mariengras (Hierochloe odorata): Räucheropferpflanze Mönchspfeffer (Vitex agnus-castus): Symbolpflanze der Keuschheit
Melitta: babylonische FruchtbarkeitsgöttinMistel (Viscum album): volksmedizinische Fruchtbarkeitspflanze
Ostara: germanische Frühlings- und SonnengöttinGänseblümchen (Bellis perennis): Emmenagogum, Hautheilpflanze und Milzmittel
Persephone: griechische Vegetationsgottheit; Kornmädchen und Tochter der DemeterGranatapfel (Punica granatum): Symbolpflanze der Wiedergeburt und Quelle natürlicher Pflanzenhormone Mistel (Viscum album): Schlüssel zur Unterwelt und volksmedizinische Fruchtbarkeitspflanze Pappel (Populus ssp.): Unterweltsbaum und Wundarznei

Alraune und Zaunrübe, aufgenommen auf der Kykladeninsel Amorgos (Foto: M. Madejsky).


Alraunweiblein (J. W. v. Cube, 1485)

Nach dem Aberglauben wohnt in der anthropomorphen Alraunenwurzel ein Totengeist.


Auch im weißen Bilsenkraut kommen krampflösende Alkaloide vor, mit denen sich Regelbeschwerden »weghexen« lassen. (Foto: M. Madejsky)


Hexe mit Alraunpuppe (J. H. Füssli, 1812)

Weil die Alraune ihrem Besitzer Zauberkräfte verleihen soll, wurde sie im Mittelalter teuer gehandelt und vielfach gefälscht.


Circe (F. v. Stuck, 1913)

Der Trank, mit dem die Erzhexe Circe die Begleiter des Odysseus in Schweine verwandelt haben soll, enthielt möglicherweise die aphrodisierende Alraune.


Einst gebrauchten Hebammen das Mutterkorn zum Stillen von Geburtsblutungen, denn es enthält die Gebärmutter kontrahierende Alkaloide. (Foto: M. Madejsky)


Der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Demeter unterstehen auch Hebammenmittel wie das Mutterkorn. (Foto: O. Rippe)


Die Küchenschelle trägt im Volksmund den Beinamen Bärblume, der auf die einstige Verwendung in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe hindeutet. (Foto: M. Madejsky)


Vor dem Marienmünster in Dießen warten festlich gekleidete Kinder mit prächtigen Kräuterbuschen auf Einlass. Die mitgebrachten Kräuter werden kirchlich geweiht und gelten dann im Volksglauben als besonders heil- und zauberkräftig. Die Weihkräuter zählen allesamt zu den Marienkräutern und wurden bereits in vorchristlicher Zeit frauenheilkundlich genutzt. (Foto: M. Madejsky)


Beifußblüten (Foto: H. Amann)

Wie alle Artemisiagewächse dient auch der Beifuß seit Jahrhunderten als geburtserleichterndes Mutterkraut.


Das wohlriechende Mariengras diente bereits den Heiden als Räucheropfer an die große Göttin. (Foto: O. Rippe)


Frauenmantel (Kupferstich, um 1700)

Der Frauenmantel blickt auf eine viele Jahrhunderte alte Heiltradition als Frauenkraut zurück. Bei jungen Frauen löst er Unterleibskrämpfe, später fördert er die Fruchtbarkeit und verhütet Fehlgeburten, und im Alter stärkt er die Knochen.


15. August, Kräuterweihe im Marienmünster in Dießen am Ammersee (Foto: O. Rippe)

Lexikon der Frauenkräuter

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