Читать книгу Die Winterkönigin - Ein historischer Roman - Maria Helleberg - Страница 11

7.

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Jede Übertretung von Frau Meretes Regeln wurde hart bestraft. Aber Margarete würde niemals Schwäche zeigen. Das hatte sie sich beim ersten Mal geschworen. Frau Merete hatte ihr befohlen, ihre Hände auf den Tisch zu legen, und hatte dann die Rute geholt. Sie war nicht wütend oder genoß etwa das Schlagen. Es war ein Prinzip. Es half leider nur für einen kurzen Augenblick, sich zu kneifen. Der Schmerz, der den Schlägen folgte, drang durch Mark und Bein.

»Viele Schläge für kleine Sünden, wenige für große Sünden. Denn ein gutes Kind wird die großen Sünden ohnehin bereuen, aber die kleinen, die können noch wachsen«, sagte Frau Merete mit ihrer singenden Stimme. Und dann erzählte sie, daß sie genauso von ihrer Mutter, Frau Birgitta, erzogen worden war.

Nach einiger Zeit ermüdeten Margarete die Geschichten von dieser Frau Birgitta, die niemals gefehlt hatte. Diese prächtige Frau hatte kein Gesicht für sie, obwohl Frau Merete die Mädchen jeden Tag einige Kapitel aus den Offenbarungen ihrer Mutter laut vorlesen ließ. Margarete fand viele Übereinstimmungen zwischen den beiden: Frau Birgitta war – genauso wie Frau Merete – Burgfräulein gewesen. Sie hatte gewußt, wie man Butter herstellt und die Reife von Getreide bestimmt. Sie erzählte davon, wie die Geburt eines Kindes den Körper der Mutter vor Schmerzen zerriß und wie Sorgen schmeckten.

Einmal jedoch geschah etwas Unvorhersehbares.

Margarete las nuschelnd und wie im Halbschlaf den Text vor. Sie wachte erst auf, als sie Frau Merete vor sich stehen sah, leichenblaß und mit schmalen bebenden Lippen. Margarete ließ ihren Blick über die Textstelle und die schönen und so sorgfältig geschriebenen Buchstaben gleiten: Frau Birgitta hatte nicht gewollt, daß ihre jüngste Tochter den Mann heiratete, in den diese sich verliebt hatte. Aber Birgittas Mann, Herr Ulf, mochte diesen Hurensohn gern, setzte sich durch und ließ seine Tochter ihn heiraten. In der Hochzeitsnacht schloß sich Frau Birgitta ein. Und während sie Gott darum bat, sie sterben zu lassen, begann eine noch unentdeckte Leibesfrucht sich in ihrem Körper zu regen und um ihr Leben zu bitten.

»Das war meine Schwester Cecilia«, sagte Frau Merete mit gepreßter Stimme und nahm Margarete das Pergament aus den Händen. »Das ist eine Geschichte, die für Kinder nicht von Nutzen ist und die sie nicht verstehen«, fügte sie hinzu. Das verwunderte Margarete noch mehr. Normalerweise erklärte Frau Merete sich nie, sie schlug.

»Und wer war die jüngste Tochter, die ihren Verführer heiratete?« fragte Margarete nichtsahnend.

Sie schaffte es nicht mehr, die Augen zu schließen, bevor Frau Meretes Hand ihre Wange traf. Sie stöhnte auf und hielt sich beide Hände vors Gesicht, um sich vor einem weiteren Schlag zu schützen.

Die Tochter war Frau Merete selbst, schoß es ihr durch den Kopf – wie ein Echo der Ohrfeige.

Die zwei Mädchen kletterten jeden Tag auf das Dach des Wagehals und saßen dort im Windschatten und genossen den Ausblick über Fjord, Stadt und Felsen. Sie konnten die Kirche in Aker sehen, den Stadtrand im Norden und die Klostergärten, in denen die Nonnen arbeiteten, an deren schwarzen Kleidern und Kopftüchern der Wind zerrte. Sie konnten den Reisenden auf den hellen Wegen folgen, die sich durch die Landschaft zogen, und die Schiffe sehen, die sich dem Hafen näherten.

Als sie zum ersten Mal dort oben waren und Margarete sich in dem steifen Wind das Reich ansah, das sie vor kurzem erst betreten hatte, hatte Ingegerd ihre Arme ausgebreitet und sich johlend im Kreis gedreht.

Margarete sah mit den Augen ihres Vaters, daß die Burg gut lag und man von hier aus alle Wege in den Norden Norwegens beherrschen konnte.

Wenn doch nur Håkon endlich kommen würde.

An seiner Statt kam ein Kurier und brachte Briefe von ihrem Vater. Mitunter vergaß er in seinen Briefen, wem er eigentlich schrieb, und gab Befehle oder stellte Fragen. Diese leitete sie dann an Frau Merete weiter. Er erzählte auch nur wenig davon, wie es König Magnus in Schweden ergangen war, aber aus dem bißchen konnte sie erkennen, daß er sich offensichtlich noch immer auf der Flucht befand. Warum kam er dann nicht nach Akershus, wunderte sie sich. Er sollte auf jeden Fall Blanka mitbringen. Blanka würde es nicht dulden, daß Frau Merete die norwegische Königin verprügelte.

Aber Frau Merete verbat es sich, über Blanka zu sprechen, und so wappnete sich Margarete mit Geduld.

In einem der Briefe erwähnte Vater, beinahe wie in einem Nebensatz, daß ihr Bruder Kristoffer seiner »Entkräftung« erlegen und in Roskilde begraben worden sei. Er habe Glück gehabt und ein englisches Grabmal bekommen können, das günstig zu erstehen gewesen sei. Im Vergleich zu den Grabmalen der englischen Könige sei dies zwar nicht so prächtig, aber es sei besser als alles andere, was er zuvor in Dänemark gesehen habe.

Vater hatte Kristoffer damit zwar das Begräbnis eines Thronerben zukommen lassen, aber sie konnte zwischen den Zeilen seine schuldbewußte Erleichterung über Kristoffers Tod lesen. Er habe ferner, schrieb Vater weiter, die Absicht, nun bald nach Krakau zu reisen, zur Hochzeit des Kaisers, seines Freundes. Auf dem Weg könne er neue Freundschaften schließen, alte auffrischen und die Kunst des Burgenbaus studieren. Auf seinem Heimweg habe er vor, dem Papst in Avignon einen Besuch abzustatten.

In dem Brief klang es so, als sei der Papst ein enger Freund von ihm und hätte ihn auf Knien gebeten vorbeizukommen, um einige wichtige Dinge für ihn zu erledigen. Ihr Vater war Ritter des Heiligen Grabes in Jerusalem und hatte das geteilte Reich seines Vaters zurückerobert. So kannte der Papst ihren Vater, dachte Margarete, aber er wußte nicht, wie arm und bedroht er war.

Sie wurde weder zum Begräbnis noch zur Reise eingeladen. Aber immerhin hatte er ihr davon erzählt.

Sie las seine Sätze wieder und wieder, bis sie sich ihre Bedeutung wirklich eingestanden hatte. Da spülte eine Welle des Zorns durch ihren Körper.

Warum hatte er sie nicht gebeten, mit auf die Reise zu kommen? Warum hatte er sie nicht früher von den Geschehnissen unterrichtet? Warum wurde Kristoffer überhaupt in Roskilde begraben und nicht wie sein Großvater in Ringsted oder gar in Sorø? Warum hatte er ihr das Recht abgesprochen, bei Kristoffer zu sein? Vater hatte gewiß Ingeborg einen Boten geschickt und sie und ihren Mann und Schwiegervater, Albrecht von Mecklenburg, den neuen König von Schweden, zu sich gebeten. Mit denen wollte er sich gut stellen.

Daheim in Dänemark war vor kurzem ihr einziger Bruder gestorben, und sie konnte noch nicht einmal ihrem Vater einen Brief schreiben. Sie konnte nur im Dunkeln sitzen, die Arme eng um ihre Beine geschlungen, und versuchen sich an die Vergangenheit zu erinnern.

Es war noch nicht einmal ein Jahr vergangen seit ihrer Hochzeit in Kopenhagen, von der sie sich so viel versprochen hatte. Und nun saß sie hier, allein. Ihre einzige Gesellschaft bestand aus Ingegerd und Frau Merete, die nur ihre Gebete aufsagte, schlug und strafte, geizte und sparte und graue Wollkleider nähte.

Nun war ihr Vater gezwungen, einen Erben einzusetzen. Die Mecklenburger drängten ihn bestimmt schon. Sie hatten Glück gehabt. Sie würden wohl Ingeborgs Sohn zum Thronfolger machen. Er war bestimmt ein hübscher kleiner Junge. Und wer würde dann nach dem Tod ihres Vaters Dänemark regieren? Ingeborg, ihr Mann und deren Söhne. Lauter Deutsche, deutsche Hauptmänner als Landesherren und Gebieter über die Burgen, deutsche Bischöfe. So war es schon einmal gewesen, damals, als das Reich aufgeteilt und ausgeblutet wurde. Ihr Vater und ihre Lehrer hatten ihr von diesen schrecklichen Jahren erzählt, in denen Bürgerkrieg, Hungersnöte und Krankheiten herrschten. Das Elend währte so lange, bis ihr Vater Dänemark zurückgewonnen hatte.

Margarete erwachte von einer zarten, ungewohnten Berührung. In den letzten Jahren hatte sie keiner gestreichelt, und auf einmal waren da diese weichen, zärtlichen Hände, die ihr das Haar aus dem Gesicht strichen. Der Zopf, den sie am Abend so stramm geflochten hatte, hatte sich gelöst.

Verängstigt setzte sie sich auf und wollte schnell ihre Haare neu flechten, um einer weiteren Strafe zu entgehen. Aber es war nicht Frau Merete gewesen, die sie geweckt hatte. Ein Mann im Reisemantel saß auf ihrer Bettkante. Er zog seinen Hut vom Kopf, und sie erkannte ihn. Stürmisch warf sie sich an seinen Hals.

»Meine süße kleine Frau!« sagte er und lachte. Er zögerte etwas, bevor er seine Arme um sie schlang, und sie wußte, daß er enttäuscht sein würde. Sie war nicht viel gewachsen, und ihre Brust war noch so flach wie am Hochzeitstag. Nach jedem Bad hatte sie ihren nackten, mageren Körper inspiziert. Aber er schien unveränderbar.

In diesem Augenblick war ihr das vollkommen unwichtig. Håkon war wieder bei ihr, er atmete, er war echt und sorgte sich um sie. Das genügte ihr.

»Laß mich dich richtig anschauen«, sagte er und löste erst seine und dann ihre Umarmung. »Bist du gewachsen seit dem letzten Mal?«

Sie hatte Angst ihn zu enttäuschen, kletterte aber trotzdem vom Bett auf das Podest. Sie wollte sich nicht auf den Boden stellen, denn dann hätte er sehen können, wie klein sie war. Voller Angst sah sie zu ihm hoch.

»Bleibst du bei uns?« platzte es aus ihr heraus. Er nahm seinen Mantel ab, und sie versank in seinem Anblick. Er hatte dieselben eleganten, feinen Bewegungen wie Blanka und war der schönste Mensch, den sie je gesehen hatte.

»Wir bereiten einen Feldzug gegen Albrecht vor«, sagte er – wie zu sich selbst – und wandte sich zu ihr um. »Du weißt doch, daß Albrecht von Mecklenburg jetzt König von Schweden ist? Zusammen mit deinem Vater wollen wir ein Heer aufstellen, gegen ihn ziehen und dann meinen Vater als rechtmäßigen König wiedereinsetzen.«

»Bleibst du denn jetzt bei uns?« fragte sie erneut.

»Ich könnte dich mitnehmen. Frau Merete sagt, daß du wie ein Mann reiten kannst«, antwortete er. Sie konnte zwar sehen, daß ihm der Gedanke erst in diesem Moment gekommen war, freute sich aber dennoch über den Vorschlag. Er umfaßte ihre Taille, hob sie zu sich hoch und setzte sie auf sein Knie. Das war ein schöner Ort, sie lehnte sich an seine Brust und konnte seinen Atem spüren. Er war echt, und er gehörte ihr.

»Hast du mich so sehr vermißt?« fragte er verwundert und nahm ihre Hand in seine, ohne zu wissen, was er damit anstellen sollte. Sie drückte ihr Gesicht an seinen Hals und schloß die Augen. Wie konnte er daran nur den geringsten Zweifel haben, sie hatte hier doch niemanden und nichts.

König Magnus war nur noch Haut und Knochen. Er saß, in viele Mäntel eingehüllt, im Wohngemach von Frau Merete, das Essen und das Bier vor sich auf dem Tisch hatte er noch nicht einmal angerührt. Es waren die gleichen kargen Speisen, die auch ihr jeden Tag serviert wurden, seit sie auf Akershus angekommen war. Es war kein schöner Anblick, ihren Schwiegervater so gealtert zu sehen. Seine Augen waren gerötet und lagen tief in ihren Höhlen, in seinem feinen Gesicht lagen die Falten wie ein dichtes Netz um die Wangen.

Håkon hatte Frau Merete gebeten, seiner Frau, der Königin, die besten Kleider anzuziehen. Aber Frau Merete wollte die guten Sachen, die Margarete aus Dänemark mitgebracht hatte, nicht verschleißen. Und darum stand Margarete also in denselben grauen Wollkleidern vor ihrem Schwiegervater, die sie jeden Tag trug, und ihr Haar war zu einem strammen langen Zopf geflochten. König Magnus starrte sie an, als könne er sie nicht wiedererkennen. Dann verbeugte sie sich tief, viel tiefer, als Frau Merete sich jemals vor ihr verneigt hatte, nahm seine Hand und küßte sie.

»Aber sie ist ja überhaupt nicht gewachsen!« rief Magnus mit seiner hellen Stimme. Er zog sie hoch und ließ seine Hände über ihren Körper gleiten. Sie erzitterte und wollte sich aus der Berührung befreien, aber Magnus hielt sie am Handgelenk fest.

»Vielleicht hast du recht«, sagte er in einem ruhigeren Ton. »Wir können sie auf jeden Fall schon vorzeigen, als Valdemars Tochter, so daß die Leute sehen, daß wir mit seiner Unterstützung rechnen können. Aber Söhne wird sie in nächster Zeit gewiß nicht bekommen.«

Endlich ließ er sie los und wandte sich an Frau Merete, die blaß und mürrisch hinter ihnen gestanden und ihre Hände geknetet hatte.

»Ingegerd Knutsdotter ist ein hübsches Mädchen«, sagte er zu ihr. »Hat sie vielleicht vor, Håkons Mätresse zu werden? Es gibt ja noch keine anderen Erben. Alle schwedischen Adligen behaupten zwar, sie seien Nachfahren meiner Familie, aber wir haben gleichwohl noch keinen rechtmäßigen Erben.«

Sein Blick blieb auf Frau Merete haften, die steif und unbeweglich stehen bliebund nach einer Antwort suchte. Ihr Mund bebte, und sie räusperte sich, aber gab keine Antwort.

»Weißt du eigentlich, kleines Mädchen, wie ihre Mutter, die heilige Frau Birgitta, deine Hochzeit mit Håkon genannt hat? Ein Spiel mit Puppen. Und sie war der festen Ansicht, daß die Vereinigung zu nichts Gutem führen würde. Nun verhält es sich aber so, daß alles, was Frau Birgitta als schädlich für unser Reich ansieht, in meinen Augen in höchstem Maße förderlich ist. Ich hoffe sehr, daß mein Sohn nicht zu früh ein Kind mit dir zeugt, so daß du im Wochenbett stirbst und das Kind mit dir nimmst. Wir brauchen so dringend einen Erben. Gib ihr noch ein Jahr. Dein Bruder, Håkon, hatte es mit seiner Beatrix zu eilig.«

Margarete sah heimlich von Vater zu Sohn. Sie ähnelten sich und gleichzeitig auch nicht. König Magnus sah in ihr gewiß nur Valdemars Tochter, ein unreifes zwölfjähriges Mädchen, eine Figur in einem großen Spiel. Vielleicht waren alle Menschen einfach nur Spielfiguren für ihn.

»Wer regiert denn das Reich, wenn Vater im Ausland ist?« fragte sie.

Diese Frage hatte sie beschäftigt, seit sie den Brief über Kristoffers Tod und sein Begräbnis erhalten hatte. Ihre Mutter war fort, ihre Schwester Ingeborg war mit den Feinden aus Mecklenburg verheiratet, und sie saß hier und war von keinerlei Nutzen.

Håkon und Magnus wechselten schnell einige Blicke, dann winkte Magnus sie zu sich und erklärte ihr, daß man für solche Zwecke und Aufgaben einen Drost habe. Henning Podebusk heiße dieser Hofverwalter ihres Vaters. Er stamme von Rügen, und sein Name sei eigentlich von Puttbus. König Valdemar habe den Namen zunächst nur zum Scherz ins Dänische übersetzt, ihn aber seitdem nur noch den Podebusk genannt.

»Dann herrscht wieder Frieden zu Hause«, entfuhr es ihr. »Meine Mutter regierte damals an Vaters Statt, als er nach Jerusalem zog, um Ritter des Heiligen Grabes zu werden.«

Darauf war sie so stolz, aber Magnus’ ausdrucksloser Blick veränderte sich kein bißchen. Er hatte sein eigenes Reich nicht erobern und gewinnen müssen, es war ihm einfach geschenkt worden. Valdemar aber hatte damals alles auf einmal bewältigen müssen: heiraten, Erben zeugen, sein Reich zurückkaufen und erobern, seinen Nachbarn Respekt einflößen und sich in Europa behaupten. Aber das imponierte Magnus nicht im geringsten.

»Henning Podebusk«, sie ließ den Namen leise auf der Zunge zergehen, nachdem Magnus das Gespräch auf andere Themen gelenkt hatte. Das war so ein schöner Name, den durfte sie nicht vergessen. Und dieser Mann regierte also das Reich, während ihr Vater fort war, und träumte offensichtlich auch nicht davon, sich Albrecht von Mecklenburg zu Hilfe zu rufen, so wie es die schwedischen Adligen getan hatten.

Sie suchte in jedem Haus und in jedem einzelnen Zimmer auf Akershus. Sie suchte nach ihrem Mann und war zutiefst erschrocken, als ihr in einem Gang plötzlich Ärzte entgegenkamen. Sie versuchte ihren schnellen Schritt abzubremsen, aber sie hatten sie bereits gesehen und verneigten sich tief vör ihr. Keiner auf Akershus zollte ihr soviel Respekt, und sie mußte unwillkürlich lächeln. Sie nickte zur Begrüßung leicht mit dem Kopf und versuchte den Blick eines jeden einzelnen zu fangen, so wie sie es bei ihrem Vater beobachtet hatte.

»Ich sehe, daß die Königin gekommen ist, um ihre Schwiegermutter zu sehen«, sagte der älteste der weißgekleideten Männer und öffnete die Tür. Sie befanden sich im Wagehals. Jetzt, da König Magnus sich wieder bei ihnen einquartiert hatte, war fast die gesamte Burg bewohnt, und die Menschen schliefen an den eigentümlichsten Orten. Sie hatte sich noch nicht einmal den Geheimgang entlangschleichen können, um ungehindert die Geschehnisse in der Vorburg zu beobachten. Überall waren die Fremden.

Blanka lag in einem kleinen Raum mit einem runden Fenster. Hier hatte man ausnahmsweise richtiges Glas eingesetzt, richtiges Glas mit einem Bild einer Heiligen, die Margarete nicht kannte. Das Licht aber, das durch das Bild der Heiligen ins Zimmer fiel, tauchte ihre Schwiegermutter in blutrotes Licht. Im Bett lag eine kleine zerfallene Frau mit grauem Haar.

Es gab keine weiteren Möbel im Raum, nur ein Kreuz hing an der Wand, so als hätte man Blanka damit strafen wollen, ihr Sterbelager in eine Klosterzelle zu verwandeln. So hatte Frau Merete doch noch ihre späte Rache bekommen.

Margarete griff sich draußen auf dem Gang einen dreibeinigen Schemel und setzte sich ganz dicht an Blankas Bett, nahm ihre Hand und fing an, vom schönen Wetter zu berichten.

Blanka lag mit dem Gesicht zur Wand und bewegte sich nicht. Schließlich sagte sie, langsam und mit gepreßter Stimme: »Ja, das habe ich mir schon gedacht, als ich das Kleid der heiligen Cecilia habe leuchten sehen. Etwas anderes bekomme ich hier oben ja nicht zu sehen. Sie wagen nicht, das Fenster zu öffnen, aus Angst, ich würde fortgeweht werden.«

Sie lachte und mußte husten. Margarete sprang vom Schemel auf und wollte sie an den Schultern stützen, aber das magere, gelbgefleckte kleine Gesicht verzog sich vor Schmerzen. Blankas Augenlider waren blau, und der Mund lag eingefallen in dem blassen Antlitz. Nur die Augen waren so dunkel wie früher, aber beunruhigend groß.

»Ich habe auf dem Weg hierher so wunderbar geträumt. Ich träumte davon, daß ich wieder zu Hause auf meiner Burg in Namur wäre«, sagte sie lächelnd und war für einen kurzen Augenblick wieder die alte Blanka. »Von dort kann man Vaters ganzes Reich sehen, alles ist so freundlich dort. So ganz anders als hier. Ich habe Håkon gesagt, er solle dir ein guter Mann sein. Ich selbst habe alles verkehrt gemacht und Großes verbrochen, ich wage kaum, daran zu denken, wie viele Jahre ich für meine Sünden im Fegefeuer sitzen werden muß. Die schlimmsten Sünden jedoch, derer man mich beschuldigt, habe ich gar nicht begangen. Aber ich bin so oft mit ihnen belastet worden, daß ich mittlerweile selbst glaube, daß ich schuldig bin. Du weißt doch sicherlich, was Frau Birgitta über mich gesagt hat: Ich sei eine untreue Frau, die ihren eigenen Sohn getötet hat, um ihrem nutzlosen Mann zu helfen. Schlimmere Vorwürfe kann man wohl kaum erheben. Aber ich kann nicht verurteilt werden, denn ich hatte gute Gründe für die Sünden, die ich tatsächlich begangen habe, auch wenn sie im Vergleich zu Birgittas Anschuldigungen geradezu klein und ärmlich wirken.«

Margarete hieß sie sich zu beruhigen und legte ihre kühlen Finger erst auf Blankas Stirn und dann auf ihre Lippen. Es mußte einen anderen Weg geben, der nicht in Sünde und Verdammnis endete.

Ihr Vater und König Magnus waren so unterschiedlich, aber keiner von beiden war besonders froh oder heiter. Ihr Vater war ein guter König, Magnus hingegen ein schlechter, den sein Volk abgesetzt hatte. Und nun lag Blanka hier, krank und aus ihrem Land vertrieben. Sie konnte unmöglich schuld an allem sein.

»Sind wir auf Tunsberg?« fragte Blanka und drückte Margaretes Hand mit aller Kraft. Ihre Hände waren eiskalt und steif, aber ihre Haut war klebrig vor Schweiß. Sie wurde in regelmäßigen Abständen von Schüttelkrämpfen erfaßt, und ihre Zähne klapperten, so als könne sich ihr Körper nicht entscheiden, ob er auf Wärme oder auf Kälte reagieren solle.

»Ich habe Tunsberghus so gemocht«, sagte sie. »Ich habe die Burg damals als Morgengabe von meinem teuren Herrn bekommen. Es bedrückte ihn so, daß ich sterben werde. Grüße ihn von mir und bitte ihn für mich um Vergebung. Was haben sie dir als Morgengabe geschenkt, die reichen Folkunger?«

»Schweden, glaube ich«, antwortete Margarete, ohne nachzudenken.

Blanka lachte ein trockenes Lachen, fing wieder an zu husten und drückte Margaretes Hand. »Ja, das glaube ich gerne. Sie schenken immer Dinge, die sie gar nicht besitzen. Versuche das herauszubekommen, kleines Mädchen, bevor es zu spät ist. Deine Morgengabe können sie dir nicht mehr wegnehmen, noch nicht einmal, wenn Magnus und Håkon entmachtet werden und fliehen müssen. Magnus sieht es nicht gerne, daß wir uns unterhalten. Ich habe einen schlechten Einfluß auf dich, denkt er. Wenn Magnus noch immer glaubt, ich hätte Erik und seine Frau getötet, wird es Zeit, daß er diesen Gedanken aufgibt. Ich war bereit, es zu tun, ja, das war ich, aber die Pest ist mir zuvorgekommen. Ich hatte das Gift dabei, aber Erik lag bereits im Sterben, als ich kam. Und kurze Zeit später starben auch seine kleine Frau Beatrix und ihre zwei Neugeborenen. Wenn er noch immer glaubt, daß ich es war, mußt du ihn eines Besseren belehren.«

Margarete versprach es, konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, wie Magnus und sie jemals ins Gespräch über Blankas tatsächliche und erdichtete Verbrechen kommen sollten. Magnus sah in ihr doch beständig den von Valdemar gesandten Spion – ein unbedachtes Kind, das ihm noch zu nichts nutze war, aber das sicher jede Unterhaltung wortwörtlich niederschrieb und als Brief zu seinem Vater schickte.

»Weißt du, wie Frau Birgitta deinen Vater nannte?« fragte Blanka mit ihrer schwachen, aber singenden Stimme. »Dein Vater sei der Wolf, der Schweden und Magnus eines Tages roh verschlingen werde. Sie hat sich geirrt. Ihre eigenen Genossen sind die Wölfe. Du, kleines Wolfsjunges, bist das Beste, was meiner Familie widerfahren ist, seit ich Håkon zur Welt gebracht habe.«

Blanka konnte unmöglich so krank sein, wie alle behaupteten, dachte Margarete erleichtert.

In der Nacht wurde sie von Lärm, Schreien und Gepolter im Hof und in der Vorburg geweckt. Sie war allein, also kletterte sie aus dem Bett und öffnete die Fensterläden. Durch den Nebel sah sie das kleine Gefolge, das mit Fackeln durch den Geheimgang zog. Sie dachte zuerst, es sei eine Gruppe auf dem Weg zu einem nächtlichen Treffen, die über den bevorstehenden Feldzug von König Magnus beraten wollte. Dann fiel ihr Blick auf das längliche Bündel, das sie mit Würde zu tragen versuchten, das aber immer wieder ihren Händen entglitt und zu der einen und der anderen Seite rutschte. Schließlich warf sich einer der Männer das Bündel über die Schulter. Erst in diesem Augenblick begriff Margarete, daß Blanka gestorben sein mußte.

So trugen sie also Königin Blanka aus der Burg Akershus und hatten weder Geld für eine Totenfeier noch für ein Grabmal. Warum bestatteten sie Blanka nicht in der Kapelle im Wagehals, dort war genug Platz. Sie hätte so gern die jährliche Totenmesse für ihre Schwiegermutter gesungen.

Von König Magnus bekam sie später ein kleines zerkratztes Kätchen, das alles enthielt, was Blanka ihr vererbt hatte. Blanka wurde »auf eigenen Wunsch« in der Kapelle von Tunsberghus beigesetzt.

Auch diese Beisetzung hatten sie ihr, Margarete, verwehrt. Was hätte dagegen gesprochen, daß sie ihre Schwiegermutter auf ihrer letzten Reise nach Tunsberghus begleitete? Und das Erbe lastete wie eine schwere Anklage auf Blankas Angehörigen. Sie war damals mit der größten Morgengabe nach Schweden gekommen, die man je gesehen hatte. Kisten, gefüllt mit Seide, prächtige Streitpferde, Wagen und Sänften, Kronen und Edelsteine hatte sie mitgebracht, und alle waren überzeugt, daß mit ihrer Ankunft nun für alle eine großartige Zeit bevorstand. Jetzt fand ihr ganzes Leben, das sie in Schweden verbracht hatte, in einer kleinen schäbigen Schachtel Platz.

Margarete fing an zu weinen, als sie da mit Blankas Habseligkeiten saß. Sie wollte nicht, daß auch nur ein Laut über ihre Lippen kam, aber ihre Schultern zuckten. König Magnus war ihr gleichgültig, aber Blanka mußte gerächt werden.

Das Testament war zum Jammern: Blanka hatte geglaubt, daß sie reiche Geschenke zum Grab von Karl dem Großen nach Aachen schicken lassen könnte, einen goldenen Kelch etwa – aber woher sollte der kommen? Solch einen Kelch würde sie eines Tages für ihre Schwiegermutter überbringen, schwor sich Margarete. Auch wenn sie nicht wußte, wie sie jemals die Mittel und die Gelegenheit bekommen sollte, um durch Europa zu reisen.

Blanka hatte wenig besessen: einige zerschlissene Leinenballen, zwei alte Tischtücher, eine kleine Decke für die Füße, zwei Messer und vier Silberlöffel, ein paar feine Stoffe und ein Kleid für den Kirchgang, ein Stück Seide aus Paris und dazu grobes Seidengarn, einen kleinen Schrein, dessen Schloß mit drei kleinen Smaragden besetzt war, und schließlich eine Schale mit Silberdeckel sowie Kräuter für Arzneien. Das Kleid für den Kirchgang war bereits so abgetragen, daß sich alle Querfäden an der Armunterseite aufgelöst hatten. Während ihrer Flucht hatte sie wohl angefangen, aus den feinen Stoffen und der Seide neue Kleidungsstücke zu nähen, war aber nicht weit gekommen.

Als Margarete diese kläglichen Besitztümer in den Kleiderkisten im Wagehals verstaute, spürte sie zum ersten Mal jene Bitterkeit gegen die Mecklenburger in sich aufsteigen, die ihr Mann und ihr Schwiegervater fortwährend hegten. Wenn man sich mit den Mecklenburgern anlegte, konnte man genauso elendig enden wie Blanka. Das hatte sie nicht vor. Wenn der Tag kommen würde, wäre sie bereit, den Kampf mit den Mecklenburgern aufzunehmen. Und sie würde kämpfen, bis sie sich ergäben.

Noch blieb ihr nur, um ihre Schwiegermutter zu trauern, die aus ihrem Leben gegangen war. Blankas zwei kleine, gichtgeplagte Hunde aus Namur suchten überall wimmernd nach ihr und wollten weder fressen noch trinken. Sie wimmerten auch noch, wenn sie sich am Fußende des Bettes zusammengerollt hatten und schliefen.

»Wenn Håkon zurückkehrt und sich hier niederläßt, darf ich dann bei euch bleiben?« fragte Ingegerd eines Nachts, als sie zusammen im selben Bett schliefen.

»Wir werden dich nicht entbehren können, wenn Håkons Söhne und Töchter großgezogen werden«, sagte Margarete und fand, daß sie wie Frau Merete klang. »Dann haben wir endlich einen richtigen Hof, wie damals zu Hause. Wir werden Frauengemächer haben und Frauen, die ornamentieren«, fügte sie hinzu. Sie wußte gar nicht genau, was dieses Wort bedeutete, aber sie hatte so eine Vorstellung davon, daß Königin Blanka ihre Tage als junges Mädchen mit ebensolchen Dinge zugebracht hatte.

»Wir werden Turnierspiele veranstalten und Musiker auftreten lassen«, plapperte sie weiter, »dann öffnen wir den Kronsaal und laden alle norwegischen Adligen ein. Es wird Tanz geben auf dem Burgberg, und französische Köche sollen uns verwöhnen. Wir werden Kirchen bauen lassen und zur Messe nach Oslo fahren. Es wird alles gut.«

»Aber ich soll ins Kloster«, unterbrach sie Ingegerd.

Margarete wurde abrupt aus ihren Träumen gerissen. Ingegerd lag neben ihr, lang, schmal und steif vor Furcht, Margarete konnte nicht an sie herankommen. Wir liegen hier wie zwei Skulpturen auf einem Grab, dachte sie.

Als sie ein ganz kleines Mädchen war, hatte Vater ihr alle Gräber in Ringsted und Sorø gezeigt, die Grabmale aller Familienmitglieder, auf die er sehr stolz war. Damals schon hatte sie gedacht, wie schrecklich es sei, sein Abbild dort verewigt zu haben. In Hunderten von Jahren würden die Menschen noch vorbeigehen und ihre steinernen Familienmitglieder anstarren. Das Schlimmste daran war aber, daß sie im Boden eingelassen waren. So wollte sie nicht begraben werden, da war sie fest entschlossen.

Unter der Decke suchte sie nach Ingegerds Hand, und dann lagen sie ganz still, Hand in Hand. Aber das war auch keine Lösung, dachte Margarete. Frau Merete hatte offensichtlich schon ihre Entscheidung getroffen.

»Wohin?« fragte sie.

»Großmutter will Tante Katarina zur Äbtissin in Vadstena berufen, also wird es wohl Vreta werden«, flüsterte Ingegerd. »Vater ist nicht mit Magnus zurückgekommen, er würde es nicht zulassen, mich ins Kloster zu stecken, das weiß ich.«

»Magnus hat deine Mutter gefragt, ob sie dich mit nach Akershus genommen hat, um dich zu Håkons Mätresse zu machen«, sagte Margarete in die Dunkelheit. Ingegerd ließ ihre Hand los und setzte sich auf, um ihr in die Augen zu sehen, aber es war zu dunkel.

»Das hätte ich dir doch niemals angetan!« rief sie mit belegter Stimme.

»Wo liegt Vreta?« fragte Margarete. Im Gegensatz zu Vordingborg gab es keine einzige Karte auf Akershus.

»Vreta liegt in Östergötland. Die Familie meines Vaters hat früher von dort immer Nonnen entführt und sie dann geheiratet«, fügte sie hinzu, wie um sich damit ein wenig aufzuheitern. »Wo ist nur Vater? Warum ist er nicht mit den anderen heimgekommen?«

»Vielleicht ist er bei Blanka«, sagte Margarete und legte ihre Arme um Ingegerd. Zwar wohnten die beiden zusammen, schliefen in einem Bett und wurden gemeinsam unterrichtet und bestraft, aber sie waren sich noch nie so nah gewesen wie in diesem Augenblick. Margarete mit ihrer zerbrechlichen Freude und Ingegerd mit ihrer plötzlichen Angst.

»Wenn Håkon und ich einen Sohn bekommen haben, dann schicken wir den schönsten norwegischen Adligen nach Vreta, um dich zu entführen«, versprach sie und strich die Tränen von Ingegerds Wangen.

Männer trafen selbst die Entscheidung, ins Kloster zu gehen, und sie wurden aufgenommen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Frauen und Mädchen wurden von ihren Familien ins Kloster geschickt und mußten auch noch dafür bezahlen.

Ingegerd hatte an ihrer Aussteuer genäht, seit sie fünf Jahre alt war und eine Nadel halten konnte. Sie hatte Margarete beigebracht, daß Nähen nicht zwangsläufig eine langweilige Zeitverschwendung sein mußte. Sie konnte dabei wunderschön singen und Märchen erzählen, und sie tanzte so wunderbar und leicht auf ihren kleinen Füßen.

»Die alte Äbtissin Ingrid wurde damals als Novizin von Folke Algotsson entführt«, flüsterte Ingegerd, und ein wenig Hoffnung schwang in ihrer Stimme mit. »Sie bekamen Kinder und waren auf der Flucht. Als er starb, kehrte sie zurück und wurde Äbtissin. Sie hat alles haben dürfen. Warum kann ich das nicht?«

Sie konnte nicht aufhören, zu weinen und von ihrer Mutter und Großmutter zu erzählen. Sie hätten selbst wählen dürfen. Frau Birgitta sei damals, als sie Witwe wurde, nicht ins Kloster gegangen, sondern in die weite Welt hinausgezogen. Das letzte, was sie von ihr gehört hätten, sei, daß sie in Neapel lebe und es sich dort am königlichen Hof gutgehen lasse. Wenn Frau Merete einst Witwe werden würde, könnte sie sich nach Vreta zurückziehen.

»Und wenn ich dann Nonne werde, ist Mutter sicher Äbtissin. Ich komme niemals von ihr los!« schluchzte sie. Margarete streichelte über ihr heißkaltes Gesicht, legte ihr die Finger auf die Lippen und beruhigte sie. Aber ihre Gedanken waren nicht bei Ingegerd.

Die Winterkönigin - Ein historischer Roman

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