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3.

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Eines frühen Morgens auf Vordingborg bemerkte Margarete, daß sich etwas verändert hatte. Eberstein war damit beschäftigt, ihre Sachen durchzusehen. Alle Spielsachen waren in einen Sack gesteckt worden; die sollten bei ihrer Abreise an die Waisenkinder in den Klöstern verteilt werden. So hatte es der König befohlen, wie Eberstein ihren Vater nannte. Ihre Stimme hatte dabei immer einen drohenden Klang. Nie nannte sie ihn Valdemar, sie sprach immer nur vom König. Aber Margarete wollte an ihren Vater nicht als den König denken, und auch Valdemar klang so groß, kalt und angsteinflößend, daß sie dabei immer ihren Vater auf dem schwarzen gepanzerten Streithengst vor der Zugbrücke von Vordingborg sah.

»Muß alles weg?« fragte sie vorsichtig, und Eberstein nickte nur.

Margarete wußte genau, daß es keinen Zweck hatte, zu weinen und zu klagen, wenn ihr Vater einen Befehl gegeben hatte. Es war besser, gar nicht erst anzusehen, was Eberstein ihr alles wegnahm, und darum ging sie aus dem Zimmer. Von nun an würde das viele Gepäck, das ihr von Burg zu Burg folgte, immer weniger werden. Wenn sie doch nur schneller wachsen würde. Sie war immer noch so klein.

Als sie zurückkehrte, standen zwei Priester bei Eberstein und warteten auf sie. Eberstein wirkte erleichtert, sie zu sehen, und erklärte ihr, daß diese beiden Priester ihre Lehrer für Deutsch und Latein sein würden. Der König hätte es so bestimmt, da ihr diese Sprachen später von Nutzen sein würden. Im stillen hatte sie gehofft, daß Håkon doch noch erscheinen würde, aber er war nicht nach Vordingborg gekommen.

Als sie nach ihm fragte, erfuhr sie, daß sein Bruder Erik, der zum Aufstand gegen seinen eigenen Vater angestiftet hatte, tot sei. Möglicherweise hatten die Aufständischen sich seiner entledigt, vielleicht hatte ihn die Größe seines Vergehens und seiner Sünden umgebracht. Er war auf jeden Fall tot. Und dasselbe Schicksal hatten auch seine Frau Beatrix und die Zwillinge ereilt, die sie kurz vorher zur Welt gebracht hatte. Es hieß, daß die Pest in Schweden wütete. Beatrix war zuerst krank geworden und hatte ihren Mann angesteckt, als er sie und seine Söhne besuchte.

»Und warum kommt Håkon nicht?« platzte es aus ihr heraus. Eberstein reagierte, wie sie es immer tat. Sie zuckte mit den Schultern und verwies sie an ihren Vater. Margarete war sich sicher, daß Håkon, wäre es nach ihrem Vater gegangen, bereits bei dem mißglückten Verlobungsfest hätte anwesend sein sollen. Es mußte etwas anderes dazwischengekommen sein.

Als ihr Vater gegen Schonen in den Krieg zog, blieb sie zum ersten Mal in atemloser Spannung zurück. Bei seinem Feldzug gegen die aufständischen Jütländer hatte sie keinen Augenblick an seinem Sieg gezweifelt, aber sie hatte auch nicht die geringste Ahnung gehabt, was Krieg bedeutete. In den schönen Büchern jedoch, mit denen sie nun lesen lernte, waren Bilder vom Krieg. Das alles mußte ihr Vater also erleben, Kämpfe mit Lanzen, Streitpferden und Waffen. Die Schläge mit den Schwertern waren nicht so wie auf den Wiesen von Vordingborg. Das waren nur Übungen. Im Krieg aber konnte man sterben.

Es ärgerte sie, daß sie Merete Ulfsdotter und den Herzog von Finnland, an dessen Namen sie sich nicht mehr erinnerte, nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte, bevor der Hof Kopenhagen verlassen hatte und nach Vordingborg zurückgekehrt war. Sie hatte ihrem Vater die Bitte vortragen wollen, obwohl sie vermutete, daß er sie ablehnen würde. Ansonsten wären die beiden doch bestimmt sofort zu ihm gegangen.

Nein, Håkon war derjenige, den sie fragen mußte, aber ihn konnte sie nicht erreichen. Noch nicht einmal mit dem Brief, den sie mit soviel Mühe geschrieben hatte. Ihr Vater hatte zwar seine Kuriere, aber sie traute sich nicht, zu ihnen zu gehen und sie zu bitten, den Brief nach Norwegen zu bringen. Håkon müßte doch in Norwegen sein, oder? So sicher war sie sich auf einmal nicht mehr. Sie wollte nach Vaters Rückkehr aus dem Krieg den richtigen Augenblick abwarten und den Brief dann mit einem seiner Kuriere nach Norwegen schicken. Dagegen konnte er doch nichts haben.

Den Brief hatte sie mit ihrem eigenen kleinen Siegel versehen, den Eberstein zusammen mit dem Verlobungsring unter Verschluß hielt. Sie hatte sie gefragt, ob sie sich das Siegelbild ansehen dürfe, und Eberstein hatte ihn ihr ausgehändigt, begleitet von vielen Ermahnungen, damit vorsichtig umzugehen. Aber eigentlich vertraute Eberstein ihr, obwohl sie ganz anders als die milden Mädchen war, die vor der Verlobung auf sie aufgepaßt hatten. Eberstein war barsch, immer ein wenig abwesend und liebkoste sie nur, wenn sie sehr krank war.

Kristoffer erklärte ihr den Zusammenhang zwischen dem Verschwinden der Spielsachen und der Ankunft der Lehrer. Er war sieben Jahre alt gewesen, als er dasselbe erleben mußte. Das machten alle Eltern mit ihren Söhnen so. Ihr Vater hatte damals sogar erwogen, ihn zum Kaiser nach Prag zu schikken, um ihn dort bei sehr guten Erziehern aufwachsen zu lassen. Aber er mußte dann aus gesundheitlichen Gründen zu Hause bleiben, er war ständig krank und wollte nicht recht wachsen. Außerdem war er auch der einzige Erbe. Ingeborg dagegen waren nie die Spielsachen weggenommen worden. Aber mit Margarete sei das eben etwas anderes. Ingeborg lebte ja schon mit ihrem Mann in Mecklenburg. Margarete aber sollte schließlich eines Tages die Königin von Norwegen werden.

»Da wieder Frieden herrscht und Vater Schonen zurückerobert hat, kann es durchaus sein, daß er mich jetzt reisen läßt«, sagte Kristoffer. Sie erkannte plötzlich, daß er, wie eigentlich alle, die sie kannte, immer zuallererst an sich dachte. Sie war sich noch nicht im klaren, ob sie jetzt schon nach Norwegen gehen wollte. Aber sie wußte ganz sicher, daß sie Håkon nun endlich kennenlernen und ihm den Brief schicken mußte. Wenn er ihn nicht bald bekäme, könnte es zu spät sein.

Sie sprach später an diesem Tag noch einmal mit Kristoffer darüber. Alle hatten versprochen, daß ihr Vater sehr bald aus dem Krieg zurückkehren würde. Schonen war mit Leichtigkeit zurückerobert worden, und so war er weiter nach Gotland gezogen und hatte dort die große und bedeutende Handelsstadt Visby eingenommen. Nun waren offenbar alle Kriege überstanden, und er befand sich wohlbehalten auf dem Heimweg.

Ihre Mutter hatte sie seit der Verlobung nicht mehr gesehen. Sie wußte noch nicht einmal genau, wo sie wohnte. Kristoffer hatte gefragt und als Antwort erhalten, sie würde sich an einem Ort aufhalten, der zu ihrem Besten sei. Daraus hatten die Geschwister geschlossen, daß sie immer noch krank war. Aber vielleicht würde Vater sie wieder zurückholen, jetzt, wo er mit guten Neuigkeiten heimkehrte. Die trostlosen Tage waren endlich vorbei, diese Tage voller Ungewißheit.

Aber es kam anders. Kristoffer legte zur Feier des Tages seine schönsten Kleider an, dieselben, die er auch bei der Verlobung getragen hatte. Eberstein hatte sich geweigert, ihr Ingeborgs weißes Kleid anzuziehen. Er kam in dem dichten Nebel auf sie zu, nahm sie an der Hand und ging mit ihr in das Zimmer, das Eberstein ihr vor einigen Tagen eingerichtet hatte. Sie wohnte jetzt in einem der Holzhäuser, die sich an die Innenmauer von Vordingborg schmiegten.

»Ich habe einen Brief von Vater erhalten«, sagte er und wartete, bis sie sich hingesetzt hatte. Dann ging er zum Fenster, um den Brief in dem spärlichen Licht, das von dort ins Zimmer fiel, zu lesen. Es war zu kalt, um draußen zu stehen, und in den Räumen war es zu dunkel, um lesen zu können.

»Die Schweden können König Magnus nicht verzeihen, daß er Vater Schonen so kampflos überlassen hat«, sagte er und faltete den Brief zusammen. Seine Hände zitterten, und er mied ihren Blick. Etwas Fürchterliches mußte geschehen sein. Etwas, das gegen sie gerichtet war.

»Es hat sich eine neue Gruppe von Aufständischen gebildet. Dieses Mal ist Håkon ihr Anführer. Er hat mit Vater gebrochen und die Verlobung aufgehoben. Er fordert den Ring zurück und zertrennt das Band zwischen Dänemark und Norwegen.«

Nun hatte sie Håkon verloren. Ohne ihn war sie nichts. Merkwürdigerweise hatte sie nie darüber nachgedacht, was sie gemacht hätte, wenn Håkon gestorben wäre.

»Es gibt noch so viele andere gute Ehemänner auf der Welt«, sagte Kristoffer schnell. »Vater hat mir bereits eine Liste mitgeschickt, an die ich mich halten kann. Er benötigt neue Bundesgenossen. Den englischen König beispielsweise kennt er gut, vielleicht wirst du statt dessen die Königin von England. Wer braucht schon Norwegen?«

»Hat er sich mit einer anderen verlobt?« fragte sie. Sie spürte, daß er Zeit gewinnen wollte und daß es noch weitere schreckliche Nachrichten gab. Kristoffer errötete und faltete den Brief wieder auseinander. Dann kam er zu ihr, setzte sich neben sie und sprach mit weicher, kindlicher Stimme. Aber das konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Ihre Welt war gerade zusammengestürzt, und er verhielt sich, als hätte ihre Puppe einen Arm verloren.

»Elsebeth von Holstein befindet sich auf dem Weg nach Norwegen«, lautete seine knappe Antwort.

»Wie alt ist sie?« Margarete blieb hartnäckig.

»Sie ist so alt wie Håkon«, räumte er ein. Das war zuviel. Margarete sprang auf, prallte dabei gegen sein Knie und stöhnte vor Schmerzen. Sie stieß die Tür auf und rannte den ganzen Weg bis zur Spitze des Turms, ohne daß sie jemand aufhielt. Hinter einer großen Kiste versteckte sie sich. Die Kälte drang durch jede Faser ihrer Kleidung und machte sie zittern, aber sie rührte sich nicht von der Stelle.

Er hatte sich also eine erwachsene Frau genommen, die er sofort heiraten konnte. Eberstein hatte ihr vor einiger Zeit eröffnet, daß sie erst dann nach Oslo fahren könne, um auf Akershus Königin zu werden, wenn sie mannbar sei. Und keinen Tag vorher.

Seitdem hatte sie alle jungen Frauen genau beobachtet und Eberstein gefragt, ob diese oder jene mannbar sei. Kristoffer war bei ihrer Frage feuerrot geworden und hatte ihr erklärt, daß eine Frau erst dann heiraten könne, nachdem sie die monatliche Heimsuchung bekommen hätte. Das hatte sie allerdings auch nicht viel klüger gemacht. Zu guter Letzt fragte sie ihre Lehrer, aber die waren entsetzt über ihr Interesse an diesem Thema und weigerten sich strikt zu antworten.

Elsebeth von Holstein war ohne Zweifel mannbar. Elsebeth war eine erwachsene Frau, mit der Håkon sofort Kinder bekommen konnte. – Margarete wäre ihm zuliebe so gerne schneller gewachsen, aber das ging wohl nicht. Ansonsten hätte Kristoffer bestimmt längst ein paar Ellen zugelegt.

Erst am nächsten Morgen traf ihr Vater in Vordingborg ein. Er hatte Kristoffer in einem weiteren Brief mitgeteilt, daß er auf Gurre sein Lager aufgeschlagen hatte. Vielleicht war das der Ort, an dem ihre Mutter untergebracht worden war. Gurre war abgelegen. Tief in den Wäldern versteckt, ragte sein hoher Turm auf, der von einer dichten Mauer mit kleinen Türmchen geschützt wurde. Sie mochte diesen Ort nicht so gerne, aber Vater zog Gurre all seinen anderen Burgen vor, denn hier konnte er allein sein. Auf Gurre vermißte sie all das, wovon er frei zu sein sich wünschte. Schon als sie hörte, daß der Brief aus Gurre geschickt worden war, wußte sie, daß etwas bevorstand, was weit dramatischer war als Håkons Aufstand gegen seinen Vater. Und sie erwartete das Schlimmste, auch wenn er ja eigentlich als Sieger heimkehrte.

Er ritt zwar mit fliegenden Fahnen auf Vordingborg ein, aber übersah Margarete und Kristoffer, die im Burghof zur Begrüßung standen. Er ging einfach an ihnen vorbei und lief geradewegs in die Burg. Nur wenige folgten ihm. Sie aßen allein mit Eberstein und den drei jungen Schildknappen, die Vater Kristoffer in seiner Abwesenheit zur Seite gestellt hatte. Es herrschte keine Heiterkeit und keine Feststimmung, weder der Sieg noch die Rückkehr des Königs wurden richtig begangen. Drei lange Tage dauerte es, bevor Kristoffer und Margarete wieder hoch in die Burg umzogen. Sie verstanden das nicht, schließlich herrschte doch jetzt Frieden im Land, sogar in Schweden war wieder Frieden eingekehrt, Schonen war zurückgewonnen, und Gotland gehörte zum dänischen Reich. Gerade jetzt konnte man doch aus den klammen Steinhäusern der inneren Burg hinunter in die warmen Holzhäuser der Vorburg ziehen. Dort gab es mehr Platz, es war nicht so laut, und im Sommer war es schön kühl. Das ganze Jahr über in den Steinhäusern zu wohnen war gleichbedeutend mit Unfrieden – das hatten die beiden mittlerweile gelernt.

Margarete sah ihren Vater erst, als sich der gesamte Hof im Hauptsaal zum Essen versammelte. Er selbst aß nicht viel, trank nur Wasser und sprach mit niemandem. Es schien, als sei es ihm beinahe zuwider, überhaupt jemanden in seiner Nähe zu haben. Margarete vergaß vor Aufregung zu essen, obwohl sich die Tafel unter den herrlichsten Gerichten förmlich bog. Sie hatte nur Augen für ihren Vater.

Etwas an ihm war gänzlich verändert. Sie hatte junge Knappen in den Krieg ziehen und zurückkehren sehen, entstellt durch furchtbare Verletzungen, verstümmelte und fehlende Gliedmaßen. Die Verwandlung ihres Vaters war nicht so offensichtlich. Aber es war etwas geschehen. Etwas, das sich in all seinen Zügen widerspiegelte: Seine Schultern, die früher so breit und kräftig gewesen waren, fingen an rund zu werden. Seine geraden langen Beine waren vom vielen Reiten ganz krumm. Der Bart war lang und voll, aber sein Kopfhaar lichtete sich und wurde dünner. Er sah keinem ins Gesicht, auch ihr nicht. Er verließ den Saal und ging in Begleitung eines Priesters, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, in die Kapelle und schloß sich dort ein.

»Vater wird bestimmt bald wieder auf Reisen gehen«, sagte Kristoffer voller Zuversicht nach dem Essen, das sie so traurig gemacht hatte. Kristoffer schien nichts bemerkt zu haben.

»Du wirst doch nicht einen Aufstand gegen Vater anstiften, so wie Håkon?« fragte sie ernst und zog an seinem Ärmel, um ihn festzuhalten.

»Die Schweden schaffen das schon allein«, antwortete er. Sie verstand seine eigenartige Sorglosigkeit nicht. Sah er denn nicht, was sie sah?

»Was ist dort auf Gotland geschehen?« fragte sie. Vielleicht konnte sie Kristoffer dazu bringen, ihr Dinge zu erzählen, für die sie laut Eberstein noch zu jung war, um sie zu verstehen.

»Er hat Visby eingenommen«, sagte er ausweichend und wollte sich frei machen. Aber sie ließ ihn nicht los, und so fuhr er fort: »Die Bauern haben sich gegen sein Heer erhoben, die Stadt aber nicht. Als das Bauernheer dann auf der Flucht um Hilfe bat, gewährte ihm die Stadt keinen Schutz. Vaters Männer haben sie alle getötet.«

»Alle Bauern Gotlands?« fragte sie entgeistert und ließ seinen Ärmel los.

Gemessen an der Ermordung aller gotländischen Bauern, war ihr Wunsch, Håkon den Brief über den Herzog von Finnland zu schicken, eine sehr kleine Sünde. Eigentlich könnte sie die Kuriere jetzt sofort aufsuchen. Vielleicht würden sie sich weigern, einen Brief zu einem Mann zu bringen, mit dem sie gar nicht mehr verlobt war. Aber sie mußte es wenigstens versuchen.

Die Winterkönigin - Ein historischer Roman

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