Читать книгу Die Winterkönigin - Ein historischer Roman - Maria Helleberg - Страница 6

2.

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Wie eine geschlossene Front kamen sie auf sie zu. Sie erkannte nur Eberstein, die allerdings hinter den beiden schritt, als hätte sie keinerlei Bedeutung. Das verhieß nichts Gutes. Es trat dann jedoch Eberstein zu ihr, verneigte sich und fragte, ob sie Zeit habe, die beiden Gäste zu begrüßen. Sie kämen von ihrem Herrn.

Sie liebte dieses Wort, schließlich war es das einzige, was sie von ihm besaß. Håkon hatte sie noch nie gesehen, und das schöne Kleid war gleich nach der Verlobung weggeschlossen worden. Sie würde es wohl nie wieder tragen. Die ganze Verlobung hätte auch ein Traum gewesen sein können, wenn nicht ihr Vater ständig ihren Herrn in der Ferne erwähnen würde. Håkon war in Norwegen, ihr Vater auch, und in Schweden herrschte Krieg. Mehr wußte sie auch nicht. Die Verlobung hatte aber auch etwas Gutes nach sich gezogen. Jeden Tag wurde sie nun von einem Mönch aus Roskilde unterrichtet, der ihr beibrachte, Dänisch zu lesen und zu schreiben.

Die zwei Fremden betrachtete sie sehr eingehend, denn wenn sie eines Tages nach Norwegen kommen würde, wären sie auch dort. In den ersten Tagen nach der Verlobung hatte sie alle Leute, auf die sie traf, gefragt, ob sie nach Norwegen fahren oder von dort kommen würden, doch alle hatten nur verneinend mit dem Kopf geschüttelt. Darum fragte sie auch dieses Mal die große schlanke Frau, die sich vor ihr verneigte, ob sie aus Norwegen käme – allerdings mit wenig Hoffnung, eine positive Antwort zu bekommen. Im Gesicht der Frau erwachte etwas, sie schien nicht auf eine Frage gefaßt gewesen zu sein. Sie blieb in der Hocke sitzen und sah Margarete fest in die Augen, ohne den Blick zu senken. So sah ihr Vater sie an, wenn er glaubte, einer Lüge auf der Spur zu sein. Seinem Blick konnte sie nie standhalten.

»Nein, ich komme aus Schweden, aber wir sind im Gefolge von Königin Blanka auf dem Weg nach Norwegen«, antwortete sie. »Sie hat mir die Aufgabe zugedacht, Ihre Hausverwalterin zu sein. Wir werden gemeinsam nach Norwegen reisen.«

»Wie heißen Sie?« fragte Margarete. Namen hatten vor der Verlobung keinerlei Bedeutung für sie gehabt. Sie selbst war immer sie selbst gewesen. Vater war Vater und Mutter war Mutter gewesen. Nun hatten sie alle auf einmal Namen erhalten: Valdemar, Helvig, Håkon. Und sie war mit einem Schlag zu Margarete geworden.

»Ich bin Merete Ulfsdotter«, antwortete die Frau. »Mein Vater war Ulf Gudmarsson, Stadtvorsteher in Östergötland, und meine Mutter ist Birgitta Birgersdotter aus Finsta. Aber ich komme nicht in eigener Angelegenheit zu Ihnen. Ich bitte Sie, meinen Schwager zu empfangen und anzuhören.«

Margarete sah ihr in die Augen: Diese große, erwachsene Frau hatte sie um einen Gefallen gebeten. Frau Merete hatte weder Vater, Mutter noch den Kanzler gefragt. Statt dessen war sie zu ihr gekommen. Sie wandte ihren Blick dem Mann zu, der etwas abseits gewartet hatte. Er kam näher und sank auf sein Knie.

Sie erkannte sofort, daß ihm dies Schwierigkeiten und Schmerzen bereitete. So hatte sich ihr Vater bewegt, als er aus Jütland wiederkam, wo er im Kampf verwundet worden war. Sie streckte ihre Hand aus und berührte sein Knie.

»Sind Sie verletzt?« fragte sie ihn.

Seine Augen leuchteten auf, und er lächelte, ergriff ihre Hand und küßte ihre Finger.

»Nein, kleine Königin, aber ich habe jetzt eine ganze Woche im Sattel gesessen, auf der Flucht vor meinen Feinden in Schweden«, antwortete er.

Er schien immer noch ganz außer Atem zu sein. Der Geruch von Pferden hing in seinen Kleidern. Doch Margarete mochte ihn, er mischte sich mit dem Herings- und Salzgeruch Kopenhagens.

Diese zwei Menschen hatten sie aufgesucht, weil sie ihnen helfen konnte – soviel hatte sie verstanden. Es hatte mit ihrem Herrn und mit Norwegen zu tun. Aber das konnte einfach nicht stimmen, sie mußten sich irren. Sie konnte doch gar nichts tun, sie hatte noch nicht einmal ihren Verlobungsring. Dennoch bat Eberstein sie, ihr in den kleinen Kräutergarten zu folgen. Sie setzte Margarete zwischen die beiden Fremden auf die Bank unter den Apfelbäumen. Sie wußte selbst nicht, warum, aber sie war weder beunruhigt noch ängstlich. Im Gegenteil, sie fühlte sich sicher und geborgen bei ihnen. Sie waren Gesandte der neuen Welt, in die sie sich bald begeben würde, nach der Hochzeit mit Håkon.

Darum betrachtete sie die beiden jetzt eingehender: Der Mann war viel schlanker und zarter als ihr Vater, und sie war sehr überrascht, daß er weder Mönch noch Priester war. Er war sogar schlanker als die beiden Frauen an seiner Seite. Sie hatte zuvor noch nie ein so schönes Gesicht gesehen. Sie hatte große Lust, es zu berühren: seine schmalen, mageren Wangen, die langen Wimpern, die dunklen Augen und das goldgelockte schulterlange Haar.

»Mein Schwager, Bengt Algotsson, wurde aus seiner Heimat Schweden aufgrund nicht bewiesener Gerüchte vertrieben«, sagte Frau Merete.

Margarete überlegte, was diese Worte bedeuteten

»Meine Flucht hat König Magnus daran gehindert, zur Verlobung nach Kopenhagen zu kommen«, fügte der Mann hinzu.

König Magnus war ihr Schwiegervater und König von Schweden. Seinetwegen hatten sie das Kleid umgenäht. Es gab für sie keinen Grund, ihn gern zu haben. Ihre Schwiegermutter war Königin Blanche aus Namur und wurde Blanka genannt. Margarete hatte bisher noch keinen von ihnen kennengelernt. Ihr Vater hatte ihr lediglich geraten, sich an die Königin zu halten, sollte sie bei Margaretes Ankunft in Akershus ebenfalls noch in Norwegen sein. Sie hatte daraufhin gefragt, warum der König und die Königin von Schweden in Norwegen leben würden.

»Sie wurden aus ihrem Reich vertrieben«, hatte ihr Vater kurz angebunden geantwortet. Sie erfuhr jedoch nicht, von wem. Doch sie erinnerte sich noch, daß die jütländischen Adligen ihren Vater vertreiben wollten. Das war dasselbe Wort, es mußte auch dasselbe bedeuten. Diese Jütländer hatten ihren Vater in einer Schlacht verwundet. Er besiegte sie zwar, aber sie blieben gefährlich. Vielleicht hatten sie zuvor Magnus und Blanka aus Schweden vertrieben. Sie wollte später Vater dazu befragen.

»König Magnus wurde von seinem eigenen Sohn Erik vertrieben. Håkon hat seinen Eltern in Norwegen Bleiberecht gewährt. Aber das kann er nicht auch für mich tun. Ich muß mich versteckt halten, und König Valdemar hat mich hier unterkommen lassen. Doch ich kann hier nicht für immer bleiben. Ansonsten riskiert er einen Krieg mit den schwedischen Adligen und Krieg mit Erik. Ich besitze nichts mehr, mein Eigentum in Schweden wurde mir genommen. Ich kann nur in Norwegen in Sicherheit sein – wenn die zukünftige Königin von Norwegen mir Asyl gewährt.«

Trotz seiner Beschwerden kniete er erneut vor ihr nieder, so elegant er konnte.

Ihr Blick blieb an seiner Kleidung hängen. Er mußte tatsächlich sehr arm sein. Ihr Vater liebte es, sich mit Rüstungen, großen viereckigen Helmen mit gewaltigen Aufsätzen, schweren und pelzgefütterten Mänteln herauszuputzen. Er trug bevorzugt Kleidungsstücke, die seine Größe betonten. Aber wenn diese Pracht entfernt wurde, kamen die bunten Lappen, die zerrissenen Strümpfe und die alten Hemden zum Vorschein. Der Anblick, den andere zu sehen bekamen, der sollte erhaben und großartig sein, das, was keiner sonst sah, durfte ruhig abgetragen und schäbig sein.

Bei diesem Flüchtling nun war es genau andersherum. Seine Kleidung war schäbig und zerschlissen, aber er trug sie, als bestünde sie aus Seide, Brokat und teuersten Pelzen.

»Wer sind Sie?« fragte sie schließlich, und Frau Merete kniete sich neben ihn: »Das ist der Bruder meines Mannes, Bengt Algotsson«, erklärte sie und legte eine Hand auf seinen Arm. »Er wurde der schlimmsten Sünden wider die Natur angeklagt und aus seiner Heimat vertrieben. Liebe kleine Königin, werden Sie ihm in Norwegen Asyl gewähren?«

Sünden wider die Natur, das war etwas Neues. Ihre Mutter hatte etwas Häßliches über ihre Schwiegereltern gesagt, als sie über die Verlobung gesprochen hatten. Aber mehr wußte sie nicht. Vielleicht sollte sie einen ihrer Lehrer fragen. Aber nein, der Ausdruck klang so grauenerregend, daß er ihn erschrecken könnte. Sie würde auch das ihren Vater fragen, und keinen sonst.

»Ich bin Herzog von Finnland«, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu, »und Statthalter von Schonen. Aber dort hat der neue schwedische König Erik ein Kopfgeld auf mich ausgeschrieben. Kleine Königin, ich habe die Meinen verraten, im Dienste und zum Guten des Königs, des rechten Königs, des Freundes Ihres Vaters und des Vaters Ihres Mannes. Werden Sie mir Obdach geben?«

Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und legte ihre Hand auf seine Wange. Mit Erstaunen stellte sie fest, daß seine Haut so weich wie ihre eigene war. Sie hörte nicht auf, ihn zu streicheln, er lachte leise und legte schließlich seine Hand auf die ihrige. Sie würde ihm mit dem größten Vergnügen Schutz und Bleibe gewähren, aber sie war doch ihrem Vater und Håkon untergeben, und die hatte der Herzog von Finnland bestimmt noch nicht gefragt. Sie waren zu ihr gekommen, weil sie noch ein Kind war.

Sie erkannte ihn wieder, den schönen Mann, den Herzog von Finnland. Er saß auf der Bank zwischen den Rosen. Die hatte Vater in Avignon vom Papst geschenkt bekommen, aber sie wollten hier in Kopenhagen nicht so recht wachsen. Sie sah ihn dort sitzen, nachdem sie die Turmtreppe heruntergelaufen war und mit großer Mühe die schwere Tür zum Garten geöffnet hatte. Sie verstand selbst nicht, warum sie ihn nicht sofort grüßte, sondern sich versteckte. Aber ihr war auf einmal bewußt, daß er nicht auf sie gewartet hatte.

Er saß sehr aufrecht und angespannt auf der Bank. Er erinnerte sie an Kristoffer, wenn Vater mit ihm schimpfte. Das Schwert hatte er zwischen seine Beine gestellt und die Hände auf den Schaft gestützt. So saß er und schaute gedankenversunken in den Garten.

Jemand kam die Treppen vom Salzhaus herunter. Es war König Magnus, ihr Schwiegervater. Er trug kein Schwert und war mit einem schweren zerschlissenen Gewand und langen Stiefeln für einen langen Ritt bekleidet. Der Herzog von Finnland sprang von der Bank auf und ließ sein Schwert fallen. Sie gingen aufeinander zu, als aber Magnus die Arme ausbreitete, um ihn zu begrüßen, stürzte der Herzog vor ihm auf die Knie und küßte seine Hand.

»Mein teurer Herr«, sagte er und sah zu ihm hoch.

Sie hörte Geräusche hinter sich und schloß die Tür, so leise sie konnte, und drehte sich kampfbereit um. Sie war bereit, sich jedem in den Weg zu stellen, der diese beiden Männer, die sich im Garten ihres Vaters getroffen hatten, stören wollte. Mein teurer Herr, das war die schönste Anrede, die sie jemals gehört hatte. So wollte sie Håkon begrüßen.

Die Winterkönigin - Ein historischer Roman

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