Читать книгу Die Winterkönigin - Ein historischer Roman - Maria Helleberg - Страница 9

5.

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Der Nebel lag noch immer dicht und schwer über der ganzen Gegend. Valdemar ritt ohne Hast, und der Falke auf seinem Arm behielt seine Haube auf. Schließlich hielt er an und gab den Vogel an den Falkner zurück. Das verwirrte Margarete. Diese Jagd war ihr zu Ehren veranstaltet worden, denn sie hatte am selben Morgen ein Geschenk von Håkon erhalten, als Besiegelung ihrer Verlobung. Das Geschenk war ein weißer isländischer Jagdfalke, und sie hatte das wertvolle Präsent sehr stolz mitgenommen. Es war das erste Mal gewesen, daß ihr Vater sie mit auf eine Jagd nahm.

»Weiß!« hatte ihr Vater ausgerufen, als das Geschenk überreicht wurde. Er selbst liebte schwarze Pferde und schwarze Jagdhunde – Hunde, so schwarz wie ein Heer des Teufels aus der Dunkelheit, hatte sie andere sagen hören. Es schien, als ob er dieses Geschenk als persönliche Kränkung empfand. Und darum hatte er jetzt auch keine Lust, mit ihm jagen zu gehen.

Es begann wieder zu regnen. Er kam auf sie zugeritten und ergriff ihre schlaff herunterhängenden Zügel. Sie würden auf der Stelle zur Burg zurückkehren. Auf dem Heimweg machten sie halt unter ein paar großen Bäumen und warteten, geschützt von ihren hochgeschlagenen Kragen und Kappen, daß der Regen nachließ. Sie spürte, daß ihr Vater das Gefühl hatte, er würde seine Zeit vergeuden. Wenn er unzufrieden war, strahlte er die Unruhe eines wütenden Tieres aus.

»Nun bist du mit einemmal wichtig für sie geworden«, sagte er, während der Eisregen auf sie niederging. Ihr Vater merkte das gar nicht, aber Margaretes Kappe war durchnäßt, und die eisige Feuchtigkeit kroch ihr den Nacken und Rükken hinunter.

»So wichtig, daß sie ihren Sohn auf dich loslassen wie einen Birkhahn auf eine Henne! Du sollst wissen, daß ich ihnen nicht vertraue. Wir müssen zusehen, daß wir dich bald mit ihm verheiraten, auch wenn es vielleicht ungehörig wirken mag. Aber sonst laufen wir Gefahr, daß sie sich wieder nicht an die Absprache halten. Verstehst du das?«

Das traf sie wie ein Peitschenschlag. Sie nickte betroffen. Der Jagdfalke auf ihrem Arm war schwer, sie würde das Geschenk von Håkon leider nicht ausprobieren können.

»Du hast ihm doch damals geschrieben, als er dich verraten hatte«, sagte er dann in einem milderen Tonfall. »Was hast du ihm eigentlich geschrieben?«

»Der Herzog von Finnland hatte mich um Asyl gebeten«, antwortete sie. Ihren Vater konnte sie nicht anlügen. Er würde die Wahrheit früher oder später sowieso erfahren.

Sie hatte nicht erwartet, daß er plötzlich in schallendes Gelächter ausbrechen würde. Er griff ihren Arm und schüttelte sie sanft.

»Oh, du süßes wunderbares Mädchen, die es allen recht machen will!« sagte er. »Sogar dem Liebhaber von Håkons Vater wolltest du helfen. Jetzt weiß ich, daß alles gutgehen wird. Mein kleines gutes Mädchen! Gott sei’s gedankt, daß du ihm nicht noch mehr geholfen hast. Sie erschlugen ihn, als er sich nach Schonen wagte.«

Dann gab er seinem Pferd die Sporen und machte sich auf den Weg zurück zur Burg. Die Heiterkeit kam und ging bei ihm in schnellem Wechsel. Margarete wußte nicht, was sie noch hätte sagen können. Sie wünschte sich nur, daß er sie so schnell wie möglich Håkon zur Frau geben würde.

Diese Reise nach Kopenhagen unterschied sich sehr von den vorherigen. Sie wachte sehr aufmerksam über Håkon, er sollte sie nicht noch einmal so enttäuschen. Und auch ihren Vater nicht. Da Blanka so gut reiten konnte, wollte es Margarete ihr nachtun und bestand darauf, ebenfalls den ganzen Weg zu Pferde zu bestreiten.

»Ein sehr kluger Entschluß. Dann können die Leute dich sehen«, sagte ihr Vater. Sie erkannte, daß er eigentlich eine Möglichkeit suchte, ihr ein Lob auszusprechen.

Einst waren sie so viele am dänischen Königshof gewesen. Nun gab es nur noch Kristoffer und sie. Kristoffer ritt nicht selbst, er lag auf einer Trage, die von Pferden gezogen wurde. Margarete genoß während der gesamten Reise die größte Aufmerksamkeit, denn Blanka wich keinen Augenblick von ihrer Seite.

Blanka war auch diejenige, die das etwas mitgenommene weiße Kleid wiederentdeckte, das Margarete zur Verlobung getragen hatte. Sie zog es mit einem erfreuten Ausruf aus einer der Kleiderkisten hervor und hielt es ihren Zofen hin, damit sie es bewundern konnten.

»Es ist nur eine Schande, daß sie es so verschnitten haben«, sagte sie. »Aber in der Stadt muß es ähnliche Stoffe geben. Schaut nach, ob die Bischöfe Mäntel aus dem gleichen Stoff haben. Das Kleid muß überall verlängert werden, und unten an den Saum soll eine Bordüre genäht werden.«

Vielleicht würde sie doch noth als Braut in Ingeborgs Kleid zum Altar geführt werden. Sie verfolgte, wie die Zofen sich förmlich darum schlugen, den entstandenen Schaden auszubessern. Sie trennten alle Nähte auf und machten sich daran, den Stoff zu verlängern, zu heften und zu besticken. Blanka steuerte ein feines Leinentuch aus ihren Beständen bei. Sollte es keinen perlenbesetzten Stoff geben, würde man eben welche aufsticken müssen.

Obwohl sie noch nicht wieder Frieden mit ihrem Land geschlossen hatten, wollte Blanka wohl unbedingt beweisen, daß sie so gut und edel wie ihre Gastgeber waren.

Nur Kristoffers Krankheit warf einen Schatten auf die Vorbereitungen zu dem großen Fest. Sie hatte ihn seit ihrer Ankunft in Kopenhagen nicht mehr gesehen. An dem Tag, als Blanka mit einer großen Menge weißen, edlen Stoffes aus der Stadt kam, um das Kleid fertigzustellen, beschloß sie, ihn zu suchen.

Sie tat das nicht nur für sich oder um seinetwillen. Sie machte sich auch auf die Suche nach ihm, weil sie vor kurzem Blanka und König Magnus belauscht hatte, als sie darüber sprachen, wer Dänemark eines Tages regieren würde. »Wenn Kristoffer stirbt, dann wird Ingeborg als älteste Tochter nachrücken«, hatte Magnus gesagt, ganz ruhig, so als ob er sich sehr sicher war, daß Kristoffer nicht mehr lange leben würde.

»Und sie kann dann ohne Schwierigkeiten alle Länder vereinen«, hatte Blanka mit leiser, spitzer Stimme erwidert. »Sie und die Mecklenburger, sie und der eingebildete Sohn deiner Schwester. Diese Untauglichkeit in Person. Wenn doch nur Valdemar weiser gewesen wäre bei der Wahl des Bräutigams für seine älteste Tochter. Dann hätte sie jetzt zwei Söhne haben können. Es wird noch Jahre dauern, bis uns das kleine Mädchen hier nützen kann.«

Damit war sie gemeint.

Aber die meiste Zeit hatten sie über Kristoffer geredet.

Ihr war der Gedanke gekommen, daß Kristoffer vielleicht die Pest hatte. Schließlich hatten sie ihn von den anderen isoliert. Vielleicht würde er eines Tages einfach spurlos verschwinden, so wie ihre Mutter plötzlich verschwunden war.

Sie fand ihn in der Kammer, in der er immer wohnte. Hier lag er, ganz allein. Als sie die Tür öffnete, kam ihr nicht der bekannte Gestank von Krankheit und Tod entgegen. Und sie konnte keine Anzeichen von Pest entdecken. Es war ganz still im Raum, und er wirkte, als hätte er sich gerade hingelegt, um sich kurz auszuruhen. Sie haben gelogen, erkannte sie, natürlich, was sonst? Sie haben gelogen, um die Gäste in die Irre zu führen.

Sie setzte sich neben ihn aufs Bett und erzählte, was so alles geschehen war. Daß Blanka ihr Kleid von der Verlobung umnähen ließ, daß ein Turnier zur Hochzeit stattfinden und es auf dem Burgberg Tanz geben werde. Und vielleicht würde auch ihre Mutter kommen dürfen.

»Das glaube ich nicht«, unterbrach Kristoffer ihren Erzählstrom. Sie schwieg und sah ihn an. In dem grauen und diesigen Licht wirkte er gar nicht so schwach und farblos wie in ihrer Erinnerung. Aber er hatte sehr abgenommen. Er war jetzt zwanzig Jahre alt und ein erwachsener Mann. Als ihr Vater so alt war, regierte er schon als König. Einen Kopf größer als alle anderen war er gewesen, der Königssohn ohne Land, der Prinz ohne Vermögen. Er hatte die Gelegenheit beim Schopf gefaßt, als der Kaiser sich seiner Sache annahm. Er war nach Norden gezogen, hatte Helvig von Südjütland geheiratet und sich zum König von den Teilen des Landes gemacht, die er erobern konnte.

Kristoffer hatte nur sein Bett und seinen Beichtvater.

»Mutter ist in Ringsted, sagen sie«, fügte Kristoffer hinzu. »Ihr geht es gut, dort, wo sie ist. Sie konnte Vater nicht wiedererkennen, als er sie das letzte Mal besuchte. Aber wenigstens ist sie keine Gefahr mehr für sich selbst.«

»Wenn ich Vater darum bitte, würde er sie dann zum Fest kommen lassen?« fragte sie.

»Nein. Er hat sich entschieden, und sie ist nicht mehr Teil seiner Welt«, antwortete Kristoffer.

Unwillig begriff sie, was er ihr eigentlich sagte: Vater sprach mit ihm wie mit einem erwachsenen Mann, wie mit seinem Erbfolger, trotz alledem. Kristoffer sagte er Dinge, die er ihr nicht sagen konnte, weil sie noch ein Kind war.

In diesem Augenblick kam er herein. Sie drehte sich um und erwartete das Schlimmste, aber er hatte keine Augen für sie, sah nur seinen Sohn.

»Hoch mit dir und raus aus dem Bett. Laß ein bißchen Farbe in dein Gesicht«, sagte er. »Es ist ein schöner Tag und Zeit, sich hinauszuwagen. Die Bürger wollen ihren Prinzen sehen. Und die jungen Mädchen wollen ihn erst recht sehen.«

Wie immer gehorchte Kristoffer. Er kletterte vom Bett und stellte sich auf den Boden. Sein Vater half ihm beim Anziehen des schweren Lederrockes. Er selbst zog sich zuvor das dünnere Unterkleid über den Kopf und schnürte es fest um die Arme. Voll bekleidet, gegürtet und geschmückt mit dem Lederrock sah er sehr erwachsen aus, fand Margarete.

»Steh gerade!« befahl der Vater und schlug ihm seine Knöchel zwischen die Schulterblätter. »Alle Blicke werden auf dich gerichtet sein, wenn du mit mir die Burg verläßt. Es wird Zeit, daß du zeigst, wer du bist. Gegen deine Größe kann man nichts ausrichten, aber gegen deine krumme Haltung!«

Kristoffer gab sich große Mühe. Aber er wußte, daß es nicht genug war.

»Nimm dich zusammen!« schrie sein Vater und stieß ihm mit seinen harten Fingern gegen das Schlüsselbein. Kristoffer sackte zusammen und mußte sich wieder aufs Bett setzen, verwirrt und schamrot. Er sank zur Seite, schüttelte den Kopf und stöhnte vor Schmerzen.

»Schon gut, schon gut!« sammelte er sich und erhob sich, fiel aber sofort wieder um. »Mir ist so schwindlig, gib mir einen Augenblick, bis ich mich wieder erholt habe.«

»Raus mit dir! Liegst hier rum und trödelst wie eine kranke alte Nonne!« schrie sein Vater. Er riß die Tür zum Söller auf und ließ kühle Luft herein, die angenehm süß duftete. Es wurde gerade Brot für die Hochzeit gebacken. Kristoffer erhob sich erneut, aber war immer noch sehr wacklig auf den Beinen. Er mußte sich festhalten, und es gab keinen anderen als seinen Vater, der ihn stützen konnte. Sein großer, stählerner Arm beugte sich, und Kristoffer hing an ihm wie ein Schiffsbrüchiger. Wieder knickte er ein, verbarg sein Gesicht in den Händen und blieb wimmernd auf der Bettkante sitzen.

Keiner von beiden hatte bis dahin Margarete beachtet. Als ihr Vater nun einen Schritt auf Kristoffer zu machte, um ihn zu greifen und zu schütteln, krabbelte sie blitzschnell quer übers Bett. Sie erreichte ihn in letzter Sekunde und schlug mit ihrer geballten Faust gegen seine Brust, um ihn aufzuhalten.

»Nein, Vater!« sagte sie mit fester klarer Stimme. Er sah sie an, starr vor Verwunderung. Dann verschloß sich sein Blick, und sein Gesicht wurde ausdruckslos. Das geschah so schnell, als hätte jemand eine Kerze ausgeblasen. Ihr stand es eigentlich nicht zu, ihn zurechtzuweisen. Aber er hörte auf sie.

Die Winterkönigin - Ein historischer Roman

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