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Margarete hatte sich damit abgefunden, nun nicht mehr Håkons Verlobte, sondern nur noch Tochter und Schwester zu sein. Das war ihr im ersten Jahr sehr schwer gefallen, und zwischendurch hatte sie mit Bemerkungen immer wieder ihre Gedanken verraten. Eberstein hatte sie dann kurz und schnell berichtigt, Vater hingegen hatte ihr immer und immer wieder erklärt, daß die Hoffnung noch nicht verloren war. Doch Margarete hoffte schon lange nicht mehr.

Die schwedische Gesandtschaft traf eines späten Abends auf Vordingborg ein. Ein kalter Regen hatte alle schon seit langem ans Haus gefesselt. Der Winter wollte einfach nicht kommen. Statt des erwarteten Schneefalls regnete es in Strömen, dazu kamen Schneeregen und Hagel. Jeden Morgen mußte Margarete daran denken, ganz vorsichtig zu gehen, wenn sie das Haus verließ und auf die Grasfläche zwischen den Häusern in der Vorburg trat. Das Gras war vollkommen durchweicht, der Schlamm widersetzte sich jeglicher Trokkenlegung, obgleich jeden Tag Sand und Kies gestreut wurden.

Sie hatte bis zu diesem Tag keine Antwort auf ihren Brief an Håkon erhalten. Mit großer Sorgfalt hatte sie damals das Siegel unter das Schriftstück gesetzt, damit es aussah wie ein offizielles Schreiben. Der Kurier war zurückgekehrt, und sie hatte ihm zur Belohnung einen kleinen Ring gegeben, den sie vor langer Zeit von ihrer Mutter geschenkt bekommen hatte. Er hatte sich geweigert, ihn anzunehmen. Vor ihr kniend, hatte er beteuert, daß es seine Pflicht und Schuldigkeit sei, dem König und seinen Kindern zu dienen. Aber sie hatte ihm dennoch den Ring überreicht, und nun trug er ihn.

Sie vermißte den Ring, schließlich hatte sie so wenig Dinge, die sie an ihre Mutter erinnerten. Aber sie hatte dem Kurier doch ein Geschenk geben müssen. Sie konnte nicht einfach allen Leuten befehlen, dies oder jenes für sie zu tun, so wie ihr Vater es tat.

Nun stand sie also vor dem Haus in dieser feuchten Luft, die sich auf ihre Haut legte und ihr Haar schwer machte, und sie beobachtete, wie die Fremden auf Vordingborg eintrafen. Die drei vordersten Pferde trugen große Decken, die vor Nässe nur so trieften. Wie schwer das für die Tiere sein mußte, überlegte Margarete. Die Pferde wirkten sehr erschöpft und trotteten mit hängenden Zügeln umher. Nur der Reiter an der Spitze des Zuges schien sich sehr genau umzusehen. Margarete war davon überzeugt, daß der Reiter eine Frau war, obwohl die Person in viele Lagen Kleider und Mäntel gehüllt war. Sie ließ sich als erste vom Pferd gleiten und zog sich die Handschuhe aus.

Margarete war neugierig und ängstlich zugleich. Die Fremden mußten ohne das Wissen ihres Vaters gekommen sein, er hätte seinen Hof ansonsten auf sie vorbereitet. Dann hätte nämlich jemand die Gäste in Empfang genommen und ihr Banner neben dem des Königs auf dem Turm gehißt.

Vater hielt sich zur Zeit meistens oben in der Burg auf und zeigte sich sehr selten. Er hatte sich von seiner Umwelt zurückgezogen, war nur von wenigen Dienern umgeben, und nahm seine Mahlzeiten allein im Turm ein. Aber spätestens jetzt müßte er sich doch zeigen, dachte sie, er müßte herunterkommen und seine Gäste willkommen heißen. Es waren schließlich vornehme Leute.

Sie waren lange und ohne großes Gefolge unterwegs gewesen. Nur fünf Pferde trugen Spaltsattel, die mit Gepäck beladen waren. Sie führten weder Wagen noch Pferde zum Wechseln mit sich, darum waren die Tiere auch so erschöpft.

Verlegene Stalljungen und Knappen tauchten auf und nahmen sich der Pferde und Gäste an, die nur zögernd ihre Füße auf das matschige Gras von Vordingborg setzten. Aus der Burg war noch immer niemand heruntergekommen. »Ist denn keiner in der Burg?« fragte die Frau. Sie ging ein wenig auf und ab, mit den Handschuhen in der einen Hand. Schließlich griff sie mit der anderen nach einem Stalljungen. Ob denn der König nicht in der Burg sei, fragte sie erneut. Er zeigte wortlos und mit roten Wangen auf das Banner und führte ihr Pferd an den Zügeln fort. Das genügte ihr nicht als Antwort. Sie raffte ihre langen Röcke zusammen, die ihre Füße umwallten. Alles war schon ganz steif vom Schlamm, aber sie wollte es wohl nicht noch schlimmer kommen lassen.

Sie hatte Margarete entdeckt, die sich in diesem Moment wünschte, gar nicht erst aus dem Haus gegangen zu sein. Vom Fenster aus hätte sie alles sehr gut unbeobachtet verfolgen können. Nun würde sie wieder für etwas herhalten müssen, wie damals, als der Herzog von Finnland sie aufsuchte. In diesem Augenblick kam ein Mädchen aus Ebersteins Haus vorbei, und Margarete fragte sie, wer die Fremden seien.

»Das sind Schweden«, sagte sie und rümpfte die Nase.

Das konnten doch unmöglich ihre Schweden sein, schoß es ihr durch den Kopf. Sie war noch nicht bereit dazu. Sie hatten sie ohne Freude angenommen, waren zu ihrer Verlobung gar nicht erst erschienen und hatten ohne jede Erklärung mit ihr und ihrem Vater gebrochen und den Ring zurückgefordert. Und jetzt suchten sie sie hier auf. Die wollen sich absichern, dachte sie, und sie entführen, so wie in den Märchen und Liedern, die sie kannte. Bald würde sie in Schweden sein, wo alle machen durften, was sie wollten, sogar sich gegen den eigenen Vater auflehnen und ihn aus dem Land jagen.

Sie konnte nicht mehr fliehen. Die Frau in den wallenden Gewändern stand bereits direkt vor ihr. Margarete wollte sie nicht grüßen. Vielleicht würde die Fremde auch glauben, sie sei ein Bettelkind. Aber nein! Die Frau hatte schon alle ihre Röcke angehoben und ging in diesem Augenblick vor ihr in die Hocke.

»Wie du doch deiner Mutter ähnelst«, sagte sie und streckte ihr eine Hand entgegen. »Du bist meine kleine Schwiegertochter. Ich heiße Blanka und bin Håkons Mutter, einst Königin von Schweden und nun Regentin von Norwegen. Komm mit mir, mein hübsches Mädchen, wir werden gemeinsam deinen Vater suchen.«

Die Hand, die ihre ergriff, war klein, aber kräftig. Ihre Augen waren wie die von Margaretes Mutter, schmal und dunkel, aber offen und lebendig. Ihr Gesicht war rund und glatt, doch als sie lächelte, tanzten tausend kleine Falten darauf. Sie war doch nicht so jung, wie Margarete zuerst gedacht hatte.

Hand in Hand gingen sie hinauf zur Burg. Margarete sah über ihre Schultern zurück, aber Blanka hielt sie fest an der Hand und zog sie weiter.

»Sei vorsichtig, kleines Mädchen, damit du nicht stolperst«, sagte sie. Margarete jedoch begriff, daß es um etwas anderes ging. Nur mit ihr an der Hand konnte Blanka überhaupt bis zum König gelangen und dort Gehör finden. Es war kein Zufall, daß ihr Vater die Schweden so lange in der Vorburg hatte warten lassen. Er ließ seine Handlungen nicht von so einem unberechenbaren Besuch steuern.

Während sie zur Burg hochstiegen, merkte sie auf einmal, wie die Kälte vom Wasser herüberkam. Der Regen wurde von einem kalten Wind getragen, und kleine Schneeböen schlugen gegen ihre Rücken. Blanka nahm ihren Pelzmantel ab und legte ihn um Margarete, so daß sie vor dieser unwirtlichen Welt versteckt und geschützt war.

Ihr Vater stand draußen vor dem Turm, die Hände in die Seiten gestemmt, und wartete ungeduldig, was die Fremde ihm zu sagen hatte. Er trug sein langes Schwert, wie Margarete verwundert feststellte. Ob er auch die Rüstung unter seinem Gewand anhatte? Seinen Bart hatte er wohl gestutzt, denn er sah wieder so aus wie vor dem Krieg auf Gotland. Aber damals hätte er diese Gäste mit Respekt empfangen. Nun tat er so, als würden sie ihm seine kostbare Zeit stehlen.

Blanka kniete vor ihm nieder, und Margarete tat es ihr nach. Lieber wollte sie knien, als neben ihr mit dem schweren Pelzmantel auf den Schultern stehen zu bleiben.

»Magnus, Håkon und ich sind gekommen, um die Gnade des dänischen Königs zu erbitten«, sagte sie mit ihrer süßen singenden Stimme. »Unsere Jungfrau Maria hat mir meine Schwiegertochter geschickt, das erste freundliche Gesicht im Hause der dänischen Krone.«

Blanka ließ sie nicht los. Margarete bewegte sich nicht und merkte, wie Kälte und Feuchtigkeit aus den runden Steinen durch Strümpfe und Kleider drangen und sich um ihre Beine legten. Der Schnee wirbelte um den Turm. Ihr Vater stand geschützt, aber der Schnee legte sich auf Blankas dunklen Mantel und auf ihren Hut, der ihr Haar verbarg. War sie genauso schwarzhaarig wie ihre Mutter Helvig? Wenn Vater sie doch nur endlich hereinbitten würde. Aber er schwieg.

»Wir haben keinen Ort, an dem wir uns ausruhen und Schutz vor diesem Wetter finden können«, sagte Blanka schließlich. »Wir haben keine anderen Freunde und keinen, bei dem wir Zuflucht finden können. Unsere Pferde sind am Rande der Erschöpfung. Bitte gestatten Sie uns Einlaß, vergeben Sie uns, und gewähren Sie uns Unterschlupf.«

»Vergebung, Obdach, Schwägerschaft, Geld, Heer und Verhandlungsbeistand«, erwiderte ihr Vater. »Wir haben Ihnen Zugang zu Vordingborg gewährt, der Rest wird folgen.«

Blanka erhob sich sofort, als hätte sie keine andere Antwort erwartet. Dennoch ließ sie Margaretes Hand nicht los. Sie aber wollte viel lieber zurück in die Vorburg und endlich Håkon sehen. Er war doch auch in ihrem Gefolge. Sie mußte dafür sorgen, daß er nicht sofort wieder aus ihrem Leben verschwand.

Als sie sich gerade umdrehen wollte, um die beiden zu verlassen, traf ihr Blick den ihres Vaters, und sie gab ihr Vorhaben augenblicklich auf. Das würde er nicht billigen.

»Es ist so lange her seit meinem letzten Besuch auf Vordingborg«, sagte Blanka. »Vergeben Sie mir, aber ich kann mich nicht erinnern, wo sich die Wohngemächer der Königin befinden.« Der Gastgeber überhörte diese Anspielung und machte keinerlei Anstalten, sie hinunterzubegleiten.

»Wir haben sie nicht benutzt, seit Helvig umgezogen ist«, antwortete er in einem Tonfall, als würde er jede weitere Unterhaltung verhindern wollen. »Die Wohngemächer der Königin befanden sich in dem langen Gebäude.« Er zeigte in die Richtung des Hauses.

Blanka war nicht hoch gewachsen, aber wenn sie aufrecht stand, war sie durchaus eine imposante Erscheinung.

»Es ist doch sicherlich nicht so schlecht um sie bestellt, daß man diese Räume nicht wieder öffnen könnte für die Königin von Schweden, ihre Zofen und ihre Schwiegertochter.« Auf einmal sprach da nicht mehr eine demütige Bittstellerin.

Und schon war sie auf dem Weg zum besagten Haus, und Margarete folgte ihr, gleichermaßen verzückt und verschüchtert. Ihr Vater ließ sich von Blankas Benehmen nicht beeindrucken, aber er wußte offenbar auch nicht, wie er sie zum Schweigen bringen konnte.

In dem Augenblick, als sie beide das Haus betraten, konnte sich Margarete plötzlich erinnern. Es war, als hätte Blanka ein Buch für sie geöffnet, das sie vor langer Zeit einmal gelesen hatte. Hier hatte sie ihre ersten Lebensjahre verbracht. Sie erinnerte sich an die großen Kleiderkisten, die an den Wänden standen, an die gemalten Blumenranken, die jedes der schmalen Fenster umrahmten, und an die gelben Steine im Boden.

Blanka sah sich im Raum um und zog sich ihre feuchten und schmutzigen Überkleider und Mäntel aus, eine Schicht nach der anderen. Sie war offenbar nicht zufrieden mit dem, was sie vorfand.

»Hier müssen doch Teppiche an den Wänden hängen, schließlich ist es Winter«, sagte sie. »Irgendwo wird er sicher die schönen Möbel von früher versteckt haben. Es ist ja recht und billig, daß er hervorhebt, ein Freund des Kaisers zu sein! Aber er hat keine Zeit, sich um seine Kinder zu sorgen. Komm her, mein kleines Mädchen, sonst erfrierst du noch.«

Sie wickelte Margarete in ihren Mantel und setzte sie in eine Ecke des Raumes. Dann machte sie sich daran, die Kisten zu öffnen und nach den Wandteppichen zu suchen. Zwei junge Männer kamen herein und brachten neue Kisten, die sie in der Mitte des Raumes abstellten. Blanka rief sie zu sich und wies sie an, die verstaubten Teppiche an die Wände zu hängen und Möbel zu holen.

»Wenn ihr keine finden könnt, dann fragt euren König«, fügte sie spöttisch hinzu. So hatte Margarete noch niemanden über ihren Vater sprechen hören. Ihn fürchteten doch alle – alle außer dieser schwedischen Dame.

Bei ihrem geschäftigen Treiben in den Wohngemächern kam Blanka immer wieder bei Margarete vorbei und lächelte ihr zu. Zum Schluß ging sie vor ihr in die Hocke und legte ihre schmalen Hände auf ihre Schultern. Ihre Finger gruben sich in ihre Haut. Blankas Augen funkelten. Alle sagten, daß ihre Mutter so überirdisch schön sei, aber Blankas Gesicht war noch schöner als das der Jungfrau Maria in der Kapelle von Vordingborg. Man konnte die Augen nicht von ihr lassen. Margarete versuchte, sie zu berühren, und streckte ihre Hand aus. Die schöne zierliche Frau lachte auf, griff nach ihrer Hand und küßte ihre Fingerspitzen.

»Du wunderschönes Kind, man könnte meinen, du seist meine Tochter«, sagte sie. »Du ähnelst deinem Vater nicht im geringsten. Man würde erwarten, daß Valdemar nur große und helle Töchter bekäme. Du wirst einmal eine anmutige und reine Jungfer, aber groß wirst du wohl nie werden.«

Sie nahm einen großen Ring von ihrem Finger und legte ihn in Margaretes Hand, mit dem Gebot, ihn niemandem außer ihrem Vater zu zeigen.

»Wir haben leider so wenig zu geben«, sagte sie. »Aber ich bin so froh, daß mein Jüngster eine von Valdemars Töchtern zur Frau bekommen wird. Håkon ist so schön wie sein Vater. Ihr werdet ein wundervolles Paar. Wenn du zwölf wirst, können wir euch zum Brautbett führen. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wir brauchen dringend einen Erbfolger.«

Blanka nahm sie an die Hand und führte sie zu einer der Kisten. Sie kletterten hinauf und saßen mit ausgestreckten Beinen wie zwei Kinder nebeneinander und unterhielten sich. Margarete erzählte Blanka, was für Spiele sie spielte und daß alle ihre Spielsachen von Eberstein weggeräumt und verschenkt worden seien.

»Na ja, eine Puppe dann und wann wird der Königin von Norwegen schon nicht schaden«, sagte Blanka und lachte. »Ich werde dir alle Puppen beschaffen, die du haben möchtest. Ach, ich würde dich so gerne mit nach Tunsberghus in Norwegen mitnehmen. Dort werde ich zusammen mit Håkon wohnen. Tunsberghus gehört mir, weißt du?«

Sie erzählte und erzählte. Über Burg Akershus zum Beispiel, die sie am Anfang so an die Burg ihrer Mutter in Namur erinnert habe, wie sie da erhaben über der Stadt lag. Ihre Mutter, Marie von Artois, habe alles für sie getan, als der junge König Magnus Eriksson mit seinem Gefolge auf Brautsuche nach Namur gekommen sei. Ihre Familie habe nur gewußt, daß Namur mit Schweden viel Handel treibe. Und da stand nun der König dieses Landes in ihrem Empfangssaal. Sie habe noch nie zuvor einen so schönen Mann gesehen und wollte ihn, vom ersten Augenblick an.

Magnus habe besser getanzt als jeder Mann, den sie je zuvor getroffen habe. Am dritten Tag seines Aufenthaltes in Namur habe er sie im Rosengarten aufgesucht und sie ganz zart auf den Mund geküßt. So zärtlich. Und dann habe er um ihre Hand angehalten. Denn er wollte nicht, daß seine Ratsherren für ihn entscheiden. Er hatte sich Blanka ausgesucht und wollte auch, daß sie ihn erwählte.

Margarete lauschte ihr gebannt und verwundert. Sie hatte immer gedacht, daß alle Menschen auf dieselbe Art und Weise zueinander fanden wie sie und Håkon, daß immer die Eltern bestimmten, was gut und nützlich war. Aber sie konnte gut verstehen, daß sich Magnus in Blanka verliebt hatte. Ihre Liebesgeschichte klang wie eine wunderschöne Tanzmelodie.

Die gesamte schwedische Gesandtschaft hatte sich zum Essen in dem großen Saal versammelt. Blanka und sie gingen direkt von den Wohngemächern dorthin. Blanka schien offensichtlich davon ausgegangen zu sein, daß die vornehmen Gäste gebührend gefeiert würden, und glücklicherweise war der dänische König derselben Ansicht gewesen. Blanka hielt Margaretes Hand immer noch fest in ihrer, als sie in den Saal traten. Sie grüßte mit einem anmutigen Nicken nach rechts und links und steuerte zielstrebig zu den vornehmen Plätzen am Tischende neben dem Thron. Der eine Platz neben dem Thron blieb leer.

Margarete bekam den Platz zwischen zwei Männern zugewiesen, von denen sie nur einen kannte. Das mußten König Magnus und sein Sohn Håkon sein. Erst jetzt konnte sie sehen, wie hübsch sie alle waren, die Fremden. Nachdem ihre Mutter verschwunden war, hatte Schönheit keinen Platz mehr gehabt in der Welt ihres Vaters. Der Krieg hatte Valdemars Zeit geraubt, die Wohngemächer der Königin waren verschlossen worden, ihr Hofstaat wurde aufgelöst, und Eberstein war allein verantwortlich für Margaretes Erziehung. Es gab am dänischen Königshof keine Mätressen, keine Hofdamen und Zofen und keine jungen Frauen für ihre Erziehung und Betreuung. Jetzt erkannte sie, was ihnen die ganze Zeit gefehlt hatte. Sogar die Männer besaßen diese außergewöhnliche Schönheit, die ihr auch schon bei dem Herzog von Finnland aufgefallen war.

»Ist sie das?« fragte der jüngere der beiden Männer Blanka. Sie antwortete nur mit einem Nicken.

Erst jetzt wagte sie es, ihn anzusehen. Håkon, der sie und ihren Vater verraten hatte, von dem sie die ganze Zeit versucht hatte, sich ein Bild zu machen: Er war ein erwachsener Mann – und so schön. Er ähnelte seiner Mutter, groß, schlank und dunkel war er, aber seine Gesichtszüge waren die seines Vaters. König Magnus war ein wenig gebeugt und grauhaarig, aber seine Züge waren noch feiner als die seines Sohnes. Auch sein Blick war fest auf sie gerichtet. Sie fühlte sich von allen dreien beobachtet und begutachtet.

»Hättest du gewußt, was für ein bezauberndes Mädchen das ist, das du da verschmäht hast, hättest du doch bestimmt nicht versucht, Elsebeth von Holstein an ihrer Statt zu bekommen, nicht wahr, Håkon?« sagte König Magnus lachend.

Håkon antwortete nicht, sondern sah sie nur lächelnd an. Seine Augen waren wie die Blankas, groß, dunkel und leuchtend.

»Du hast mir einen Brief geschrieben«, sagte er und strich mit seinem Zeigefinger über ihre Hand, vom Handgelenk bis hinauf zum Nagel ihres Mittelfingers. »Ich habe dir den Rücken gekehrt, aber du hast mir trotzdem geschrieben. ›Mein teurer Herr‹ hast du geschrieben. Darf ich es überhaupt wagen zu hoffen, daß du mich immer noch als deinen ›teuren Herrn‹ ansiehst?«

Sie errötete. Eine gewaltige Hitze strömte in ihr Gesicht, es pochte in ihrer Kehle und an den Schläfen. Als sie den Kopf fortdrehen wollte, hielt er mit einer Hand ihr Kinn fest und blickte ihr in die Augen.

»Du hast mich gebeten, den Herzog von Finnland zu beschützen, als er auf der Flucht war«, sagte er. »Aber du hast auch hinzugefügt, daß ich mich so entscheiden soll, wie ich es für richtig halte. Du bist wirklich die Tochter deines Vaters.«

Er beugte sich zu ihr, schloß die Augen und küßte sie mit einem kleinen Seufzer auf die Stirn. In diesem Augenblick hätte sie alles gegeben, um endlich erwachsen zu sein. Es würden noch so viele Jahre vergehen, bis sie mannbar wäre. So lange konnte er bestimmt nicht warten.

»Was ist aus deiner Braut Elsebeth geworden?« fragte sie, denn der Name war wie ein Blitz in sie gefahren. »Hast du sie geheiratet?«

»Ach nein, das haben Gott und der Erzbischof von Lund geregelt«, antwortete Håkon leise. »Der Wind und die starke Strömung haben ihr Schiff an die Küste Schonens getrieben. Sie ist jetzt wieder zurück in Holstein, und ich bin hier bei dir.«

Sie errötete erneut, senkte den Kopf und starrte auf den Tisch. Vielleicht könnte ihr Vater dafür sorgen, daß sie schneller mit Håkon verheiratet wurde.

Noch immer sehr verwirrt, sah sie sich die Gesichter der hier Versammelten an. Heute abend waren wenigstens auch Frauen am Tisch, Blanka mit ihren zwei Zofen und Eberstein. Die übrigen Gäste waren Männer. Sie hoffte so sehr, daß ihr Vater jetzt endlich erkennen würde, was ihrem Haus fehlte.

Kristoffer fehlte.

Sie hatte ihn ganz vergessen, ihre Gedanken an Håkon hatten ihn verdrängt. Kristoffer war gleichzeitig mit ihr in Vordingborg angekommen. Vielleicht war er wieder krank geworden. Der Sommer war sehr hart für ihn gewesen. Er war bei der Überquerung des Flusses vom Pferd gefallen und hatte sich danach nicht mehr richtig erholt, war sehr kränklich und schweigsam geworden. Vater hatte ihn auch zum wiederholten Male darauf hingewiesen, daß er kein kleiner Junge mehr sei, sondern ein erwachsener junger Mann von zwanzig Jahren, der schon längst hätte verheiratet sein sollen.

Sie wollte ihren Vater nach Kristoffer fragen, aber der war in ein Gespräch vertieft. Der Anblick seines lebhaften und frohen Gesichtsausdruckes überwältigte sie vor Freude. Ja, genauso war er früher gewesen, als sie noch ein Kind war und bevor ihre Mutter krank wurde. So hatte er damals gelacht, lauthals, und mit seinem Lachen alle Gespräche übertönt. Er unterhielt sich mit Blanka in einer Sprache, die sie nicht verstand. Aber sie erkannte, daß es Französisch war. Dann hatte er doch nichts gegen Blanka, wie sie zuerst gedacht hatte. Das war gut so, jetzt hatte sie Håkon endlich wieder zurück.

»Holt die Musiker herein!« rief ihr Vater auf dänisch und erhob sich. Jetzt sah er wieder aus wie der alte König Valdemar, und das war Blanka zu verdanken. Drei kleine Männer näherten sich der Tafel mit Laute, Harfe und Trommeln. Sie verneigten sich tief vor dem König und der schwedischen Königin. Sie erhob sich nicht, sondern neigte zur Begrüßung nur ihren Kopf mit geschlossenen Augen. Sie muß sehr müde sein, dachte Margarete. König Magnus war mit den Speisen beschäftigt, doch als er die Musiker mit ihren Instrumenten sah, lehnte er sich an Blanka vorbei hinüber zu König Valdemar.

»Woher kommen Ihre Musiker?« fragte er interessiert, während Valdemar wieder Platz nahm. »Sind sie aus Paris oder Reims? Unsere letzten Musiker kamen aus Reims, nicht wahr?«

Zum ersten Mal seit Ankunft des Besuches wirkte Margaretes Vater verwirrt. Er sah zu den Musikern hin und biß sich auf die Lippen. Dann plötzlich kehrte sein Lächeln zurück, und er lehnte sich mit einer solchen Wucht auf den Tisch, daß das Holz nur so krachte.

»Ich glaube, sie stammen alle aus Randers!« rief er heiter und winkte sie herbei, um Genaueres zu erfragen.

Margaretes Blick ruhte unbeirrt auf Blankas Gesicht. Diese lehnte mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen in ihrem Stuhl, so als würde sie nichts von dem wahrnehmen, was um sie herum geschah. Aber ein Lächeln hatte sich auf ihrem Gesicht ausgebreitet. Es war eine Mischung aus Zärtlichkeit, die man für ein Kind empfindet, und leisem Spott für jemanden, von dem man weitaus mehr verlangen kann, als man es tut.

»Wie viele Pferde haben Sie bei sich?« fragte König Valdemar, während er sich das Essen munden ließ. Er kaute fröhlich drauflos und schaute erwartungsvoll zu König Magnus. Nun war es an ihm, sich ratlos im Saal umzuschauen, als sei von dort eine Antwort zu erwarten.

»Weißt du das, Blanka?« fragte er schließlich. Blanka legte ihr feines kleines Silbermesser auf den Teller, nahm ihre Serviette, tupfte damit beide Mundwinkel ab und steckte sie wieder zurück in ihren Ärmel, bevor sie anfing, alles aufzuzählen, was sie in ihrem Gefolge mit sich führten. König Magnus entfuhr ein erleichterter Seufzer, und er nahm einen großen Schluck von dem Rheinwein. Margarete beobachtete, wie er seine Augen vor Genuß schloß und bald darauf den Zeremonienmeister zu sich winkte, um den Becher auffüllen zu lassen. Blanka bemerkte das alles nicht, sie arbeitete.

Die Winterkönigin - Ein historischer Roman

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