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Die Grimm und die Pearce

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Ash ging es nach seiner heißen Dusche deutlich besser. Seine schwarze Lederjacke mit der Stoffkapuze war ruiniert. Verdammt, das war seine Lieblingsjacke gewesen und dieser elende Derek hatte sie zerrissen. Beim nächsten Mal müsste er sich, genau wie dieser Drecksack Derek in eine komplette Rüstung schmeißen. Dem Wächter graute davor, vor den Rat treten und seine Niederlage kundtun zu müssen. Wie viele des Pearce Klan hatte er schon getötet? Sechsundvierzig? Ja, das kam hin. Aber Derek, der wollte einfach nicht verrecken. Bereits zweimal war es Ash gelungen, den Pearce Sprössling stark zu verwunden, dass er hätte sterben müssen. Aber dieser Gargoyle war aus zähem Holz geschnitzt und ihm jedes Mal um Haaresbreite entkommen. Sein erbitterter Kampf mit Derek war eine Ehrensache, denn dieser war der Sohn des Anführers der Pearce. Und Ash war … na ja, er war vieles. Und genau deshalb wurde auch vieles von ihm verlangt.

Er schritt durch den unterirdischen Tunnel, seine violetten Augen konnten wie die einer Katze perfekt bei Dunkelheit sehen. Hier unten roch es modrig. Wem einmal der Keller durch einen Sturm überflutet worden war, der kannte den Geruch. Er stieg einem sofort in die Nase, kitzelte einen, trieb dort sein widerwärtiges Spiel. Und doch war der Geruch leichter zu ertragen als der von Scheiße oder Erbrochenem. Ash steuerte auf die große Holztür zu. Sie war mit vielen Schnitzereien verziert. Von oben nach unten trug sie zwölf Symbole, jedes davon repräsentierte ein Mitglied des Rates. Am oberen Ende stand das Zeichen, welches Ash am meisten fürchtete. Es zeigte eine Schlange, die einen Adler fraß und es war das Symbol seines Vaters. Viktor war das Klanoberhaupt der Grimm. Seine Regeln und seine Bestimmungen waren das oberste Gebot für alle. Ash legte seine Hand um den Türgriff und drückte zaghaft die Klinke nach unten. Drinnen wurde er bereits ungeduldig erwartet. Er betrat den Raum, der in seiner Aufmachung stark an ein römisches Auditorium erinnerte. Vier mit goldenen Blättern verzierte Säulen trugen das kuppelförmige Dach, welches pechschwarz und mit güldenen Sternen bemalt war. Stand man darunter, hatte man stets das Gefühl, in den Nachthimmel zu blicken. Die halbrunden Sitzbänke bildeten den hinteren Teil des Raumes. Dort, nach Rang und Stand geordnet, saßen die zwölf Ältesten der Grimm und blickten mit kalten Augen auf Ash hinab. Ashs Vater Viktor saß seinem Rang entsprechend ganz oben. Der Wächter trat in die Mitte. Sein Kopf war nach unten gerichtet, und genau als Ash im Mittelpunkt stand, schlug er seine Augen wieder auf und sah es, das Bild, welches auf den Verhörkreis gemalt worden war und das er zutiefst hasste, denn die Szene darauf war einer der Gründe, weshalb er hier war. Das Gemälde porträtierte in einem verblüffend echt wirkenden Akt seinen Vater Viktor und Orgun, der Ranghöchste der Pearce, die sich bis aufs Blut bekämpften, während um sie herum Waffen flogen, Äxte Schädel spalteten, ein regelrechtes Blutbad stattfand, weil aus einstigen Freunden erbitterte Feinde geworden waren. Auslöser dieser Misere war der Tod von Ashs Mutter gewesen. Die Grimm und die Pearce hatten einst friedlich miteinander koexistiert. Beide Klans der Gargoyles hatten sich ihr riesiges Reich geteilt, doch dann wurde Orgun habgierig und verlangte von Viktor, ihm seine Schätze auszuhändigen. Als dieser sich weigerte, entführten die Pearce Viktors Frau Lavendia und töteten sie. Seither befanden sich die beiden Klans im erbitterten Krieg gegeneinander. Was einst als Racheakt begonnen hatte, wurde schnell zum Territorialkrieg, denn beide Seiten kämpften seitdem ums Überleben und um die Stadt London.

Ash blickte auf, als einer der zwölf Ratsmitglieder sich räusperte. Balthasar, er saß zwei Ränge unter Ashs Vater, richtete das Wort an ihn. Der Gargoyle mit dem Gesicht wie das eines Uhus, mochte auf viele eher unscheinbar wirken. Spätestens, wenn seine tiefe Stimme durch die Hallen dröhnte, wusste man, er war nicht dezent, er war einschüchternd.

„Nun, Ash, wie lautet dein Bericht? Hast du Derek dieses Mal schlagen können?“

Ashs Antwort ging ihm nicht leicht über die Lippen, er schämte sich für sein erneutes Versagen.

„Tut mir leid, euch enttäuschen zu müssen. Aber Derek ist entkommen.“

Ein Murmeln schlich durch die Menge wie eine hungrige Raubkatze. Unbehagen setzte sich auf Ashs Schultern. Seine Augen wanderten zu dem Mann hin, der wie immer das letzte Wort hatte. Viktors elektrisierende blaue Sehwerkzeuge waren mit einer eisigen Kälte auf seinen Sohn gerichtet. Sein inzwischen ergrautes Haar war mit einem feuchten Gel in straffen Zügen nach hinten an seinen Kopf geglättet worden. So hatte er es bereits in jungen Jahren getragen, nur, dass es damals noch schwarz gewesen war.

„Er ist dir nicht entkommen, du bist geflohen“, spuckte der Anführer verächtlich aus, „glaube nicht, ich wüsste nicht um deine Lügen Bescheid. Diese Kirche und alles was sich darunter verbirgt ist mein Zuhause. Es spricht mit mir und ich weiß, dass du wieder über die Umzäunung gesprungen bist, um deine Haut zu retten. Du bist geflohen wie ein Feigling!“

Der Wächter ließ die Rüge seines Vaters über sich ergehen, jedes seiner Worte strafte seine Erfolge aus der Vergangenheit, von denen Viktor offensichtlich alle vergessen hatte oder sie nicht mehr beherzigen wollte. Ashs Augen wanderten nun zu dem Rang unterhalb seines Vaters. Von dort blickte ein smaragdgrünes Augenpaar auf ihn herab. Nicht gar so wutbrodelnd wie die seines Vaters, aber er konnte in ihnen auch keinerlei Willen sehen, dem jüngeren Bruder zur Hilfe zu kommen. Dean war dem Gesetz nach Viktors Thronfolger. Er würde in ein paar Jahren die Herrschaft übernehmen und konnte es innerlich kaum noch abwarten, bis er dieses Amt endlich tragen konnte. Allerdings war Viktor nach wie vor aktiv und er dachte im Traum nicht daran, abzudanken und seinen Sohn das Steuer zu übergeben.

„Vater, mein Misserfolg heute Nacht soll sicherlich nicht als eine Ausrede dienen. Aber Derek ist ein Hüne, er hat mich hinterrücks mit seinem Speer verletzt. Seinetwegen ist mein linker Flügel ramponiert und ich bin mal wieder mit einem Menschen kollidiert.“

„Die Menschen können uns nicht sehen, wie du weißt“, sagte Dean, seine Stimme klang schulmeisterlich „alles, was wir zurücklassen, ist Verwunderung.“

„Und der Glaube, dass London verflucht sei“, hielt Ash entgegen, „fast jeden Tag steht in irgendeiner Zeitung ein Bericht über einen Angriff aus dem Nichts. Die Menschen mögen uns vielleicht nicht sehen können, aber dafür können sie uns spüren.“

„Weshalb es umso wichtiger ist, dass wir den Krieg mit den Pearce beenden, indem wir sie vollständig vernichten. Nur so erlangen wir unsere Macht zurück und London wird dann uns gehören“, schmetterte Dean Ash entgegen.

Sein Bruder hatte bei seinem Rang leicht Reden. Als Wächter oblag die Aufgabe, den Vorderrungen des Rates nachzukommen, natürlich bei Ash und all den anderen, die diese Position innehatten. Und wie viele hatte er bereits durch den gegnerischen Klan verloren? Wie vielen hatte er schon beim Sterben zusehen müssen? Nicht zuletzt Elaine … er sah plötzlich ihr mit Blut verschmiertes Gesicht vor seinem geistigen Auge. Sah, wie der letzte Lebenshauch sie verließ und sie in seinen Armen starb. Die Frau, die er so sehr geliebt hatte. Und als er den Kummer hinunterschluckte, spürte er stattdessen etwas anderes in sich, blanker Zorn.

„Der Rat hält sich wie immer aus allem fein heraus, was Dean! Ihr könnt nur Befehle erteilen. Ihr, die ihr dort oben sitzt und spöttisch auf uns Wächter herabblickt. Aber keiner von euch hat eine Ahnung, was es bedeutet, tagtäglich sein Leben außerhalb der Sicherheitszone geben zu müssen."

DAS REICHT!“, donnerte Viktors Stimme und erzeugte ein Echo, das Gehorsamkeit aber keine Rebellion verlangte.

„Hüte deine Zunge, mein Junge. Ein jeder hier im Rat hat schon mal als Wächter gedient. Wir wissen, was für Aufgaben wir euch aufbürden und wir wissen ebenso, welche Verluste wir dabei in Kauf nehmen müssen. Es ist eine Ehre, als Wächter dienen zu dürfen. Wenn du eines Tages hier oben sitzen willst, dann solltest du härter trainieren und endlich deiner Pflicht nachkommen.“ Viktor lehnte sich zurück, seine kaltherzigen Augen waren weiterhin auf seinen Sohn gerichtet. „Bring uns Dereks Kopf, und wenn du es vermagst, dann bringst du Orguns Kopf gleich mit.“

Viktor schlug auf das Pult vor ihm, die Sitzung war beendet. Alle anwesenden Gargoyles enthüllten ihre Flügel und rauschten von ihren Sitzen hoch. Ash hörte das Schlagen ihrer Flügel, das wie ein Schwarm von Fledermäusen in einer untergehenden Sonne klang. Viktor hatte gesprochen und ihr blinder Gehorsam war das Fundament auf dem der Thron des Anführers stand. Noch nie hatte jemand gewagt, Viktors Befehle infrage zu stellen, Bedenken zu äußern oder gar zu rebellieren. In Ashs Augen waren diese Ratsmitglieder allesamt dekadente Säcke, die sich nur an ihren Reichtümern laben konnten und hofften, dass die Ratssitzungen nicht allzu lange dauerten. Die geflügelten Bestien flogen einer nach dem anderen an Ash vorbei und verließen den Saal. Im letzten Rauschen, das der Wächter an sich vorbeiziehen spürte, streifte ihn seines Vaters Verachtung und die Gleichgültigkeit seines Bruders. Ash blieb alleine zurück. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, auf das Gemälde in der Mitte. Das hätte er nicht sagen dürfen, verdammt, wieso konnte er sein vorlautes Mundwerk nicht halten? Sein Vater hatte so vieles für die Grimm getan. Aber auch ihm war es nie gelungen, Orgun zu vernichten. Er hatte ihm im Kampf ein Auge ausgeschlagen, aber seinen Kopf hatte Viktor nie als Trophäe mit nach Hause bringen können. Wieso also verlangte er es jetzt von Ash, wenn er wusste, mit welchen Waffen Orgun zu kämpfen pflegte? Der Wächter ließ den Ratsaal hinter sich. Er ging in die Bibliothek, wohin er sich gerne flüchtete, wenn er alleine sein wollte, denn in diesen Teil ihres unterirdischen Reiches kamen nur die wenigsten und jene, die überhaupt antanzten, schenkten ihm keine Beachtung, worauf er abzielte. Zwischen zwei Meter hohen dunklen Eichenschränken, die außer etlichen Schriftstücken der Zeit noch zentimeterdicken Staub beinhalteten, verkroch er sich; er fühlte sich bei dem schummrigen Licht an den Wänden wohl und dem Geruch des in Leder gebundenen Papiers. Ein Schriftstück hatte es Ash schon in seiner Kindheit angetan. Die Geschichte der Gargoyles. Der Legende nach waren die Gargoyles verflucht worden, niemals von einem Menschen gesehen werden zu können. Stellenweise war Ash dankbar dafür, immerhin war er so was wie ein Engel, nur mit den Flügeln eines Teufels. Auch das war ein Teil ihres Fluchs. Ash ging zu dem Buch, welches er immerzu aufschlug, wenn er nach hier unten kam. Es lag ordentlich wie immer aber geschlossen auf dem kleinen Altar in der Mitte des Raumes und bildete quasi eine Art Heiligtum, das die Augen beim Hereingehen auf sich lenkte, während die anderen Bücher aus Frust, nicht beachtet zu werden, vor sich hinseufzten. Seine Finger blätterten zu der Seite, an der die Geschichte der Grimm und der Pearce aufgeschrieben worden war. Wie hatte es nur so weit kommen können? Immerhin waren sie vom selben Schlag. Warum also Krieg führen? Wegen Habsucht? Hätte Viktor lieber seine Schätze hergegeben, dann würde Ashs Mutter Lavendia noch leben und keiner müsste leiden. Wieder spürte der Gargoyle Zorn in seiner Brust. Nur ein einziges Mal möchte er von seinem Vater gelobt werden. Möchte anerkannt werden für seine Taten. Er opferte viel, um den Klan der Grimm vor feindlichen Angriffen zu schützen. Ja, und sogar Derek, er kannte diesen Bastard seit seiner Kindheit, hatte viele Stunden mit ihm verbracht. Derek war älter als Ash, er hatte ihm vieles beigebracht, weshalb es den beiden wohl schwer viel, sich gegenseitig zu töten. Und Orgun, er hatte mit Viktor gelacht, hatte Brot und Wein mit ihm geteilt. Doch dann waren aus Freunden plötzlich Feinde geworden. Was als gemeinsames Schicksal begonnen hatte, war durch das Streben nach mehr Reichtum geopfert worden wie ein Lamm in einem heidnischen Ritual. Mehr als zweihundert Jahre waren seit der Ermordung seiner Mutter vergangen und Ash konnte nur auf ein Leben in Dunkelheit zurückblicken. Krieg und Zerstörung begleiteten ihn seither wie zwei Wachhunde und würden ihn immer daran erinnern, welchen Rang er innerhalb des Klans hatte. Er und Derek waren in ihrer Jugend beide zu Wächtern ausgebildet worden. Der einstige Grundgedanke hinter diesem Posten war simpel gewesen. Als Wächter hatte man dafür zu sorgen, dass die Menschen den Gebieten der Gargoyles nicht zu nahe kamen. Die erste Legion an Wächtern hatte goldene Rüstungen getragen, die von dunkelblauen Ornamenten gekrönt waren. Ihre Helme mit den schmalen Sehschlitzen boten schon damals optimalen Schutz für den sensiblen Kopfbereich. Diese Rüstungen verrotteten inzwischen in den Kellergewölben des Grimmklans. Ihre Kampftechniken hatten sich ebenfalls weiterentwickelt. Zumeist bewaffnet bis an die Zähne, kämpften die Wächter inzwischen nicht mehr dafür, von den Menschen in Ruhe gelassen zu werden, sondern sorgten dafür, dass die Zahl des gegnerischen Klans immer weiter schrumpfte. Es war eine Blutfehde, deren Schrecken nicht enden wollte und die indessen viele Gesichter angenommen hatte. Ashs sowie Dereks Aufgabe lag demnach darin, Ausschau nach dem Feind zu halten, ihn kalt zu machen und weitere Gebiete Londons zurückzufordern. Denn nach Lavendias Tod hatten die beiden Klans sich innerhalb der Stadt in alle Richtungen verteilt. Manche Verstecke waren bekannt, wiederum andere galt es noch zu entdecken. Das war der Punkt, an dem die Wächter ins Spiel kamen, denn der Krieg zwischen den Grimm und den Pearce war auch ein Territorialkrieg. Erst letzten Monat hatten Ash und sein Team einen kleinen, stillgelegten U-Bahn Schacht von den Pearce befreien können. Doch vier Wochen zuvor hatten sie ihren Außenposten unterhalb des Museums of Art verloren. Und vor neun Jahren da war es geschehen. Ash spürte wieder die Kälte in seinem Herzen aufkommen, den Kummer, der ihn drohte zu zerbrechen. Elaine. Jeder Buchstabe in ihrem Namen schmerzte ihn so sehr. Er hatte sie geliebt, doch dann war sie in seinen Armen gestorben. Der Trupp der Wächter hatte den Pearce eine Falle gestellt, die sich gegen sie gewandt hatte. Und wieder sah Ash ihren sterbenden Körper vor seinem geistigen Auge. Er blätterte schnell weiter, um sich abzulenken und kam zu den beiden fehlenden Seiten. Jemand klappte ihm das Buch vor der Nase zu; es war Dean.

„Was machst du hier?“, keifte ihn sein Bruder wie ein tollwütiger Hund an.

„Ich lese“, antwortete Ash ihm ruhig. Er wusste, dass Dean manchmal hitzköpfig war. Als sie noch Kinder waren, hatte Ash seinen Bruder in fast jedem Kampf geschlagen. Dean hasste ihn dafür, dass er, als sein ältester Bruder, von Ash übertroffen worden war. Aber Deans Fähigkeiten beliefen sich auf etwas anderes. Daher war er in noch jungen Jahren als oberster Schriftführer in den Rat berufen worden. Normalerweise oblag dieser Posten nur den Ältesten. Aber Viktor hatte es so gewollt.

„Was willst du, Dean?“

„Vater schickt mich, dich zu holen. Du weißt es ist Essenszeit.“

Unter den Kathedralen der Westminster Abbey Church hatten sie ihr Zuhause. Dort unten hatte sich das Volk der Grimm eine wahre Stadt erbaut. In der großen Halle saßen sie am Abend zusammen und teilten die Speisen miteinander. Ash folgte Dean den Flur entlang, der zum Saal führte. Fackeln tanzten an den Wänden, ihr warmes Licht brach sich an den Stellen, wo sie keine Chance gegen die Finsternis hatten. Ganz vorne saß Viktor als Klanoberhaupt und trank Wein aus einem verzinkten Becher. Er unterhielt sich mit Vlad, einem der Ältesten. Vlad sah furchteinflößend aus, mit seinem kreisrunden Gesicht wie das eines Kürbis, in dem kreisrunde, aber hohle Augen lagen. Sie waren immerzu rot umrandet, es lag vermutlich an seinem zu hohen Weinkonsum. Ash verglich ihn gerne mit einem aufgedunsenen Zombie, der zu lange im Wasser gelegen hatte. Der Wächter lief durch die Reihen, als er plötzlich festgehalten wurde.

„Hi Ash“, piepste Jessica ihm zu und berührte ungeniert seine Hand.

„Hallo Jessica“, seufzte Ash leicht genervt. Er hatte nichts gegen sie, eigentlich mochte er sie, auch wenn sie ihm zuweilen zu sehr auf den Leim rückte. Sie war seine Nervensäge und ja, Jessicas Aussehen war nicht von schlechten Eltern. Ihr platinblondes, langes Haar fiel ihr in glatten Strähnen vom Kopf. Sie hatte eine liebliche Art, konnte aber schlagartig zum Biest werden, wenn man sie reizte. Und, das musste Ash zugeben, ihre Brüste hingen wie süße, reife Äpfel von ihrem Körper und sie gewährte durch das Tragen von körperbetonten Shirts gerne einen Blick darauf. Aber heute war dem Wächter nicht zum Flirten zumute. Erstens lag ihm die Rüge seines Vaters noch bitter auf, zweitens hatte er ein schlechtes Gewissen Elaine gegenüber, denn sein Herz wollte sie nicht vergessen. Und drittens war ihm unwohl bei dem Gedanken, dass Jessica sich nur seinetwegen zur Ausbildung als Wächterin gemeldet hatte.

„Na, wo hast du dich heute rumgetrieben?“, fragte sie ihn und holte ihn damit aus seiner Gedankenspule.

„Ich …“, setzte er an zu antworten, wurde aber schon im nächsten Augenblick von Dean gepackt und weiter nach vorne geschliffen.

„Wir reden später, okay?“, rief er Jessica noch rüber, aber er sah nicht mehr, wie sie ihren Daumen zum Zeichen ihres Einverständnisses hob.

Viktor stellte seinen Becher ab und entließ Vlad mit einer Handbewegung aus ihrem Gespräch. Dieser stand auf und verschwand.

„Setzt euch“, wies Viktor seine Söhne an.

Ash nahm an seinem rechtmäßigen Sitz Platz, während Dean sich direkt neben seinen Vater gesellte. Zwischen Viktor und Ash war ein Sitzplatz frei.

„Wo ist eure Schwester?“, zischte das Klanoberhaupt ungehalten hervor.

Zwischen all der Aufregung hatte Ash nicht bemerkt, dass seine ältere Schwester Freya nicht anwesend war.

„Du kennst doch Freya, Vater, in ihr lebt eben der Geist unserer Mutter“, versuchte Dean seinen Vater zu beruhigen, der seinerseits die Frage weniger an seinen ältesten Sohn, sondern vielmehr an Ash gerichtet hatte. Wieder war der Wächtergargoyle den anmaßenden Blicken seines Erzeugers ausgeliefert.

„Ich habe keine Ahnung, wo sie sein könnte“, gab Ash ermüdet zur Antwort.

„Na, dann such sie gefälligst! Es ist schon spät, sie sollte längst zurück sein. Bestimmt ist sie bei einer unserer sicheren Plätze. Am besten fliegst du rüber zur St. Paul’s Cathedral und siehst nach, ob sie sich dort aufhält.“

Ash war wütend. Er hatte nicht einmal die Chance bekommen, sich ordentlich hinzusetzen und nach einem harten Tag etwas zwischen die Zähne zu kriegen. Jetzt musste er auch noch nach seiner abenteuerlustigen Schwester suchen gehen. Er stand auf, sein Stuhl quietschte mit dem missgünstigen Ton, den er beabsichtigt hatte zu erzeugen, über den Boden. Viktors Haltung hatte ihm zu verstehen gegeben, wo sein Platz war und was verdammt noch eins seine Aufgabe war. Erneut den Babysitter für seine Schwester zu spielen.

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