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Die Kritische Patriarchatstheorie

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Die Zweite Frauenbewegung benannte zwar die fundamentalen Probleme im Geschlechterverhältnis, konnte aber keinen radikalen Wandel herbeiführen. Um zu verstehen, warum die „Frauenfrage“ nicht gelöst wird, sondern sich ganz im Gegenteil die Lage der Frauen verschlechtert, ist es nötig, neue analytische Hilfsmittel zu entwickeln. Die akademische Forschung trägt dazu bei, dass wissenschaftliche Fragestellungen meist unzulänglich bleiben. In Psychologie, Soziologie und Politikwissenschaft werden Studien zur Familie im Zusammenhang mit der Vereinbarkeitsfrage durchgeführt (z.B. Rille-Pfeiffer et al 2007a), aus pädagogischer und therapeutischer Sicht oder zu Fragen der Funktionalität von Familie. Diese Ansätze sind meistens deskriptiv, entstammen einer einzelnen Disziplin und sind unpolitisch.16 Es fehlt hier nicht nur der umfassende, also interdisziplinäre Blick, sondern auch die Erkenntnis, dass die Familie unter bestimmten Zwängen steht und untersucht werden muss, welchen politischen und ökonomischen Interessen sie dient.

Die Abwesenheit adäquater Antworten in feministischer und politischer Theorie führte zur Entwicklung der Kritischen Patriarchatstheorie (KPT) durch die Innsbrucker Schule17, die frühere feministische theoretische Entwicklungen der späten 1970er-Jahre weiterentwickelt und systematisiert. Ziel ist eine systemische Meta-Theorie (Werlhof 2015, Projektgruppe 2009), durch die Zivilisation in allen ihren Dimensionen begriffen werden kann. Indem man ihre analytischen Werkzeuge anwendet, zeigt sich, dass Politik und Ökonomie auf die dauerhafte Zerstörung der existierenden Natur und der Menschen selbst zugunsten einer angeblich besseren künstlichen Neuschöpfung aufbauen. Die KPT erklärt auch, woher die Wahnidee einer sogenannten „modernen und progressiven“ Welt kommt, wo doch der sogenannte „Fortschritt“ nur durch Schock und Zerstörung (N. Klein 2007), also durch Gewalt durchsetzbar ist.

[37] Die Kritische Patriarchatstheorie (KPT) zeigt, wie oben bereits skizziert, etymologisch, wie der Begriff Patriarchat aus dem Lateinischen „pater“ (Vater) und dem griechischen „arche“ zusammengesetzt ist, das drei verschiedene Bedeutungen besitzt (Gemoll 1965). Es ist mit „Herrschaft“ übersetzbar, aber auch mit „Anfang“ und „Beginn“. Der Vater wollte der Mutter also ihren Platz streitig machen, denn sie ist der Beginn, der Anfang, aus dem alles kommt. Dies geschah historisch früh in rechtlicher und institutioneller Form, aber durch Symbole und Mythen – wie dem vom Vatergott Zeus, der Athene „aus seinem Kopf gebiert“. Was die historisch jüngere Version dieser griechischen Sage – die sich im Laufe der Jahrhunderte stark verändert hat (Ranke-Graves 1993) – unterschlägt, ist nämlich die Tatsache, dass der Vater-Gott vor seinem angeblichen Gebären die mit ihrer Tochter schwangere Göttin Metis verschlungen hatte (Mulack 2015). Das Auslöschen der Mutter gelingt also nicht wirklich. Das angebliche „Leben-Schaffen“ des Patriarchats hängt vom Absorbieren mütterlicher kreativer Potenz und Materie ab.

Nach Werlhof ist die Alchemie die – fälschlich nur in der Antike und im Mittelalter verortete – Methode, um die Idee der „Verbesserung der Welt“ zum „Großen Werk“ materiell umzusetzen. Die Idee der alten und neuen Alchemisten ist das Auseinandernehmen und Wieder-Zusammensetzen von Natur, wobei die lebendige Welt „mortifiziert“ (Werlhof) wird. Es wird also eine Leere, eine „tabula rasa“ hergestellt, die dann künstlich befüllt und ersetzt werden kann. Am Beispiel der Gestalt der Mutter wird dies besonders klar. Wie Paracelsus das „Elixier des Lebens“ – oder den „Stein der Weisen“ – finden wollte, um den „Homunculus“ zu kreieren, versuchen moderne Alchemisten mithilfe der Reproduktionstechnologie die mütterliche Essenz in den Körperteilen der Mutter zu finden, um selbst daraus „Neues“ zu erschaffen.

Alle modernen alchemistischen Verfahren versprechen das Gleiche wie die antike Alchemie: Reichtum, Glanz und Gold in Ewigkeit, militärischen Erfolg, technologische Überlegenheit, Kontrolle, Beherrschung und Ersetzung von Mensch, insbesondere Frau, und Natur durch „Höheres“, ewige Jugend, Schönheit, Potenz, Gesundheit, Langlebigkeit, gar Unsterblichkeit – das Gute, Wahre und Schöne für alle – den angeblich besseren, perfekten und vollkommenen, von aller Schuld befreiten, gänzlich entwickelten „neuen Menschen“. (Werlhof 2010, 34)

In diesem Buch soll gezeigt werden, welche Rolle der Kleinfamilie in der patriarchalen alchemistischen Prozedur zukommt. Was bedeutet sie für die Sozialisierung des Menschen, und warum ist ihr – angebliches – Funktionieren [38] für Ökonomie und Politik so bedeutsam? Ich werde der Frage nachgehen, wie die skizzierten patriarchalen Prinzipien von Herrschaft, Entsolidarisierung und Isolierung funktionieren und welche Folgen sie für die „Menschenproduktion“ haben.

Das Versagen der Kleinfamilie

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