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Der öffentliche Diskurs

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Der öffentliche Diskurs ist von zwei Themen geprägt: Das eine ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, also die ökonomische Seite, und das andere sind die Fortpflanzung, die Geburtenraten und deren politische Implikationen.

In jüngster Zeit gibt es eine Reihe von Publikationen von berufstätigen Frauen, die die Propagierung der berufstätigen Mutter kritisch unter die Lupe nehmen. Dass Frauen „alles haben können“ (z.B. Sandberg 2013) bestreiten mittlerweile andere (Slaughter 2016). Von liberaler feministischer Seite wird wiederum der Verzicht auf die Mutterschaft vorgeschlagen: „Mutter sein. Nein danke“ titelt Emma im Frühjahr 2016 (Emma März/April 2016). Nur [40] Kinderlosigkeit bewahre vor Benachteiligung und Überforderung oder Zynismus: statt der „Übermutter“ setzt sich Emma für die „Rabenmutter“ ein. Allerdings wird eingeräumt, diese Haltung schütze auch nicht gegen den politischen und populären Zwang, dass jede Frau Mutter sein müsse.

In Europa wird die sozialdemokratische Ansicht, in den USA der liberale Feminismus vertreten, die annehmen, Arbeit und Karriere würden zur Frauenbefreiung beitragen. Die Gender-Mainstreaming-Programme der EU sollen dazu dienen, „Gender Equality“ herzustellen; in der Praxis werden damit Frauen den Europäischen Verträgen19 unterworfen, die einzig dem ökonomischen Wachstum der EU und ihrer „Wettbewerbsfähigkeit“ – hauptsächlich gegenüber den USA und China – dienen. D.h., ein solches Verständnis von Feminismus bedeutet Gleichheit mit Männern um jeden Preis, ohne die ökonomische Agenda des Neoliberalismus, seine Regeln und Praktiken, zu hinterfragen (vgl. Kap. 3).

Die „Reproduktion“, also Mutterschaft und Fortpflanzung, kommt an drei Punkten zur Sprache: Erstens haben sich die Debatten rund um den Schwangerschaftsabbruch zu Schlachtfeldern entwickelt, wo schwangere Frauen bedroht und Ärztinnen/e und Krankenschwestern ermordet werden. In den USA hat ein skrupelloser Lobbyismus Einzug gehalten, der Abtreibungen um jeden Preis verhindern will. In mehr und mehr amerikanischen Staaten und Ländern Osteuropas werden eine Vielzahl von Verordnungen zum Thema vorgeschlagen. Zum Beispiel haben die Abtreibungsgegner/innen der „Americans United for Life“ 2015 innerhalb der ersten fünf Monate mehr als 300 Verordnungen in 45 US-Staaten initiiert20. Die neue US-Regierung plant derzeit überhaupt die Abschaffung der Straffreistellung.

Die in den 1970er-Jahren begonnene Diskussion um die Abtreibung führte zur Einführung einer liberalisierten Gesetzgebung in ganz Westeuropa (Tazi-Preve/Roloff 2002). Diese neue Gesetzeslage brachte aber keineswegs ein Ende der Diskussion, wie Frauen damals hofften; im Gegenteil erfolgte bald ein Backlash, und die Opposition durch christliche Gruppen wird seit zwei Jahrzehnten durch militante Organisationen (Human Life International u.a.) abgelöst. Und seit 1989 wird auch in Osteuropa die bereits in den 1950er-Jahren legalisierte Abtreibung heftig bekämpft.

[41] Die zweite Debatte dreht sich um die niedrigen Geburtenraten in Europa seit den 1980er-Jahren. In Süd- und Osteuropa sind diese besonders niedrig und auf bis zu ein Kind pro Frau geschrumpft. Die deutschsprachigen Länder liegen seit einiger Zeit auf dem gleichbleibend niedrigen Niveau von ca. 1,4 Kindern pro Frau. Müttern wird seither nahegelegt, „ihren Pflichten“ nachzukommen. Die Entwicklung führte zu einer neuen Bevölkerungspolitik, die aber nicht als solche benannt wird.21 Politik, Medien und Ökonomie pochen auf die Norm der Zwei-Kind-Familie. Eine höhere Produktion von „Menschenmaterial“ soll Staat und Wirtschaft stärken.

Zum dritten hat sich im Kontext der reproduktiven Technologien das Sprechen über den mütterlichen Körper und ihre Zeugungsfähigkeit in den letzten Jahrzehnte dramatisch verändert. Der neoliberale Zugang, der alles als Ware ansieht, wurde zum Allgemeinverständnis und führte dazu, dass Frauen auch den eigenen Körper als Ware begreifen und die Sprache der Reproduktionstechnologien auf sich selbst anwenden. Dann ist die Rede von „Rechten“ (ein Kind zu haben) und „Wahlmöglichkeiten“ (eines in Besitz zu nehmen):„by using the reproductive liberal language“22 (R. Klein 2015, 163) wurde der Weg bereitet, aus Frauen „body shops“ zu machen. Auch hat die Technologisierung der Mutterschaft ein komplett neues Verständnis des mütterlichen Körpers hervorgebracht, mit dem Ziel, ihn durch künstliche Zeugung (In-vitro-Fertilisation) und unabhängiges Austragen des Kindes (Leihmutterschaft etc.) zu ersetzen.

Das Versagen der Kleinfamilie

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