Читать книгу Das Versagen der Kleinfamilie - Mariam Irene Tazi-Preve - Страница 18
Meine These und die feministische Forschung zur Mutterschaft
ОглавлениеMeine These ist, dass die heutige Mutterschaft, die ich „patriarchale Mutterschaft“ (Tazi-Preve 2004) nenne, auf dem historischen Muttermord basiert (Tazi-Preve 1992) und ein Kunstprodukt ist, dessen Ziel die technologische Abschaffung der Mutter ist. In meinen frühen Arbeiten habe ich gezeigt, dass die Mutter in Mythologie, Religion und Psychologie sowie durch die Instanzen und Vertreter/innen der Medizin, Rechtsprechung und Politik abgeschafft wird und der Vater sich als angeblicher Schöpfer an ihre Stelle setzt. Wichtig zum [42] Verständnis ist es, dass die (patriarchale) Mutter (noch) am Leben ist, da sie als Schwangere, als Betreuungsperson und als Arbeiterin weiterhin gebraucht wird. Die Bedingungen und Zwänge aber, denen sie unterliegt, sind Resultat eines historischen Verwandlungsprozesses. Die patriarchale Mutter befindet sich in der „Mutterfalle“, in der sich jede Option als nur vermeintliche entpuppt.
Je länger ich mich mit der patriarchatskritischen Herangehensweise an die Mutterschaft befasste, desto klarer wurde die Erkenntnis, dass die Geschlechter-/Genderforschung nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist. Mehrere Trends haben das heutige Bild der Mutter produziert. Der eine ist der Kurs, den der Feminismus in der Theorie genommen hat. Als das postmoderne Konzept, mit Michel Foucault an der Spitze, in die feministische Theorie Einzug hielt, wurde die feministische Sozialwissenschaft völlig ausgehebelt. Judith Butler (1990) hat die Theorie der Gender-Performativität entwickelt, die jegliche Naturhaftigkeit des weiblichen Körpers bestreitet und so das kollektive Verständnis von Frau verunmöglicht. Meines Wissens gibt es keine parallele Entwicklung, die gleichermaßen die Abschaffung der Männer zum Ziel hat. In der universitären Forschung ist seither der Trend zu verzeichnen, das „Frauenproblem“ zu individualisieren, die systemische Sichtweise abzublocken und keine Fragen zum Machtungleichgewicht, also zu den sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen mehr zu stellen. In einer geschlechtsneutralen Welt wird der politische Aktivismus gegen strukturelle Ungerechtigkeit und Gewalt verunmöglicht, die „Frauenfrage“ wird zum rhetorischen Problem und der Feminismus verliert seine transformative Kraft.
Der praktische politische Diskurs wiederum, also die nationale Frauenpolitik der einzelnen Länder, wird von liberalen und sozialdemokratischen Feministinnen dominiert. In beiden Ansätzen wird die Berufstätigkeit als Garant für Freiheit propagiert und die Mutterschaft bleibt Privatsache. Dass sich die Frauen seit 40 Jahren unausgesetzt anstrengen, hat sich aber immer noch nicht gelohnt – sie verfügen weder über dieselbe Einkommenshöhe noch über dieselben Positionen wie Männer und sind daher in Sachen Finanzen, Macht und Einkommen unverändert benachteiligt. Langsam wird dies auch manchen Gleichheits-Anhängerinnen klar. In einem Time-Artikel schreibt Kristin van Ogtrop, Anne-Marie Slaughter (2016) zitierend: „I see that system itself as antiquated and broken“23 und kommt zu der Einsicht, dass es doch [43] etwas anderes geben müsse als das „Männerklüngeln am Abend und am Golfplatz“24. Solche Schlussfolgerungen tun den Gender-Mainstreaming-Politiken der EU aber keinen Abbruch. Im Gegenteil.
In einer unheiligen Allianz liberaler, sozialdemokratischer und gendertheoretischer Ansätze dominieren Themen zu „Intersektionalität“ und „Identitätstheorie“ den akademischen und politischen Diskurs. Frauenforschung wurde ersetzt durch Gender Studies und neuerdings durch „Sexuality Studies“, die sich mit der sexuellen Orientierung beschäftigen. Durch diese Veränderung wird die feministische Bewegung entschärft und zersplittert. Gelder fließen nun in apolitische Forschung zur „Gender-Frage“ und Themen der sexuellen Identität. Die laufenden Debatten um die Ehe für homosexuelle Paare fungieren dabei als Ablenkungsmanöver von den sich real verschärfenden Entwicklungen für Frauen im Patriarchat.
Das Mutterbild war historisch immer mit der herrschenden Wirtschaftsordnung verknüpft. Wenn eine Welt kreiert wird, in der jegliche soziale Verantwortung, Gegenseitigkeit und Solidarität verlorengeht, kommen auch die Bereiche unter Druck, wo Frauen das Zentrum eines Netzes sozialer Beziehungen sind. Diese mütterliche Kultur entsteht ab dem Tag der Geburt des Kindes, indem Zeit miteinander verbracht wird, wo gekocht und miteinander gegessen wird, durch Handarbeit und Handwerk, durch das Kreieren von Zirkeln und Räumen. All dies soll dem Verständnis einer Welt der Profitmaximierung weichen, indem die Mutter auf ihre Funktion der Menschenproduktion und -betreuung reduziert wird. Wie zu sehen sein wird, stellt die Mutter in der neoliberalen Welt den essentiellen Teil der zur Familien-Maschine transformierten privaten Welt dar.