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Vorwort von ProSpecieRara

Liebe Leserin, lieber Leser

Wenn sich zwei Menschen begegnen, die sich nicht kennen, dann werden sie sich gegenseitig sehr schnell folgende Fragen stellen: «Wie ist Ihr Name und woher kommen Sie?» Dies sind die grundlegenden Fragen nach der eigenen Identität. Bei den Nahrungspflanzen wird diese Identität weitgehend über den Sortennamen definiert. Hinter dem Sortennamen kann entweder ein Ort stehen oder ein Züchter, der seiner neuen Kreation einen Namen gegeben hat. Mit der Sorte sind bestimmte Eigenschaften verknüpft, die diese Sorte von einer anderen unterscheiden. Zu dieser Form der Identifizierung gehört auch, dass Geschichten entstehen, die von Generation zu Generation weitererzählt werden. Sortennamen sind damit auch häufig Ausdruck von inniger Verbundenheit zwischen Mensch und Nahrungspflanze. Denn je mehr Namen ein und derselben Sorte gegeben wurden, desto höher war die Wertschätzung, die man dieser entgegenbrachte.

Wenn wir unseren Einkaufswagen durch einen der Supermärkte schieben, dann werden wir erschlagen von der Vielfalt des Angebots. Auf den Gemüseregalen liegen Tomaten, Zucchini, Auberginen und Paprika schön drapiert in Reih und Glied. Wer sich nun auf die Suche macht und Genaueres über deren Identität im oben erwähnten Sinn erfahren möchte, der prallt auf eine Mauer des Schweigens. Eine gesichts- und charakterlose Einheitlichkeit starrt einem aus den Regalen entgegen. Ein Zeichen, das beispielsweise auf die wirkliche Identität der entsprechenden Tomatensorten hinweisen würde, sucht man meist vergeblich. Sollte doch einmal eine Namensbezeichnung auf der Packung stehen, so ist wiederum Vorsicht geboten, beschreibt diese doch häufig nicht die Sorte selbst, sondern eine beliebige Marke, die im Besitz eines Agrarkonzerns ist und keine bestimmte Tomatensorte benennt. Kurz: Es wird von der Nahrungsindustrie so einiges dafür getan, dass die Identität unserer Nahrungspflanzen für uns Kunden schwer zu ermitteln ist und das Angebot immer gesichtsloser und damit austauschbarer wird.

Das Verschwindenlassen der Identität hat System und führt schliesslich zur Entmündigung des Kunden. Denn diesem wird die Möglichkeit genommen, sich allzu sehr mit einer bestimmten Sorte zu verbinden, immer wieder nach dieser Sorte im Angebot zu suchen und nach ihr zu verlangen. Eine solche «Sortentreue» stünde im Gegensatz zum Zeitgeist und zum Diktat des Marktes, der immer Neues produzieren will und muss, da Patente und Sortenschutz bei den angebotenen Nahrungspflanzen nach rund fünfundzwanzig Jahren auslaufen und es dann für die Industrie an der nun ungeschützten Sorte nichts mehr zu verdienen gibt. Also muss eine neue, wiederum geschützte Sorte her, und der Kunde soll nun diese kaufen – müssen. Um die Einführung neuer Sorten zu erleichtern, liess man nach und nach die Sortennamen aus den Regalen verschwinden und stahl den Sorten so ihre Identität und dem Kunden damit die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, welche Sorte er gerne auf seinem Teller haben möchte.

Genau hier setzt die Arbeit von ProSpecieRara und Arche Noah sowie weiterer Erhalterorganisationen an. Mit der Publikation dieses Gemüselexikons sollen die vielen traditionellen und alten Sorten ihre Identität wieder zurückerlangen. Hier werden sie mit ihren Namen, mit ihren spezifischen Eigen schaften und mit einem typischen Sortenbild festgehalten. Zusätzlich handelt es sich jeweils um Sorten, die mithilfe von Sortendatenbanken aufspürbar und damit heute noch erhältlich sind. Sie sind samenfest und damit für jeden, der etwas von der Samenvermehrung versteht, reproduzierbar. Durch den Einsatz von vielen professionellen und privaten Saatgutproduzenten wird die Geschichte dieser Vielfalt weitergeschrieben. Damit nehmen die Verbraucher ihr Selbstbestimmungsrecht in Anspruch und stellen wieder eine direkte Beziehung zu ihren Nahrungspflanzen her. Das vorliegende Gemüselexikon ist somit ein Meilenstein gegen das Vergessen und dokumentiert eine aktuelle Momentaufnahme der Evolutionsgeschichte der Gemüsevielfalt, die noch lange nicht zu Ende geschrieben ist und an der sich möglichst viele Menschen beteiligen sollten. Dafür werden sich ProSpecieRara und Arche Noah auch in Zukunft einsetzen.

Béla Bartha

Geschäftsführer ProSpecieRara

Das Lexikon der alten Gemüsesorten

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