Читать книгу Dr. Daniel Paket 2 – Arztroman - Marie-Francoise - Страница 15

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»Was sagst du zu diesem hier?« fragte Sabrina Harderborn und drehte sich in dem traumhaft schönen Cocktailkleid aus schwarzer und pinkfarbener Seide vor ihrer Freundin Mareike Kosian.

Haß und Neid loderten in Mareikes eisgrauen Augen, doch Sabrina war zu sehr mit der Anprobe beschäftigt, um es zu bemerken.

»Ich weiß nicht so recht«, entgegnete Mareike. »Ich finde, es läßt dich alt aussehen… älter als du bist.«

Sabrina blieb vor dem Spiegel stehen und betrachtete sich eingehend. Das kräftige Pink harmonierte gut mit ihrem dunkelblonden Haar, das beruhigende Schwarz ließ die andere Farbe nicht aufdringlich wirken. Dar-über hinaus betonte das enganliegende Oberteil des Kleides Sabrinas grazile Figur, während der duftige, nicht zu lange Rock ihre wohlgeformten Beine vorteilhaft zur Geltung brachte.

»Also, ich finde, es steht mir gut«, urteilte Sabrina schließlich.

Mareike zuckte die Schultern. »Warum hast du mich eigentlich gebeten mitzukommen, wenn du auf meine Meinung doch keinen Wert legst.«

Sabrina drehte sich noch einmal vor dem Spiegel, dann sah sie Mareike an, und ihr Lächeln war im Gegensatz zu dem der Freundin aufrichtig.

»Weil du meine beste Freundin bist«, antwortete sie schlicht. »Und weil ich auf deine Meinung sehr wohl Wert lege. Allerdings…« Sie betrachtete sich wieder im Spiegel. »Ich glaube, diesmal werde ich mich auf meinen Instinkt verlassen müssen. Ich fühle mich wohl in diesem Kleid, und ich bin sicher, daß es Patrick gefallen wird.« Sie seufzte glücklich. »Ich freue mich schon so auf unsere Verlobungsfeier. Meine Eltern wollten ja eine riesige Gesellschaft geben, aber Patrick und ich möchten lieber im kleinen Kreis feiern. Nur ein paar Freunde und Verwandte – nicht mehr als zwanzig Personen.«

Sabrina wollte mit diesen Worten nicht angeben. Sie war in einer riesigen Villa aufgewachsen und hatte ein Leben lang Bedienstete gehabt. Ihr erstes Auto hatte sie mit Chauffeur geschenkt bekommen. Der Reichtum stellte für sie nichts Besonderes dar.

Mareike, die bereits seit der Schulzeit voller Neid auf Sabrinas gehobenen Lebensstandard geblickt hatte, fühlte wieder einmal unbändigen Haß in sich aufsteigen. Warum mußte Sabrina alles haben? Reichtum, Luxus und auch noch Patrick – den begehrenswertesten Mann, den Mareike je kennengelernt hatte! Und das Schlimmste war, daß er sie wirklich liebte. Hätte er sie nur des Geldes wegen geheiratet, wäre Mareike weniger verbittert gewesen. So aber wurde ihr Haß auf Sabrina immer größer und der Wunsch, etwas in ihrem Leben zu zerstören, immer drängender. Es gab Tage, da konnte Mareike an nichts anderes mehr denken, und auch jetzt schwor sie sich, daß es für Sabrina und Patrick keine gemeinsame Zukunft mehr geben soll-

te.

*

Tobias Scholz wußte, daß es nichts Gutes bedeuten konnte, wenn er allein zu seinem Vater gerufen wurde. Seit Patrick im Begriff war, in die steinreiche Familie Hardenborn einzuheiraten, galt Tobias im Hause Scholz nichts mehr. Er wurde gerade noch geduldet, und aus dem recht vorwurfsvollen Blick, mit dem sein Vater ihn bedachte, konnte er herauslesen, was der alte Scholz dachte: Such dir auch eine Frau, die mit Sabrina mithalten kann!

Doch Tobias wollte nicht eine Frau, die mit Sabrina mithalten konnte – er wollte Sabrina selbst. Er wollte sie, seit er sie das erste Mal gesehen hatte, und jedesmal, wenn er seinen Bruder mit der bezaubernden jungen Frau sah, fühlte er einen Stich im Herz, der so schmerzhaft war, daß Tobias glaubte, daran sterben zu müssen.

Als der junge Mann nun das Büro seines Vaters betrat, bemerkte er sofort dessen ernsten Gesichtsausdruck, was sein ungutes Gefühl noch verstärkte.

»Du hast mich rufen lassen, Papa?« fragte er, und in seiner Stimme schwang ein eigenartiger Unterton mit.

»Setz dich, mein Sohn«, erklärte Hubert Scholz kalt. Patrick war jetzt sein Lieblingssohn, daraus machte er kein Geheimnis. »Ich habe dich und deinen Bruder in den letzten Monaten auf die Probe gestellt, weil ich nicht sicher war, wem von euch beiden ich die Leitung des Unternehmens einmal übertragen soll, wenn ich mich zur Ruhe setze, und das wird vermutlich schon Ende nächsten Jahres sein.« Er schwieg einen Moment. »Schließlich will ich genügend Zeit haben, um denjenigen, den ich ausgewählt habe, auf seine künftige Aufgabe vorzubereiten.«

Tobias lehnte sich auf dem Stuhl zurück und betrachtete seinen Vater aus zusammengekniffenen Augen. Er wußte genau, welche Entscheidung er getroffen hatte.

»Du mußt nicht lange um den heißen Brei herumreden, Papa«, entgegnete Tobias und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie enttäuscht er war. »Ich weiß genau, daß deine Wahl auf Patrick gefallen ist, obwohl er der jüngere von uns beiden ist.«

»Das ist richtig«, meinte der alte Scholz. »Er ist der jüngere, aber auch der bessere von euch beiden, und ich erwarte, daß du meine Entscheidung respektierst.«

Tobias erhob sich abrupt. »Was bleibt mir anderes übrig?« Er wandte sich zur Tür, doch dort drehte er sich noch einmal um. »Weiß er es schon?«

»Nein«, antwortete Hubert Scholz. »Er wird es noch früh genug erfahren.«

Tobias wußte, warum sein Vater zögerte. Es gefiel Patrick überhaupt nicht, bevorzugt zu werden. Tobias war zwar zeitlebens neidisch auf Patrick gewesen, doch er hatte immer versucht, es seinen Bruder nicht spüren zu lassen. Patrick konnte schließlich nichts dafür, daß er gerade die Frau liebte, die auch sein älterer Bruder heiß begehrte.

Als Tobias das Büro verließ, bog gerade der große weiß-blaue Reisebus in die Einfahrt. Tobias blieb stehen, wartete, bis sein Bruder den Bus in die große Garage rangiert hatte, und ging ihm dann entgegen.

»Was ist los, Tobias?« wollte Patrick wissen, der den verschlossenen Gesichtsausdruck seines Bruders ganz recht deutete. »Wieder mal Streit mit Papa?«

Sein Bruder seufzte. »Du kennst mich doch viel zu gut.« Dann winkte er ab. »Jetzt weiß ich wenigstens, woran ich bin.«

Patrick runzelte die Stirn. »Was soll das heißen?«

»Das heißt, daß du dieses Unternehmen einmal leiten wirst.« Tobias zuckte die Schultern. »Im Grunde hat Papa wohl recht. Du bist der bessere von uns beiden.«

Patrick schüttelte den Kopf. »Das ist doch totaler Unsinn.« Mit einer ärgerlichen Handbewegung fuhr er sich durch das dichte dunkle Haar. »Allmählich geht Papa ein bißchen zu weit. Ich werde sofort mit ihm sprechen.«

»Besser nicht«, wehrte Tobias ab, obwohl er genau das bezweckt hatte.

»Du wirst mich nicht davon abhalten können«, entgegnete Patrick auch schon entschieden, dann ging er mit langen Schritten auf das Büro zu.

Zufrieden sah Tobias ihm nach. Der alte Herr würde seine Entscheidung noch einmal überdenken müssen – dafür würde Patrick sorgen.

Tobias setzte mit Recht seine Hoffnungen auf den Bruder, denn Patrick versuchte gar nicht erst, seinen Ärger über das Verhalten seines Vaters zu verbergen.

»Sag mal, Papa, was soll das?« fragte er ohne große Umschweife. »Warum willst du mir die Leitung des Unternehmens übertragen?«

Wütend schüttelte Hubert Scholz den Kopf. »Du läßt dich von Tobias unterbuttern und merkst es nicht einmal. Patrick, du hast das Zeug, mein Nachfolger zu werden, und gleichgültig, wie sehr du zu deinem Bruder aufblicken magst – er wird doch niemals dein Format erreichen.«

Unwirsch winkte Patrick ab. »Das ist nicht wahr! Im übrigen sprichst du über Tobias erst so schlecht, seit ich Sabrina kennengelernt habe.«

Hubert Scholz schmunzelte. »Eine Hardenborn zum Altar zu führen, ist schon was, und ihr Reichtum kann dir vielleicht einmal…«

»Ich pfeife auf ihren Reichtum!« fiel Patrick seinem Vater erregt ins Wort. »Wenn ich Sabrina nicht so sehr lieben würde, dann würde ich sie gerade wegen des vielen Geldes, das hinter ihr steht, verschmähen. Ich bin nicht besser als Tobias, nur weil ich eine reiche Frau heiraten werde.« Er schwieg kurz. »Warum muß überhaupt einer von uns das Unternehmen leiten? Ich verstehe mich ausgezeichnet mit Tobias, und ich bin sicher, daß es für das Unternehmen nur gut sein könnte, wenn wir es gemeinsam führen würden. Tobias ist derjenige, der gern hinter dem Schreibtisch sitzt, während ich lieber fahre. Ohne meinen Bus bin ich doch nur ein halber Mensch, und Sabrina wird mich als Reiseleiterin begleiten. Wir haben das schon ein paarmal probiert, und es war immer ein voller Erfolg.«

Doch Hubert Scholz ließ sich nicht umstimmen. »Ich will, daß du hier einmal der Boß bist. Tobias ist viel zu unzuverlässig.«

»Nein, Papa, er hat bei dir nur ausgespielt, weil ich mich demnächst mit einer reichen Frau verloben werde und Tobias nicht. Aber da mache ich nicht mit. Tobias ist mein Bruder, und wenn du es nicht schaffst, dich gerecht zu verhalten, dann werde ich es tun. Mein Bruder wird in diesem Betrieb nicht wie ein Angesteller arbeiten, verlaß dich darauf.«

*

»Spiel, Satz und Sieg«, verkündete Sabrina Hardenborn mit einem koketten Lächeln.

Patrick kam von der anderen Seite des Tennisplatzes auf sie zu, sprang über das Netz und nahm sie zärtlich in die Arme.

»Im Tennis bist du einfach unschlagbar, und ich werde immer ein Stümper bleiben«, erklärte er, bevor er sie liebevoll küßte.

Sabrina erwiderte den Kuß, dann lächelte sie Patrick an. »Du bist alles andere als ein Stümper. In meinen Augen bist du sogar ein großes Talent. Immerhin hast du erst vor einem Jahr angefangen Tennis zu spielen, und heute konnte ich dich nur ganz knapp 7:6 und 6:4 schlagen.«

Patrick verbeugte sich scherzhaft. »Ihr Kompliment ehrt mich, gnädiges Fräulein.«

Aufmerksam sah Sabrina ihn an.

»Deine Fröhlichkeit kommt heute nicht von Herzen, Patrick«, bemerkte sie. »Ist etwas passiert?«

Mit einem tiefen Seufzer winkte er ab. »Nichts von Bedeutung, Liebling. Ich hatte nur mal wieder Ärger mit meinem Vater.«

Mit einer sanften Geste berührte Sabrina sein Gesicht. »Für dich ist es aber von großer Bedeutung, nicht wahr?«

Patrick zögerte, dann nickte er. »Weißt du, ich habe nie gewußt, wie sehr mein Vater auf Geld aus ist, und es erschreckt mich von Tag zu Tag mehr, das so deutlich zu sehen. Seit ich dich kenne, bin ich plötzlich sein Lieblingssohn. Angeblich kann ich alles besser als mein älterer Bruder Tobias, und nun will er mir sogar die Leitung unseres Busunternehmens übertragen, aber das will ich nicht. Wenn schon, dann möchte ich den Betrieb zusammen mit Tobias leiten, denn wir ergänzen uns optimal. Ihm liegt die Arbeit am Schreibtisch, ich bin mit Leib und Seele Fahrer, aber davon will unser Vater nichts hören.« Er seufzte. »Dabei bin ich sicher, daß er seine Meinung ganz schnell ändern würde, wenn unsere Beziehung zerbrechen würde.«

Auf Sabrinas Gesicht zeigte sich ehrliches Erschrecken. »Daran wirst du doch hoffentlich nicht denken?«

Zärtlich nahm Patrick sie in die Arme. »Nein, Liebling, natürlich nicht.« Er wurde ernst. »Aber wenn ich dich nicht so lieben würde, könnte ich mir einen solchen Schritt tatsächlich vorstellen.«

Vertrauensvoll legte Sabrina ihren Kopf an seine Schulter. »Du bist der erste Mann, bei dem ich absolut sicher sein kann, daß er mich nicht des Geldes wegen heiraten will. Ich glaube, dir wäre es sogar lieber, wenn ich arm wäre.«

Patrick nickte. »Da hast du recht.«

Liebevoll lächelte Sabrina ihn an. »Ich würde mein Geld eher verschenken, bevor ich auf dich verzichten würde. Ich liebe dich, Patrick.«

»Ich liebe dich auch, Sabrina – mehr als alles andere.«

*

Dr. Robert Daniel war gerade im Begriff, die Praxis zu verlassen und in seine Wohnung hinaufzugehen, als das Telefon klingelte. Seine Empfangsdame Gabi Meindl, die mit der Sprechstundenhilfe Sarina von Gehrau bereits nach Hause gegangen war, hatte zwar den Anrufbeantworter eingeschaltet, trotzdem entschloß sich Dr. Daniel, gleich selbst an den Apparat zu gehen.

»Grüß dich, altes Haus!« erklang am anderen Ende der Leitung die Stimme seines besten Freundes, Dr. Georg Sommer.

»Schorsch!« rief Dr. Daniel überrascht, dann fügte er in gespielt ärgerlichem Ton hinzu: »Du wagst es, um diese Zeit noch in meiner Praxis anzurufen?«

»Selbstverständlich«, bekräftigte Dr. Sommer. »Wenn ich so spät noch in meiner Klinik sein muß, dann will ich wenigstens dafür sorgen, daß auch du noch nicht Feierabend machen kannst.«

»Tyrann«, knurrte Dr. Daniel, hatte dabei aber Mühe, ernst zu bleiben. »Na, was willst du denn von mir?«

»Das klingt doch schon ganz anders!« stellte Dr. Sommer erfreut fest. »Meistens muß ich diese Frage stellen.« Er schwieg einen Moment, bevor er bedauernd hinzufügte: »Leider habe ich keine Arbeit, die ich dir aufhalsen könnte. Aber ich habe interessante Neuigkeiten«, erklärte er und kam dann endlich zum Grund für seinen späten Anruf. »Stell dir vor, der alte Hilgert ist wieder im Geschäft.«

»Wie bitte?« fragte Dr. Daniel entsetzt zurück. »Willst du damit behaupten, Dr. Siegfried Hilgert hätte seine Zulassung zu-rückbekommen?«

»Nein, das nicht«, wehrte Dr. Sommer ab. »Nach dem Skandal mit der völlig sinnlosen Operation, die dann auch noch der größte Pfusch gewesen ist, würde er seine Zulassung als Arzt niemals wieder bekommen. Nein, der gute Sigi arbeitet jetzt als Heilpraktiker.«

»Meine Güte«, stöhnte Dr. Daniel. »Das sind ja wirklich reizende Neuigkeiten.« Er überlegte kurz. »Kann man denn nicht gegen ihn vorgehen?«

»Wohl kaum. Bis jetzt verhält er sich nämlich mustergültig. Er kuriert seine Patienten mit harmlosen Hausmittelchen und überweist schwierigere Fälle ganz brav an entsprechende Fachärzte oder in Kliniken.« Dr. Sommer machte eine Pause. »Allerdings wird abzuwarten sein, wann er den ersten folgenschweren Fehler machen wird.«

»Das fürchte ich auch«, meinte Dr. Daniel. »Hoffentlich kann man dann noch rechtzeitig eingreifen.«

*

Tobias Scholz hatte einen Entschluß gefaßt. Er würde nicht abwarten, bis man ihn im väterlichen Unternehmen zu einem Angestellten degradieren würde. Aus dem Erbteil seiner Mutter hatte er genügend Geld, um sich mit einer eigenen Firma selb-ständig zu machen.

»Er hat einen Schädel wie Granit«, erklärte Patrick, der in diesem Moment den Raum betrat, und riß Tobias damit aus seinen Gedanken.

»Laß es gut sein, Patrick«, entgegnete Tobias, der genau wußte, worüber sein Bruder sprach. »Papa kann mir nichts mehr anhaben. Ich werde freiwillig gehen.«

Entsetzt starrte Patrick ihn an. Dann schüttelte er den Kopf. »Das kannst du doch nicht machen, Tobias. Am Ende wird Papa nachgeben, du wirst schon sehen. Er wird einverstanden sein, daß wir das Unternehmen gemeinsam leiten.«

Doch Tobias ließ sich von seinem Entschluß nicht mehr abbringen. »Darauf werde ich nicht warten. Ich werde mich selbständig machen.« Er zeigte ein schiefes Grinsen. »Wer weiß, vielleicht mache ich Papa irgendwann mal Konkurrenz.«

Patrick blieb ernst. »Wenn schon, dann wirst du mir Konkurrenz machen, denn es kann sich höchstens noch um ein Jahr handeln, bis ich das Unternehmen leiten werde. Willst du das wirklich, Tobias? Sollen wir beide Konkurrenten… womöglich Feinde werden?«

»Das ist doch Unsinn«, wehrte Tobias ab. »Wenn du das Steuer einmal in der Hand hältst, gelten doch ganz andere Voraussetzungen. An dir würde ich mich nicht rächen, Patrick, schließlich kannst du nichts für den Starrsinn unseres Vaters.«

»Warum willst du dann gehen?« fragte Patrick traurig. »Wir könnten das alles doch einfach auf uns zukommen lassen, und selbst wenn Papa stur bleiben und mir allein die Leitung übertragen sollte – wer könnte mich dann davon abhalten, dich zu meinem gleichberechtigten Partner zu machen?«

»Vielleicht will ich Papa etwas beweisen«, entgegnete Tobias. »Das kann ich aber nur, wenn ich von hier weggehe und mich auf meine eigenen Füße stelle.«

Eine Weile dachte Patrick über diese Worte nach, dann nickte er. »Tue, was du tun mußt, Tobias.« Er legte seinem Bruder eine Hand auf die Schulter. »Aber wenn du einmal meine Hilfe brauchen solltest, dann scheue dich nicht, zu mir zu kommen. Du bist mein Bruder, ich würde für dich durch die Hölle gehen.«

Tobias senkte den Kopf, weil er es nicht mehr länger ertrug, in die offenen Augen seines Bruders zu blicken. Patricks Gefühle für ihn waren so aufrichtig, und Tobias schämte sich, daß er nicht genauso empfinden konnte. Er mochte Patrick, aber viel beherrschender war sein Neid auf ihn.

Patrick hatte sich in sein Leben gedrängt. Tobias war fünf Jahre alt und der Liebling seiner Eltern gewesen, doch dann war Patrick gekommen… der Kleine.

Später war die Mutter krank geworden. Krebs. Ein schreckliches Leiden hatte für sie begonnen, doch nur Tobias hatte gewußt, wie das unvermeidliche Ende aussehen würde. Für seinen Vater hatte es die Arbeit gegeben, und Patrick… Patrick hatte nicht erfahren dürfen, wie schlimm es um die Mutter stand.

»Er ist doch erst vierzehn«, hatte sie gemeint. »Er verkraftet das noch nicht.«

Tobias hatte nur gesehen, daß Patrick geschont wurde, wäh-rend er das Leid der Mutter hatte miterleben müssen.

Und jetzt war Patrick derjenige, dem das Glück lachte. Er würde Sabrina heiraten – die erste Frau, die auch Tobias’ Herz hatte höherschlagen lassen, und er würde die Firma bekommen, obwohl sie eigentlich Tobias zustand. Immerhin war er doch der ältere. Über alldem konnte er Patrick aber nicht wirklich hassen, obwohl er versuchte, sich das einzureden. Und nun hatte Patrick diese Worte gesagt, die Tobias erst richtig bewußt gemacht hatten, wie sehr sein Bruder ihn liebte.

»Wenn ich deine Hilfe brauchen sollte, werde ich es dich wissen lassen«, meinte Tobias, dann verließ er rasch das Zimmer. Er wollte keine brüderlichen Gefühle für Patrick in sich aufkeimen lassen.

Rasch überquerte er den Hof und wollte gerade in sein Auto steigen, als eine hübsche junge Frau direkt auf ihn zukam.

»Hallo, Tobias«, begrüßte sie ihn.

Mit gerunzelter Stirn musterte Tobias die fremde Frau.

»Du kennst mich nicht mehr«, stellte sie mit einem amüsierten Schmunzeln fest, dann streckte sie die rechte Hand aus. »Mareike Kosian.«

Im selben Moment erinnerte sich Tobias. Sabrina war erst ganz kurze Zeit Patricks Freundin gewesen, als Tobias sie und Mareike im Freibad getroffen hatte. Damals hatte er allerdings nur Augen für Sabrina gehabt und ihre Freundin nicht weiter beachtet. Jetzt erkannte er zwar, daß auch Mareike eine ausnehmend schöne Frau war, doch sie hatte nicht das Liebevolle, Zarte, was Sabrina so begehrenswert machte.

»Wir haben uns ja eigentlich auch nur flüchtig kennengelernt«, erklärte Tobias auf Mareikes Bemerkung.

»Flüchtig?« wiederholte sie, dann zuckte sie die Schultern. »Nun ja, vielleicht.« Sie zeigte ein raffiniertes Lächeln, das Tobias als unangenehm empfand. »Ich weiß, daß du Sabrina liebst.«

Tobias war nicht sicher, was ihn mehr störte – daß sie ihn so selbstverständlich duzte oder daß sie von seiner Liebe zu Sabrina wußte.

»Sie ist die Freundin meines Bruders«, entgegnete er. »Demnächst sogar seine Verlobte.« Er schwieg einen Moment. »Aber selbst wenn du recht hättest – was geht es dich an?«

»Sehr viel«, erklärte Mareike und wurde plötzlich ernst. In ihren Augen flackerte es gefährlich. »Ich will nicht, daß Sabrina und Patrick heiraten.«

Irgend etwas in Tobias sträubte sich, dieser Frau noch länger zuzuhören, doch da war eben auch die Hoffnung, die sie durch ihre Worte in ihm geweckt hatte.

»Sabrina ist deine Freundin«, stellte er fest. »Warum gönnst du ihr das Glück mit Patrick nicht?«

»Weil man im Leben nicht alles haben kann«, entgegnete Mareike. »Reichtum, Schönheit und dann auch noch einen Mann wie Patrick – das wäre für eine Frau allein eindeutig des Guten zuviel.«

»Was ist das für eine Freundschaft, die mit so viel Neid und Eifersucht gekoppelt ist?« wollte Tobias wissen.

Mareike wich seinem Blick nicht aus, und dabei erkannte er die eisige Kälte in ihren Augen.

»Es war nie eine Freundschaft«, erklärte sie. »Jedenfalls nicht von meiner Seite. Ich habe Sabrina immer gehaßt, und seit sie mir Patrick genommen hat…«

»Sie hat ihn dir nicht genommen«, fiel Tobias ihr ins Wort. »In Patricks Leben gab und gibt es nur eine einzige Frau – Sabrina. Das wird sich wohl auch niemals ändern.«

»Doch, Tobias. Wenn du mit mir an einem Strang ziehst, dann können wir das durchaus ändern.« Wieder zeigte sie dieses raffinierte Lächeln. »Du bekommst deine Sabrina, und ich… nun ja, vielleicht bekomme ich sogar Patrick.«

Tobias schüttelte den Kopf. »Das halte ich für ausgeschlossen. Im übrigen…« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich habe keine Zeit für solche Spielchen.«

Mit einem für eine Frau ungewöhnlich festen Griff hielt Mareike ihn am Arm fest. In ihren Augen flackerte es wieder, und nun wußte Tobias, was das war: namenloser Haß.

»Es ist kein Spiel, Tobias«, erklärte sie, und ihre Stimme jagte einen Schauer über seinen Rükken. »Es ist bitterer Ernst.«

»Meinetwegen«, entgegnete er gespielt gelassen. Die Aussicht, Sabrina letzten Endes doch noch für sich zu gewinnen, war verlockender, als er sich eingestehen wollte. »Trotzdem habe ich keine Zeit dafür und wohl auch keine Gelegenheit. Ich werde München in Kürze verlassen, um mich selbständig zu machen.«

Ein kurzes Leuchten flog über Mareikes Gesicht. »Das paßt ausgezeichnet… besser, als ich es zu hoffen gewagt habe.« Sie berührte Tobias’ Arm. »Gemeinsam werden wir Sabrina und Patrick trennen.«

Tobias schüttelte den Kopf, doch tief in seinem Innern begann Mareikes Saat bereits aufzugehen.

*

»Ich weiß nicht mehr, was ich noch tun soll«, erklärte Natalie Meinhard verzweifelt. »Seit Monaten renne ich von Arzt zu Arzt, aber keiner kann feststellen, woher meine Unterleibsschmerzen kommen.«

Teilnahmsvoll sah Tanja ihre Schwester an. Sie kannte dieses Gefühl nur zu gut. Wie lange war sie selbst wegen ihrer Allergie von Arzt zu Arzt gegangen, aber letzten Endes hatte sie immer wieder auf Cortison zurückgreifen müssen. Erst als sie einen anderen Weg als den der Schulmedizin eingeschlagen hatte, war ihr Erfolg beschieden gewesen.

»Vielleicht solltest du mal zu Herrn Hilgert gehen«, schlug sie ihrer Schwester vor.

Natalie winkte ab. »Was soll ich mit einer Unterleibsgeschichte beim Heilpraktiker? Ich brauche einen guten Frauenarzt.«

»Du bist zu sehr auf deinen Unterleib fixiert«, belehrte Tanja sie. »Ich habe mich auch nur immer auf meine Haut konzentriert, dabei ist es wichtiger, den Körper als Ganzes zu sehen. Herr Hilgert hat nicht nur meine Haut behandelt, sondern meine ganze Einstellung zu meiner Krankheit geändert. Die Salbe, die er mir verschrieben hat, nehme ich nur noch, wenn der Juckreiz kommt, ansonsten habe ich meine Krankheit bestens im Griff. Und ich bin sicher, daß deine Unterleibsschmerzen nur der Ausdruck für etwas ganz anderes sind. Du mußt deinen Körper ganzheitlich behandeln, um eine Genesung herbeizufüh-ren.« Sie schwieg kurz. »Im üb-rigen kann es nicht schaden, wenn du mal zu Herrn Hilgert gehst. Er wird dir ja keine gesundheitsschädigenden Medikamente verschreiben – höchstens eine Teemischung oder irgendwelche pflanzlichen Präparate. Und wenn sie nichts helfen sollten, dann kannst du ja wieder zu einem Arzt gehen.«

Natalie seufzte. »Also schön. Ich werde es versuchen.«

Gleich am nächsten Morgen rief sie bei Siegfried Hilgert an, um einen Termin zu vereinbaren. Überraschenderweise erklärte er, sie könne sofort kommen, da er gerade Zeit habe.

Natalie hatte ein ungutes Gefühl, verscheuchte es aber. Immerhin hatte dieser Mann Tanja geholfen. Er mußte also etwas von seinem Fach verstehen.

»Da hatten Sie wirklich Glück«, betonte der Heilpraktiker, als Natalie sein Ordinationszimmer betrat. »Normalerweise müssen meine Patienten mindestens drei Wochen auf einen Termin warten, aber gestern abend hat eine Dame kurzfristig abgesagt.« Er zeigte ein verlegenes Lächeln. »Gleich zu Anfang muß ich Ihnen allerdings sagen, daß ich Sie nicht auf Krankenschein behandeln kann.«

Natalie nickte. »Meine Schwester hat mir schon gesagt, daß ich die Behandlung selbst bezahlen muß.« Sie seufzte. »Wenn Sie mir helfen können, dann zahle ich gern.«

»Wir werden das schon in den Griff bekommen«, entgegnete Siegfried Hilgert zuversichtlich, dann lächelte er Natalie wieder bedauernd an. »Ich muß also um zwanzig Mark bitten.«

Natalie holte ihre Geldbörse hervor und zahlte. Der Heilpraktiker stellte ihr eine Quittung aus.

»Wenn Sie die bei der Krankenkasse einreichen, bekommen Sie möglicherweise einen Teil der Kosten erstattet«, erklärte er, dann sah er die junge Frau an. »Was kann ich für Sie tun?«

Natalie seufzte erneut. »Ich habe seit Monaten Unterleibsbeschwerden – nicht so schlimm, daß ich es nicht aushalten könnte, aber… es ist furchtbar störend, und manchmal… immer kurz bevor ich meine Tage bekommen, ist es auch jedesmal sehr schmerzhaft.«

Siegfried Hilgert nickte nachdenklich. »Ich nehme an, Sie waren bereits beim Arzt.«

»Nicht nur bei einem«, betonte Natalie, dann zuckte sie die Schultern. »Angeblich ist alles in Ordnung.« Sie sah den Heilpraktiker an. »Meine Schwester meint, die Schmerzen wären vielleicht Ausdruck einer anderen Krankheit.«

Wieder nickte Siegfried Hilgert. »Das ist durchaus möglich, allerdings… ich kenne einen Arzt, der hier an einer kleinen Klinik arbeitet.« Er lächelte. »Nun ja, wir kennen uns nicht nur, sondern sind sogar gut befreundet. Ich würde Sie sehr gern mal zu einer Untersuchung zu ihm schicken.«

Natalie seufzte. »Dann lande ich also doch wieder bei einem Arzt, dabei wollte ich eigentlich versuchen, einen anderen Weg zu gehen.«

»Vertrauen Sie mir«, bat Siegfried Hilgert. »Dr. Kreutzer und ich arbeiten eng zusammen. Ich möchte nur sichergehen, daß wir nichts übersehen. Möglicherweise leiden Sie an einer Krankheit, die man nur operativ beheben kann. Im Unterleib befinden sich ja nicht nur Gebärmutter und Eierstöcke. Es könnte beispielsweise sein, daß Ihnen eine chronische Blinddarmentzündung zu schaffen macht. Da wäre meine ganzheitliche Behandlungsmethode fehl am Platz, denn in einem solchen Fall kann nur eine Operation helfen.«

Natalie dachte eine Weile über diese Worte nach, dann nickte sie. »Das ist einleuchtend. Also schön, ich werde in diese Klinik gehen.«

Siegfried Hilgert griff zum Telefonhörer. »Ich werde Sie gleich anmelden, Fräulein Meinardt.«

Er wählte eine Nummer, sprach kurz und legte dann auf.

»Sie können nächsten Montag untersucht werden«, erklärte er. »Je nachdem, welchen Befund Dr. Kreutzer erhebt, wird er Sie entweder gleich in der Klinik behalten oder Sie wieder zu mir schicken.«

Dankbar reichte Natalie ihm die Hand. »Ich bin froh, daß ich zu Ihnen gekommen bin.« Sie wurde ein wenig verlegen. »Zuerst wollte ich ja gar nicht, aber meine Schwester ist eigentlich der beste Beweis dafür, wie gut Sie in Ihrem Fach sind. Und wenn Sie mir helfen können, dann wird mich mit Sicherheit kein Arzt mehr in seiner Praxis sehen.«

*

Tagelang war Tobias Scholz von Mareike Kosian förmlich belagert worden, und schließlich hatte er zugestimmt, sich ihren Plan anzuhören. Mareike rieb sich bereits die Hände. Sie hatte von Anfang an gewußt, daß es klappen würde. Der Blick, mit dem Tobias Sabrina bedacht hatte, war deutlich genug gewesen, und ein Mann, der liebte, war bereit, alles zu tun, um die Frau seines Herzens für sich zu gewinnen, davon war Mareike überzeugt. Daher hatte sie auch keinerlei Skrupel, Tobias für ihre Zwecke zu benutzen.

»Hör zu, es ist ganz einfach«, erklärte sie. »Du wirst deinen Bruder bitten, dir beim Aufbau deines Unternehmens zu helfen.«

Tobias nickte. »Das hat er mir ohnehin schon angeboten.«

»Um so besser«, urteilte Ma-reike. »Du wirst also keine gro-ßen Argumente aufbieten müssen. Wo wirst du den Betrieb aufbauen?«

»In Köln«, antwortete Tobias. »Ich habe da ein kleines Unternehmen im Auge, das ich kaufen und weiter ausbauen könnte.«

Mareike nickte zufrieden. Das paßte ja wunderbar. Köln war zu weit weg von München, als daß Sabrina mit dem Auto rasch würde hinfahren können. Sicher, mit dem Privatflugzeug der Hardenborns könnte sie innerhalb einer Stunde dort sein, aber davon würde man sie schon irgendwie abhalten können.

»Sehr gut«, meinte sie. »Du wirst Patrick also in Köln festhalten und dafür sorgen, daß die Briefe, die er an Sabrina schreiben wird, nicht den Weg zum Postkasten finden werden.«

»Das mag in deiner Phantasie vielleicht funktionieren«, entgegnete Tobias. »Aber die Realität sieht wohl ein wenig anders aus. Immerhin leben wir im Zeitalter des Telefons, und wie soll ich Patrick davon abhalten, Sabrina anzurufen, wenn ihm danach zumute ist?«

»Da wird dir schon etwas einfallen«, urteilte Mareike kühl. »Selbstverständlich darf Patrick nicht telefonieren, sonst sind unsere ganzen Bemühungen umsonst. Im übrigen ist das alles nur in den ersten zwei oder drei Wochen wichtig. Danach wirst du Patrick schon davon überzeugen können, daß Sabrina von ihm nichts mehr wissen will. Und ich werde in der Zwischenzeit hier unten die Arbeit leisten.« Sie lächelte boshaft. »In spätestens zwei Monaten werden Patrick und Sabrina getrennt sein.« Und hoffentlich sehr unglücklich, fügte sie in Gedanken hinzu.

*

Sabrina und Patrick ahnten nichts von den Intrigen, die gegen sie gesponnen wurden – ausgerechnet von den Menschen, denen sie beide am meisten vertrauten. Sie hatten den Abend in ihrem Lieblingslokal verbracht, doch Patrick konnte die Stunden mit Sabrina heute nicht so recht genießen. Zuviel Unerfreuliches spukte in seinem Kopf herum.

»Was ist los mit dir, Patrick?« fragte Sabrina in sanftem Ton und legte eine Hand auf die seine. »Noch immer Ärger mit deinem Vater?«

Patrick seufzte. »Nicht direkt. Er hat erreicht, was er wollte. Tobias wird München verlassen und sich dann irgendwo selb-ständig machen.« Gedankenverloren griff er nach Sabrinas Händen und streichelte ihre Fingerspitzen. »Weißt du, ich habe mein Leben lang zu Tobias aufgeblickt. Wenn man als Mann die Zwanzig mal überschritten hat, hört sich so etwas ziemlich dumm an, aber… ich liebe meinen großen Bruder, und ich glaube, er wird mir schrecklich fehlen.«

Sabrina nickte verständnisvoll. »Das kann ich dir gut nachfühlen. Wenn ich mir vorstelle, daß einer von meinen Brüdern weggehen würde…« Ein zärtliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ich bin die Jüngste, und seit ich denken kann, haben Andreas und Martin mich beschützt.« Sie berührte Patricks Wange. »Ich kann gut verstehen, was in dir vorgeht.«

Der junge Mann seufzte noch einmal. »Ich habe alles versucht, um Tobias umzustimmen – es war zwecklos. Er hat seinen Entschluß gefaßt und ist nicht mehr davon abzubringen. Dabei…«

»Störe ich?«

Sabrina und Patrick blickten auf und direkt in Tobias’ Gesicht.

»Das nenne ich einen Zufall«, meinte Patrick. »Gerade haben wir von dir gesprochen.«

»Hoffentlich nichts Schlechtes«, entgegnete Tobias und versuchte ein Lächeln, das ihm jedoch mißlang. Er fühlte sich bei dem, was er zu tun im Begriff war, nämlich gar nicht wohl, und fast bereute er schon, daß er Mareikes Plan zugestimmt hatte. Eigentlich war es nur seine Liebe zu Sabrina, die ihn einen Teil seiner Skrupel vergessen ließ.

»Du weißt doch, daß ich nie schlecht über dich sprechen würde«, erklärte Patrick mit einem so aufrichtigen Lächeln, daß Tobias vor Scham am liebsten im Erdboden versunken wäre.

»Bist du zufällig hier, oder hast du uns gesucht?« wollte Patrick wissen.

»Ich… ich habe euch tatsächlich gesucht«, brachte Tobias mit einiger Mühe hervor.

»Dann setz’ dich doch«, bot Sabrina an. »Da läßt es sich ge-mütlicher unterhalten.«

Tobias warf ihr einen kurzen Blick zu, und dabei wurde er sich wieder seiner grenzenlosen Liebe zu ihr bewußt. Dennoch konnte er nicht verhindern, daß er seinem Bruder gegenüber ein schlechtes Gewissen bekam.

»Eine harmlose Unterhaltung wird es wohl nicht«, gestand Tobias leise, dann sah er Patrick an. »Ich habe ein Attentat auf dich vor.« Er zögerte einen Moment, dann atmete er tief durch, doch sein Mut zur Lüge wurde dadurch nicht größer. »Patrick, ich… ich glaube, ich brauche deine Hilfe… ich meine… das Unternehmen in Köln ist in einem ziemlich üblen Zustand, und so ganz allein…«

»Hör schon auf, Tobias«, erklärte Patrick und legte eine Hand auf seinen Arm. »Ich habe dir doch gesagt, daß du auf mich zählen kannst, wenn du Hilfe brauchst.«

»Geschwister sollten immer füreinander dasein«, fügte Sabrina hinzu.

Tobias senkte den Kopf. Er fühlte sich miserabel, doch jetzt gab es keinen Weg mehr zurück – außer er hätte die Wahrheit gestanden, doch dazu fehlte ihm einfach der Mut.

Wenn Sabrina jemals erfährt, daß ich gelogen habe, werde ich ihr Herz nie gewinnen, dachte er.

»Papa wird nicht begeistert sein«, vermutete Tobias und bemerkte erst, als er ausgesprochen hatte, daß er damit eine Ablehnung geradezu heraufbeschwor, doch seltsamerweise hoffte er sogar ein wenig darauf.

Doch Patrick zuckte nur die Schultern. »Er hat uns ebenfalls vor vollendete Tatsachen gestellt. Im übrigen läuft das Unternehmen ein paar Wochen lang auch ohne mich.«

»Danke, Patrick«, murmelte Tobias und fühlte sich dabei gar nicht wohl in seiner Haut.

Der Plan war geglückt, alles würde so laufen, wie er und Mareike es sich ausgedacht hatten. Trotzdem konnte sich Tobias nicht freuen.

*

Als Natalie Meinhardt die kleine Klinik betrat, die Siegfried Hilgert ihr empfohlen hatte, stockte ihr Schritt für einen Moment. Der alte Bau wirkte irgendwie muffig, und der Gedanke, sich hier untersuchen oder womöglich gar operieren zu lassen, erschreckte Natalie. Doch dann sagte sie sich, daß es falsch sei, die Entscheidung von solchen Äußerlichkeiten abhängig zu machen. Immerhin war sie in den modernsten Arztpraxen gewesen, aber dort hatte man ihr nicht helfen können, und vielleicht…

»Suchen Sie jemanden?«

Natalie erschrak etwas, als sie so unverhofft angesprochen wur-de.

»Ja, ich… Herr Hilgert schickt mich…«, stammelte sie. »Ich bin auf der Suche nach Herrn Dr. Kreutzer.«

Der Mann im weißen Kittel lächelte sie an.

»Sie haben ihn gefunden.« Er streckte die rechte Hand aus. »Joachim Kreutzer ist mein Name.«

Natalie atmete unmerklich auf. Der Arzt machte einen durchaus gepflegten Eindruck und weckte durch seine Freundlichkeit etwas wie Vertrauen in ihr.

»Natalie Meinhardt«, stellte sie sich nun ebenfalls vor. »Wie gesagt, Herr Hilgert schickt mich, weil ich seit Monaten Unterleibsbeschwerden habe.«

Dr. Kreuzter nickte. »Er hat mich bereits angerufen und Sie angekündigt, Fräulein Meinhardt.« Er begleitete sie zu einer undurchsichtigen Glastür, die zum Treppenhaus führte. »Der Lift ist leider defekt, aber wir müssen nur bis zum zweiten Stockwerk hinauf. Dort bringe ich Sie zuerst mal in Ihr Zimmer, und im Laufe des Vormittags nehmen wir dann die vorbereitenden Untersuchungen vor.«

Natalie nickte. Es schien, als wäre dieser Arzt, dem Aussehen der Klinik zum Trotz, kompetent. Er schien bereits jetzt zu wissen, wo er anzusetzen hatte.

Natalie war gerade fünf Minuten in ihrem Zimmer, als eine Schwester hereinkam, die ebenfalls einen sehr gepflegten Eindruck machte.

»Ich werde Ihnen nur ein biß-chen Blut abnehmen«, erklärte sie mit einem freundlichen Lächeln. »Außerdem brauche ich eine Urinprobe. Wenn wir hier fertig sind, bringe ich Sie gleich hinunter zum EKG.«

Erstaunt sah Natalie sie an. »EKG? Wozu denn das? Ich soll doch vorerst nur untersucht werden.«

»Dr. Kreutzer hat gern alle Befunde vorliegen, ehe er eine Untersuchung vornimmt«, entgegnete die Schwester.

Natalie nickte zwar, trotzdem erschien es ihr ein wenig übertrieben, daß vor der eigentlichen Untersuchung ein EKG gemacht werden sollte.

Das war allerdings nicht das einzige. Natalie bekam verschiedene Konstrastmittel verabreicht, dann wurden Röntgenaufnahmen gemacht. Als sie Stunden später wieder in ihrem Zimmer war, waren die Schmerzen schlimmer als je zuvor.

»Die Bauchschmerzen werden von dem Barium-Einlauf verursacht, den Sie wegen der nötigen Röntgenaufnahmen bekommen mußten«, erklärte die Schwester, als Natalie ihre Beschwerde äußerte. »Bis morgen ist alles vorbei.«

Damit hatte sie sogar recht, aber der Morgen begann für Natalie nicht gerade vielversprechend. Eine andere Schwester hatte den Dienst übernommen und eröffnete Natalie, daß sie anstatt eines Frühstücks einen Einlauf bekommen würde.

Entsetzt starrte Natalie sie an. »Aber warum denn?«

»Dr. Kreutzer will eine Darmspiegelung vornehmen«, lautete die lapidare Antwort.

»Eine Darmspiegelung?« wiederholte Natalie verständnislos. »Mein Darm wurde doch gestern geröntgt.«

»Eben deswegen«, entgegnete die Schwester nur. »Legen Sie sich bitte auf die Seite. Es ist nur halb so schlimm.«

Im Vergleich mit der nach-

folgenden Darmspiegelung war der Einlauf tatsächlich kaum schmerzhaft. Natalie hatte das Gefühl, als würde sie plötzlich in einem Alptraum stecken, und sie war entschlossen, die Klinik unmittelbar nach dieser Untersuchung auf eigenen Wunsch wieder zu verlassen.

»Es tut mir leid, daß ich Ihnen Schmerzen zufügen mußte«, entschuldigte sich Dr. Kreutzer, als er fertig war. »Leider war diese Untersuchung nicht zu umgehen. Das Röntgenbild zeigte einige nicht definierbare Schatten.«

Natalie erschrak. »Sie wollen doch nicht andeuten … ich meine…«

Der Arzt konnte ihren Gedankengang leicht nachvollziehen. »Keine Sorge, Fräulein Meinhardt, es handelt sich nicht um Krebs, sondern nur um harmlose Polypen, die ich im Zuge der Darmspiegelung gleich entfernt habe.«

Natalie atmete auf, und ihr Entschluß, die Klinik zu verlassen, war vergessen. Dr. Kreutzer hatte also nur gewissenhaft gearbeitet, und sie schämte sich fast, daß sie ihm etwas ganz anderes unterstellt hatte.

»Rührten meine Unterleibsschmerzen womöglich von diesen Polypen her?« wollte sie wissen.

Bedauernd schüttelte Dr. Kreutzer den Kopf. »Leider nicht. Ich fürchte… so leid es mir für Sie tut… wir müssen Sie operieren.«

Erneut erschrak Natalie. »Operieren? Ist es denn so schlimm?«

»Sagen wir mal so«, wich Dr. Kreutzer aus. »Ich kann die Ursache für Ihre Unterleibsschmerzen erst feststellen, wenn ich in den Bauch hineingeschaut habe.«

»Ach so«, murmelte Natalie niedergeschlagen. So etwas hatte ihr noch kein Arzt gesagt, allerdings hatte ihr ja auch noch keiner helfen können. Vielleicht sollte sie wirklich volles Vertrauen zu Dr. Kreutzer haben. Immerhin hatte er sie ja von den Darmpolypen befreit – wenn es auch äußerst schmerzhaft gewesen war.

»Da Sie noch nichts gefrühstückt haben, werden wir die Operation gleich in Angriff nehmen«, fuhr Dr. Kreutzer fort. »Das EKG liegt ja bereits vor, es ist vollkommen in Ordnung. Ich werde Sie also gleich hinunterbringen lassen, und in ein, zwei Stunden haben Sie dann alles hinter sich.«

Natalie fühlte sich irgendwie überrumpelt, doch sie bekam gar keine Gelegenheit mehr, sich gegen den geplanten Eingriff auszusprechen, denn Dr. Kreutzer verabreichte ihr noch im Untersuchungsraum die Spritze zur Narkoseeinleitung. Danach half er ihr, sich in das bereitgestellte Bett zu legen.

Schwindel und Übelkeit ergriffen Natalie, sie fühlte sich wie gelähmt, und der Versuch, Dr. Kreutzer auf ihre plötzlichen Beschwerden aufmerksam zu machen, scheiterte. Es gelang ihr zwar, den Mund zu öffnen, doch kein Wort kam hervor, und dann fielen ihr die Augen zu.

»Das war ja ein ziemlicher Hammer, den du ihr da verpaßt hast«, hörte sie eine männliche Stimme. Sie versuchte, ihre Augen wieder zu öffnen, um zu sehen, wer da gesprochen hatte, doch es ging nicht.

»Fünf Milliliter hätten wohl auch genügt«, entgegnete Dr. Kreutzer. »Aber dann brauchst du dafür weniger Narkosemittel.«

Natalie fühlte einen schmerzhaften Stich.

»So, die Infusionskanüle ist drin«, erklärte Dr. Kreutzer. »Du kannst mit der Narkose beginnen.«

Panische Angst ergriff Natalie. Sie wollte wach werden… wollte aus dieser Klinik fliehen, doch da glitt sie schon in einen tiefen Schlaf…

*

Dr. Kreutzer hatte sich die Hände gewaschen und von der OP-Schwester keimfreie Handschuhe überstreifen lassen, dann trat er an den OP-Tisch.

»Tubus ist drin«, erklärte der Anästhesist. »Du kannst anfangen.«

Dr. Kreutzer griff nach dem Skalpell und setzte den großen Bauchschnitt. Der junge Assistenzarzt Dr. Rainer Köhler setzte die Operationshaken an, um dem Chirurgen freie Sicht zu verschaffen.

»Sieh da, eine kleine Endometriose«, urteilte Dr. Kreutzer. »War doch gut, daß ich mich zur Operation entschlossen habe. Dann wollen wir die Kleine mal von ihrem Problem befreien.«

Aufmerksam sah der Assistenzarzt zu, wie Dr. Kreutzer die verirrten Schleimhautinseln und schließlich den rechten Eileiter entfernte.

»Dahinten sind ja noch welche«, stellte der Chirurg fest. »Na, da werden wir gleich Nägel mit Köpfen machen.«

Entsetzt sah Dr. Köhler ihn an. »Sie wollen hier doch wohl keine Totaloperation machen!«

Dr. Kreutzer warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Möchten Sie mich etwa belehren?«

Der Assistenzarzt errötete tief. »Das ist wirklich nicht meine Absicht, aber… die Frau ist doch noch im gebärfähigen Alter. Sollte man nicht versuchen…«

»Bei einer so ausgeprägten Endometriose tut man gut daran, Eileiter und Gebärmutter zu entfernen. Andernfalls kriegt die Frau ja nie Ruhe vor dieser Krankheit. Im übrigen ist die Möglichkeit, daß durch die Endometriose die Eileiter verklebt werden, sehr viel größer als die, daß sie jemals ein Kind bekommen wird.« Sein Blick wurde spöttisch. »Woher wissen Sie überhaupt, daß diese Frau Kinder möchte? Hausfrau und Mutter zu sein ist heutzutage doch gar nicht mehr gefragt.«

»Sie setzen also voraus, daß die Frau niemals Mutter werden möchte«, entfuhr es Dr. Köhler.

»Das reicht!« fuhr der Chirurg ihn böse an. »Von uns beiden bin ich der Arzt mit der größeren Erfahrung, also lassen Sie mich tun, was ich für richtig halte, und sparen Sie sich Ihre Kommentare.«

Hilflos mußte der junge Assistenzarzt zusehen, wie Dr. Kreutzer nun auch den linken Eileiter und schließlich die Gebärmutter entfernte.

»Damit wäre das Problem ein für allemal gelöst«, urteilte er, als er fertig war, dann sah er Dr. Köhler an. »Sie können die Patientin zumachen.«

Er verließ den OP, während der Assistenzarzt noch immer auf das Operationsfeld starrte und sich fragte, ob er wirklich nichts anderes tun konnte, als die Naht zu machen.

»Er hat dieser armen Frau eiskalt Eileiter und Gebärmutter entfernt«, erklärte er, und in seiner Stimme lag pures Entsetzen. »Dabei wäre es gar nicht nötig gewesen. Die Endometriose war nicht so schlimm, wie er behauptet hat.«

Der Anästhesist zuckte die Schultern. »Er ist der Chirurg und wird wissen, was er tut. Und Sie machen die Patientin jetzt besser zu, bevor Kreutzer Ihnen die Hölle heiß macht. Er ist auf Sie ohnehin nicht gut zu sprechen. Ich glaube, Sie müssen sich nicht mehr viel zuschulden kommen lassen, um aus der Klinik zu fliegen.«

Dr. Köhler begann die Wunde zu schließen.

»Ich glaube, aus dieser Klinik geworfen zu werden, kann nur eine Beförderung sein«, meinte er.

»So?« erklang hinter ihm ganz unerwartet Dr. Kreutzers Stimme. »Diese Beförderung können Sie auf der Stelle haben. Sie sind entlassen – fristlos. Ihre angefangene Arbeit bringe ich persönlich zu Ende.«

Dr. Köhler drehte sich um und nahm den Mundschutz ab.

»Danke«, erklärte er. »Damit tun Sie mir nur einen Gefallen.«

Raschen Schrittes verließ er den Operationssaal, riß den grünen Kittel und die Haube herunter, schlüpfte in seine Jacke und verließ die Klinik so schnell, als hätte er Angst hier zu ersticken. Als er draußen in der kühlen Herbstluft stand, öffnete er seinen Hemdkragen und atmete tief durch. Doch das beklemmende Gefühl in seiner Brust ließ nur langsam nach.

Ich hätte etwas tun müssen, dachte er. Ich hätte Kreutzer davon abhalten müssen, dieser Frau die Zukunft zu ruinieren. Ich hätte…

Dabei wußte er, daß er gar nichts hatte tun können. Kreutzer war der Chirurg, und nur seinetwegen gab es diese kleine Klinik überhaupt noch. Er genoß da drinnen so etwas wie Narrenfreiheit, und ein kleiner Assistenzarzt wie Dr. Rainer Köhler konnte nicht das geringste gegen ihn ausrichten.

*

Als Natalie aus der Narkose erwachte, tastete sie sofort nach ihrem Bauch und erschrak, als sie den riesigen Verband spürte.

»Nun, Fräulein Meinhardt, wie fühlen Sie sich?«

Langsam, weil ihr die Nachwirkungen der Narkose noch zu schaffen machten, wandte Natalie den Kopf.

»Was… was haben Sie…« Ihre Stimme war kaum mehr als ein heiseres Flüstern. Natalie räusperte sich und versuchte es noch einmal. »Was haben Sie…«

»Keine Sorge, Fräulein Meinhardt, es war eine ganz harmlo-se Operation«, behauptete Dr. Kreutzer. »Sie litten an Endometriose. Dabei siedeln sich Schleimhautinseln außerhalb der Gebärmutter an, und die habe ich entfernt. Sie werden jetzt keine Schmerzen mehr haben – abgesehen von den Wundschmerzen, die sich vermutlich noch einstellen werden, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis Sie das überstanden haben.«

Natalie nickte schwach, dann fielen ihr die Augen wieder zu. Von alldem, was Dr. Kreutzer ihr erklärt hatte, hatte sie nur eines verstanden – ihre Unterleibsbeschwerden würden künftig weg sein. Alles andere war in Moment nebensächlich für sie.

Wie Dr. Kreutzer prophezeit haätte, setzten die Wundschmerzen noch in derselben Nacht ein und zwar mit solcher Heftigkeit, daß sich Natalie stöhnend krümmte. Die Nachtschwester spritzte ein Schmerzmittel direkt in die Infusion, und auch in den folgenden Tagen dämmerte Natalie unter der Einwirkung starker Medikamente nur so vor sich hin. Sie verlor jegliches Zeitgefühl, und als sie endlich wieder bei vollem Bewußtsein war, mußte sie feststellen, daß fast zwei Wochen vergangen waren, seit sie die Klinik zum ersten Mal betreten hatte.

»So, Fräulein Meinhardt, Sie können morgen entlassen werden«, erklärte Dr. Kreutzer bei der Visite. »Ich möchte Sie heute nachmittag nur noch untersuchen, aber ich gehe davon aus, daß alles in Ordnung ist.«

Die Untersuchung wurde für Natalie dann allerdings äußerst schmerzhaft.

»Ist es normal, daß mir das so weh tut?« wollte sie schließlich wissen.

Der Arzt streifte die Handschuhe ab. »Ja, Fräulein Meinhardt, das ist vollkommen normal. Immerhin haben Sie eine Operation hinter sich, und es dauert eine Weile, bis Ihr Körper das verarbeitet hat.« Er schwieg einen Moment. »Haben Sie eigentlich einen Freund?«

Natalie schüttelte den Kopf. »Nein, warum?«

»Nun ja, in den ersten Wochen, vielleicht sogar Monaten könnte Ihnen das intime Zusammensein mit einem Mann noch Schmerzen bereiten.«

»In diese Verlegenheit werde ich in nächster Zeit bestimmt nicht kommen«, erklärte Natalie und mußte dabei unwillkürlich an Manfred denken, der sich schnell mit einer anderen getröstet hatte, als Natalie von ständigen Unterleibsbeschwerden geplagt worden war.

»Du mußt keine Ausreden finden«, hatte er gesagt. »Ich werde bestimmt nicht in ewiger Trauer versinken, nur weil du mich nicht mehr liebst.« Dann war er gegangen.

»Gut«, meinte Dr. Kreutzer und holte Natalie damit in die Gegenwart zurück. »Ich werde Ihre Entlassungspapiere herrichten. Bis in vier Wochen sollten Sie zu mir zur Nachuntersuchung kommen.«

Natalie nickte. »In Ordnung, Herr Doktor.« Dann brachte sie sogar ein Lächeln zustande. »Vielen Dank. Ich bin so froh, daß Sie mir helfen konnten.«

»Das ist doch meine Pflicht«, entgegnete der Arzt mit gespielter Bescheidenheit. »Im übrigen war es wirklich keine große Sache. Ein Routineeingriff – weiter nichts.«

*

Die ersten beiden Wochen ohne Patrick zogen sich für Sabrina Hardenborn endlos hin – vor allem, weil von ihm weder ein Anruf noch ein Brief eintraf. Sabrina wagte sich kaum noch aus der Villa am Waldrand von Steinhausen hinaus, um nur ja keinen Anruf von Patrick zu verpassen, doch es schien, als hätte er sie mit der Abreise nach Köln völlig vergessen.

Rasch schüttelte Sabrina diesen Gedanken ab. Patrick und Tobias hatten sicher so viel Arbeit, daß einfach keine Zeit zum Briefeschreiben blieb, und ob es in dem Betrieb, den Tobias gekauft hatte, überhaupt schon einen Telefonanschluß gab, wußte sie ja auch nicht.

Doch ein Rest von Unbehagen war da, denn schließlich verfügte eine Stadt wie Köln über genügend Telefonzellen, und für einen kurzen Anruf sollte die Zeit eigentlich reichen.

Als sie das ihrer Freundin gegenüber äußerte, setzte Mareike einen bekümmerten Gesichtsausdruck auf.

»Du Ärmste«, meinte sie. »Das muß ja ganz schrecklich für dich sein.«

Sabrina nickte. »Ich verstehe es nicht. Weißt du, sogar wenn Patrick mit dem Reisebus unterwegs ist, meldet er sich beinahe jeden Tag bei mir. Und nun ist er schon fast zwei Wochen weg und hat noch nicht ein einziges Mal angerufen.« Dann faßte sie einen spontanen Entschluß. »Ich fahre nach Köln und sehe mal nach dem Rechten.«

»Das würde ich an deiner Stelle nicht tun«, entgegnete Mareike alarmiert. »Du willst ihm doch etwa nicht nachlaufen, oder?«

Entsetzt sah Sabrina ihre Freundin an. »Nachlaufen?« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist doch Unsinn, Mareike. Patrick und ich sind so gut wir verlobt.«

Mareike zuckte die Schultern. »Aber eben nur so gut wie. Schau mal, dein Patrick ist ein gutaussehender Mann…«

»Hör auf!« fiel Sabrina ihr ins Wort. »Patrick ist Busfahrer. Da hätte er täglich Gelegenheit, mit Frauen zu flirten und sogar noch mehr, wenn er beispielsweise mit einer Reisegesellschaft mehrere Wochen unterwegs ist. Wieso sollte er sich ausgerechnet jetzt eine andere anlachen?«

Mareike zuckte die Schultern. »War ja nur so ein Gedanke.« Sie schwieg einen Moment, als würde sie nachdenken, dabei hatte sie sich jedes Wort schon längst zurechtgelegt. »Stammt der alte Scholz nicht aus Köln? Ich meine, Patrick und Tobias sind dort doch aufgewachsen.« Sie machte eine Pause, um ihren nächsten Worten mehr Nachdruck zu verleihen. »Er könnte ja eine alte Sandkastenliebe ausgegraben haben.«

Doch so leicht waren in Sabrina keine Zweifel zu säen. Sie kannte Patrick seit über einem Jahr und wußte, wie ernst er die Liebe nahm. Für ihn gab es keine flüchtigen Abenteuer.

»Ich weiß nicht, warum du so etwas sagst«, erklärte sie daher befremdet. »Aber ich kann dir versichern, daß du dich irrst. Womit Patricks langes Schweigen auch immer zusammenhängt – eine andere Frau steckt jedenfalls nicht dahinter.«

Mareike senkte den Kopf. Sie wußte, daß sie es jetzt genug sein lassen mußte, wenn sie Sabrinas Vertrauen nicht verlieren wollte. Und sie spürte, daß es viel schwieriger war, Sabrina und Patrick zu entzweien, als sie ursprünglich angenommen hatte.

»Du wirst es schon wissen«, lenkte sie ein. »Immerhin kennst du Patrick viel besser als ich.« Sie überlegte kurz. »Vielleicht haben er und Tobias ja mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen. Du weißt nicht, in welchem Zustand das Unternehmen ist, das Tobias gekauft hat.«

Sabrina nickte. Dieser Gedanke war ihr ja auch schon gekommen.

»Ich warte jetzt noch eine Woche«, beschloß sie. »Wenn ich dann noch immer nichts von Patrick gehört habe, fahre ich nach Köln. Tobias hat mir ja die Adresse gegeben, bevor er mit Patrick abgereist ist.«

Dieser Idiot, dachte Mareike wütend. Wenn man nicht alles selbst in die Hand nimmt…

»Das ist eine gute Idee«, stimmte sie jedoch scheinheilig zu. »Aber ich bin sicher, daß sich Patrick schon in den nächsten Tagen bei dir melden wird.«

»Hoffentlich«, seufzte Sabrina. »Ich komme beinahe um vor Sehnsucht nach ihm, und wenn ich nur daran denke, daß es vielleicht noch Wochen oder gar Monate dauern kann, bis er wieder nach Hause kommt…«

Mareike hörte nicht mehr hin. In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Sie mußte etwas unternehmen, denn Sabrina war durchaus zuzutrauen, daß sie ohne Vorwarnung einen Koffer packte und nach Köln abbrauste. Mareike wartete nur noch ab, bis sich eine günstige Gelegenheit ergab, sich zu verabschieden, dann fuhr sie nach Hause und hängte sich sofort ans Telefon.

»Sag mal, Tobias, bist du noch zu retten?« fragte sie, kaum daß der junge Mann sich gemeldet hatte. »Wie konntest du Sabrina eine Adresse hinterlassen?«

»Sie ist nicht dumm«, entgegnete Tobias. »Glaubst du denn, sie hätte mir abgenommen, daß ich von dem Unternehmen, das ich gekauft habe, nicht einmal die Adresse hätte? Mareike, auch wenn dein Haß auf Sabrina noch so groß ist – unterschätzen solltest du sie lieber nicht.« Er seufzte. »Im übrigen wird es immer schwieriger, Patrick davon abzuhalten, daß er bei Sabrina anruft. Er glaubt zwar, daß ich schon mehrmals mit ihr telefoniert und ihr gesagt habe, wie

oft er mit dem Bus unterwegs ist, um das Unternehmen in Schwung zu bringen, aber lange kann ich ihn damit nicht mehr hinhalten.«

»Du mußt ihm noch mehr Arbeit aufhalsen«, ereiferte sich Mareike. »Er darf überhaupt keine Gelegenheit mehr haben, an einen Anruf bei Sabrina zu denken.«

»Die hat er sowieso kaum«, entgegnete Tobias. »Die Touren, die ich ihm zusammenstelle, sind so gehalten, daß er unterwegs nicht zum Telefonieren kommt, und wenn er spätabends zurück ist, fällt er todmüde ins Bett. Aber lange kann ich das nicht mehr machen.«

»Sabrina sitzt auch schon buchstäblich in den Startlö-chern«, erklärte Mareike. »Sie will noch eine Woche warten, dann wird sie nach Köln fahren. Davon müssen wir sie unter allen Umständen abhalten.« Sie schwieg einen Moment. »Ich habe mir da schon etwas überlegt.« Sie schwieg einen Moment. »Ich habe mir da schon etwas überlegt. Du wirst Sabrina morgen anrufen und ihr sagen, Patrick hätte eine Jugendliebe getroffen.«

»Er würde Sabrina niemals betrügen«, hielt Tobias entschieden dagegen.

»Was er tatsächlich tun würde, ist mir völlig egal!« wütete Mareike. »Wichtig ist nur, daß es für Sabrina so aussieht.« Sie überlegte kurz. »Ich werde im Laufe der Woche zu euch nach Köln kommen und für Patrick eine kleine Tragödie inszenieren.« Sie lachte auf. »Die gemeinsame Zeit der beiden ist vorbei – endgültig.« Dann legte sie auf, während Tobias noch eine Weile mit dem Hörer in der Hand stehenblieb.

Je länger dieses grausame Spiel dauerte, um so unerträglicher wurde es ihm. Tag für Tag sah er, wie sehr Patrick unter der Trennung von Sabrina litt, und die Lügen, die Tobias vorbrachte, taten ihm fast körperlich weh. Dabei fragte er sich, warum er sich auf diese Intrige überhaupt eingelassen hatte, doch Sabrinas Bild, das vor seinem geistigen Auge auftauchte, gab immer wieder Antwort.

Verzweifelt vergrub Tobias das Gesicht in den Händen.

»Meine Güte, Patrick«, stöhnte er. »Wenn diese Rechnung aufgeht… wenn ich Sabrina durch dieses Lügengebäude tatsächlich für mich gewinnen kann… wie soll ich dir dann jemals wieder in die Augen sehen können?«

*

Das Klingeln des Telefons fiel direkt in Sabrinas Schlaf. Sie brauchte ein paar Minuten, um vollends wach zu werden, dann griff sie hastig nach dem Hörer. Sie war überzeugt davon zu wissen, wer am anderen Ende der Leitung sein würde.

»Patrick?« fragte sie gleich hoffnungsvoll.

»Sabrina, ich bin’s, Tobias«, gab sich der Anrufer zu erkennen.

Enttäuscht ließ sich Sabrina in die Kissen zurücksinken, griff mit einer Hand nach dem Telefonapparat, der auf ihrem Nachttischchen stand, und stellte ihn vor sich auf die Bettdecke.

»Grüß dich, Tobias«, entgegnete sie endlich. »Ist Patrick schon wieder unterwegs?«

»Ja, und…« Er zögerte, dann platzte es aus ihm heraus: »Ich mußte dich einfach anrufen… ich mußte dir endlich die Wahrheit sagen. Patrick… er…« Tobias stockte und schwieg.

Sabrinas Herz zog sich angstvoll zusammen. »Ist Patrick… etwas zugestoßen?«

»Nein, es ist… Sabrina, es tut mir so leid… ich weiß nicht, was plötzlich in ihn gefahren ist. Er… er hat sich gestern verlobt.«

Sabrina hatte das Gefühl, als hätte man sie mit einem Gummihammer auf den Kopf geschlagen. Minutenlang konnte sie keinen klaren Gedanken fassen. Nur Tobias’ Worte hallten in ihr nach.

»Tobias, das… das ist doch nur ein schlechter Scherz«, brachte sie nach einer Ewigkeit des Schweigens hervor.

»Obwohl ich mit so etwas niemals Scherze machen würde, wünschte ich, du hättest recht«, erklärte Tobias leise. »Aber… Patrick hatte eine Wochenendtour nach Holland zusammen mit einer jungen Reiseleiterin, die diesen Trip als eine Art Test mitgemacht hat. Bei den beiden… es war ein Naturereignis… Liebe auf den ersten Blick. Patrick ist nicht mehr er selbst. Für ihn gibt es nur noch diese Frau.« Er schwieg einen Moment. »Mich hat er mit der ganzen Arbeit hier sitzenlassen. Er ist mit Vanessa einfach auf und davon, nachdem sie sich gestern ganz überstürzt verlobt haben.«

Noch immer weigerte sich Sabrinas Herz, das alles zu glauben. Es konnte einfach nicht wahr sein! Bestimmt würde sie gleich aufwachen und feststellen, daß es nichts anderes als ein böser Alptraum gewesen war.

»Irgendwie fühle ich mich schuldig an der ganzen Geschichte«, drang Tobias’ Stimme wieder an ihr Ohr. »Wenn ich Patrick nicht gebeten hätte, mit mir nach Köln zu gehen…«

»Unsinn, Tobias«, zwang sich Sabrina zu sagen. »Wenn Patrick mich in so kurzer Zeit vergessen konnte, weil eine andere Frau in sein Leben getreten ist, dann kann seine Liebe zu mir nicht sehr groß gewesen sein.«

Sogar durchs Telefon konnte Tobias hören, wieviel Schmerz in Sabrinas Worten lag.

»Ich, ich fühle mich ganz elend«, gestand er leise und war froh, wenigstens einmal wäh-rend dieses Gesprächs die Wahrheit gesagt zu haben.

»Dazu hast du keinen Grund, Tobias«, entgegnete Sabrina, dann schluchzte sie auf. Tobias’ Herz krampfte sich vor Mitleid zusammen, und fast hätte er der jungen Frau auf der Stelle die Wahrheit gesagt, doch dazu war es schon zu spät, denn Sabrina hatte bereits aufgelegt, und Tobias brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorstellen zu können, wie verzweifelt sie jetzt war.

*

Stunde um Stunde saß Sabrina da und starrte blicklos vor sich hin, dann stand sie plötzlich auf, griff nach dem Hörer des Haustelefons und bat ihren Chauffeur, den Wagen vorzufahren. Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, bis das rote Cabriolet bereitstand. Angesichts des küh-len Herbsttages hatte der Chauffeur das schwarze Verdeck geschlossen, doch Sabrina hätte es wohl auch nicht wahrgenommen, wenn es offen gewesen wäre. Sie stieg ein und ließ sich zu ihrer besten Freundin fahren.

Als Mareike sie so deprimiert auf das Haus zukommen sah, in dessen Dachgeschoß sie eine kleine Wohnung hatte, wußte sie sofort, daß Tobias seine Aufgabe erfüllt hatte. Dabei hätte sie sich in ihrem Triumph am liebsten die Hände gerieben. Endlich mußte die vom Schicksal bisher so verwöhnte Sabrina auch einmal leiden! Und ihr Leid sollte lange andauern! Dafür würde Mareike sorgen.

Als sie jetzt die Tür öffnete, kehrte sie eine nicht vorhandene Besorgnis heraus.

»Sabrina, um Himmels willen, was ist passiert?« fragte sie, und niemand wäre dabei auf den Gedanken gekommen, daß sie nur ihre Rolle perfekt spielte.

»Patrick betrügt mich«, platzte Sabrina heraus. »Nein, noch viel schlimmer – er hat sich mit einer anderen verlobt.«

Mareike tat erschrocken. »Das ist doch nicht möglich!«

Mit einer fahrigen Handbewegung strich Sabrina ihr langes dunkelblondes Haar zurück.

»Das dachte ich im ersten Moment auch, aber… an Tobias’ Worten ist nicht zu zweifeln.« Plötzlich brach sie in Tränen aus. »Warum tut er mir das an? Er weiß doch, wie sehr ich ihn liebe! Wie kann er mich einfach vergessen?«

Mareike weidete sich an Sabrinas Kummer. Die bitteren Tränen der jungen Frau waren wie Balsam auf ihrer Seele, sie gönnte Sabrina diesen Schmerz von ganzem Herzen. Sie sollte daran zerbrechen… zugrunde gehen… die schöne, reiche Sabrina, die bis jetzt alles gehabt hatte, was ihr Herz begehrte, sollte die Schattenseiten des Lebens kennenlernen.

Mareike hatte Mühe, Mitgefühl zu heucheln, dennoch gelang es ihr so gut, daß Sabrina keinen Verdacht schöpfte.

»Was wirst du jetzt tun?« wollte Mareike schließlich wissen.

Sabrina seufzte. »Wenn ich das wüßte. Im ersten Moment wollte ich nach Köln fahren, um mit Patrick zu sprechen. Wenn er eine andere liebt, dann sollte er wenigstens genug Mut haben, um es mir zu sagen.« Traurig senkte sie den Kopf. »Aber von Tobias weiß ich, daß Patrick mit dieser anderen Frau weggefahren ist. Er hat keine Ahnung, wo sich die beiden aufhalten.« Sie zuckte die Schultern. »Was soll ich also in Köln?«

»Dieser Meinung bin ich auch«, stimmte Mareike erleichtert zu. »An deiner Stelle würde ich mit Patrick überhaupt nicht mehr sprechen. Er ist es nicht wert, daß du auch nur noch einen einzigen Gedanken an ihn verschwendest.«

Sabrina ließ die Worte in sich nachklingen.

»Ja… vielleicht«, murmelte sie, doch dabei kam ihr die Erinnerung an tausend Kleinigkeiten… zärtliche Küsse, romantische Liebeserklärungen und die Gewißheit, daß Patrick derartige Gefühle sehr ernst nahm. Und nun mußte sie erkennen, daß der Mann, den sie so gut zu kennen geglaubt hatte, ein völlig Fremder für sie war. Oder vielleicht doch nicht? Trog das Bild, das Tobias von ihm gezeichnet hatte?

»Er hat sich gestern verlobt.«

Wieder hörte sie Tobias’ Worte, aber die Erinnerung an ihren Abschied von Patrick, als er mit seinem Bruder nach Köln gefahren war, war stärker.

»Ich werde jede Sekunde an dich denken, Sabrina«, hatte er ihr da zugeflüstert. »Ich liebe dich mehr als alles andere…«

Abrupt stand Sabrina auf. »Es hat mir gutgetan, mit dir zu sprechen, Mareike. Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.«

Argwöhnisch sah die Freundin sie an. »Und was wird das sein?«

»Ich werde Patrick schreiben«, antwortete Sabrina entschlossen. »Irgendwann wird er nach Köln zurückkehren, und vielleicht besinnt er sich dann wieder auf das, was zwischen uns gewesen ist. Ein flüchtiges Abenteuer mit dieser Reiseleiterin kann nicht stärker sein als unsere Liebe.«

Mareike versuchte sich ihr Erschrecken nicht anmerken zu lassen. Noch vor einigen Minuten war Sabrina am Boden zerstört gewesen, und jetzt… sie wirkte, als hätte sie durch irgend etwas Auftrieb bekommen.

»Vor ein paar Minuten hast du doch noch gesagt…«, begann Mareike, aber Sabrina fiel ihr ins Wort.

»Ich weiß«, erklärte sie. »Tobias’ Anruf hat mich entsetzlich schockiert. Dann allerdings, als du sagtest, Patrick wäre es nicht wert, daß ich auch nur einen Gedanken an ihn verschwende… plötzlich fielen mir all die kleinen Dinge ein, die so selbstverständlich für mich waren… seine zärtlichen Küsse, seine Abschiedsworte, bevor er nach Köln fuhr… das alles kann nicht einfach vorbei sein.«

»Er hat sich mit dieser anderen verlobt!« entgegnete Mareike in ihrem Ärger fast zu heftig.

»Das ist richtig«, räumte Sabrina ein. »Aber könnte es nicht auch eine Kurzschlußhandlung gewesen sein? Patrick ist ein Mann… ein sehr gutaussehender Mann. Vielleicht hat es diese Frau darauf angelegt, ihn für sich zu gewinnen… vielleicht ist diese Verlobung nur die Reaktion auf die leidenschaftlichen Flammen einer Nacht.« Sie senkte für einen Moment den Kopf, dann sah sie Mareike wieder an. »Ich wäre verletzt und traurig, wenn sich dieser Verdacht bewahrheiten würde, aber es würde nicht meine Liebe zu Patrick zerstören. Ich könnte ihm verzeihen.«

»Das ist doch Irrsinn!« begehrte Mareike auf. »Bist du diesem Mann etwa hörig? Kann er deine Liebe mit Füßen treten, und du kommst trotzdem noch wie ein treues Hündchen zu ihm zurück?«

Da schüttelte Sabrina den Kopf. »Nein, Mareike, so ist es nicht. Ich liebe Patrick, und Liebe bedeutet für mich auch Verständnis… Verständnis für eine schwache Minute – und etwas anderes kann es nicht gewesen sein.« Sie schwieg einen Moment. »Wenn doch, dann war seine Liebe zu mir wohl nicht stark genug, und es ist gut, daß wir es vorher noch bemerkt haben. Aber auf jeden Fall wird es zwischen uns ein klärendes Gespräch geben. Irgendwann wird er nach Köln zurückkehren und meinen Brief vorfinden. Dann werden wir sehen, wer von uns beiden recht behält.«

»Ich«, behauptete Mareike. »Ein Mann, der fremdgeht, verdient es nicht, daß man ihm verzeiht, und ich hätte nicht gedacht, daß du so dumm und naiv sein würdest. Schick’ Patrick lieber zum Teufel, bevor er dir wirklich noch das Herz bricht.«

Das hat er schon, dachte Sabrina. Aber es läßt sich vielleicht wieder heilen – durch ihn und seine Liebe.

*

Kaum zu Hause angekommen, setzte sich Sabrina an den Schreibtisch und holte einen Bogen Papier hervor.

»Lieber Patrick«, begann sie, doch dann wollte ihr nichts mehr einfallen. Die Worte, die sie sich auf der Heimfahrt zurechtgelegt hatte, waren plötzlich wie weggeblasen.

In diesem Augenblick klang aus dem Radio ihr Lied. Als sie es zum ersten Mal gehört hatten, hatten sie sich nur bei den Händen gefaßt und stumm angesehen. Dabei hatten beide dasselbe gedacht.

Unwillkürlich griff Sabrina nun nach dem Stift und schrieb die Worte auf.

Ewige Liebe… für immer treu sein… nehmen und geben – und auch verzeih’n. Ewige Liebe kann nie vorbei sein, denn in den Herzen steht ›Für immer Dein‹.

Sie las, was sie geschrieben hatte, dann setzte sie darunter: Wenn Du mich noch ein bißchen liebst, dann komm zurück. Ich werde auf Dich warten.

Sie steckte den Brief in ein Kuvert, adressierte es und schickte es noch am selben Tag ab. In Köln nahm Tobias den Umschlag in Empfang, zögerte einen Moment und riß ihn dann auf. Er las die wenigen Worte, die doch so viel sagten, und ihm blutete das Herz.

»Oh, mein Gott, was tun wir da?« stöhnte er auf. »Was tun wir ihnen an…«

»Du wirst doch wohl nicht schwach werden?«

Mareikes unerwartete Stimme ließ ihn erschrocken herumfahren.

»Wie kommst du hierher?« entfuhr es ihm.

»Mit dem Auto«, antwortete Mareike lakonisch, dann nahm sie ihm den Brief aus der Hand, las ihn und zerriß ihn. »Mir scheint, ich komme gerade rechtzeitig. Du wärst anscheinend fähig gewesen, diesen Brief Patrick zu zeigen.« Ein bösartiges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. »Statt dessen werden wir ihm das hier zeigen.«

Tobias zögerte, ehe er das Blatt Papier aus Mareikes Händen entgegennahm, dann warf er einen Blick darauf. Es war die Kopie einer Zeitungsseite.

Hochzeit im Hause Hardenborn? stand als Überschrift über dem Artikel, den Fotos von Sabrina und einem blendend aussehenden jungen Mann ausschmückten. Verliebt lächelten sich die beiden an.

Fassungslos las Tobias den Text, der von einer neuen Liebe kündete, die Sabrina ganz plötzlich gefunden haben sollte.

»Woher hast du das?« fragte er atemlos.

Wieder zeigte Mareike dieses heimtückische Lächeln.

»Ein Computer ist geduldig«, erklärte sie. »Mit der richtigen Ausrüstung, den nötigen Programmen und dem gewissen Know how kann man damit die tollsten Sachen machen. Dazu ein paar perfekte Fotomontagen mit dem Scanner ins rechte Licht gerückt…«

»Du bist eine richtige Hexe«, entfuhr es Tobias.

Da lachte Mareike, doch dieses Lachen jagte Tobias einen eisigen Schauer über den Rücken. Unvermittelt wurde sie wieder ernst und machte einen drohenden Schritt auf den jungen Mann zu.

»Vielleicht hast du recht, und ich bin wirklich eine Hexe«, erklärte sie gefährlich leise. »Dann kann ich dich nur warnen, Tobias. Versuche nicht, dich mit mir anzulegen. Ich habe mir etwas in den Kopf gesetzt, und ich werde mein Ziel erreichen. Wenn du auch nur daran denkst, gegen mich zu arbeiten, werde ich dich vernichten – genauso wie ich die Liebe zwischen Patrick und Sabrina vernichten werde.« Sie tippte auf den Bericht, den sie selbst gefälscht und gedruckt hatte. »Wie du siehst, habe ich die Macht dazu.«

»Was könntest du mir schon antun?« fragte Tobias.

»Eine ganze Menge, mein Lieber«, entgegnete Mareike, dann sah sie ihn kopfschüttelnd an. »Im übrigen verstehe ich deinen plötzlichen Sinneswandel nicht. Du liebst Sabrina und willst sie für dich gewinnen, außerdem warst du zeitlebens auf deinen Bruder eifersüchtig. Das hast du mir selbst erzählt. Wieso steckst du dann jetzt in einem solchen Gewissenskonflikt?«

Tobias seufzte. »Ja, ich liebe Sabrina, aber nach allem, was ich in ihrem Brief an Patrick gerade gelesen habe, halte ich es für äußerst unwahrscheinlich, daß ich sie jemals erobern werde. Und was meine Gefühle für Patrick betrifft… ich war eifersüchtig auf ihn, vielleicht habe ich ihn sogar gehaßt, weil er es im Leben immer ein bißchen leichter hatte als ich, aber trotz allem ist er mein Bruder, das kann ich nicht vergessen.«

Mareike zuckte gelassen die Schultern.

»Dein Problem«, urteilte sie kalt. »Wichtig ist nur, daß wir weitermachen – gemeinsam. Dann werden wir beide unser Ziel erreichen.« Dabei überlegte sie in Wirklichkeit jetzt, wie sie zu gegebener Zeit verhindern könnte, daß sich Sabrina tatsächlich mit Tobias trösten würde. Sie gönnte der Freundin nämlich überhaupt kein Glück. Sabrina hatte schon viel zu lange die Sonnenseiten des Lebens genießen können…

*

Die Touren, die Tobias für seinen Bruder zusammenstellte, waren so knapp bemessen, daß Patrick Mühe hatte, den Zeitplan einzuhalten. Trotzdem gelang es ihm an diesem Tag, in der Nähe eines Rastplatzes, den Tobias für eine kurze Pause ausgewählt hatte, ein Telefon aufzutreiben. Hastig wählte er die Nummer der Hardenborns, und schon nach dem zweiten Klingeln meldete sich der Butler Alfons.

»Guten Tag, Alfons«, begrüßte Patrick ihn. »Hier Scholz. Kann ich bitte Sabrina sprechen?«

»Tut mir leid, Herr Scholz, das gnädige Fräulein ist außer Haus«, gab Alfons Auskunft.

»Können Sie mir sagen, wann sie zurückerwartet wird?«

»Leider nicht, Herr Scholz«, antwortete Alfons bedauernd. »Das gnädige Fräulein hat keine Nachricht hinterlassen.«

Patrick seufzte leise. »Dann richten Sie ihr bitte aus, daß ich angerufen habe.«

»Ja, selbstverständlich, Herr Scholz.«

Patrick legte auf, dann lehnte er die Stirn gegen das Glas der Telefonzelle. Was war nur mit Sabrina los? Seit zwei Wochen war er nun schon hier in Köln, und sie hatte immer noch nichts von sich hören lassen. Ob sie beleidigt war, weil er bisher nur Tobias bei ihr hatte anrufen lassen? Aber wann hätte er selbst schon Zeit und Gelegenheit gehabt, mit ihr zu telefonieren? Tobias spannte ihn als Fahrer ja außerordentlich ein.

Wieder seufzte Patrick, und fast bereute er es jetzt, daß er sich so spontan bereiterklärt hatte, seinen Bruder beim Aufbau des neuen Reisebusunternehmens zu unterstützen.

»Schäm dich, Patrick«, knurrte er sich selbst an. »Tobias hätte im umgekehrten Fall für mich dasselbe getan, und es ist unfair, ihn für Sabrinas beharrliches Schweigen verantwortlich zu machen.« Doch auch laut ausgesprochen, vermochten ihn diese Worte nicht zu trösten. Instinktiv fühlte er, daß die Beziehung zwischen Sabrina und ihm einen Knacks bekommen hatte, dabei konnte er sich keinen triftigen Grund dafür denken. Sie waren doch schon des öfteren getrennt gewesen – allerdings hatten sie da immer ausgiebig miteinander telefoniert oder sich wenigstens geschrieben.

»Vielleicht sollte ich das einmal tun«, beschloß Patrick. »Ein schöner, romantischer Liebesbrief…«

In diesem Moment klopfte jemand an die Telefonzellentür.

»Können wir weiterfahren, Herr Scholz?« fragte einer der Mitreisenden. »Wir sollen doch in einer Stunde schon am Museum sein.«

»Ich komme«, meinte Patrick und warf einen Blick auf die Uhr. Die kurze Rast hätte schon vor zehn Minuten beendet sein sollen. Es würde also ziemlich knapp werden.

Ich muß mit Tobias sprechen, dachte er, während er hinter dem Steuer Platz nahm und den Motor anließ. Die Touren müssen von nun an mehr und vor allem längere Pausen enthalten.

Patrick kam dann allerdings nicht dazu, diesen Vorschlag zu äußern, denn als er gegen elf Uhr abends die kleine Wohnung erreichte, die er mit seinem Bruder teilte, sah er zu seiner Überraschung, daß Tobias mit Mareike im Wohnzimmer saß. Bei seinem Eintreten blickten die beiden auf, und sofort erhob sich Mareike, um auf ihn zuzueilen. In ihrem Gesicht stand Anteilnahme geschrieben.

»Patrick, es tut mir so leid«, murmelte sie und ergriff wie tröstend seine Hand.

Der junge Mann erschrak. »Ist Sabrina etwas zugestoßen? Ich habe heute bei ihr angerufen, aber Alfons…«

Auch Mareike und Tobias erschraken nun zutiefst, doch Patrick war im Moment zu aufgeregt, um es zu bemerken.

»Hast du… mit ihr gesprochen?« fragte Mareike vorsichtig und überlegte schon fieberhaft, was sie tun sollte, wenn er es bestätigen würde.

Doch Patrich schüttelte den Kopf. »Sie war nicht zu Hause.« Dann ergriff er Mareike fest bei den Schultern. »Sag endlich, was geschehen ist. Hatte Sabrina einen Unfall?«

»Nein, Patrick, nichts dergleichen«, entgegnete Mareike, dann senkte sie den Kopf, als würde es ihr schwerfallen weiterzusprechen. In Wirklichkeit hatte sie nur Mühe, ihren Triumph zu verbergen. Alles lief wie am Schnürchen! »Sabrina… sie hat…« Mareike seufzte. »Hat sie jemals mit dir über Graf Thorsten von Bergenau gesprochen?«

Patrick runzelte die Stirn. »Nein, noch nie. Warum?«

Mareike strich mit einer Hand ihr dunkles Haar zurück, ihr Gesicht drückte Kummer und Sorge aus. »Ach, Patrick, ich weiß gar nicht, wie ich es dir sagen soll.« Sie begleitete ihn zum Sofa. »Setz dich erst einmal.«

Sie suchte Tobias’ Blick, doch er wich ihr aus. Er bewunderte Mareikes schauspielerisches Talent, doch das Mitleid mit seinem Bruder war stärker, und Tobias fragte sich, wie lange er dieses entsetzliche Spiel überhaupt noch durchhalten würde. Nie hätte er gedacht, daß seine Gefühle für Patrick so stark sein würden – von Eifersucht oder gar Haß war nichts mehr übrig. Er litt mit Patrick, und der Drang, seinem Bruder die Wahrheit zu sagen, wurde in ihm immer stärker.

»Graf Thorsten hatte es sich einmal in den Kopf gesetzt, Sabrina zu heiraten«, fuhr Mareike nun fort, »und sie waren auch schon so gut wie verlobt, als Sabrina dich kennenlernte.« Sie seufzte. »Was genau passiert ist, weiß ich nicht, aber zwischen Sabrina und Thorsten ist es jedenfalls zum Bruch gekommen. Er war rasend vor Eifersucht, weil Sabrina nun mit dir zusammen war.« Prüfend sah sie Patrick an und bemerkte das Zukken auf seinem Gesicht. Am liebsten hätte sie laut gejubelt. Das klappte ja besser, als sie gedacht hatte!

»Ich bin nicht sicher, ob sie das tatsächlich beabsichtigt hatte«, erklärte Mareike. »Eine Weile glaubte ich sogar, sie würde dich wirklich lieben, aber jetzt…« Langsam, als würde es ihr große Qual bereiten, zog sie die eigens für Patrick angefertigte Kopie eines vermeintlichen Zeitungsberichts hervor. »Vor ein paar Tagen habe ich Sabrina und Thorsten zufällig in der Villa der Hardenborns überrascht. Sie taten zwar so, als wäre ihr Zusammensein rein freundschaftlich, doch gestern stieß ich dann in der Redaktion auf diesen Bericht, den mein Kollege verfaßt und bereits in Druck gegeben hat. Von dem ersten Exemplar habe ich gleich eine Kopie gemacht.« Sie zögerte noch einen Moment, dann reichte sie Patrick das Blatt Papier.

Völlig fassungslos starrte er auf den Bericht, und sein Gesicht verlor dabei alle Farbe.

»Ich war also nur Mittel zum Zweck«, flüsterte er bestürzt. »Das ganze Gerede von Verlobung…« Er brachte den Satz nicht zu Ende, weil ihn die Tränen im Hals würgten. Tapfer schluckte er sie hinunter und versuchte den schier unerträglichen Schmerz in seinem Herzen zu ignorieren, doch es ging nicht. Patrick hatte das Gefühl, innerlich zu verbrennen… ihm war, als würde sein Herz in Stücke zerbrechen. Seine Hände, die noch immer die Kopie hielten, zitterten so sehr, daß er kein Wort hätte lesen können, selbst wenn er es gewollt hätte. Dann entglitt das Papier seinen Fingern und fiel zu Boden. Mit brennenden Augen starrte Patrick auf die verliebt lächelnde Sabrina, dann sprang er abrupt auf, rannte aus dem Wohnzimmer und verließ Sekunden später auch die Wohnung. Die Tür schlug zu, und wie aus weiter Ferne hörte man noch seine Schritte auf der Treppe.

Mareike lachte auf. »Das war filmreif! Besser hätte dieses Stück nicht inszeniert sein können!«

»Du eiskaltes, berechnendes Biest!« schleuderte Tobias ihr ins Gesicht. »Es wäre für Patrick schlimm genug gewesen, Sabrina an einen anderen zu verlieren, aber ihm auch noch durch die Blume zu sagen, daß Sabrina ihn nur benutzt hätte, um diesen Thorsten eifersüchtig zu machen…« Tobias stand so heftig auf, daß der schwere Sessel beinahe umgekippt wäre. »Wenn sich mein Bruder etwas antut, dann wirst du deines Lebens nicht mehr froh, das schwöre ich dir.«

Damit verließ auch er die Wohnung, und er hoffte, daß Mareike nicht mehr da sein würde, wenn er zurückkam. Hastig lief er die Stufen hinunter und aus dem Haus, dann sah er sich um, doch von Patrick war nichts zu sehen. Tobias’ Herz klopfte so heftig, daß er glaubte, es müsse zerspringen, und die Angst um seinen Bruder schnürte ihm förmlich die Kehle zu.

»Patrick!« rief er, doch er bekam keine Antwort.

Fast eine Stunde lang durchkämmte er die Straßen des Wohnblocks, bis er seinen Bruder endlich fand. Zusammengekauert saß Patrick am Straßenrand, die Knie hochgezogen und das Gesicht in den Händen vergraben. Sein ganzer Körper bebte, und obwohl Tobias sah, daß er weinte, wußte er genau, daß dieses Zittern nicht allein davon herrührte. Der Herbstwind war in den ersten Stunden dieses neuen Tages schneidend kalt geworden.

Ohne zu überlegen zog Tobias seine Jacke aus und legte sie um die bebenden Schultern seines Bruders.

»Komm, Patrick«, bat er leise. »Du holst dir hier draußen ja den Tod.«

»Na und?« Patricks Stimme kam leise und gebrochen. »Was ist mein Leben denn noch wert?«

»Patrick, ich…« Er stockte. Es war zu spät, um die Wahrheit zu sagen. Er steckte schon zu tief in diesem grausamen Komplott mit drin.

»Ich weiß, daß es weh tut, Patrick«, flüsterte Tobias und schämte sich für jedes Wort, das er sagte. »Aber du wirst darüber hinwegkommen. Die Zeit wird deine Wunden heilen…«

*

Wie jeden Tag nach Beendigung der Sprechstunde fuhr Dr. Daniel noch in die Waldsee-Klinik, um dort nach dem Rechten zu sehen. Er hatte sein Büro gerade betreten, als ihm die Sekretärin Martha Bergmeier über den Hausanschluß einen jungen Mann ankündigte.

»Dr. Köhler«, wiederholte Dr. Daniel, dann zuckte er die Achseln. »Der Name sagt mir zwar nichts, aber…« In diesem Moment fiel ihm ein, daß Dr. Metzler, der Chefarzt der Waldsee-Klinik, ihm einen Kollegen angekündigt hatte, der in Amerika große Erfolge mit einer neuen Behandlungsmethode erzielte. Nun klang der Name Köhler zwar nicht amerikanisch, aber vielleicht handelte es sich ja dennoch um besagten Kollegen. »Schicken Sie ihn bitte herüber, Frau Bergmeier.«

»Er ist bereits auf dem Weg zu Ihnen«, erklärte Martha.

In diesem Moment klopfte es auch schon.

»Ja, bitte!« rief Dr. Daniel und erhob sich, um dem Kollegen entgegenzugehen. Dabei erstaunte ihn das jugendliche Aussehen des Arztes. Nach Dr. Metzlers Bericht hatte er mit einem etwas älteren Mann gerechnet.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, erklärte Dr. Daniel und reichte dem jungen Mann die Hand. »Dr. Metzler hat mir bereits von Ihren großen Erfolgen berichtet…«

Der junge Mann runzelte die Stirn.

»Dr. Metzler?« wiederholte er, dann schüttelte er bedauernd den Kopf. »Ich kenne leider keinen Dr. Metzler.«

Für einen Augenblick war Dr. Daniel verwirrt. »Ja… sind Sie denn nicht der Kollege aus den Vereinigten Staaten?«

Wieder schüttelte der junge Mann den Kopf. »Leider nicht.« Dann stellte er sich vor. »Rainer Köhler ist mein Name, und die Dame in der Eingangshalle hat mich an Sie verwiesen. Sie sind doch der Direktor dieser Klinik, oder?« Er wartete Dr. Daniels Antwort gar nicht ab, sondern fügte hinzu: »Ich… ich suche eine Stelle als Assistenzarzt.«

Dr. Daniel mußte lachen. »Das war ja nun ein klassisches Mißverständnis.« Dann wies er mit einer einladenden Geste auf die beiden Stühle, die vor seinem Schreibtisch standen. »Bitte, Herr Köhler, nehmen Sie Platz.« Auch er setzte sich wieder.

»Ich nehme an, Sie machen nächstes Jahr Ihr Examen?« fuhr er fort.

Dr. Köhler senkte einen Moment den Kopf, dann sah er Dr. Daniel wieder an. »Nein, ich war schon fast ein Jahr lang als Assistenzarzt in einer kleinen Privatklinik in München tätig. Vor einem halben Jahr habe ich promoviert. Mein Doktorvater war Professor Reimann.«

Dr. Daniel nickte. Der Name des Professors war ihm ein Begriff, daher konnte er sich ausrechnen, wie gut der junge Arzt sein mußte.

»Warum haben Sie Ihre Assistenzzeit an der Privatklinik abgebrochen?« wollte er wissen.

Dr. Köhler atmete tief durch. Ihm war klar, daß er jetzt ehrlich sein mußte, doch das erforderte Mut. »Ich wurde entlassen – fristlos.«

Überrascht zog Dr. Daniel die Augenbrauen hoch. Damit hatte er nicht gerechnet.

»Was war der Grund dafür?« hakte er nach.

»Ich habe dem Chirurgen während einer Operation widersprochen. Er nahm bei einer Patientin eine Hysterektomie vor, die meines Erachtens nicht nötig gewesen wäre. Ich weiß natürlich, daß es mir nicht zugestanden hätte, einen erfahrenen Chirurgen zu belehren, aber… die Frau war noch so jung und…« Er zuckte hilflos die Schultern. »Aus er draußen war und ich die Wunde schließen sollte, riet mir der Anästhesist, daß ich besser meinen Mund halten solle, da der Chirurg auf mich ohnehin nicht gut zu sprechen sei und ich damit nur eine Kündigung provozieren würde.« Er schluckte, ehe er fortfuhr: »Ich habe geantwortet, ein Rauswurf aus dieser Klinik könnte nur eine Beförderung sein.«

»Woraufhin Sie diese Beförderung zu spüren bekommen haben«, vermutete Dr. Daniel. »Das ist natürlich eine schlimme Geschichte.«

Aufmerksam betrachtete Dr. Köhler ihn, dann nickte er. »Ich verstehe schon, was Sie mir damit sagen wollen.« Er stand auf. »Entschuldigen Sie, daß ich Sie belästigt habe.«

»Sie haben mich überhaupt nicht belästigt«, stellte Dr. Daniel richtig. »Und bitte, bleiben Sie doch sitzen, Herr Köhler. Ich bin noch nicht fertig.« Er musterte den Assistenzarzt. »Sie sind ausgesprochen jung.«

Dr. Köhler nickte. »Ich habe im Gymnasium eine Klasse übersprungen.«

Dr. Daniels Gesicht drückte Anerkennung aus. »Es wäre für Sie also nicht so schlimm, wenn Sie jetzt ein paar Monate verlieren würden.«

Der junge Mann zögerte. »Das wollte ich zwar eigentlich nicht, aber… nein, schlimm wäre es nicht.«

»Hören Sie zu, Herr Köhler, in einem Vierteljahr wird hier

in der Klinik eine Assistentenstelle frei, weil mein Sohn an ein anderes Krankenhaus wechseln wird, um seinen Facharzt zu machen.«

Dr. Köhler konnte kaum glauben, was er da gerade gehört hatte. »Heißt das… Sie bieten mir diese Stelle an, obwohl ich in Ihren Augen doch so etwas wie ein ungehobelter Quertreiber sein muß?«

»Ich werde die Katze nicht im Sack kaufen, wie man so schön sagt«, erwiderte Dr. Daniel. »Selbstverständlich werde ich über Sie Erkundigungen einholen. Ich kenne Professor Reimann, und ich nehme an, es wird Ihnen recht sein, wenn ich mich mit dem Professor über Sie unterhalten werde.«

Dr. Köhler nickte ohne zu zögern. »Natürlich ist mir das recht.«

»Gut«, meinte Dr. Daniel. »Reichen Sie möglichst bald eine schriftliche Bewerbung ein. Ich werde dann mit dem Chefarzt und dem Oberarzt der Klinik darüber entscheiden, ob wir Sie einstellen können.« Er schwieg einen Moment. »Ich für mein Teil lasse mich dabei auch von meinem Instinkt leiten, und da habe ich bei Ihnen ein recht gutes Gefühl.«

Ein erleichtertes Lächeln glitt über das Gesicht des jungen Arztes. »Danke.« Er schwieg einen Moment, dann fügte er hinzu: »Wenn Sie mich wirklich einstellen, werden Sie es nicht bereuen müssen. Ich bin kein Quertreiber, ich will nur möglichst viel lernen.«

»Dazu bestehen hier in der Klinik die besten Voraussetzungen«, meinte Dr. Daniel, dann stand er auf und reichte Dr. Köhler mit einem freundlichen Lächeln die Hand. »Also, ich höre von Ihnen, und ich denke, daß ich von Professor Reimann nichts Unerfreuliches erfahren werde.«

*

Völlig aufgelöst kam Natalie Meinhardt zur Nachuntersuchung in die Klinik.

»Herr Doktor, ich habe meine Tage nicht bekommen«, platzte sie heraus, kaum daß Dr. Kreutzer den Raum betreten hatte.

»Aber, liebes Fräulein Meinhardt«, entgegnete er mit einem jovialen Lächeln, »so etwas ist nach einem solchen Eingriff völlig normal.«

Mißtrauisch sah Natalie ihn an. »Wirklich?«

»Selbstverständlich«, bekräftigte Dr. Kreutzer, dann sah er demonstrativ auf die Uhr. »Ich habe heute leider nicht viel Zeit. Wir können nur rasch die Untersuchung machen, für weitere Fragen muß ich Sie an Herrn Hilgert verweisen. Ich habe ihn über den Eingriff unterrichtet. Er wird Ihnen also zufriedenstellende Antworten geben können.«

»Danke, Herr Doktor«, murmelte Natalie, während sie begann, sich freizumachen, dann legte sie sich auf den Untersuchungsstuhl.

Inzwischen hatte sich Dr. Kreutzer ein Paar Plastikhandschuhe übergestreift und nahm jetzt die Untersuchung vor. Unwillkürlich zuckte Natalie zusammen.

»Na, jetzt kann es aber nicht mehr weh tun«, erklärte Dr. Kreutzer in vorwurfsvollem Ton, dann sah er Natalie an. »Mir scheint, Sie sind doch ein bißchen sehr empfindlich. Aber im großen und ganzen ist alles in Ordnung.«

»Im großen und ganzen?« wiederholte Natalie fragend. »Heißt das…«

»Das heißt gar nichts«, fiel Dr. Kreutzer ihr ungeduldig ins Wort. »Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte. Ich habe noch ein wenig mehr zu tun, als mit Ihnen über harmlose Redewendungen zu diskutieren.«

Natalie war von dem unhöflichen Ton des Arztes mehr als befremdet. Er nickte ihr nur verabschiedend zu, dann verließ er den Untersuchungsraum. Natalie kleidete sich wieder an, trat auf den Flur hinaus und sah sich um, doch weit und breit war niemand zu sehen. Mit einem tiefen Seufzer machte sie sich auf den Weg zum Ausgang, zögerte noch einen Moment, bevor sie sich entschloß, sofort zu dem Heilpraktiker zu fahren.

Sie hatte Glück. Siegfried Hilgert war nicht nur gerade in seiner Praxis, er hatte im Moment auch keinen Patienten und konnte sich daher gleich für Natalie Zeit nehmen.

»Ich habe es zu Dr. Kreutzer schon gesagt, daß ich meine Tage nicht bekommen habe«, eröffnete Natalie das Gespräch. »Er meinte, das wäre nach einer solchen Operation normal. Im übrigen hatte er aber keine Zeit, sich näher mit mir zu unterhalten, deshalb hat er mich an Sie verwiesen.«

Siegfried Hilgert nickte. »Ich weiß über den Fall ja auch bestens Bescheid. Dr. Kreutzer hat mir umfangreiche Unterlagen geschickt.« Er lächelte Natalie aufmunternd an. »Er hat vollkommen recht. Sehen Sie, Fräulein Meinhardt, der Zyklus einer Frau ist sehr leicht zu beeinflussen. Die geringste Streßsituation kann ihn bereits durcheinanderbringen. Der Eingriff bedeutete für Ihren Körper eine ganz extreme Streßsituation, und deshalb sind in diesem Monat Ihre Blutungen ausgefallen. Darüber sollten Sie sich wirklich keine weiteren Gedanken machen.«

»Ich fühle mich aber nicht besonders gut«, wandte Natalie ein. »Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Nachts kann ich nur noch schlecht schlafen. Ich bekomme immer wieder fürchterliche Schweißausbrüche, und tagsüber kann ich mich nur schwer konzentrieren.«

Der Heilpraktiker nickte verständnisvoll. »Das ist ganz na-türlich, Fräulein Meinhardt. Wenn Sie nachts nicht schlafen können, dann sind Konzentrationsschwierigkeiten die ganz normale Folge. Trinken Sie eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen eine Tasse Tee, und zwar Hopfenzapfen und Baldrianwurzel zu gleichen Teilen gemischt. Davon einen Teelöffel mit einem Viertelliter heißem Wasser übergießen und zehn Minuten ziehen lassen. Sie werden sehen, das hilft Ihnen ganz sicher. Und wenn Sie nachts erst wieder schlafen können, dann kehrt auch die Konzentration zurück.«

Natalie nickte. »Kann ich gegen diese wirklich schrecklichen Schweißausbrüche auch etwas tun?«

»Versuchen Sie es doch mal mit Wechselduschen – abwechselnd heiß und kalt, mit kalt aufhören. Das wird Ihnen bestimmt Erleichterung verschaffen.«

Da konnte Natalie sogar ein wenig lächeln. »Danke, Herr Hilgert. Ich bin froh, daß Sie sich für mich Zeit genommen haben.«

»Das ist schließlich meine Pflicht«, betonte Siegfried Hilgert mit gespielter Bescheidenheit. Er zögerte kurz, dann fügte er mit beschämt gesenktem Blick hinzu: »Es tut mir sehr leid, aber ich muß für dieses Beratungsgespräch wieder zwanzig Mark berechnen.«

»Ach so, ja«, meinte Natalie. »Entschuldigen Sie, daß ich nicht selbst daran gedacht habe.« Sie holte ihre Geldbörse hervor, bezahlte und bekam wieder eine Quittung, dann begleitete der Heilpraktiker sie noch hinaus.

Natalie bestieg ihr Auto und fuhr zur Apotheke. Eine junge Apothekerin kam mit einem freundlichen Lächeln auf sie zu, und Natalie verlangte den Tee, den Siegfried Hilgert ihr empfohlen hatte. In diesem Moment stieg ihr die Hitze in den Kopf, und innerhalb weniger Sekunden war sie völlig naßgeschwitzt.

»Haben Sie das öfter?« fragte die junge Apothekerin besorgt.

Natalie nickte. »Ich hatte eine Endometriose und wurde deswegen operiert. Seitdem bekomme ich diese Schweißausbrüche immer wieder. Herr Hilgert hat mir jetzt zu Wechselduschen geraten.«

»Der… Heilpraktiker Hilgert?« vergewisserte sich die Apothekerin.

Natalie wurde hellhörig. »Ja, warum?«

»Ich möchte Ihnen einen Rat geben«, erklärte die Frau. »Nicht als Apothekerin, sondern von Frau zu Frau. Gehen Sie mit diesen Beschwerden zu einem Arzt… am besten zu einem Gynökologen. Ich will Sie nicht erschrecken und vor allen Dingen auch keine Diagnosen stellen, die mir nicht zustehen, aber ich erinnere mich, daß meine Mutter unter ganz ähnlichen Schweißausbrüchen litt, als sie in die Wechseljahre kam.«

»Dafür bin ich ja wohl noch ein bißchen zu jung«, wandte Natalie ein.

»Eben«, meinte die Apothekerin, dann fügte sie eindringlich hinzu: »Lassen Sie sich besser untersuchen.«

Natalie seufzte. »Wenn ich nur wüßte, von wem. Ich war vor der Operation schon bei so vielen Ärzten, aber keiner hat diese Endometriose erkannt. Ich weiß nicht, zu wem ich jetzt noch Vertrauen haben soll.«

Die junge Apothekerin zögerte. »Ich darf Ihnen eigentlich keinen Arzt empfehlen, aber… ich persönlich nehme den Weg von München nach Steinhausen sehr gern auf mich. Es gibt dort nur einen Gynäkologen – den besten, den Sie finden können.«

Natalie verstand. »Ich werde hinfahren, und… danke.«

*

»Gnädiges Fräulein, heute um die Mittagszeit hat Herr Scholz für Sie angerufen«, erklärte der Butler Alfons mit einer formvoll-endeten Verbeugung.

Sabrinas Herz begann heftiger zu schlagen. Patrick! Er hatte ihren Brief also bekommen!

Hastig lief sie auf ihr Zimmer, riß den Hörer von der Gabel und wählte die Nummer, die Tobias ihr gegeben hatte. Jetzt verfügte sein Unternehmen ja endlich über eine funktionierende Telefonleitung.

»Tobias!« stieß sie hervor, kaum daß er sich gemeldet hatte. »Patrick hat bei mir angerufen!«

Einen Augenblick herrschte Schweigen in der Leitung.

»Es tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muß, Sabrina«, erklärte Tobias dann. »Ich war es, der angerufen hat.«

Deprimiert sackte Sabrina zusammen. Natürlich. Alfons hatte ja nur gesagt, Herr Scholz hätte angerufen, und Tobias war ebenfalls Herr Scholz.

»Und ich dachte…«, begann sie leise, dann schluchzte sie auf. »Wie kann er mir das nur antun? Tobias, ich liebe ihn! Ich liebe ihn so sehr, daß ich ihm sogar einen Seitensprung verzeihen könnte.«

Wieder dauerte es eine Weile, bis Tobias antwortete.

»Dein Brief an Patrick ist angekommen«, erklärte er. »Ich werde ihn aufbewahren, bis er zurückkommt… wenn er zu-rückkommt.«

»Er muß!« stieß Sabrina hervor. »Er kann doch nicht vergessen haben, was zwischen uns gewesen ist. Soviel kann ihm diese andere gar nicht bedeuten! Und… ich werde auf ihn warten! Ich würde jahrelang warten, wenn es sein müßte.«

»Ich weiß«, murmelte Tobias, und seine Stimme klang dabei gepreßt. »Sabrina, ich…« Er stockte, dann fuhr er fort: »Ich werde es ihm ausrichten, wenn er zurückkommt.«

»Danke, Tobias, und bitte… sag mir Bescheid, wenn du von ihm hörst – gleichgültig, was es sein sollte.«

»In Ordnung, Sabrina.«

Langsam ließ sie den Hörer sinken. Ihr Hochgefühl, das sie nach Alfons’ Nachricht ergriffen hatte, war wie weggeblasen, und die Beschwerden der letzten Tage traten jetzt auch wieder zum Vorschein.

»Kindchen, was ist denn los mit dir?« fragte ihre Mutter besorgt, als sie nach kurzem Anklopfen Sabrinas Zimmer betreten hatte.

Das junge Mädchen hob den Kopf und sah sie traurig an. »Es war Tobias. Tobias hat angerufen, nicht Patrick.«

Spontan legte Gudrun Hardenborn einen Arm um die Schultern ihrer Tochter. »Ich hätte das von Patrick nicht gedacht, und… irgendwie paßt ein solches Verhalten auch nicht zu ihm.« Sie streichelte über Sabrinas Haar, das mit dem Kummer jeglichen Glanz verloren hatte. »Trotz allem solltest du jedoch versuchen, auch ein biß-chen auf dich selbst zu schauen. Sabrina, Kind, du bist blaß, und abgenommen hast du auch.«

Sabrina nickte. »Ich bringe morgens keinen Bissen hinunter.« Sie winkte ab. »Eigentlich habe ich den ganzen Tag keinen Appetit. Und immer wieder diese Schwindelanfälle.« Sie seufzte. »Das kommt bestimmt davon, daß ich nachts kaum noch schlafen kann. Immerzu muß ich an Patrick denken.«

»Du solltest zu Frau Dr. Daniel gehen«, riet ihre Mutter. »So heißt Frau Dr. Cariso doch jetzt.«

»Ja… vielleicht«, murmelte Sabrina.

»Nicht nur vielleicht«, entgegnete Gudrun Hardenborn energisch. »Am besten wird es sein, wenn wir sofort fahren. Ich begleite dich.«

»Aber, Mutti, ich bin dreiundzwanzig«, erinnerte Sabrina sie und brachte dabei ein vages Lächeln zustande. »Ich bin wirklich in der Lage, allein zum Arzt zu gehen.« Sie schwieg kurz. »Emil wird mich fahren.«

Doch als Sabrina die Praxis der Allgemeinmedizinerin Dr. Manon Daniel erreichte, mußte sie feststellen, daß die Ärztin nicht mehr da war.

»Ich könnte Ihnen einen Termin für morgen vormittag geben«, erklärte die Empfangsdame Gabi Meindl, die hier in der Gemeinschaftspraxis sowohl für Manon als auch für ihren Mann arbeitete. »Wenn es dringend ist, könnten Sie auch in die Waldsee-Klinik hinüberfahren.«

»Nein«, wehrte Sabrina ab. »Ein Notfall bin ich ganz bestimmt nicht.«

In diesem Moment trat Dr. Daniel aus seinem Sprechzimmer.

»Sabrina«, erklärte er überrasscht. »Was führt Sie denn zu mir?«

Die junge Frau zwang sich zu einem Lächeln. »Eigentlich wollte ich zu Ihrer Frau, Herr Doktor, aber ich mußte feststellen, daß sie nur noch vormittags arbeitet.«

»Kann ich vielleicht etwas für Sie tun?« fragte Dr. Daniel, dann lächelte er. »Immerhin kenne ich Sie ja schon seit Ihrer Geburt.«

Die Aussicht, mit dem warmherzigen Dr. Daniel zu sprechen, war zu verlockend, als daß Sabrina hätte ablehnen können.

»Wenn Sie ein paar Minuten für mich Zeit haben, würde ich mich gern mit Ihnen unterhalten. Vielleicht genügt das ja schon, um festzustellen, woher meine derzeitigen Beschwerden kommen.« Sie seufzte leise. »Das heißt… eigentlich weiß ich es ja selbst.«

»Das klingt aber sehr melancholisch«, stellte Dr. Daniel fest, dann begleitete er Sabrina in sein Sprechzimmer. »Bitte, nehmen Sie Platz, Sabrina, und dann schildern Sie mir Ihr Problem.«

»Es geht um Patrick«, stieß die junge Frau hervor. »Er ist mit seinem Bruder nach Köln gegangen und hat dort eine Reiseleiterin kennengelernt.«

»Langsam, Sabrina«, bat Dr. Daniel. »Ich bin nicht mehr so genau auf dem laufenden. Abgesehen von den jährlichen Routineuntersuchungen haben wir uns ja nicht mehr gesehen, und das letzte, was ich gehört habe, waren die Gerüchte, die Frau Hauser über Sie und Graf Thorsten von Bergenau verbreitet hat.« Er schmunzelte. »Wobei ich das, was Frau Hauser Tag für Tag erzählt, nicht immer ganz ernst nehme.«

»Frau Hauser«, wiederholte Sabrina, dann konnte sie den Namen zuordnen. »Ach ja, die Besitzerin des hiesigen Gemischtwarenladens. Also, da tun Sie sicher gut daran, nicht alles ernst zu nehmen. Zwischen Thorsten und mir bestand nie etwas anderes als Freundschaft, aber das haben natürlich viele falsch aufgefaßt. Im übrigen habe ich ihn nicht mehr gesehen, seit ich Patrick kennengelernt habe, und das ist nun schon mehr als ein Jahr her.« Mit stockender Stimme erzählte sie Dr. Daniel, was sich in den letzten Wochen zugetragen hatte, dann brach sie in Tränen aus. »Es tut so weh! Ich habe ihm geschrieben… daß ich auf ihn warten werde… aber… wer weiß, ob er jemals zurückkommt…«

»Das ist natürlich eine tragische Geschichte«, urteilte Dr. Daniel. »Gibt es wirklich kei-

ne Möglichkeit, Patricks Aufenthaltsort ausfindig zu machen?«

Sabrina schüttelte den Kopf. »Zuletzt war er mit seinem Bruder in Köln, und Tobias hat nun gesagt, er wäre mit dieser Frau auf und davon. Er hat keine Ahnung, wohin Patrick sich gewandt hat.« Sie seufzte. »Herr Doktor, ich bin so verzweifelt. Nachts kann ich nicht schlafen, und dann kommen immer wieder diese Schwindelanfälle… die Übelkeit, weil ich nichts essen kann…«

Dr. Daniel wurde hellhörig. »Es kann schon sein, daß das alles mit Ihrem Liebeskummer zusammenhängt, aber es besteht auch die Möglichkeit, daß Ihre Beschwerden eine andere Ursache haben.«

Erschrocken blickte Sabrina auf. »Sie denken… ich bin krank?«

»Wenn ich ehrlich bin – an eine Krankheit denke ich eigentlich weniger. Wann hatten Sie zuletzt Ihre Tage?«

»Meine…« Sabrina stockte. In der ganzen Aufregung um Patrick hatte sie gar nicht mehr daran gedacht. »Jetzt, wo Sie es sagen… das muß mindestens schon zwei Monate her sein.« Entsetzt starrte sie den Arzt an. »Oh, mein Gott, wenn ich schwanger bin… ausgerechnet jetzt…«

»Das muß nicht unbedingt der Fall sein«, entgegnete Dr. Daniel. »In meinem Kopf schrillt nur immer eine Alarmglocke wenn von Übelkeit, Schwindelanfällen und ähnlichem die Rede ist.« Er bemühte sich um ein Lächeln. »Das ist wohl eine Berufskrankheit von mir.« Dann wurde er ernst. »Wir sollten aber für alle Fälle einen Schwangerschaftstest machen.«

Sabrina nickte zerstreut. »Ja… natürlich.« Dann sah sie Dr. Daniel verzweifelt an. »Wenn ich wirklich ein Baby von Patrick bekomme… wie soll es denn dann weitergehen?«

»Warten wir erst mal das Ergebnis des Schwangerschaftstests ab«, riet Dr. Daniel ihr, doch der Test war dann tatsächlich eindeutig positiv, und damit stellte sich die Frage, wie es jetzt weitergehen sollte, für Sabrina erst recht.

»Vielleicht sollten Sie in diesem Fall zuerst Patricks Bruder informieren«, meinte Dr. Daniel. »Es ist ja immerhin möglich, daß Patrick zuerst dorthin zurückkehrt.«

Aus großen, traurigen Augen sah Sabrina ihn an. »Ich will nicht nur wegen des Babys geheiratet werden. Wenn Patrick mich noch liebt, dann ist es mir egal, wie lange ich auf ihn warten muß, aber wenn sein Herz wirklich der anderen Frau gehört, dann… dann bleibe ich mit dem Kind lieber allein.«

Dr. Daniel sagte zwar nichts darüber, aber es imponierte ihm, daß diese junge Frau trotz der schwierigen Situation, in der sie steckte, nicht einen Augenblick an Abtreibung dachte. Sicher, Sabrina würde auch mit dem unehelichen Kind keine finanziellen Probleme haben, doch die Gewißheit, allein mit einem Baby dazustehen… voller Sehnsucht nach dem geliebten Mann, war auch für eine wohlhabende Frau schwierig genug. Schließlich sollte ein Kind nicht nur mit Geld erzogen werden, sondern vor allem mit Liebe… mit der Liebe von Vater und Mutter.

*

Natalie Meinhardt befolgte den Rat der jungen Apothekerin und machte sich gleich am nächsten Morgen auf den Weg nach Steinhausen. Im Betrieb hatte sie sich krank gemeldet, und irgendwie stimmte das ja auch. Sie hatte nachts wieder diese entsetzlichen Schweißausbrüche ge-habt, und auch auf der Fahrt nach Steinhausen überkam sie das schreckliche Hitzegefühl.

Dann erreichte sie den adretten Vorgebirgsort und hielt vor einem kleinen Gemischtwarenladen an. Sie war sicher, daß man ihr hier weiterhelfen könnte.

»Ich suche einen Frauenarzt, der in Steinhausen praktizieren soll«, erklärte sie.

»Das kann nur unser Dr. Daniel sein«, antwortete die Besitzerin des Gemischtwarenladens, dann eilte sie geschäftig um den Verkaufstresen herum und wies die Straße entlang. »Sie fahren einfach geradeaus hinunter, an der Kirche vorbei und links den Kreuzbergweg hinauf. Da können Sie die Praxis dann schon sehen.«

Natalie bedankte sich und fuhr in die angegebene Richtung. Sie hatte ein ungutes Gefühl, als sie auf die stattliche weiße Villa zuging. Warum sollte dieser Arzt so anders sein als die vielen, bei denen sie zuvor gewesen war?

Doch als sie nach kurzer Wartezeit ins Sprechzimmer gerufen wurde und Dr. Daniel ihr mit einem herzlichen Lächeln die Hand reichte, fühlte sie, wie ihr Vertrauen zu dem sympathischen Arzt erwachte.

In wenigen Worten schilderte sie ihm ihre Beschwerden und den Rat der Apothekerin.

»Seit wann haben Sie diese Schweißausbrüche?« wollte Dr. Daniel wissen.

»Seit meiner Operation vor knapp sechs Wochen.« Sie senkte einen Moment den Kopf, dann blickte sie Dr. Daniel wieder an. »Ich war wegen Unterleibsschmerzen bei unendlich vielen Ärzten, aber keiner konnte mir helfen. Dann hat mir meine Schwester geraten, ich solle doch mal zu Herrn Hilgert gehen. Er ist Heilpraktiker und…«

»Siegfried Hilgert?« vergewisserte sich Dr. Daniel.

Erstaunt sah Natalie ihn an. »Sie kennen ihn?«

»Ja«, antwortete Dr. Daniel und hätte gern »leider« hinzugefügt, doch er verbiß es sich im letzten Moment. »Was hat Ihnen Herr Hilgert geraten?«

»Er hat mich in eine kleine Privatklinik geschickt. Dort arbeitet ein Arzt, den er gut kennt. Dr. Kreutzer.«

Unwillkürlich hielt Dr. Daniel den Atem an. Dr. Kreutzer war damals doch auch in den Skandal um Siegfried Hilgert verwickelt gewesen, aber man hatte ihm nichts nachweisen können. Sein Ruf als Chirurg war zumindest damals noch unantastbar gewesen.

»Dr. Kreutzer hat mich untersucht und mir dann zur Operation geraten… das heißt… eigentlich war die Operation ein Teil der Untersuchung. Als ich aus der Narkose erwachte, sagte er mir, ich hätte Endometriose gehabt, und meine Beschwerden würden jetzt weg sein.« Sie schwieg kurz. »Das waren sie auch, aber dafür habe ich nun plötzlich diese Schweißausbrüche. Ach ja, und meine Tage sind auch ausgeblieben, aber da sagten Dr. Kreutzer und Herr Hilgert, das wäre nach einer solchen Operation ganz normal.«

Ein eisiger Schauer lief Dr. Daniel über den Rücken. Allein aufgrund dieser Beschreibung ahnte er bereits, was dieser Dr. Kreutzer tatsächlich getan hatte.

»Kommen Sie, Fräulein Meinhardt, ich muß mir das auf Ultraschall ansehen.«

Er begleitete die junge Frau ins Nebenzimmer und bat sie, sich auf die Liege zu legen, doch die Ultraschalluntersuchung bestätigte nur seinen Verdacht.

»Sie können sich wieder ankleiden, Fräulein Meinhardt«, erklärte Dr. Daniel.

»Was ist denn mit mir?« wollte Natalie wissen. »Hat Dr. Kreutzer vielleicht irgendeinen Fehler gemacht?«

Dr. Daniel zögerte.

»Das möchte ich ihm nicht unterstellen, bevor ich die vollständigen Untersuchungsberichte kenne«, entgegnete er. »Möglicherweise war die Endometriose so schlimm, daß er keine andere Wahl hatte, aber das werde ich noch herausfinden.« Er machte eine kurze Pause, weil es ihm schwerfiel, dieser jungen Frau die grausame Wahrheit zu sagen, doch so sehr er auch überlegte, es gab keine schonende Art, ihr das beizubingen. Was der Chirurg getan hatte, ließ sich nicht in schöne Worte kleiden. »Dr. Kreutzer hat Ihnen bei der Operation Gebärmutter und Eierstöcke entfernt. Was in Ihrem Körper jetzt abläuft, ist die gleiche Reaktion wie bei einer Frau in den Wechseljahren.«

Alle Farbe wich aus Natalies Gesicht. »Er hat… aber… dann kann ich ja nie mehr Kinder bekommen.« Verzweifelt schlug sie die Hände vors Gesicht. »Dieser Mensch hat meine ganze Zukunft zerstört!«

*

Dr. Daniel hatte Natalie Meinhardt persönlich in die Waldsee-Klinik gebracht, denn in ihrem momentanen Zustand konnte er für nichts garantieren. Kaum in ihrem Zimmer, bekam Natalie auf Dr. Daniels Anweisung ein starkes Beruhigungsmittel gespritzt, das rasch wirkte und die völlig verzweifelte junge Frau einschlafen ließ. Eine Weile blieb Dr. Daniel noch neben ihrem Bett stehen, dann verließ er das Zimmer, bat die Stationsschwester, ein besonders wachsames Auge auf die Patientin zu haben, und informierte auch die Gynäkologin der Klinik, Dr. Alena Reintaler.

Anschließend trat er zum Telefon und rief seinen besten Freund, Dr. Georg Sommer an.

»Hilgert und Kreutzer haben zugeschlagen«, erklärte Dr. Daniel. »Und diesmal so massiv, daß man sie wohl für immer aus dem Verkehr ziehen kann.« Er schilderte, was er von Natalie erfahren hatte und was er bei seiner ersten Untersuchung festgestellt hatte. »Sobald die Patientin in einer stabilen Verfassung ist, werde ich mir mit ihrem Einverständnis Einblick in die Akten verschaffen. Und wenn diese Totaloperation nicht ihre Berechtigung hatte, wird Kreutzer sein blaues Wunder erleben. Ob man Hilgert nachweisen kann, daß er davon wußte, ist fraglich, aber ich werde alles tun, um ihn auch zur Aufgabe seiner Heilpraktikertätigkeit zu zwingen.«

»Mit meiner Unterstützung kannst du jedenfalls rechnen«, erklärte Dr. Sommer. »Es ist höchste Zeit, daß diese beiden nicht mehr praktizieren dürfen.«

Allerdings merkte Dr. Daniel schon bald, daß sein Ziel nicht ganz leicht zu erreichen war. Mit einer von Natalie unterzeichneten Schweigepflichtentbindungserklärung machte er sich auf den Weg zu der kleinen Privatklinik und bat um ein Gespräch mit Dr. Kreutzer.

»Herr Kollege, was verschafft mir das Vergnügen?« fragte der Chirurg mit gespieltem Wohlwollen.

»Ein Vergnügen wird es ganz sicher nicht«, erwiderte Dr. Daniel ernst. »Es geht um eine Patientin, die jetzt bei mir in der Waldsee-Klinik liegt und von Ihnen operiert wurde. Natalie Meinhardt. Ich nehme an, der Name sagt Ihnen etwas.«

Dr. Kreutzers Gesicht verschloß sich. »Tut mir leid, Herr Kollege, ich bin an die Schweigepflicht gebunden.«

»Jetzt nicht mehr.« Mit diesen Worten schob Dr. Daniel die von Natalie unterschriebene Erklärung über den Tisch.

Dr. Kreutzer warf einen kurzen Blick darauf, dann zuckte er die Schultern. »Wenn das so ist, beantworte ich Ihre Fragen na-türlich.«

»Ich hätte gern Einblick in die Krankenakten«, verlangte Dr. Daniel.

Der Chirurg nickte knapp, stand auf und holte eine dünne Akte hervor, die er Dr. Daniel gab. Dieser schlug den Aktendeckel auf und überflog die kurzen Berichte, doch das, wonach er eigentlich gesucht hatte, war nicht enthalten.

»Sie haben bei Fräulein Meinhardt eine Endometriose diagnostiziert«, erklärte Dr. Daniel. »Warum steht davon nichts in der Akte?«

Dr. Kreutzer zuckte die Achseln. »Möglicherweise ist der Untersuchungsbericht verlorengegangen. Mit der Bürokratie nehmen wir es hier nicht ganz so pingelig – das Wohl der Patienten liegt uns mehr am Herzen.«

Dr. Daniel hatte bereits eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, schluckte sie aber hinunter. Noch war nicht zweifelsfrei erwiesen, daß Dr. Kreutzer einen Fehler gemacht hatte, wenn auch das Fehlen der wichtigsten Berichte dafür sprach.

»Ich vermute, mit dem Operationsprotokoll verhält es sich genauso.«

»Das ist anzunehmen«, meinte Dr. Kreutzer. »Wie gesagt…«

»Ja, ich weiß«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Die Bürokratie ist für Sie unwichtig.« Er stand auf. »Ich werde dieser Sache auf den Grund gehen, verlassen Sie sich darauf, und wenn sich herausstellen sollte, daß die Entfernung von Gebärmutter und Eierstöcken in diesem Fall nicht dringend notwendig war, dann sind Sie die längste Zeit Arzt gewesen.«

»Hören Sie auf, mir zu drohen«, erklärte Dr. Kreutzer aufgebracht. »Sie können mir nicht das geringste beweisen.«

»Noch nicht, aber das kann sich rasch ändern.«

Dr. Daniel nickte ihm verabschiedend zu, dann verließ er die Klinik. Er war überzeugt davon, daß das Fehlen der Berichte kein Zufall war. Dr. Kreutzer wollte hier etwas vertuschen, und möglicherweise würde es ihm sogar gelingen.

Aber Dr. Daniel gab noch längst nicht auf. Als nächstes suchte er Siegfried Hilgert auf, doch dieser bedeckte sich mit dem Mäntelchen der Unschuld.

»Ich habe Fräulein Meinhardt in eine Klinik überwiesen, weil ihr gesundheitliches Problem von mir nicht behandelt werden konnte. Nach der Operation kam sie zu mir und beklagte sich über Schlaflosigkeit. Daraufhin habe ich ihr einen Tee empfohlen, der mit Sicherheit nicht gesundheitsschädlich war.«

Bei diesen Worten konnte er Dr. Daniel nicht in die Augen sehen.

»Sie haben Fräulein Meinhardt gegenüber geäußert, daß Ihnen die Berichte der Klinik vorliegen«, hakte Dr. Daniel nach.

Der Heilpraktiker schüttelte den Kopf. »Da muß sie etwas mißverstanden haben. Eine derartige Äußerung habe ich nicht gemacht.«

Dr. Daniel spürte, daß er auch hier nicht weiterkam, und das, was er im Moment in den Händen hatte, reichte bei weitem nicht für eine Anklage aus.

»Kreutzer und Hilgert dürfen nicht ungeschoren davonkommen«, knurrte Dr. Daniel ärgerlich. »Es muß einen Weg geben, um sie zur Rechenschaft zu ziehen.«

*

Völlig aufgelöst kam Sabrina Hardenborn zu Dr. Daniel in die Sprechstunde.

»Ich habe Blutungen«, stieß sie hervor. »Ich werde das Baby doch nicht verlieren, oder?«

»Immer mit der Ruhe, Sabrina«, versuchte Dr. Daniel die aufgeregte junge Frau zu beruhigen. »Ich sehe mir das gleich mal an.«

Die Untersuchung ergab tat-sächlich ein besorgniserregendes Ergebnis. Es bestand die Gefahr einer Fehlgeburt.

»Sie müssen jetzt strikte Bettruhe halten«, riet Dr. Daniel ihr. »Ich würde sogar so weit gehen zu sagen, daß Sie im Moment in einer Klinik am besten aufgehoben wären.«

Sabrina nickte. »Ich tue alles, was Sie sagen, Herr Doktor.« Dann brach sie in Tränen aus. »Wenn Patrick schon nicht zu mir zurückkommt, will ich wenigstens sein Kind haben.«

Dr. Daniel rief in der Waldsee-Klinik an und bat darum, einen Krankenwagen zu ihm zu schicken, dann legte er mit einer väterlichen Geste einen Arm um Sabrinas bebende Schultern.

»Sie müssen versuchen, ein wenig zur Ruhe zu kommen«, meinte er. »Ich weiß schon, daß das gerade in einer solchen Situation sehr schwer ist, aber Ihrem Baby zuliebe sollten Sie sich nicht so viel Streß aufbürden.« Er schwieg kurz. »Haben Sie schon mit dem Bruder Ihres Freundes telefoniert?«

Sabrina bejahte deprimiert. »Patrick hat sich auch bei ihm noch nicht gemeldet. Ach, Herr Doktor, ich weiß nicht mehr weiter. Wie kann er mir nur so etwas antun? Ich dachte, er würde mich lieben…« Sie putzte sich die Nase und wischte die Tränen ab. »Patrick ist kein Mensch, der mit Gefühlen spielt. Wenn er von Liebe sprach, dann stand das auch in seinen Augen geschrieben. Ich verstehe das alles nicht. Es paßt einfach nicht zu ihm, und wenn es nicht sein Bruder Tobias wäre, der mir das erzählt hat, würde ich kein Wort glauben. Aber welchen Grund sollte Tobias haben, mich anzulügen? Und vor allem… selbst wenn er lügen würde – Patrick würde sich niemals davon abhalten lassen, sich bei mir zu melden. Es muß wahr sein… wenn ich es auch nicht begreife.«

Dr. Daniel wußte nicht, was er darauf erwidern sollte, aber vermutlich erwartete Sabrina auch gar keine Antwort.

»Ich werde Sie jetzt erst mal in die Waldsee-Klinik begleiten«, erklärte er schließlich. »Die Bettruhe wird Ihnen guttun und…« Er überlegte kurz. »Vielleicht sollte ich einmal bei diesem Tobias anrufen. Ich glaube, die Gespräche mit ihm würden Ihnen im Augenblick nur schaden, denn jedes Telefonat bedeutet eine erneute Aufregung, die Sie in Ihrem augenblicklichen Zustand unbedingt vermeiden sollten.«

Sabrina nickte, dann schrieb sie mit zitternden Fingern die Telefonnummer auf, die Tobias ihr gegeben hatte. »Es ist die Nummer von seinem Busunternehmen. Sie können ihn dort also nur tagsüber erreichen.«

»In Ordnung«, meinte Dr. Daniel. »Ich werde mich heute noch mit ihm in Verbindung setzen.« Dann lächelte er Sabrina aufmunternd an. »Vielleicht wendet sich doch noch alles zum Guten, auch wenn es im Moment nicht so aussieht.«

Sabrina nickte zwar, doch man sah ihr an, daß sie daran nicht mehr glaubte. Das Warten auf Patrick dauerte bereits viel zu lange, als daß sie wirklich noch Hoffnung hätte haben können.

*

Nach fast zwei Wochen war Patrick nur noch ein Schatten seiner selbst und Tobias voller Sorge um ihn. Damals, als er sich von Mareike zu diesem Plan hatte überreden lassen, hatte er nicht damit gerechnet, daß es so schlimm werden würde. Sicher, er hatte gewußt, daß Patrick Sabrina liebte, aber daß ihm die Trennung von ihr so sehr zusetzen würde…

»Ich fahre jetzt«, erklärte Patrick und riß Tobias damit aus seinen Gedanken.

Tobias blickte von den Unterlagen, in denen er vorgegeben hatte zu lesen, auf und direkt in das blasse Gesicht seines Bruders hinein. Die tiefen Schatten unter den Augen zeugten von vielen schlaflosen Nächten. Plötzlich bekam Tobias Angst. Wenn Patrick in diesem Zustand den Reisebus fuhr, konnte das äußerst gefährlich werden.

»Patrick, bitte, bleib hier«, erwiderte Tobias spontan. »Ich kann das nicht länger verantworten. Du bist total übermüdet und…«

Doch Patrick hörte gar nicht hin. Er drehte sich um und verließ das Büro. Tobias lief ihm nach und hielt ihn fest.

»Ich lasse dich nicht fahren.«

Aus brennenden Augen starrte Patrick seinen Bruder an.

»Dieser komische Graf hat mir Sabrina genommen – willst du mir jetzt noch meine Arbeit nehmen? Sie ist das einzige, was mir geblieben ist.«

»Patrick, ich will dir deine Arbeit nicht nehmen«, entgegnete Tobias eindringlich. »Aber ich will auch nicht, daß dir etwas passiert. Ich mache mir wirkich Sorgen um dich.«

»Seit wann?«

Tobias zuckte wie unter einem Schlag zusammen. Die unerwartete Frage seines Bruders hatte ihn mitten ins Herz getroffen.

»Seit… wann?« wiederholte er gedehnt. »Wie meinst du das, Patrick?«

»Ich bin zwar der jüngere von uns beiden, aber ich bin nicht dumm«, antwortete der Bruder. »Ich weiß, daß du mich haßt, seit ich geboren wurde, und eigentlich müßte es dir jetzt sogar guttun, mich so leiden zu sehen.« Er schwieg einen Moment, dann senkte er den Kopf. »Ich dachte immer, ich könnte es irgendwie wettmachen. Ich dachte, wenn ich dich lieben würde, dann… dann müßte von dir irgendwann etwas zurückkommen, aber das war leider ein Irrtum.« Er blickte wieder auf. »Du haßt mich noch immer, und es wird sich niemals ändern.«

Tobias’ Herz krampfte sich bei diesen Worten schmerzhaft zusammen, und Tränen würgten ihn im Hals.

»Nein, Patrick… nein«, stammelte er leise. »Ich hasse dich ja gar nicht, und… und es quält mich sogar ganz schrecklich, dich so leiden zu sehen.«

Jetzt muß ich ihm die Wahrheit sagen, dachte er. Ich kann nicht länger mit dieser Lüge leben. Patrick muß erfahren, was ich getan habe – auch auf die Gefahr hin, daß ich ihn dann für immer verliere.

»Was ist denn mit euch los?«

Mareikes Stimme fiel mitten in diese brisante Situation hinein und machte Tobias’ Vorsatz zunichte.

»Nichts«, antwortete Patrick. »Wir haben nur etwas geklärt.« Er sah Tobias an. »Mag sein, daß du dir wirklich Sorgen um mich machst, aber es ist unnötig. Wenn ich hinter dem Steuer sitze, gibt es für mich nur noch meinen Bus – sonst nichts.«

Er machte auf dem Absatz kehrt und ging auf die große Garage zu. Unwillkürlich machte Tobias einen Schritt nach vorn.

»Patrick!«

Doch sein Bruder hörte nicht. Er stieg in den Bus, ließ den Motor an und fuhr langsam aus der Einfahrt.

»Sag mal, Tobias, was ist eigentlich mit dir los?« wollte Mareike aufgebracht wissen. »Entdeckst du plötzlich brüderliche Gefühle?«

»Ja«, fuhr Tobias sie an. »Du wirst es nicht glauben, aber genauso ist es!« Sein Blick ging in die Richtung, wo Patricks Bus verschwunden war. »Wenn ihm etwas zustößt, dann werde ich meines Lebens nicht mehr froh.«

»Tobias, wenn du mit dem Gedanken spielen solltest…«, begann Mareike, doch Tobias beachtete sie nicht. Er betrat das Büro und schloß die Tür sehr nachdrücklich hinter sich. Das Gespräch mit Patrick hatte ihm nur allzu deutlich gezeigt, welchen Weg er jetzt zu gehen hat-te.

Gerade als er nach dem Hörer greifen wollte, um Sabrina anzurufen, klingelte das Telefon.

»Busunternehmen Scholz«, meldete sich Tobias.

»Hier ist Dr. Daniel aus Steinhausen«, gab sich der Anrufer zu erkennen.

Unwillkürlich hielt Tobias den Atem an. Er hatte lediglich ge-hört, daß ein Doktor am Telefon war, und das konnte für ihn in diesem Moment nur eines bedeuten.

»Ist Patrick etwas passiert?«

»Patrick?« wiederholte Dr. Daniel erstaunt. »Ja… ist er denn wieder bei Ihnen aufgetaucht?«

Tobias’ Gedanken fuhren Karussell. Er hatte keine Ahnung, wer dieser Arzt war, mit dem er da telefonierte. Nur eines wußte er mit absoluter Sicherheit – er mußte aus diesem schrecklichen Teufelskreis heraus!

»Patrick ist mit dem Bus unterwegs«, stieß er hervor. »Ich habe Angst um ihn… er ist doch völlig durcheinander wegen Sabrina… wenn ihm nun etwas passiert…«

»Beruhigen Sie sich, Herr Scholz«, bat Dr. Daniel, und seine tiefe, warme Stimme zeigte sogar am Telefon Wirkung.

Es gelang Tobias, wieder ein wenig Ordnung in seine Gedanken zu bringen.

»Wer sind Sie?« konnte er endlich fragen.

»Dr. Robert Daniel. Ich bin Gynäkologe in Seinhausen bei München. Sabrina war heute bei mir, und ich habe ihr angeboten, Sie zu benachrichtigen, weil sie ins Krankenhaus mußte.«

Tobias erschrak zutiefst. »Meine Güte, was ist denn mit ihr?«

»Nichts, worüber Sie sich große Sorgen machen müßten. Sie erwartet ein Baby, aber ich nehme an, das hat Sie Ihnen schon gesagt.«

Sekundenlang schloß Tobias die Augen. Sabrina erwartete ein Baby… von Patrick!

»Nein«, stammelte er. »Nein, ich… das ist das erste, was ich darüber höre.« Mit einer fahrigen Handbewegung strich er durch sein dichtes Haar. »O Gott, was haben wir nur getan, Herr Doktor, bitte, sagen Sie Sabrina, daß ich alles in Ordnung bringen werde. Ich… ich bringe alles wieder in Ordnung, das schwöre ich.«

»Herr Scholz!« rief Dr. Daniel noch, aber da hatte Tobias schon aufgelegt.

Völlig zusammengesunken saß er an seinem Schreibtisch. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wann er das letzte Mal gebetet hatte, doch jetzt flüsterte er Worte vor sich hin, die direkt aus seinem Herzen kamen.

»Bitte, laß nicht zu, daß Patrick etwas passiert. Ich flehe dich an, laß ihn gesund nach Hause kommen. Ich habe so viel angerichtet – ich will nicht auch noch an diesem Unglück schuld sein.«

*

Dr. Daniel begriff nicht so recht, was da gerade vorgefallen war. Der junge Mann war ja völlig durcheinander gewesen.

»Warum ist Köln nur so weit von München entfernt?« murmelte er, dann stand er auf. Er würde am späten Nachmittag noch einmal bei Tobias Scholz anrufen. Vielleicht würde es dann möglich sein, ein verständlicheres Gespräch mit ihm zu führen.

Ein rascher Blick zur Uhr zeigte ihm, daß er für seinen täglichen Besuch in der Waldsee-Klinik schon reichlich spät dran war. In einer Stunde würde bereits die Nachmittagssprechstunde beginnen. Das bedeutete, daß er nur ganz kurz nach Sabrina sehen konnte und sich dann um Natalie kümmern mußte. Ihr Zustand war noch immer äußerst bedenklich, und dabei packte Dr. Daniel erneut große Wut auf Dr. Kreutzer – vor allem, weil es so aussah, als würde dieser gewissenlose Arzt ungeschoren davonkommen.

Noch immer sehr blaß, aber wenigstens nicht mehr völlig apathisch wie in den beiden vergangenen Wochen, lag Natalie Meinhardt im Bett und starrte blicklos vor sich hin, doch bei Dr. Daniels Eintreten wandte sie den Kopf ihm zu.

»Wie fühlen Sie sich heute?« fragte der Arzt, und aus seiner Stimme klang echte Besorgnis.

Natalie antwortete mit einer Gegenfrage. »Warum bin ich denn nicht gleich bei Ihnen gelandet? Dann wäre mir das alles bestimmt erspart geblieben.« Ihre Augen brannten, doch es wollten keine Tränen mehr kommen. Sie hatte in letzter Zeit schon zuviel geweint. »Ich hätte nie auf meine Schwester hören sollen.«

Spontan setzte sich Dr. Daniel auf die Bettkante und griff nach ihrer Hand. »Machen Sie sich keine Vorwürfe, Fräulein Meinhardt. Das nutzt jetzt alles nichts mehr. Sie können nur versuchen, das Beste aus dieser unerfreulichen Situation zu machen, und zumindest eines verspreche ich Ihnen – ich werde Dr. Kreutzer zur Verantwortung ziehen, wenn es irgendwie möglich ist.«

Natalie nickte traurig. Das war für sie nur ein schwacher Trost.

»Ich werde nie ein Baby haben können«, flüsterte sie mit erstickter Stimme, dann winkte sie ab. »Im Moment steht das aber ja sowieso nicht zur Debatte.« Sie seufzte. »Mein ganzes Leben ist grau und trostlos geworden.«

»Es wird ganz bestimmt wieder anders werden, Fräulein Meinardt«, meinte Dr. Daniel. »Auch wenn Sie mir das jetzt noch nicht glauben können.« Er schwieg kurz. »Wie vertragen Sie die Tabletten, die Sie hier bekommen?«

»Bis jetzt ganz gut«, antwortete sie, dann sah sie Dr. Daniel an. »Die muß ich jetzt ein Leben lang nehmen, nicht wahr?«

Dr. Daniel nickte. »Ihr Körper muß mit den Hormonen versorgt werden, die normalerweise von den Eierstöcken produziert werden.« Er griff nach ihrer Hand und drückte sie sanft. »Ich will nichts beschönigen, Fräulein Meinhardt. Sie haben jetzt einen beschwerlichen Weg vor sich – vor allem, was die psychische Situation betrifft. Es werden sicher noch einige Tiefs auf Sie zukommen, aber Sie können mir glauben, daß ich Ihnen helfen werde, soweit es in meiner Macht steht. Das bedeutet, daß Sie jederzeit zu mir kommen können – auch wenn Sie sich nur aussprechen möchten. Zusammen werden wir das in den Griff bekommen, auch wenn es natürlich eine Weile dauern wird.«

Der Ansatz eines Lächelns huschte über Natalies Gesicht. »Es ist schön zu wissen, daß es noch Ärzte gibt wie Sie.«

*

Dr. Daniel wollte die Waldsee-Klinik gerade verlassen, als er vom Chefarzt Dr. Metzler zu-rückgehalten wurde.

»Die Bewerbungsunterlagen von diesem Dr. Köhler sind heute gekommen«, erklärte er. »Ich habe sie kurz überflogen und in dein Büro gelegt.«

Dr. Daniel nickte knapp. »Ich bin in Eile. Heute abend komme ich noch einmal her, dann werde ich sie mir in Ruhe ansehen.«

»Das glaube ich nicht«, entgegnete Dr. Metzler. »Ich bin überzeugt davon, daß du sie gleich anschauen wirst.«

Verständnislos sah Dr. Daniel ihn an. »Du sprichst in Rätseln, lieber Wolfgang.«

»Des Rätsels Lösung wird sofort geliefert«, versprach Dr. Metzler. »Ich habe mitbekommen, daß du aus gegebenem Anlaß gegen einen gewissen Dr. Kreutzer vorgehen willst. Als ich nun die Bewerbungsunterlagen von Dr. Köhler durchgeschaut habe, stach mir sofort der Name der Münchner Privatklinik ins Auge, an der er bis vor kurzem gearbeitet hat. Klingelt’s jetzt bei dir?«

»Du meinst…«, begann Dr. Daniel.

Der Chefarzt nickte. »Genau.«

Daraufhin machte Dr. Daniel auf dem Absatz kehrt und ging mit langen Schritten in sein Büro. Hastig blätterte er die Unterlagen von Dr. Rainer Köhler durch, dann griff er nach dem Telefonhörer und wählte die angegebener Nummer. Der junge Assistenzarzt meldete sich schon nach dem zweiten Klingeln.

»Daniel«, gab sich der Arzt zu erkennen. »Ich habe gerade Ih-

re Bewerbungsunterlagen angeschaut, und dabei fiel mir unser Gespräch wieder ein. Die Patientin, wegen der Sie entlassen wurden – war das Natalie Meinhardt?«

»Ich bin nicht ganz sicher, ob ich das sagen darf.«

»Kommen Sie zu mir in die Klinik, Herr Köhler. Fräulein Meinhardt wird Sie von der Schweigepflicht entbinden, und ich glaube, danach werden wir beide ein äußerst interessantes Gespräch führen.«

Mit dieser Hoffnung täuschte sich Dr. Daniel nicht. Was Rainer Köhler ihm über die Operation an Natalie Meinhardt mitteilen konnte, würde mit Leichtigkeit ausreichen, um Dr. Kreutzer den Prozeß zu machen.

Doch die Nachforschungen er-gaben noch sehr viel mehr. Was an Belastungsmaterial vorlag, kostete nicht nur Dr. Kreutzer seine Zulassung als Arzt – auch Siegfried Hilgert durfte seine Heilpraktikertätigkeit nicht fortsetzen. Es zeigte sich im Verlauf der Verhandlung, daß die angeblich pflanzliche Salbe, mit der er beispielsweise auch die Hautkrankheit von Natalies Schwester Tanja behandelt hatte, hohe Mengen von Cortison enthielt, und auch in vielen anderen Fällen konnte ihm nachgewiesen werden, daß er mit viel zu starken Medikamenten sehr sorglos verfahren war.

»Bei dieser Gelegenheit kann ich Ihnen gleich sagen, daß Sie die Assistentenstelle hier in der Klinik bekommen werden, sobald mein Sohn seine Assistentenzeit beendet hat«, erklärte Dr. Daniel, als er sich nach der Gerichtsverhandlung von Rainer Köhler verabschiedete, der einer der wichtigsten Zeugen im Prozeß gewesen war.

Der junge Arzt strahlte, doch dann wurde er plötzlich ernst. »Bekomme ich die Stelle nur, weil ich Ihnen geholfen habe, gegen Dr. Kreutzer vorzugehen?«

Da schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Nein, Herr Köhler, das hat damit überhaupt nichts zu tun. Sie bekommen die Stelle, weil Sie einmal ein ausgezeichneter Arzt sein werden, an dessen Ausbildung die Waldsee-Klinik sehr gern beteiligt sein will.«

Da kehrte Dr. Köhlers Lä-cheln zurück. »Danke, Herr Dr. Daniel. Ich freue mich schon auf die Arbeit hier.«

*

Es ging bereits auf Mitternacht, als Patrick nach Hause kam. Mit einem Ruck sprang Tobias auf.

»Patrick! Endlich!« stieß er hervor. »Ich muß… ich meine…« Nervös strich er durch seine Haare. »O Gott, wie soll ich nur anfangen?«

Verständnislos sah Patrick seinen Bruder an. »Was ist denn los, Tobias?«

Tobias’ Hände zitterten, und sein ganzer Körper fühlte sich so heiß an, als hätte er Fieber, doch er wußte, daß das nur die Angst war. Trotzdem konnte er nicht länger lügen – jetzt nicht mehr.

»Patrick, das alles ist nicht wahr«, brachte er endlich hervor. »Dieser Graf Thorsten… und daß du für Sabrina nur

ein Lückenbüßer gewesen sein sollst… es ist nicht wahr. Mareike und ich haben das erfunden, um… um dich und Sabrina auseinanderzubringen.«

Minutenlang herrschte eisiges Schweigen. Es war wie die Ruhe vor dem Sturm, und Tobias wußte, daß dieser unweigerlich losbrechen würde. Was er gerade gestanden hatte, konnte Patrick nicht kommentarlos hinnehmen. Tobias bekam dann auch die Auswirkungen dieses Sturms schmerzhaft zu spüren.

Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm er Patricks Ohrfeige hin. Der Schlag seines Bruders schmerzte nicht so sehr auf der Wange als vielmehr im Herzen. Tränen schossen ihm in die Augen.

»Patrick«, flüsterte er.

»Halt den Mund!« fuhr sein Bruder ihn an.

Tobias vergrub das Gesicht in den Händen. »Es tut mir leid, Patrick. Ich schäme mich so entsetzlich, und… ich wünschte, ich könnte alles ungeschehen machen.« Langsam ließ er die Hände sinken. »Ich bitte dich nicht, mir zu verzeihen, denn… ich glaube, das wäre zuviel verlangt.«

Damit wollte er hinausgehen, doch Patrick hielt ihn fest und drehte ihn zu sich herum. Tobias sah in die sonst so sanften Augen des Bruders, in denen jetzt unbeschreibliche Härte und Kälte lagen.

»Warum, Tobias?« wollte er wissen. »Haßt du mich denn so sehr, daß du mir das Glück mit Sabrina nicht gegönnt hast?«

Tobias schüttelte den Kopf. »Ich hasse dich nicht, Patrick. Ich habe dich nie gehaßt. Ich habe es mir eingeredet, aber in Wirklichkeit…« Er schwieg, dann gestand er leise: »Ich habe es getan, weil ich Sabrina liebe.«

Patrick hatte mit allem gerechnet, aber damit nicht.

»Tobias«, sagte er erschüttert. Seine Wut auf den älteren Bruder war wie weggeblasen.

Er legte einen Arm um Tobias’ Schultern und begleitete ihn zum Sofa. »Komm, Tobias, erzähl mir alles.«

Es wurde eine lange Beichte, und als Tobias schließlich erschöpft schwieg, da hatte Patrick das Gefühl, als hätten sie sich noch sie so nahe gestanden wie in diesem Augenblick.

»Das habe ich nicht gewußt«, erklärte er leise. »Ich spürte deinen Haß… deine Eifersucht, aber den Grund dafür…« Er schüttelte den Kopf. »Meine Güte, Tobias, warum hast du nicht schon viel früher mit mir dar-über gesprochen?«

Tobias zuckte die Schultern. »Ich konnte nicht. Ich habe mir eingeredet, dich zu hassen, und als du mit Sabrina gekommen bist… als ich sie das erste Mal gesehen habe… ich dachte, ich müßte sterben. Mareike hat es gespürt und meine Schwäche ausgenutzt. Sie ist voller Haß auf Sabrina… sie heuchelt ihre Freundschaft nur, und… sie wußte genau, daß ich alles tun würde, um Sabrina zu bekommen, doch als ich gesehen habe, wie du gelitten hast… und Sabrinas Anrufe… ihre Traurigkeit… ihr Kummer… und dann das mit dem Baby…«

Wie elektrisiert blickte Patrick auf. Davon hatte Tobias bis jetzt noch gar nichts gesagt.

»Sabrina erwartet ein Baby von mir?«

Tobias nickte, dann sah er seinen Bruder an. »Ich weiß nicht, ob du mir überhaupt noch etwas glauben kannst, aber ich hätte dir heute auch die Wahrheit gestanden, wenn das mit dem Baby nicht gewesen wäre. Was du heute vor der Abfahrt zu mir gesagt hast… daß du mich immer geliebt hast…«

»Daran hat sich nichts geändert, Tobias«, fiel Patrick ihm ins Wort, dann stand er auf. »Ich fahre jetzt sofort nach München, und ich erwarte, daß du mitkommst.«

Tobias schluckte. »Das heißt, ich muß vor Sabrina auch alles beichten.«

Patrick nickte. »Ich glaube, das bist du ihr schuldig.«

»Danach wird sie mich hassen«, befürchtete Tobias, und seine Stimme klang dabei so traurig, daß Patrick Mitleid fühlte.

Spontan legte er ihm beide Hände auf die Schultern. »Nein, Tobias, sie wird dich nicht hassen. Sie wird Verständnis haben – genauso wie ich.«

»Wer hat für wen Verständnis?«

Wie aus dem Boden gewachsen, stand Mareike vor ihnen.

Patricks Augen wurden wieder hart und kalt. »Du solltest besser verschwinden, Mareike – und zwar auf Nimmerwiedersehen. Dein Plan ist gescheitert, und du bist diejenige, die jetzt im Regen stehenbleiben wird.«

Wütend funkelte Mareike Tobias an. »Er hat die ganze Schuld also auf mich abgewälzt!«

»Nein, absolut nicht«, entgegnete Patrick. »Aber im Gegensatz zu dir hat Tobias das schlechte Gewissen keine Ruhe gelassen. Er hat mir die Wahrheit gesagt, und das ist das einzige, was im Moment für mich zählt. Und nun verschwinde, Mareike. Ich will dich nie wiedersehen, und ich bin sicher, daß ich da auch für Sabrina spreche.«

»Das werde ich euch heimzahlen!« kreischte Mareike.

»Nein, damit ist es endgültig vorbei«, entgegnete Patrick ruhig. »Hör zu, Mareike, du wirst deine Stellung kündigen und weit weg von München ein neues Leben beginnen. Tust du das nicht, dann werde ich ein einziges Mal von dem Reichtum Gebrauch machen, den ich durch meine Heirat mit Sabrina bekommen werde, und dich auf sehr unerfreuliche Weise dazu zwingen.«

Mareike kochte vor Wut, doch sie war klug genug, um zu wissen, wann sie verloren hatte. Ihre so schlau eingefädelte Intrige gegen Sabrina und Patrick war gescheitert, und sie würde keine zweite Chance mehr bekommen, um die beiden zu trennen, denn dazu hatte sie die wichtigsten Voraussetzungen verloren – Sabrinas Vertrauen.

»Du hast gesiegt«, bekannte sie, dann warf sie Tobias einen kurzen Blick zu. »Aber nur, weil du diesen Schwächling zum Bruder hast.«

Da schüttelte Patrick den Kopf. »Die Liebe hat gesiegt, Mareike, aber das wirst du nie verstehen, denn du weißt ja gar nicht, was Liebe eigentlich ist.«

*

Sabrina glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als die Tür ihres Zimmers aufgerissen wurde und Patrick hereinstürzte, aber noch bevor sie auch nur ein Wort sagen konnte, hatte er sie schon in die Arme genommen und ihr Gesicht mit zärtlichen Küssen bedeckt.

»Patrick«, stammelte Sabrina atemlos, als sie endlich zu Wort kam.

»Tobias wird dir alles erklären«, meinte Patrick. »Im Moment will ich nur eines wissen: Liebst du mich?«

»Das fragst ausgerechnet du? Ich habe doch nie aufgehört, dich zu lieben, aber du…«

»Ich liebe dich mehr als mein Leben, Sabrina, und von nun an wird nie wieder jemand zwischen uns treten.«

Sabrina verstand kein einziges Wort. Sie begriff nur eines: Das Warten hatte sich gelohnt. Patrick war zu ihr zurückgekommen, das allein zählte.

*

Währenddessen wartete Tobias draußen auf dem Flur und hatte dabei das Gefühl, zu seiner Hinrichtung geführt zu werden. Patrick die Wahrheit zu gestehen, war schwierig genug gewesen, aber bei Sabrina… der Frau, die er liebte, war es noch schwieriger.

Ruhelos ging Tobias auf und ab.

»Warten Sie auf jemanden?«

Erschrocken fuhr Tobias herum und sah sich einem großen blonden Mann mit markantem Gesicht und gütigen blauen Augen gegenüber. Der weiße Kittel, den er trug, verriet den Arzt, und Tobias hatte das Gefühl, als hätte er diese Stimme schon einmal gehört.

Jetzt nickte er. »Ich warte darauf, daß mein Bruder herauskommt und ich… die Wahrheit bekennen muß.«

Der Arzt lächelte. »Sie sind Tobias Scholz, nicht wahr?«

»Woher wissen Sie das?«

»Wir haben gestern miteinander telefoniert. Daniel ist mein Name.«

Tobias errötete. »Sie mußten ja denken, ich sei verrückt. Mein Gestammel am Telefon…«

»Sie waren ziemlich durcheinander«, räumte Dr. Daniel ein. »Und als ich eine Weile über unser Gespräch nachdachte, kam ich zu dem Schluß, daß irgend etwas an der Geschichte, die Sabrina mir erzählt hatte, nicht stimmen konnte.«

»Es stimmte überhaupt nichts daran«, gestand Tobias.

»Ich habe gestern nachmittag noch einmal bei Ihnen angerufen, aber es ging niemand ans Telefon«, erklärte Dr. Daniel. »Allerdings hätte ich es heute wieder versucht.«

»Warum?« wollte Tobias wissen.

»Weil ich mir Sorgen mache, wenn jemand so durcheinander ist, wie Sie es waren.«

Tobias fühlte, wie sein Vertrauen zu diesem sympathischen Arzt wuchs. Er hatte plötzlich das dringende Bedürfnis, sich bei ihm auszusprechen.

»Kommen Sie, Herr Scholz«, bat Dr. Daniel. »Ich habe Zeit, um Ihnen zuzuhören.«

Tobias wurde verlegen. »Können Sie denn Gedanken lesen?«

Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, das nun nicht gerade, aber Ihnen sieht man nur zu deutlich an, wie schwer Ihnen das Herz ist.«

»Sie haben recht«, murmelte Tobias. »Ich fühle mich wirklich ganz entsetzlich.«

Er folgte Dr. Daniel in ein leerstehendes Zimmer, und dann sprudelte alles aus ihm heraus. Es war, als könnte er nie wieder aufhören zu sprechen, und Dr. Daniel hörte ihm geduldig zu.

»Ich glaube, Patrick hat mir verziehen, obwohl ich es sicher nicht verdient habe«, schloß Tobias endlich. »Aber Sabrina mußte wohl noch mehr leiden als er.« Er wischte sich über die Stirn. »Mit meiner unerwiderten Liebe zu Sabrina könnte ich vielleicht irgendwie fertig werden, aber wenn sie mich für das, was ich getan habe, nun sogar haßt, dann… ich weiß nicht, wie ich das verkraften soll.«

»Zum einen haben Sie es nicht allein getan«, entgegnete Dr. Daniel. »Wenn das auch nur eine unzureichende Entschuldigung ist. Zum anderen halte ich es für ausgeschlossen, daß Sabrina Sie hassen wird. Immerhin haben Sie wenigstens den Mut aufgebracht, die Wahrheit zu sagen.«

Tobias zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht recht. Es ist doch…«

Er stockte, als sich die Tür plötzlich öffnete und eine junge Frau in einem bunt gemusterten Morgenmantel hereinkam.

»Oh, Entschuldigung«, murmelte sie. »Ich habe mich in der Tür geirrt.«

Damit ging sie rasch hinaus. Unwillkürlich stand Tobias auf und trat einen Schritt auf die Tür zu, dann drehte er sich um.

»Wer war das?« wollte er wissen.

»Eine Patientin von mir«, antwortete Dr. Daniel. »Sie liegt im Zimmer nebenan.«

Tobias’ Blick wanderte wieder zur Tür. »Sie sah so traurig aus.«

»Das ist sie auch«, gab Dr. Daniel zu.

Tobias zögerte, dann sprach er doch aus, was er dachte: »Glauben Sie… glauben Sie, es wäre sehr aufdringlich von mir, wenn ich sie mal… nun ja… ich könnte sie vielleicht besuchen.«

»Ich denke, darüber würde sie sich sehr freuen«, meinte Dr. Daniel. »Aber am besten wird es wohl sein, wenn Sie sie selbst fragen.«

Tobias nickte, dann verließ er den Raum. Dr. Daniel, sein Gespräch mit ihm, sogar Sabrina und Patrick waren plötzlich vergessen. Er konnte nur noch an die wunderschönen, so entsetzlich traurigen Augen der jungen Frau denken.

Wie in Trance klopfte er an die Tür des Nebenzimmers, dann trat er ein. Erstaunt sah die junge Frau ihn an, und in diesem Moment wurde Tobias bewußt, was er da eigentlich tat. Er kannte die Frau doch überhaupt nicht.

»Ich… ich wollte Sie fragen, ob… nun ja…« Er stockte, dann zeigte er ein verlegenes Lächeln. »Im Grunde weiß ich gar nicht, warum ich hier bin. Das heißt… doch, ich weiß es schon. Ich habe Sie vorhin gesehen, und… Ihre Augen sind so traurig…« Er errötete, weil er sich plötzlich entsetzlich dumm vorkam. Was fiel ihm ein, ins Krankenzimmer einer wildfremden Frau einzudringen – auch wenn es aus Mitleid geschah.

»Wie heißen Sie?« wollte die junge Frau wissen, und ihre Stimme klang wie Musik in seinen Ohren.

»Tobias«, antwortete er. »Tobias Scholz.«

»Natalie Meinhardt«, stellte auch sie sich vor, dann betrachtete sie den jungen Mann eingehend. »Machen Sie sich immer so viele Gedanken um Menschen, die Sie gar nicht kennen?«

Tobias schüttelte den Kopf, dann blickte er zu Boden. »Bis vor kurzem habe ich mir nicht einmal um die Menschen Gedanken gemacht, die mir am nächsten stehen. Beinahe hätte ich sie sogar sehr unglücklich gemacht.« Er sah Natalie wieder an. »Aber das ist vorbei… noch nicht ganz, aber fast.« Er schwieg einen Moment. »Ich muß jetzt zu meinem Bruder und seiner Freundin, aber… ich würde Sie gern wiedersehen. Darf ich Sie besuchen? Morgen vielleicht?«

Natalie nickte. »Wann immer Sie möchten, Tobias.« Ein kaum sichtbares Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Ich freue mich schon auf Ihren Besuch.«

*

Es wurde eine große Aussprache, die zwischen Sabrina und Tobias stattfand. Patrick war als seelische Stütze für seinen Bruder mit im Zimmer geblieben.

»Ausgerechnet Mareike«, murmelte Sabrina niedergeschlagen. »Ihr habe ich mein Leben lang am meisten vertraut.« Dann sah sie Tobias an. »Es spricht für dich, daß du gerade noch rechtzeitig die Wahrheit gesagt hast, aber… ein bißchen enttäuscht bin ich trotzdem von dir. Ich dachte immer, du magst mich, aber wenn du mich dermaßen belügen konntest…«

Tobis schämte sich so sehr, daß er Sabrinas Blick auswich.

»Auch wenn du es nicht glauben wirst, aber… Mareike konnte mich nur dazu überreden, weil ich dich liebte… weil es mein größter Wunsch war, dich zu meiner Freundin zu machen.«

Völlig fassungslos starrte Sabrina ihn an, dann berührte sie seine Hand. »Es tut mir leid, Tobias. Das wußte ich nicht…«

»Du hast gerade in der Vergangenheit gesprochen«, stellte Patrick fest. »Als du mir alles erzählt hast, war das noch nicht der Fall.«

Tobias atmete tief durch. »Ich kann nicht erklären, was mit mir geschehen ist. Als ich mich mit Dr. Daniel unterhalten habe, kam gerade eine junge Frau in das Zimmer. Sie sah so traurig aus, und… da hat in meinem Herzen irgend etwas klick gemacht. Es ist vielleicht noch keine Liebe, aber es ist jetzt schon mehr als nur Sympathie, obwohl ich eigentlich überhaupt nichts von ihr weiß.«

»Man muß nichts voneinander wissen, um sich zu lieben«, entgegnete Sabrina, dann lächelte sie Patrick zärtlich an. »Als ich dich das erste Mal gesehen habe, wußte ich sofort, daß du der einzige Mann in meinem Leben sein wirst.«

Tobias stand auf. »Ich glaube, ich lasse euch besser allein.«

Als er auf den Flur trat, begegnete ihm Dr. Daniel.

»Sie hatten recht, Herr Doktor«, erklärte er. »Sabrina konnte mir verzeihen. Und was meine Liebe zu ihr betrifft – das war wohl nur eine Schwärmerei. Vielleicht bin ich einfach nur flatterhaft, aber im Moment weist mein Herz in eine andere Richtung.«

Da schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Ich kenne Sie kaum, aber nach allem, was ich während unseres Gesprächs über Sie erfahren habe, halte ich Sie überhaupt nicht für flatterhaft – ganz im Gegenteil. Ich denke, Sie sind ein Mensch, der zu sehr tiefen Gefühlen fähig ist, und das wird Ihnen die Frau, die Ihr Herz einmal besitzen wird, ein Leben lang danken.«

Tobias lächelte. »Schade, daß ich Sie nicht früher kennengelernt habe. Dann wäre uns allen vermutlich vieles erspart geblieben.«

»Man lernt auch aus seinen Fehlern«, entgegnete Dr. Daniel.

Er sah dem jungen Mann nach, der nun auf Natalies Zimmer zusteuerte und nach kur-zem Anklopfen darin verschwand. Dabei breitete sich ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit in Dr. Daniel aus. Die Freundschaft zu Tobias würde Natalie guttun – vielleicht sogar einmal ihr Lebensglück werden.

Dr. Daniels Blick wanderte zu der Tür, hinter der er Sabrina und Patrick wußte. Gedämpftes, zärtliches Lachen drang heraus, das davon zeugte, daß Kummer und Leid aus dem Leben dieser beiden jungen Menschen gewichen waren. Für Sabrina hatte sich das Warten auf Patrick gelohnt, und das Baby, das sie erwartete, würde in eine Welt vol-ler Liebe hineingeboren werden. Damit hatte auch Dr. Daniel, der am Schicksal seiner Patientin immer so regen Anteil nahm, allen Grund, glücklich zu sein…

– E N D E –

Dr. Daniel Paket 2 – Arztroman

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