Читать книгу Dr. Daniel Paket 2 – Arztroman - Marie-Francoise - Страница 21

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»Schloß Hohenstein? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«

Völlig fassungslos starrte Juliane Weber ihre Kollegin und zugleich Chefin vom Partyservice Gourmet an.

Madeleine de Villeneuve grinste. »Du hast schon richtig gehört, Julie. Wir beide sollen die Silberhochzeit von Fürst Adalbert und Fürstin Helene von Hohenstein ausrichten.«

Dabei glühte ihr Gesicht vor Stolz und Aufregung. Sie, die kleine Bettina Heil aus einem Hundert-Seelen-Dorf in den Bergen – Madeleine de Villeneuve nannte sie sich nur des Klanges wegen – hatte es geschafft, sich gegen jede Konkurrenz durchzusetzen. Der Fürst hatte sie und ihren Partyservice unter unzähligen Bewerbern ausgewählt – vermutlich, weil sie für die erlesensten Delikatessen das günstigste Angebot unterbreitet hatte. Das war natürlich Absicht gewesen. Madeleine wußte genau, daß gerade reiche Leute sehr aufs Geld schauten…

»Wie willst du das denn schaffen?«

Julianes Stimme riß Madeleine aus ihren Gedanken. Mit einem siegessicheren Lächeln legte sie einen Arm um Julianes Schultern.

»Nicht ich, Julie, wir beide werden es schaffen – und zwar ganz einfach. Wir werden beweisen, daß unser Partyservice der beste aus ganz Bayern… ach was, aus ganz Deutschland ist. Und wenn mit der Silberhochzeit des Fürsten für uns der große Erfolg kommt, mache ich dich zu meiner Teilhaberin, wie ich es versprochen habe.«

Juliane seufzte. Wenn Madeleine doch nicht immer so hochfliegende Träume hätte. Wie hatte sie sich nur um die Ausrichtung der Silberhochzeit eines Fürsten bewerben können?

Madeleine verstand den Seufzer der jungen Frau ganz richtig.

»Du bist viel zu pessimistisch, Julie«, hielt sie Juliane vor. »Ich habe schon ein paar erstklassige Ober engagiert, die uns beim Servieren der Drinks unterstützen werden. Am Büfett wirst du arbeiten, denn das ist deine ganz besondere Stärke. Im übrigen kennst du die hundert verschiedenen Salate, die es gibt, besser als ich.«

»Mit Salaten allein wird es nicht getan sein«, meinte Juliane. Sie wußte bereits jetzt, daß die Hauptarbeit wieder mal an ihr hängenbleiben würde. Madeleine mochte gut sein im Organisieren, doch die Arbeit selbst hatte sie nicht erfunden.

Juliane war den restlichen Tag über dann auch schon schwer beschäftigt, und in der Nacht hatte sie einen wirren Traum, der darin gipfelte, daß das Büfett nicht richtig aufgebaut war und dem Fürstenpaar vor die Füße gekippt wurde. Schweißgebadet erwachte Juliane und bereute zum ersten Mal, daß sie die Arbeit im Partyservice angenommen hatte.

*

Madeleines Organisationstalent war glänzend und gepaart mit Julianes praktischem Denken und ihrer schier unermüdlichen Arbeitskraft waren sie tatsächlich ein unschlagbares Team. Das Büfett war ein Traum, die Getränke waren vom Allerfeinsten und die dezent angebrachte Dekoration nicht zu schlicht und auch nicht zu protzig.

»Meine Damen, ich muß Ihnen vorab schon ein Kompliment machen«, erklärte Fürst Adalbert von Hohenstein. »Auf den ersten Blick würde ich sagen, daß alles perfekt ist.« Sein Blick glitt über die Delikatessen, die Juliane appetitlich dekoriert und auf dem riesigen Büfett übersichtlich verteilt hatte. »Wenn das alles nur halb so gut schmeckt, wie es aussieht, dann kann ich mich zu meiner Wahl nur beglückwünschen.«

Madeleine lächelte. »Durchlaucht, ich kann Ihnen versichern, daß alles noch sehr viel besser schmeckt, als es aussieht.«

Dann trafen die ersten Gäste ein, die von dem Fürstenpaar begrüßt wurden. Die von Madeleine engagierten Ober gingen unauffällig durch die Räume und balancierten Tabletts mit Aperitifs. Am Büfett stand Juliane schon bereit, um geleerte Schüsseln und Teller durch gefüllte zu ersetzen. Ihre anfängliche Nervosität hatte sich gelegt. Bis jetzt klappte alles wie am Schnürchen, und Juliane versuchte zu verdrängen, daß diese vielen Menschen, die auf Schloß Hohenstein anwesend waren, durchweg dem Adel entstammten.

Mit geübtem Blick erkannte sie, daß die meisten Gäste inzwischen gesättigt waren, so arrangierte sie an einem Ende des langen Büfetts eine Reihe Desserts, die großen Anklang fanden.

Der Fürst erwähnte in seiner nachfolgenden Rede dann auch tatsächlich, wie beispielhaft diese Gesellschaft von Madeleine de Villeneuve und ihrer Kollegin organisiert worden sei.

Während Juliane und Madeleine nahezu geräuschlos das große Büfett abräumten, fuhr der Fürst in seiner Rede fort.

»Er macht gar nicht den Eindruck eines Adligen«, flüsterte Juliane.

»Das ist alles gespielt«, erwiderte Madeleine ebenso leise. »Der Fürst ist durch und durch blaublütig. Für den sind wir nur niederes Fußvolk, auch wenn er uns das nicht direkt spüren läßt.« Sie lächelte mokant. »Du kannst ja mal seinem ältesten Sohn schöne Augen machen, dann wirst du sehen, wie der gute Fürst darauf reagiert.«

»Ich habe nicht vor, hier irgend jemandem schöne Augen zu machen«, meinte Juliane.

»Bei Prinz Klaus würde es sich aber lohnen. Er ist der begehrteste Junggeselle im Kreise dieser erlauchten Gesellschaft.« Madeleine seufzte leise. »Nun ja, welche junge Frau würde nicht gern die künftige Fürstin von Hohenstein werden.«

Juliane und Madeleine beendeten jetzt ihre Arbeit, und auch der Fürst kam zum Ende seiner Ansprache.

»Das Tanzbein können meine Frau und ich wegen unseres Unfalls im letzten Monat leider noch nicht wieder schwingen«, erklärte Fürst Adalbert und lächelte dabei bedauernd. »Mein Sohn Klaus wird daher den Tanz eröffnen, und ich bin sicher, daß er sich dafür eine besonders zauberhafte junge Frau aussuchen wird.«

Dabei ging sein Blick zu der jungen Komtesse Sarina von Gehrau, die mit ihren Eltern und ihrem Bruder ebenfalls zu den Gästen zählte. Prinz Klaus schien die Wünsche seines Vaters jedoch nicht zu kennen, denn er ging an der Komtesse vorbei und steuerte geradewegs auf Juliane Weber zu.

Mit einer formvollendeten Verbeugung bat er sie um diesen Tanz und schien das Entsetzen seiner Eltern und der anwesenden Gäste gar nicht zu bemerken.

Juliane errötete bis unter die Haarwurzeln.

»Aber… Sie können doch nicht mich…«, stammelte sie, und ihr Blick ging unwillkürlich zu Fürst Adalbert hinüber, der sie mit zornesfunkelnden Augen musterte.

»Mein Vater hat gesagt, ich würde mir bestimmt eine zauberhafte junge Frau aussuchen, und in meinen Augen sind Sie die bezauberndste Frau hier«, entgegnete Prinz Klaus mit seiner tiefen, warmen Stimme, die Juliane innerlich vibrieren ließ. Dann lächelte er charmant. »Also, Fräulein Juliane, machen Sie mir das Vergnügen, und tanzen Sie mit mir.«

»Von Herzen gern«, hörte sich Juliane sagen, und für einen Augenblick fragte sie sich, woher der Prinz wohl ihren Namen wußte. Doch dann streifte ihr Blick wieder das Gesicht des Fürsten. »Ihr Vater wird sehr zornig sein, Herr…« Sie stockte. Verflixt, wie sprach man denn einen Prinzen überhaupt an? »Hoheit.«

Prinz Klaus lachte. »Sie sind süß, Juliane.« Dann bot er ihr seinen Arm und begleitete sie zum Tanzparkett. Die Kapelle spielte einen Wiener Walzer, und als sich Juliane mit dem Prinzen nach dem Takt der Musik drehte, fühlte sie sich wie Aschenputtel – nur mit dem Unterschied, daß sie kein Kleid aus Gold und Silber besaß und auch keine gläsernen Schuhe. Doch das hier war ja auch kein Märchen, sondern die Wirklichkeit – und in der Wirklichkeit heiratete ein Prinz kein Aschenputtel… auch wenn er mit ihr einmal den Tanz eröffnete.

*

»Klaus, ich will mit dir sprechen – auf der Stelle«, zischte Fürst Adalbert seinem Sohn zu.

Klaus und Juliane kamen mit einer letzten Drehung zum Stehen, und nur zu deutlich wurde sich Juliane der neugierigen Blicke bewußt, mit denen die inzwischen ebenfalls tanzenden Gäste sie betrachteten. Aber sie sah auch die kaum unterdrückte Wut des Fürsten.

»Natürlich, Vater«, erklärte Prinz Klaus gehorsam, dann wandte er sich Juliane zu und drohte ihr lächelnd mit dem Finger. »Laufen Sie mir ja nicht davon. Ich komme wieder.«

»Das glaube ich kaum«, entgegnete der Fürst scharf. Er sah Juliane fordernd an. »Fräulein Weber wollte sich gerade verabschieden, nicht wahr?«

Juliane fühlte sich wie das Kaninchen vor der Schlange, und unwillkürlich fielen ihr Madeleines Worte wieder ein. »Du kannst sehen, wie der gute Fürst darauf reagiert.« Oh ja, das konnte sie jetzt sehen, dabei war nicht einmal sie es gewesen, die dem Prinzen schöne Augen gemacht hatte, sondern umgekehrt er.

»Ja«, hauchte Juliane verschüchert. »Ich… ich muß wirklich gehen.«

Doch bevor sie davoneilen konnte, hatte Prinz Klaus ihre Hand ergriffen und hielt sie fest.

»Wir sehen uns wieder, Juliane, das verspreche ich Ihnen«, erklärte er, und sein Gesicht war dabei so ernst, daß sie versucht war, seinen Worten zu glau-

ben.

»Versprich nichts, was du nicht halten kannst«, mischte sich der Fürst ein, dann wies er zu dem großen Durchgang, der aus dem Ballsaal führte. »Du wartest in der Bibliothek auf mich.«

Prinz Klaus zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann kam er dem Befehl seines Vaters nach. Auch Juliane wollte gehen, doch diesmal war es der Fürst, der sie zurückhielt.

»Sie trifft keine Schuld an dem Fauxpas meines Sohnes«, erklärte er, und seine Stimme klang dabei hart und kalt. »Trotzdem verlange ich, daß Sie Schloß Hohenstein auf der Stelle verlassen, und seien Sie versichert, daß Sie meinen Sohn nicht wiedersehen werden – gleichgültig, was er gerade gesagt hat.«

»Ja, Hoheit«, flüsterte Juliane ergeben.

»Durchlaucht«, verbesserte der Fürst, dann drehte er sich um und verließ den Ballsaal mit energischen Schritten.

»Bist du denn noch zu retten?« fragte Madeleine, die den ganzen Vorfall natürlich beobachtet hatte, und zog Juliane dabei aus dem Ballsaal hinaus in eine ruhige Ecke. »Wie konntest du nur mit dem Prinzen tanzen?«

Juliane war den Tränen nahe. »Was hätte ich denn tun sollen? Er hat mich aufgefordert, nicht ich ihn. Hätte ich ihm da einen Korb geben sollen?«

»Ja«, antwortete Madeleine kurz. »Schon aus Rücksicht auf unseren Partyservice hättest du das tun sollen. Weitere Aufträge kann ich jetzt nämlich durch deine Schuld vergessen. Oder glaubst du, irgend jemand von denen da drinnen wird mir noch einen Auftrag geben?«

»Dann kündige ich eben!« stieß Juliane hervor. »Wenn du willst, verkünde ich es sogar noch laut vor allen diesen Gästen, damit du nur ja keinen Verlust erleidest.« Sie schluchzte auf. »Es war nicht meine Idee, mit ihm zu tanzen. Er wollte es.« Dann drehte sie sich abrupt um und flüchtete aus dem Schloß. Noch nie zuvor hatte sie sich so elend gefühlt wie in diesem Augenblick.

*

»Bist du noch zu retten?« fuhr Fürst Adalbert seinen Sohn an. »Wie konntest du deine Mutter und mich dermaßen blamieren?«

»Du selbst hattest gesagt, ich solle mir eine zauberhafte junge Frau für diesen Tanz aussuchen«, entgegnete Prinz Klaus scheinbar ungerührt. »Gab es auf dieser ganzen Gesellschaft ein Mäd-chen, das bezaubernder gewesen wäre als Juliane Weber?«

Fürst Adalbert donnerte die Faust auf den Tisch, daß die Blumenvase klirrte.

»Du bist der künftige Fürst von Hohenstein, Klaus!« brauste er auf. »Du solltest wissen, was sich für einen Mann deines Standes gehört und was nicht!«

Ein spöttisches Lächeln umspielte die Lippen des Prinzen. »Weißt du, Vater, du konntest mir einiges vererben, deinen Standesdünkel aber glücklicherweise nicht. Mir ist es vollkommen egal, ob meine zukünftige Frau einem Adelsgeschlecht entstammt oder nicht. Wichtig ist nur, daß wir uns lieben.«

»Dir mag es egal sein – mir nicht«, entgegnete Fürst Adalbert eisig. »Und ich werde dafür sorgen, daß du dich standesgemäß verheiratest. Du kannst nicht irgendein dahergelaufenes Mäd-chen zur künftigen Fürstin von Hohenstein machen.«

Ärgerlich schüttelte Prinz Klaus den Kopf. »Deine Ansichten sind hoffnungslos veraltet, Vater. Fürst Guido von Lichtenfels hat auch eine Bürgerliche geheiratet, und du willst ja wohl nicht behaupten, daß Fürstin Sandra…«

»Sie besitzt ein völlig anderes Format«, fiel Fürst Adalbert seinem Sohn ins Wort.

»Ein anderes Format als wer?« wollte Prinz Klaus wissen. »Du freundest dich doch wohl nicht schon mit dem Gedanken an, daß Juliane Weber die künftige Fürstin von Hohenstein sein

wird?«

»Ganz bestimmt nicht!« betonte der Fürst und unterstrich seine Worte mit einer heftigen Handbewegung. »Ich will dieses Gespräch mit dir gerade heute nicht weiterführen, Klaus. Das bedeutet aber nicht, daß das letzte Wort darüber schon gesprochen wäre.«

Damit drehte er sich um und verließ die Bibliothek, wobei er die Tür sehr nachdrücklich hinter sich schloß. Prinz Klaus sah ihm nach.

»Du wirst nicht verhindern können, daß ich mein Herz darüber entscheiden lassen werde, wen ich einmal zum Traualtar führe«, erklärte er, dann seufzte er tief auf. Warum war sein Vater nur so verbohrt? Und seine Mutter stand ihm darin in nichts nach. Die beiden betrachteten Bürgerliche als Menschen zweiter Klasse, und Klaus wußte genau, daß er es schwerhaben würde, wenn er tatsächlich eine Bürgerliche zur Frau nehmen wollte. Dabei geisterte die bezaubernde Juliane Weber noch immer durch seine Gedanken.

Auch der Prinz verließ nun die Bibliothek und sah sich suchend um, doch Juliane war verschwunden. Klaus’ Blick wanderte zu seinen Eltern, die sich angeregt unterhielten.

Ich kann mir schon denken, worüber ihr so eifrig redet, dachte Klaus ärgerlich. Aber ihr könnt sicher sein, daß ich Juliane wiedersehen werde. Und wenn sie mich liebt… wenn sie den Mut hat, zu mir zu stehen, dann werde ich sie heiraten – wenn es sein muß, auch gegen euren Willen.

*

Das Gespräch mit seiner Frau hatte Fürst Adalbert gezeigt, daß sie im Zweifelsfall auf seiner Seite stehen würde. Klaus mußte zu seinem Glück gezwungen werden, das war heute klar geworden. Es hatte keinen Sinn, ihm Freiheiten zu gewähren, da kam er nur auf dumme Gedanken. Eine Bürgerliche als künftige Fürstin von Hohenstein! Unwillkürlich schüttelte sich Fürst Adalbert, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

In diesem Moment sah er Gräfin Henriette von Gehrau auf die weitläufige Terrasse hinausgehen. Fürst Adalbert blickte sich um, doch Graf Bernhard von Gehrau war in ein Gespräch mit Baron Finsterhagen vertieft. Fürst Adalbert war darüber sehr erleichtert, denn er schätzte den Grafen nicht besonders. Dieser mischte sich gern unter das einfache Volk – etwas, was Fürst Adalbert nie getan hätte. Er war immer sehr darauf bedacht, Distanz zu Nichtadligen zu wahren. Gräfin Henriette war ihm in dieser Beziehung sehr ähnlich. Auch sie war äußerst standesbewußt, und ihr Sohn Harro kam auch ganz nach ihr, während Komtesse Sarina leider mehr Ähnlichkeit mit ihrem Vater hatte. Doch sie war noch jung genug, um umerzogen werden zu können, und diese Mühe waren sowohl ihr Aussehen als auch ihr gräflicher Stand wert.

Fürst Adalbert folgte der Gräfin auf die Terrasse und beglückwünschte sich insgeheim dafür, weil sie hier allein und ungestört sein würden.

»Gräfin! Was für ein glücklicher Zufall, daß wir uns hier treffen«, erklärte er und zeigte ein joviales Lächeln, das er immer gebrauchte, wenn er mit jemandem sprach, der gesellschaftlich eine Stufe unter ihm stand.

»Durchlaucht«, hauchte Gräfin Henriette entzückt, »wie schön, daß sie mir hier Gesellschaft leisten.«

Fürst Adalbert zögerte, beschloß dann aber gleich zur Sache zu kommen. Er war nicht der Mensch, der lange um den heißen Brei herumredete.

»Ich bin dabei, die Hochzeit meines Sohnes zu arrangieren«, erklärte er rundheraus.

Das Herz der Gräfin klopfte bis zum Hals. Wenn der Fürst so sprach… sollte das etwa bedeuten…

Sie kam nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu führen, denn Fürst Adalbert setzte bereits hinzu: »Ich dachte dabei an Ihre Tochter, Gräfin.«

Gräfin Henriette taumelte fast vor lauter Glück. Sekundenlang glaubte sie zu träumen, und am liebsten hätte sie sich jetzt in den Arm gezwickt, um ganz genau zu wissen, daß das, was sie erlebte, tatsächlich Wirklichkeit war.

»Sarina… die künftige Fürstin von Hohenstein«, stammelte sie, dann versank sie in einem Knicks. »Oh, Durchlaucht, das ist zuviel der Ehre.« Sie blickte wieder auf. »Eigentlich sollten Sie das ja mit meinem Mann besprechen.«

Fürst Adalbert nickte. »Natürlich, Gräfin, aber… nun ja, wir beide wissen, zu welcher Sorte Mensch Ihr Herr Gemahl gehört, nicht wahr?«

Gräfin Henriette seufzte. »Da haben Sie recht, Durchlaucht. Bernhard ist leider in vielen Dingen sehr… nun, wie soll ich sagen… sehr bürgerlich eingestellt.« Sie schwieg kurz. »Unglücklicherweise kommt meine Tochter mehr nach ihm als nach mir. Sie… sie arbeitet im Augenblick als Sprechstundenhilfe in einer Arztpraxis.« Dabei verschwieg sie, daß es sich zu allem Überfluß auch noch um eine Frauenarztpraxis handelte.

Fürst Adalbert nickte. »Davon habe ich gehört, aber das ist nicht weiter schlimm. Eine künftige Fürstin von Hohenstein kann sich ruhig einmal sozial engagieren – zumindest vor der offiziellen Verlobung. Danach hat sie dann andere Verpflichtungen, in die meine Gemahlin sie einweisen wird.«

Doch Gräfin Henriette war noch nicht vollends beruhigt. »Ich bin nicht ganz sicher, ob Sarina einer Verlobung mit Prinz Klaus so einfach zustimmen wird… ob sie sich von uns verheiraten lassen wird.«

Da lächelte Fürst Adalbert. »Wir werden weder ihr noch meinem Sohn eine andere Wahl lassen. Die Verlobung wird bekanntgegeben, bevor unser künftiges Ehepaar überhaupt eine Ahnung davon hat. Sie kennen das Gesetz derer von Hohenstein. Ist die Verlobung erst einmal offiziell verkündet, gibt es für beide kein Zurück mehr.«

*

Juliane Weber verstand sich selbst nicht mehr. Seit jenem Abend auf Schloß Hohenstein konnte sie nur noch an den charmanten, gutaussehenden Prinzen denken, in dessen Armen sie Walzer getanzt hatte. Wenn sie wie jetzt in ihrem Bett lag und mit offenen Augen träumte, glaubte sie, die Wärme seiner Hand auf ihrem Rücken zu spüren.

»Prinz Klaus von Hohenstein.«

Obwohl sie den Namen laut aussprach, wurde die Szene, die sie erlebt hatte, nicht realistischer. Manchmal dachte sie sogar, sie hätte das alles nur geträumt. Allerdings hatte Madeleine ihre Kündigung tatsächlich angenommen, und sie schien sogar froh darüber gewesen zu sein, daß Juliane die Kündigungsfrist nicht eingehalten hatte. Das Vertragsverhältnis war in beiderseitigem Einvernehmen beendet worden.

Das Kingeln an der Tür riß Juliane aus ihren Gedanken. Rasch sprang sie aus dem Bett, warf sich einen Morgenmantel über und öffnete die Tür. Im nächsten Moment wich sie erschrocken zurück. Da stand er – der Mann, von dem sie seit fast vier Wochen träumte.

»Hoheit…«, stammelte sie, dann erinnerte sie sich an das korrigierende Wort des Fürsten. »Durchlaucht…«

Lächelnd schüttelte er den Kopf. »Alles falsch, Juliane. Ich heiße Klaus. Einfach nur Klaus.«

Mit einer verlegenen Geste fuhr sich Juliane durch das zerzauste dunkle Haar.

»Ich wollte Sie nicht wecken«, versicherte Prinz Klaus, dann lächelte er sie wieder an. »Darf ich trotzdem hereinkommen?«

»Selbstverständlich«, murmelte Juliane verlegen. »Sie haben mich auch gar nicht geweckt. Es ist nur… ich… ich…«

»Sie müssen sich nicht verteidigen.« Er sah sich in dem winzigen Appartement um. »Hübsch haben Sie es hier.«

»Danke«, flüsterte Juliane. »Aber ich glaube, Sie sind etwas anderes gewohnt… größere Räume… mehr Luxus.«

Prinz Klaus seufzte. »Ach, wissen Sie, Juliane, manchmal würde ich gern mit Ihnen tauschen. Sie sind frei… unabhängig. Ich dagegen…« Er winkte ab. »Sprechen wir lieber nicht dar-über.«

»Ihr Vater hat Ihnen sicher schwere Vorwürfe gemacht, weil Sie mit mir getanzt haben«, vermutete Juliane.

Prinz Klaus nickte. »Jetzt will er mich verheiraten – und das so schnell wie möglich. Aber ich schätze, da werde ich ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Ich will noch nicht heiraten, und wenn, dann suche ich mir meine Frau selbst aus.« Er streckte eine Hand aus und berührte ihr langes Haar. »Vielleicht habe ich sie sogar schon gefunden.« Lächelnd hielt er eine Haarsträhne fest. »Das war übrigens gar nicht so einfach. Wissen Sie, wie viele Webers es in München gibt? Und Ihre Kollegin vom Partyservice war nicht gerade sehr hilfsbereit. Ich mußte meinen ganzen Charme und vor allem meinen Geldbeutel spielen lassen, um die erwünschte Auskunft zu bekommen.«

Juliane errötete tief. »Das ist wieder typisch Madeleine. Sie ist leider sehr materiell eingestellt.« Dann senkte sie den Kopf. »Meine Kollegin ist sie allerdings nicht mehr. Ich habe gekündigt.« Sie schwieg einen Moment. »Hätte ich es nicht getan, hätte sie mich wohl hinausgeworfen.«

Aufmerksam sah Prinz Klaus sie an. »Ich nehme an, das geschah ebenfalls, weil wir beide zusammen getanzt haben.«

Juliane zögerte, dann nickte sie. »Madeleine glaubte, daß ihr Partyservice nun bei der adligen Gesellschaft keine Chance mehr hätte.« Sie winkte ab. »Das ist alles Schnee von gestern, und ich möchte auch nicht mehr darüber sprechen.«

»Sie sind also meinetwegen arbeitslos geworden«, schloß der Prinz, dann lächelte er wieder. »Mit dieser Schuld kann ich nicht leben. Ich werde dafür sorgen, daß Sie wieder Arbeit bekommen.«

»Durchlaucht…«

»Klaus«, verbesserte er sie sofort. »Bitte, Juliane, vergessen Sie den Prinzen ein für allemal. Ich bin doch auch nur ein Mensch.« Er lächelte, doch diesmal auf eine besonders sanfte Weise. »Im Augenblick sogar ein sehr verliebter Mensch.« Er ergriff ihre Hände. »Ich konnte Sie seit jenem Abend nicht mehr vergessen, Juliane, und diesmal will ich meinem Vater nicht gehorchen. Bisher habe ich immer getan, was er wollte, aber in diesem einen Punkt will ich selbst über mein Leben entscheiden.«

Um Juliane drehte sich alles. Sie konnte nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte.

»Das ist Wahnsinn, Klaus«, stammelte sie. »Ich bin doch nur ein einfaches Mädchen, und Sie… der künftige Fürst von Hohenstein. Das… das kann nicht gutgehen.«

»Wenn wir uns lieben…«

Abwehrend hob Juliane die Hände. »Bitte nicht, Klaus…« Sie ließ die Hände sinken und starrte blicklos auf ihre zitternden Finger. Ihre nächsten Worte kamen wie von selbst. »All die Wochen habe ich mich danach gesehnt, Sie wiederzusehen, doch jetzt… es war falsch, daß Sie gekommen sind. Für uns kann es nie eine gemeinsame Zukunft geben. Ihr Vater wird das nicht zulassen.«

Das Herz des Prinzen machte bei diesen Worten einen Luftsprung. Jetzt konnte er sicher sein, daß seine Gefühle erwidert wurden. Alles andere war ihm nicht wichtig.

»Mein Vater muß das auch noch gar nicht erfahren«, erklärte er. »Wir werden uns still und heimlich näher kennenlernen und dann erst unsere Verlobung bekanntgeben. Wenn das ganz offiziell geschehen ist, muß mein Vater klein beigeben. Ein Fürst von Hohenstein verlobt sich nämlich nur einmal… mit der Frau, die er auch heiraten

wird.«

Langsam hob Juliane den Blick. Ihre dunklen Augen versanken in den tiefblauen des Prinzen.

»Und… wenn sein Herz sich geirrt hat?« fragte sie leise.

Prinz Klaus wurde ernst. »Auch dann gibt es für mich kein Zurück mehr. Ich muß zu meinem Wort stehen.«

»Wenn aber die Frau die Verlobung lösen würde?« wandte Juliane ein.

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Prinzen, während er ganz selbstverständlich zum vertrauten Du überging. »Du willst absolut sichergehen, nicht wahr?« Er wurde wieder ernst. »Darüber mußt du dir vorher absolut klar sein, Juliane. Wenn du meinen Heiratsantrag annimmst… wenn du mir dein Ja-Wort gibst, dann bist du ein Leben lang daran gebunden. Im Fürstenhaus von Hohenstein gab es noch niemals einen Skandal, und ich werde nicht der erste sein, der einen auslöst.«

Juliane atmete tief durch. Die Kompromißlosigkeit des Prinzen erschreckte sie, trotzdem wußte sie schon jetzt, daß sie seinen Heiratsantrag annehmen würde. Ohne ihn wollte sie nicht mehr leben – das war ihr spätestens in der vergangenen Stunde klargeworden.

Als Prinz Klaus sie jetzt in seine Arme zog und sie voller Zärtlichkeit küßte, da schlug ihr Herz einen rasenden Trommelwirbel. Nein, es gab auch für sie kein Zurück mehr. Sie hatte nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, doch Klaus war der lebende Beweis dafür, daß es sie gab. Er war ihr Leben, und ohne ihn war sie nichts mehr.

*

Fürst Adalbert von Hohenstein war mit sich und der Welt zufrieden. Alles lief so, wie er es sich vorgestellt hatte. Mit einem genüßlichen Seufzer lehnte er sich in seinem Lehnstuhl zurück und paffte an seiner Pfeife. Dicke Rauchwolken hüllten ihn ein und verbargen sein siegessicheres Lächeln. Das Schicksal seines Sohnes war besiegelt, morgen würde er es erfahren. Danach konnten die Hochzeitsvorbereitungen getroffen werden, und in einem halben Jahr würde Sarina von Gehrau als künftige Fürstin von Hohenstein hier einzie-

hen.

»Er trifft sich mit diesem Mädchen!«

Die Stimme seiner Frau riß Fürst Adalbert aus seinen Gedanken. Sein Kopf schoß ruckartig in die Höhe.

»Wie bitte?!«

»Du hast schon richtig gehört, Adalbert«, bekräftigte Fürstin Helene. »Klaus trifft sich regelmäßig mit diesem Mädchen… dieser Juliane.«

Fürst Adalbert trommelte mit den Fingerspitzen einen Marsch auf dem Ebenholztisch der Bibliothek, in die er sich jeden Abend für ein paar Stunden zurückzog, um ungestört zu

sein.

»Soso«, murmelte er, dann lächelte er. »Das wird ihm ab morgen nicht mehr möglich sein.«

»Bist du da sicher?« vergewisserte sich Fürstin Helene. »Ich möchte nicht, daß eine Bürgerliche hier Einzug hält.«

»Keine Sorge«, entgegnete der Fürst und paffte wieder an seiner Pfeife, doch als er sah, wie Fürstin Helene mit beiden Händen wedelte, um den Rauch zu vertreiben, legte er die Pfeife beiseite. »Verzeih, meine Liebe.« Dann kam er wieder auf das ursprüngliche Thema zurück. »Er ist schon ein schlauer Bursche. Er hat dasselbe geplant wie ich – eine offizielle Verlobung. Allerdings hat er den Zeitpunkt dazu verpaßt. Ab morgen wird unser Sohn nämlich mit Komtesse Sarina von Gehrau verlobt sein.«

»Tatsächlich? Aber…«

Warnend hob Fürst Adalbert den Zeigefinger. »Untersteh’ dich, ihm das zu sagen. Wenn du es tun würdest, wäre meine ganze Mühe umsonst gewesen. Klaus darf von seiner Verlobung erst morgen erfahren – durch eine der Karten, die morgen früh verschickt werden.«

Fürstin Helene erschrak nun doch ein wenig. Natürlich hatte sie gewußt, daß ihr Mann etwas in dieser Richtung geplant hatte, doch mit dieser Vorgehensweise hatte sie nicht gerechnet.

»Du gibst die Verlobung offiziell bekannt, obwohl er noch nicht einmal weiß…« Sie schüttelte den Kopf. »Adalbert, das kannst du nicht machen. Damit zwingst du nicht nur Klaus zur Heirat, sondern auch die Komtesse.«

Fürst Adalbert nickte. »Dar-über bin ich mit Gräfin Henriette von Gehrau bereits einig. Sie ist glücklich über die ausgesprochen gute Partie, die ihre mißratene Tochter machen wird.« Angewidert verzog der Fürst das Gesicht. »Stell dir vor, das Mädchen arbeitet bei einem Gynäkologen!« Er seufzte. »Da wird dir noch eine Menge Arbeit bevorstehen, Helene. Das Mädchen muß natürlich schnellstens umerzogen werden. Ihre Eltern, vor allem ihr Vater, haben da einiges schleifen lassen, aber sie ist ja erst zweiundzwanzig – jung genug also, um das Auftreten zu lernen, das einer künftigen Fürstin gebührt. Ich verlasse mich da ganz auf dich.« Er lächelte wieder. »Ansonsten wird Klaus keinen Grund zur Klage haben. Die Komtesse ist außerordentlich hübsch.« Nachdenklich rieb er sich das Kinn. »Eine Prinzessin wäre mir natürlich noch lieber gewesen, aber da ist die Auswahl heute nicht sehr groß, und da das junge Paar hier im Schloß leben wird…« Wieder lächelte er. »Ich will mir ja auch nicht jeden Tag eine Vogelscheuche ansehen.«

»Adalbert!«

»Ist doch wahr. Hast du bei der letzten Gesellschaft mal einen Blick auf die heiratswütigen Prinzessinnen geworfen? Die sind ja längst alle jenseits von gut und böse. Das will ich weder Klaus noch mir selbst antun.«

Fürstin Helene senkte pikiert den Kopf. »Es wird für Klaus ein großer Schock sein.«

»Ganz sicher«, bekräftigte Fürst Adalbert. »Aber wäre es dir vielleicht lieber, wenn er selbst seine Verlobung mit diesem hergelaufenen Mädchen bekanntgegeben hätte? Das wäre dann nämlich für uns ein Schock gewesen, und wenn du mich fragst – umgekehrt ist es mir sehr viel lieber. Klaus wird sich schon wieder fangen und die Vorzüge seiner zukünftigen Frau erkennen.«

Fürstin Helene nickte zwar, doch sie bezweifelte, daß ihr Mann recht behalten würde. Wenn Klaus dieses andere Mädchen wirklich liebte, dann würde er sich mit dieser arrangierten Hochzeit niemals abfinden, und für ein paar Augenblicke war sie sogar versucht, ihren Sohn zu warnen. Jetzt wäre noch Zeit für ihn, um auf die von seinem Vater eingefädelte Verlobung wirkungsvoll zu reagieren.

Fürstin Helene wußte aber auch, was es für ihre eigene Ehe bedeuten würde, wenn sie ihrem Impuls nachgeben würde. Adalbert würde ihr diesen Vertrauensbruch niemals verzeihen, und der Gedanke, daß statt einer Komtesse dann ein bürgerliches Mädchen auf Schloß Hohenstein Einzug halten würde, tat ein übriges, um die Fürstin von dem Gedanken, der sie gestreift hatte, wieder abzubringen. So, wie Adalbert es eingerichtet hatte, war es das Beste – und zwar für alle Beteiligten!

*

Prinz Klaus hatte einen Entschluß gefaßt. Sein Geburtstag stand unmittelbar bevor, da wurde jedes Jahr eine große Gesellschaft gegeben. Bei dieser Gelegenheit würde er seine Verlobung mit Juliane bekanntgeben.

»Dein Vater wird toben«, befürchtete Juliane, als Klaus von seinem Vorhaben erzählte.

»Nicht vor den Gästen«, entgegnete der Prinz lächelnd. »Nach der Gesellschaft, ja, da wird er seinem Zorn freien Lauf lassen, aber das ist nicht viel mehr als Schall und Rauch, denn er kann die Verlobung dann auch nicht mehr rückgängig machen.«

Juliane seufzte. »Ihr habt schon eigenartige Regeln, Klaus.« Dann schmiegte sie sich an ihn. »Hoffentlich geht alles gut.«

»Bestimmt«, versicherte Prinz Klaus und nahm sie zärtlich in die Arme. »In einer Woche werden wir auch offiziell ein Paar sein, und dann wird niemand mehr etwas daran ändern können, daß wir heiraten.«

Doch aus irgendeinem Grund gelang es Juliane nicht, sich von Klaus’ Optimismus anstecken zu lassen. Sie fühlte eine unbestimmte Gefahr, die sich zwar noch nicht greifen ließ, die aber trotzdem da war, und sie wünschte, Klaus’ Geburtstag wäre schon angebrochen. Wenn die Verlobung erst einmal bekanntgegeben war, konnte nicht ein-mal der Fürst mehr etwas dagegen unternehmen – auch wenn Juliane diese seltsame Einstellung noch immer nicht ganz begriff.

*

Das anzügliche Lächeln seines Vaters gefiel Prinz Klaus ganz und gar nicht. Der Fürst saß an dem üppig gedeckten Frühstückstisch und sah aus wie ein Mafiaboß, der seinen größten Coup gelandet hat.

Normalerweise hätte der Prinz seinen eigenen Gedanken wohl insgeheim belächelt, doch danach war ihm jetzt nicht zumute. Er spürte die Gefahr, die von seinem Vater ausging.

»Durchlaucht, die Karten sind verschickt«, meldete der Butler mit einer demütigen Verbeugung.

Fürst Adalberts Lächeln vertiefte sich noch, und am liebsten hätte er sich jetzt die Hände gerieben. Aufmerksam betrachtete Prinz Klaus seinen Vater. Es drängte ihn zu fragen, von welchen Karten der Butler da gesprochen hatte, und er spürte auch, daß sein Vater nur auf diese Frage wartete.

»Haben diese Karten etwas mit deiner guten Stimmung zu tun?« erkundigte er sich und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie sich seine Mutter tiefer über die Kaffeetasse beugte.

»Und ob, mein Sohn«, bestätigte Fürst Adalbert. »Heute ist für uns alle ein Tag der Freude.« Er machte eine flüchtige Handbewegung, woraufhin der Butler den Raum verließ und wenig später mit einem silbernen Tablett zurückkehrte, das er neben den Teller des Prinzen stellte.

Argwöhnisch betrachtete Prinz Klaus die schlichte weiße Karte mit dem dezenten Silberrand. Er warf seinem Vater noch einen kurzen Blick zu, dann griff er nach der Karte und öffnete

sie.

Meine Verlobung mit Komtesse Sarina von Gehrau erlaube ich mir anzuzeigen. Prinz Klaus von Hohenstein.

Völlig fassungslos starrte der Prinz auf die Worte, dan hob er den Kopf. Seine sonst so sanften, blauen Augen funkelten vor Zorn.

»Was fällt dir ein, in meinem Namen…«, begann er wütend, während er die Karte zerriß.

Fürst Adalbert lachte. »Diese Mühe hättest du dir sparen können, mein Sohn. Ich habe noch ein paar Reservekarten, und die übrigen sind bereits verschickt.« Er wischte sich mit der Serviette den Mund ab, dann stand er auf. »Deine Verlobung mit der Komtesse ist damit offiziell, und in einem halben Jahr wird Hochzeit gefeiert.«

Prinz Klaus hatte das Gefühl, als würde eine eisige Hand nach seinem Herzen greifen und es erbarmungslos zusammendrücken.

»Nein«, flüsterte er verzweifelt. »Das kannst du nicht…« Auch er erhob sich. Das Frühstück schmeckte ihm plötzlich nicht mehr. »Du kannst nicht einfach mein Leben zerstören.«

»Tue ich das?« fragte Fürst Adalbert, und in seiner Stimme lag ein spöttischer Unterton. »Mein lieber Klaus, du wolltest doch genau dasselbe tun, was ich jetzt getan habe. Du wolltest deine Verlobung mit dieser Juliane offiziell bekanntgeben, und dann hätte ich vor einem Scherbenhaufen gestanden. Nun war ich allerdings etwas schneller als du. Also – sei ein guter Verlierer und füge dich in dein unvermeidliches Schicksal.« Er lächelte überheblich. »Im übrigen kannst du froh sein, daß ich Komtesse Sarina für dich ausgewählt habe. Sie ist hübsch, charmant und außerordentlich intelligent.«

»Und sie ist das schwarze Schaf der gräflichen Familie«, fügte Prinz Klaus hinzu. »Sie arbeitet bei einem Arzt, falls du das noch nicht wissen solltest.«

»Natürlich weiß ich das«, betonte Fürst Adalbert. »Die Komtesse engagiert sich sehr im sozialen Bereich. Was ist dagegen einzuwenden? Und was ihren Starrsinn und ihren Hang zu primitiv-bürgerlichen Kreisen betrifft – das wird ihr auf Schloß Hohenstein ganz schnell ausgetrieben. Sie wird gar keine Zeit mehr haben, über irgendwelche Flausen nachzudenken, weil sie hier zur künftigen Fürstin getrimmt wird.« Wieder lächelte er in dieser überheblichen Art, die Prinz Klaus so in Rage brachte. »Gräfin Henriette von Gehrau ist glücklich, weil ihrer Tochter nun in absehbarer Zeit ein standesgemäßes Verhalten beigebracht wird.«

»Das kann ich mir vorstellen!« entgegnete Prinz Klaus bissig. »Die Gräfin und du – ihr würdet ausgezeichnet zusammenpassen!« In diesem Augenblick dämmerte ihm der tiefere Sinn von Fürst Adalberts Worten. »Heißt das… Sarina ist im Moment noch genauso ahnungslos, wie ich es war?«

»Selbstverständlich«, betonte Fürst Adalbert mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme. »Das ganze haben die Gräfin und ich arrangiert – zu eurem Besten. In ein paar Jahren werdet ihr ein wundervolles Fürstenpaar abgeben.«

*

Die Sprechstunde bei Dr. Robert Daniel war gerade in vol-lem Gange, als es lang und anhaltend an der Praxistür klingelte.

»Da glaubt wieder jemand, ich sei taub«, grummelte die junge Empfangsdame Gabi Meindl ärgerlich, während sie auf den Türöffner drückte.

In einem eleganten Modellkleid, einen dazu passenden überdimensionalen Hut auf dem Kopf und das sicher sündhaft teure Pelzcape um die Schultern, stürmte Gräfin Henriette von Gehrau ins Vorzimmer.

»Wo ist meine Tochter?« fragte sie und nahm sich dabei nicht einmal Zeit, Gabi Meindl zu begrüßen.

»Mama, mußt du denn immer wie eine Furie hier hereinstürzen?« fragte Sarina, die die Ankunft ihrer Mutter sogar bis ins Labor hinein gehört hatte, wo sie gerade beschäftigt gewesen war.

»Wie eine Furie?« ereiferte sich Gräfin Henriette brüskiert. »Also, Sarina, ich muß schon sehr bitten!« Sie warf einen Blick auf ihre elegante Armbanduhr. »Du mußt dich im übrigen beeilen. Der Empfang ist am frühen Nachmittag, und vorher mußt du dich noch passend kleiden.«

Verständnislos starrte Sarina ihre Mutter an. »Ein Empfang? Aber… das ist völlig unmöglich, Mama. Falls du es vergessen haben solltest – ich arbeite hier, und Dr. Daniel wäre bestimmt nicht sehr erfreut, wenn ich jetzt einfach gehen würde. Abgesehen davon, daß ich mich auf derartigen Empfängen ohnehin meistens tödlich langweile. Die Silberhochzeit auf Schloß Hohenstein hat mir für die nächsten Monate, nein, für die nächsten Jahre gereicht.«

Gräfin Henriette lächelte mokant. »Meine Liebe, ich fürchte, in nächster Zeit wirst du dich an derartige Empfänge und Gesellschaften gewöhnen müssen. Immerhin wird heute deine Verlobung mit Prinz Klaus von Hohenstein bekanntgegeben.«

»Meine… was?« fragte Sarina entsetzt, dann brach sie in ein lautes Gelächter aus. »Mama, du phantasierst! Klaus hatte an mir noch nie auch nur das geringste Interesse. Und im übrigen würde ich den Mann, mit dem ich mich verlobe, vorher doch gern ein paarmal treffen. Ich kenne Klaus nur flüchtig, und auch wenn er mir durchaus sympathisch ist, so denke ich nicht im Traum daran, ihn zu heiraten, nur weil du mich unbedingt zur künftigen Fürstin von Hohenstein machen möchtest. Abgesehen davon hat Klaus hier wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden.«

Statt einer Antwort holte Gräfin Henriette aus ihrer Tasche ein schmales Kuvert und reichte es ihrer Tochter wie eine Trophäe.

Sarina öffnete den Umschlag und zog eine schmale weiße Karte mit dezentem Silberrand hervor.

Meine Verlobung mit Komtesse Sarina von Gehrau erlaube ich mir anzuzeigen. Prinz Klaus von Hohenstein.

Völlig perplex starrte Sarina auf die wenigen Zeilen. Die Karte begann sich vor ihren Augen zu drehen. Natürlich kannte auch sie das ungeschriebene Gesetz derer von Hohenstein. War eine Verlobung erst einmal offiziell bekanntgemacht, dann gab es kein Zurück mehr – weder für die Braut noch für den Bräutigam.

»Aber… Klaus hat nie erwähnt…«, stammelte sie.

»Was ist denn hier los?«

Beim Klang von Dr. Daniels tiefer Stimme fuhr Sarina herum, und erst jetzt bemerkte sie auch den verständnislosen Blick ihrer Kollegin Gabi, die das Gespräch zwar mitbekommen, im Grunde aber nichts davon verstanden hatte.

»Herr Doktor, man will mich verheiraten!« stieß Sarina hervor und reichte ihm die Karte, als wäre sie die Erklärung für alles.

»Meine Tochter wird diese Praxis selbstverständlich auf der Stelle verlassen«, meldete sich Gräfin Henriette zu Wort, bevor Dr. Daniel auch nur einen Ton hervorbringen konnte. »Als künftige Ehefrau von Prinz Klaus ist ihre Berufstätigkeit natürlich untragbar geworden.«

»Ich will aber gar nicht gehen!« begehrte Sarina auf. »Und ich will Klaus auch nicht heiraten!«

»Augenblick, meine Damen, so kommen wir nicht weiter«, erklärte Dr. Daniel in seiner unerschütterlichen ruhigen Art, dann legte er einen Arm väterlich um Sarinas Schultern und begleitete sie in sein Sprechzimmer. »Warten Sie hier, Fräulein Sarina. Ich werde mich gleich um Sie kümmern.«

Sarina sank in einen der beiden Sessel, die vor Dr. Daniels Schreibtisch standen, dann brach sie in Tränen aus. Erschüttert betrachtete der Arzt das junge Mädchen. So verzweifelt hatte er sie noch nie gesehen.

Mit raschen Schritten kehrte er ins Vorzimmer zurück, wo Gräfin Henriette ärgerlich auf und ab marschierte. Man konnte ihr deutlich ansehen, wie wütend sie über die Einmischung Dr. Daniels war, obwohl sie ihn ansonsten sehr schätzte – jedenfalls als Arzt.

»Gräfin, ich glaube, es hat wenig Sinn, wenn Sie hier auf Ihre Tochter warten«, erklärte er in einer Bestimmtheit, die keinen Widerspruch zuließ. »Die Komtesse hatte einen massiven Kreislaufzusammenbruch. Ich werde mich jetzt um sie kümmern, und sobald ihr Zustand wieder stabil ist, werde ich sie persönlich nach Hause bringen.«

Gräfin Henriette schnappte hörbar nach Luft. »Meine Tochter ist die Verlobte von Prinz Klaus – dem künftigen Fürsten von Hohenstein. Da gehört es sich nicht, daß ein anderer Mann als ihr Verlobter sie irgendwohin bringt. Und ich verbiete Ihnen auch, sich um meine Tochter zu kümmern. Falls Sarina tatsächlich einen Zusammenbruch erlitten hat, dann wird sich ein Arzt, der dem Fürstenhaus…«

»Soviel Zeit haben wir nicht«, unterbrach Dr. Daniel ihren Redefluß. »Im übrigen können sowohl Sie als auch der Prinz versichert sein, daß ich mich nur als Arzt um Ihre Tochter kümmern werde. Ich werde der Komtesse selbstverständlich nicht zu nahe treten.«

Gräfin Henriette lauschte diesen Worten nach und konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß eine Spur Sarkasmus in Dr. Daniels Stimme mitschwang. Er ließ ihr allerdings keine Gelegenheit mehr, seiner Anordnung zu widersprechen, sondern kehrte in sein Zimmer zurück, wo Sarina völlig zusammengesunken im Sessel kauerte.

Fürsorglich griff Dr. Daniel nach ihrer Hand. »Fräulein Sarina, um Himmels willen, was ist denn nur passiert? Diese angebliche Verlobung kann sie doch nicht so sehr aus dem Gleis geworfen haben.«

»Doch, Herr Doktor«, gestand Sarina leise, dann blickte sie ihn mit tränennassen Augen an. »Wissen Sie, was es bedeutet, mit einem Prinzen von Hohenstein verlobt zu sein?« Sie beantwortete ihrer Frage gleich selbst. »Es ist mehr als eine Ehe. Eine offizielle Verlobung mit einem Prinzen von Hohenstein kann nicht mehr gelöst werden.«

»Wie bitte?« fragte Dr. Daniel verständnislos zurück, dann schüttelte er den Kopf. »So etwas ist völlig unmöglich.«

Sarina seufzte tief auf. »Leider nicht. Es handelt sich um eine Art Ehrenkodex… wenn man das so bezeichnen will. Im Prinzip ist es ein ungeschriebenes Gesetz. Ein Prinz oder eine Prinzessin von Hohenstein verlobt sich im Leben nur ein einziges Mal. Sobald diese Verlobung offiziell ist, gibt es kein Zurück mehr.« Sie wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn. »Bei diesem Empfang, zu dem ich heute nachmittag muß, wird bereits der Hochzeitstermin bekanntgegeben. Üblicherweise findet die Hochzeit ein halbes Jahr nach der Verlobung statt.«

»Das klingt, als wäre es eine Geschichte aus dem finstersten Mittelalter«, erklärte Dr. Daniel, dann warf er einen Blick auf die Karte, die Sarina ihm gegeben hatte und die er noch immer in der Hand hielt. »Der Prinz selbst gibt hier seine Verlobung mit Ihnen bekannt. Wenn das für ihn ein so folgenschwerer Schritt ist – wie kann er den vollziehen, ohne auch nur ein einziges Mal mit Ihnen darüber gesprochen zu haben?«

Hilflos zuckte Sarina die Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Ich kenne Klaus ja kaum. Sicher, als Kinder haben wir gelegentlich miteinander gespielt. Gut Gehrau liegt von Schloß Hohenstein ja nicht allzu weit entfernt, außerdem waren mein Bruder Harro, Prinz Klaus und dessen jüngerer Bruder Thilo gut befreundet.« Sarina seufzte wieder. »Thilo ist übrigens mit einer entfernten Cousine von mir verheiratet. Sie waren anfangs sehr ineinander verliebt und haben dann ziemlich überstürzt ihre Verlobung bekanntgegeben. Doch danach kam es ständig zu irgendwelchen Differenzen. Trotzdem mußten sie heiraten, und heute führen sie eine Ehe, die man seinem ärgsten Feind nicht wünschen würde.«

Fassungslos schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Ich glaube, dieses seltsame Gesetz derer von Hohenstein sollte dringend geändert werden.«

Sarina erhob sich mit langsamen, müden Bewegungen. Es schien Dr. Daniel, als hätte er plötzlich eine völlig fremde Frau vor sich.

»Selbst wenn das jemals geschehen würde«, entgegnete sie leise. »Mir würde es nichts mehr nützen. In einem halben Jahr werde ich bereits mit Prinz Klaus verheiratet sein.«

Auch Dr. Daniel erhob sich. »Wo bleibt denn Ihr Kampfgeist, Fräulein Sarina? Sie haben sich Ihrer Mutter gegenüber durchgesetzt und einen Beruf ergriffen, der ihr überhaupt nicht gefällt. Warum versuchen Sie nicht erst einmal mit dem Prinzen zu sprechen? Ich meine… zwischen ihnen beiden besteht keine Beziehung, die einen so plötzlichen folgenschweren Entschluß rechtfertigen würde.«

Sarina nickte zwar, doch es war klar, daß sie sich von einem Gespräch mit Prinz Klaus nicht viel erwartete.

»Ich kann es ja versuchen«, meinte sie, dann warf sie einen fast ängstlichen Blick auf die Karte. »Glauben Sie, daß es sich um einen Druckfehler handeln könnte?«

»Möglich ist alles«, meinte Dr. Daniel, dann legte er einen Arm um Sarinas Schultern. »Sprechen Sie mit dem Prinzen, und seien Sie versichert, daß ich Ihnen helfen werde, wenn es irgendwie in meiner Macht steht.«

»Danke, Herr Doktor«, murmelte Sarina, doch kein Lächeln erhellte ihr Gesicht. Im Augenblick lag ihre Zukunft nur grau und trostlos vor ihr.

*

Juliane schaute den Prinzen bei diesen Worten völlig verständnislos an.

»Klaus…«, stammelte sie, als sie endlich ihre Sprache wiederfand.

Resigniert ließ sich der Prinz auf das Sofa fallen, auf dem er so viele glückliche Stunden mit der Frau seines Herzens verbracht hatte. Schon vor ein paar Wochen war Juliane aus München weggezogen, damit sie und Klaus öfter zusammensein konnten. Von Schloß Hohenstein bis zu der kleinen Wohnung am Ortsrand von Steinhausen war es nur ein Katzensprung, und so war der junge Prinz beinahe täglich aus der allzu kühlen Steifheit des Schlosses in die Gemütlichkeit bei Juliane geflüchtet.

»Mein Vater wußte genau, was ich… was wir beide geplant haben«, erzählte er niedergeschlagen. »Jetzt ist er mir zuvorgekommen. Meine Verlobung mit der Komtesse ist bereits offiziell. Heute nachmittag findet der große Empfang statt, bei dem der Hochzeitstermin bekanntgegeben wird. Alles weitere geht dann seinen normalen Gang. In einem halben Jahr werde ich mit Sarina vor dem Traualtar stehen.«

»Aber… wir lieben uns doch!« begehrte Juliane auf. »Wir müssen irgend etwas tun, um…«

»Wir können überhaupt nichts tun«, fiel Prinz Klaus ihr deprimiert ins Wort. »Nur ein Weltuntergang könnte diese Hochzeit noch verhindern.«

»Du bist erwachsen, Klaus!« rief Juliane verzweifelt. »Niemand kann dich zu einer Ehe zwingen, die du nicht eingehen willst! Meine Güte, was ist denn so schlimm daran, diese Schein-Verlobung wieder zu lösen?« Plötzlich kam ihr ein anderer Gedanke. »Oder… willst du das vielleicht gar nicht, weil du in Wirklichkeit diese Komtesse liebst? War ich vielleicht nur ein Spielzeug für dich?«

»Nein, Juliane, das ganz bestimmt nicht!« versicherte Prinz Klaus eindringlich. »Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt, aber… ich kann mich über dieses Gesetz unserer Familie nicht hinwegsetzen. Ich weiß, du verstehst das nicht… niemand versteht das, aber… ich kann es einfach nicht.«

Julianes Gesicht versteinerte sich. »Du hast recht, Klaus, das verstehe ich wirklich nicht. Wie kannst du mir… nein, uns beiden nur so viele Schmerzen zufügen. Eine Verlobung ist noch keine Hochzeit. Ich würde verstehen, daß für dich als künftiger Fürst eine Scheidung nicht in Frage käme, aber eine Verlobung zu lösen… so etwas passiert doch laufend, und nur weil du ein Prinz bist…«

»Ich bin der künftige Fürst von Hohenstein«, korrigierte sie Prinz Klaus. »Würde ich eine Verlobung lösen, um die nächste zu schließen – wer könnte mich denn dann noch ernst nehmen? Wer könnte noch Vertrauen in meine Entscheidungen ha-

ben?«

»Du bist kein König, der ein Volk zu regieren hat!« erwiderte Juliane. Noch war sie nicht bereit, auf ihr Liebesglück zu verzichten. Sie wollte um Klaus kämpfen… um ihn und ihre Liebe zu ihm. »Klaus, um Himmels willen, glaubst du nicht, daß ihr von Hohensteins euch zu wichtig nehmt? Kein Mensch könnte es dir verdenken, wenn du diese Verlobung lösen würdest… vor allem dann nicht, wenn du die Wahrheit sagen würdest.«

Prinz Klaus seufzte. »Glaub nicht, daß ich daran nicht auch gedacht hätte. Das war sogar mein erster Gedanke, aber… das kann ich meinem Vater nicht antun. Was er gemacht hat, war niederträchtig und gemein, aber wenn ich ehrlich bin – ich hätte das gleiche getan. Ich hätte ihn mit meiner Entscheidung, dich zu heiraten, genauso überrumpelt, und du kannst sicher sein, daß mein Vater ein guter Verlierer gewesen wäre. Er hätte sich meiner Entscheidung gebeugt, auch wenn er zunächst darüber getobt hätte. Nun hat er mich mit meinen eigenen Waffen geschlagen, und auch ich muß mich dieser Entscheidung beugen. Ich darf ihn nicht bloßstellen, denn er hätte es im umgekehrten Falle auch nicht getan. Wir von Hohensteins haben unseren Stolz.«

»Nein.« Juliane schüttelte den Kopf so heftig, daß ihr langes, dunkles Haar wie ein Schleier über ihr Gesicht fiel und damit die Tränen verdeckte, die in ihre Augen stiegen. »Ihr seid dumm und verbohrt.« Dann stand sie auf und drehte sich abrupt um. »Geh jetzt, Klaus! Ich ertrage es nicht, dich bei mir zu haben und gleichzeitig zu wissen, daß du doch meilenweit von mir entfernt bist.«

Prinz Klaus stand auf, dann trat er zu Juliane und berührte mit einer sanften Geste das lange Haar, das ihr bis weit über den Rücken fiel.

»Eines sollst du noch wissen, Juliane«, erklärte er leise. »Auch wenn ich Sarina heiraten muß – meine Liebe wird immer nur dir gehören.«

*

Sarinas Gesicht war leichenblaß, als sie mit ihren Eltern und ihrem Bruder Schloß Hohenstein erreichte. Fürst Adalbert erwartete seine zukünftige Schwiegertochter schon auf dem Portal – eine Ehre, die er sonst kaum jemandem erwies. Trotzdem fiel Sarinas Begrüßung mehr als kühl aus.

»Ich möchte mit Klaus sprechen – allein«, verlangte sie mit ernstem Gesicht. »Immerhin sind wir ja verlobt, nicht wahr?«

Argwöhnisch betrachtete der Fürst sie. »Wenn du dich der unsinnigen Hoffnung hingibst, an diesem Zustand könnte sich noch etwas ändern, dann laß dir gesagt sein…«

»Ich gebe mich überhaupt keinen Hoffnungen hin«, fiel Sarina ihm ins Wort.

Gräfin Henriette erbleichte vor lauter Schreck, während Graf Bernhard Mühe hatte, ein stolzes Lächeln zu unterdrücken. Das war seine Tochter! Die ließ sich nicht mal so leicht von einem Fürsten einschüchtern!

Jetzt trat Prinz Klaus ebenfalls heraus, um seine junge Braut und seine künftigen Schwiegereltern zu begrüßen. Mit seinem langjährigen Freund Harro tauschte er nur einen kräftigen Händedruck, dann wandte er sich Sarina wieder zu.

»In der Bibliothek können wir uns ungestört unterhalten«, erklärte er kühl, bot der Komtesse seinen Arm und geleitete sie ins Schloß.

Er ließ Sarina zuerst in die Bibliothek treten. Mit sichtlichem Unbehagen sah sich die junge Frau um. Der ganze Raum wirkte schwer und düster – genau wie ihr Inneres im Augenblick aussah. Der Geruch nach Leder und Pfeifenrauch erfüllte den Raum und legte sich schwer auf Sarinas Lunge. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können, und war froh, als Prinz Klaus ihr einen Sessel zurechtrückte.

»Diese ganze Verlobung ist doch eine Farce«, eröffnete Sarina das Gespräch.

»Ich weiß«, entgegnete Prinz Klaus. »Ich kann dir auch versichern, daß es nicht meine Idee war.«

»Dann sollten wir dieses Trauerspiel so schnell wie möglich beenden«, meinte Sarina, und ihr Herz klopfte dabei bis zum Hals. Sie gab sich stark und mutig, dabei hoffte sie nur inständig, daß Klaus ihrem Vorschlag zustimmen würde.

»Das geht leider nicht«, entgegnete er und machte damit Sarinas letzten Funken Hoffnung zunichte. »Du kennst das Gesetz derer von Hohenstein.«

»Aber wir werden zu dieer Ehe ja regelrecht gezwungen!« begehrte Sarina auf. »Wie kannst du zulassen, daß man dich zwingt, eine Frau zu heiraten, die du nicht willst!«

Prinz Klaus seufzte, dann ließ er sich Sarina gegenüber in einen Sessel fallen.

»Es ist nicht nur das Gesetz«, gestand er freimütig ein. »Es war fast eine Art Wettbewerb zwischen meinem Vater und mir… ein Wettbewerb, von dem ich nichts wußte. Er dagegen… er hat geahnt, daß ich…« Mit einer fahrigen Handbewegung fuhr er sich durch das dichte, dunkle Haar. »Ich liebe ein anderes Mädchen… Juliane Weber. Ich nehme an, du hast sie bei der Silberhochzeit meiner Eltern gesehen. Ich… ich habe mit ihr den Tanz eröffnet. Zumindest bei mir war es Liebe auf den ersten Blick, und an meinem Geburtstag wollte ich meine Verlobung mit ihr offiziell bekanntgeben. Nun ist mir mein Vater zuvorgekommen, das muß ich leider akzeptieren.«

»Aber ich nicht!« rief Sarina verzweifelt. »Es war euer Spiel, ihr habt kein Recht, es mit mir zu spielen!«

Prinz Klaus stand auf und griff nach Sarinas Hand, dann ging er vor ihr in die Hocke.

»Es tut mir leid, daß du da hineingezogen worden bist«, erklärte er, und an seinen Augen erkannte sie, daß er es ehrlich meinte. »Ich wünschte, ich könnte es ungeschehen machen, aber… es gibt für uns beide kein Zurück mehr, Sarina. Wir können nur noch versuchen, das Beste aus der ganzen Sache zu machen, und ich kann dir zumindest eines versprechen: Es wird für dich keine schlimme Ehe werden. Ich werde mich dir gegenüber absolut korrekt verhalten, und vielleicht… vielleicht können wir beide sogar so etwas wie Harmonie… ein stilles kleines Glück finden.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ich habe dich immer gemocht, Sarina.«

»Ich mag dich auch, Klaus«, gestand sie, dann schluchzte sie auf. »Ich wollte aber noch nicht heiraten. Mein Leben… es war so erfüllt… ich war so glücklich… meine Arbeit…« Sie sah sich in der düsteren Bibliothek um. »Wie soll ich hier auch nur annähernd das finden, was ich in Steinhausen zurücklasse?«

Noch immer hielt Prinz Klaus ihre Hand fest und spürte daher ihr verzweifeltes Zittern.

»Wenn es dir hilft, dann werde ich mich dafür einsetzen, daß du bis zur Hochzeit in Steinhausen bleiben und deiner Arbeit nachgehen kannst«, versprach er, dann zuckte er hilflos die Schultern. »Mehr kann ich nicht für dich tun. Als künftige Fürstin von Hohenstein kannst du unmöglich in der Praxis eines Frauenarztes arbeiten. Schon als meine Verlobte wird es beinahe einem Skandal gleichkommen, wenn du deine Tätigkeit fortsetzt.«

»Danke, Klaus«, hauchte Sarina. »Ich weiß dein Angebot zu schätzen, und ich möchte es annehmen – vielleicht nicht bis zur Hochzeit, aber zumindest so lange, bis Dr. Daniel für mich einen Ersatz gefunden hat. Ich kann ihn nicht einfach im Stich lassen.«

Prinz Klaus nickte, dann sah er auf die Uhr. Er berührte Sarinas Arm und seufzte leise.

»Der Empfang«, sagte er nur. »Man wird schon auf uns warten, und… ich fürchte, wir müssen zumindest so tun, als wäre diese Verlobung unser eigener Wunsch.«

Sehr ernst sah Sarina ihn an. »Müssen wir das wirklich? Ist es nicht schon genug, wenn wir uns der Entscheidung unserer Eltern beugen?«

Prinz Klaus zuckte die Schultern. »Ja, vielleicht hast du recht.«

Doch als sie sich später zu einem formellen Verlobungskuß überreden ließen, sprach man überall davon, daß hier in einem halben Jahr eine Liebesheirat stattfinden würde. Dabei konnte es wohl kaum ein unglücklicheres Brautpaar als Prinz Klaus von Hohenstein und Komtesse Sarina von Gehrau geben.

*

Nach drei Wochen war Juliane Weber nur noch ein Schatten ihrer selbst. Nachts konnte sich nicht schlafen, tagsüber saß sie vor einer mittlerweile abgegriffenen Zeitschrift und sah immer wieder die Bilder von Prinz Klaus und seiner Verlobten an, obwohl ihr das glückliche Lächeln der beiden fast körperliche Schmerzen verursachte.

Sie glaubte längst nicht mehr an die Geschichte, die Klaus ihr bei seinem letzten Besuch aufgetischt hatte. Die Bilder von ihm und Komtesse Sarina sprachen für sich. Diese Verlobung war nicht von Fürst Adalbert arrangiert worden, sondern von Klaus selbst.

Er hat nur mit mir gespielt, dachte Juliane, und diese Gewißheit schmerzte noch viel mehr als die Bilder des reißerisch aufgemachten Artikels, die von Glück und Liebe zeugten.

»Juliane, du solltest dich nicht so quälen.«

Die sanfte Stimme ihrer Mutter riß sie aus ihren Gedanken. Karola Weber war für ein paar Tage zu ihrer Tochter gekommen, weil die Sorge um Juliane ihr keine Ruhe mehr gelassen hatte.

Die junge Frau seufzte tief auf, dann schob sie die Zeitschrift zurück.

»Es ist gleichgültig, ob ich die Bilder vor meinen Augen habe oder nicht – sie haben sich mir ins Herz gebrannt.« Mit zitternden Fingern strich sie ihr langes, dunkles Haar zurück. »Noch nie in meinem Leben war ich so unglücklich.«

Besorgt sah ihre Mutter sie an. »Du bist so mager geworden, Kind, und auch ganz blaß. Vielleicht solltest du zum Arzt gehen. Seit ich hier bin, hast du ja kaum etwas gegessen.«

Juliane winkte ab. »Mir wird schon übel, wenn ich nur ans Essen denke, aber da kann mir kein Arzt der Welt helfen. Ich bin krank vor Liebe… krank vor Sehnsucht nach Klaus. Dabei… er verdient meine Liebe im Grunde gar nicht.« Sie tippte auf ein Bild, das Prinz Klaus und Komtesse Sarina zeigte. »Das war es, was er von Anfang an wollte – eine standesgemäße Frau.«

Karola Weber sah ihrer Tochter über die Schulter. »Ich weiß nicht so recht, Juliane. Die beiden lächeln zwar, doch ihre Augen sind viel zu ernst, als daß sie wirklich glücklich sein könnten.«

Störrisch schüttelte Juliane den Kopf. »Du irrst dich, Mama, die beiden sind bestimmt ineinander verliebt.«

Noch einmal betrachtete Karola Weber die Bilder und machte sich darüber so ihre eigenen Gedanken, dann nahm sie ihre Tochter entschlossen bei der Hand.

»Komm, mein Kind, wir beide machen jetzt einen kleinen Spaziergang«, schlug sie betont munter vor. »Du wirst sehen, ein bißchen frische Luft wird dir guttun.«

Juliane verspürte zwar überhaupt keine Lust zu einem Spaziergang, doch sie wußte, daß es keinen Sinn hätte, ihrer Mutter zu widersprechen.

Die Herbstluft war kühl und feucht, was noch deutlicher wurde, als die beiden Frauen den Wald erreichten. Die hier herrschende Stille legte sich drückend auf Julianes Gemüt. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt, die Waldluft schien sie irgendwie zu betäuben.

»Was ist mit dir, Juliane?« fragte Karola Weber besorgt, als ihre Tochter plötzlich taumelte.

»Nichts, Mama«, behauptete Juliane und strich mit einer Hand über ihre Stirn. »Ich fühle mich im Moment nur… ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ein wenig unsicher… schwindlig…«

Erneut taumelte sie, dann sackte sie mit einem Seufzer zusammen und blieb reglos auf dem weichen Waldboden liegen.

»Juliane!« rief ihre Mutter erschrocken. »Um Himmels willen…« Wie gehetzt blickte sie sich um, doch sie war völlig allein mit ihrer bewußtlosen Tochter.

»Hilfe!« schrie sie verzweifelt. »Hilfe!«

Sie beugte sich über Juliane und rüttelte sie. »Kind, was ist mit dir! Wach doch auf!«

Aber die junge Frau bewegte sich nicht. Karola fühlte Panik in sich aufsteigen. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Juliane brauchte dringend ärztliche Hilfe, andererseits konnte sie sie hier auch nicht ganz allein liegenlassen, um einen Arzt zu alarmieren.

In diesem Augenblick sah sie etwas Weißes durch die Bäume schimmern und lief ein paar hastige Schritte darauf zu.

»Das ist ja…«, stieß sie atemlos hervor. »O Gott!« Sie rannte zum Waldrand und über die Wiese. »Hilfe!«

Im nächsten Moment wurden die Doppeltüren des hufeisenförmigen, weißen Gebäudes aufgerissen, und eine junge Frau im hellblauen Kittel lief heraus und Karole entgegen.

»Meine Tochter!« rief Karola schon von weitem. »Sie ist zusammengebrochen!« Aufgeregt wies sie hinter sich. »Sie liegt dort im Wald!«

Die Krankenschwester machte kehrt, rief durch die Doppeltüren irgend etwas ins Innere des Gebäudes, das ganz offensichtlich eine Klinik war. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis zwei Krankenpfleger mit einer Tragbahre herauseilten und der Schwester folgte.

Karola Weber war inzwischen schon wieder zum Waldrand geeilt. Sie sah kurz zurück, erkannte, daß die Schwester und die beiden Krankenpfleger ihr folgten, und lief rasch die wenigen Schritte bis zu ihrer Tochter, die noch immer bewußtlos auf dem Boden lag.

Kurz nach ihr kamen die Krankenpfleger und die Schwester. Juliane wurde auf die Trage gelegt und eilig zur Klinik gebracht. Hier wartete denn auch schon ein Arzt auf sie. Die Krankenpfleger legten die junge Frau im Untersuchungszimmer auf die Liege, dann ließen sie den Arzt mit ihr allein. Dieser untersuchte Juliane, kontrollierte Puls und Blutdruck. Letzteren mußte er zweimal messen, bevor er überhaupt ein brauchbares Ergebnis erhielt.

»Der Blutdruck liegt förmlich im Keller«, murmelte er sich selbst zu. »Kein Wunder, daß sie umgekippt ist.« Mit raschen, geschickten Bewegungen zog er eine Spritze auf, wählte sehr sorgfältig eine Vene an Julianes linkem Arm und injizierte dann ganz langsam die wasserhelle Flüssigkeit.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis Juliane die Augen aufschlug und sich verwirrt umblickte.

»Wo… wo bin ich?« fragte sie kaum hörbar.

Der Arzt lächelte sie an. »In der Waldsee-Klinik. Ich bin Dr. Gerrit Scheibler, der Oberarzt.«

Juliane nickte schwach. Sie versuchte sich zu erinnern, was passiert war.

»Plötzlich war mir so komisch«, erklärte sie noch immer sehr leise. »Schwindlig… schwarz vor Augen… und dann weiß ich nichts mehr.«

»Sie hatten einen massiven Kreislaufzusammenbruch«, antwortete Dr. Scheibler ernst. »Ich fürchte, da müssen Sie ein paar Tage bei uns bleiben.« Besänftigend tätschelte er Julianes Hand. »Jetzt schicke ich erst mal Ihre Mutter herein. Sie macht sich bestimmt schon große Sorgen um Sie.«

Karola Weber war tatsächlich völlig aufgelöst, die beruhigenden Worte von Schwester Alexandra hatten nicht viel bewirkt.

»Was ist mit meiner Tochter?« stieß sie hervor.

»Sie hatte einen massiven Kreislaufzusammenbruch«, wiederholte Dr. Scheibler. »Der Grund dafür muß noch herausgefunden werden. Deshalb werden wir Ihre Tochter erst mal stationär aufnehmen und gründlich untersuchen.« Er lächelte. »Aber jetzt dürfen Sie zu ihr hineingehen.«

»Danke, Herr Doktor«, erwiderte Karola, doch sie machte keine Anstalten, das Untersuchungszimmer zu betreten.

»Möchten Sie mich noch etwas fragen?« wollte Dr. Scheibler wissen, da er ihr Zögern ganz richtig deutete.

»Ja, das heißt… nein, eigentlich nicht. Ich wollte nur… ich glaube, ich weiß, worin der Grund für diesen Zusammenbruch liegt«, brachte Karola ein wenig zögernd hervor. »Juliane ist sehr unglücklich verliebt. Sie kann nachts nicht schlafen, und zumindest seit ich hier bei ihr zu Besuch bin, hat sie auch kaum etwas gegessen. Sie… sie ist krank vor Liebe und Sehnsucht.«

Dr. Scheibler nickte. »So etwas ist gut möglich.« Sehr sanft berührte er Karolas Arm. »Wir werden Ihre Tochter trotzdem gründlich untersuchen, und vielleicht gelingt es uns ja sogar, ihr ein bißchen aus dieser Misere herauszuhelfen.«

Karola atmete auf, dann brachte sie sogar ein Lächeln zustande. »Ich bin froh, daß wir so zufällig hier gelandet sind.« Dankbar drückte sie Dr. Scheiblers Hand, dann betrat sie den Untersuchungsraum, wo Juliane noch immer auf der Liege lag.

»Du hast mir aber einen fürchterlichen Schrecken eingejagt, mein Kind«, erklärte Karola und griff dabei zärtlich nach Julianes Hand. »Der Doktor ist sehr nett. Er versucht, dir zu helfen.«

Doch Juliane schüttelte niedergeschlagen den Kopf. »Das kann er nicht… das kann niemand.«

*

»Schwester Alexandra, veranlassen Sie bitte, daß die Patientin stationär aufgenommen wird«, erklärte Dr. Scheibler, als er mit der jungen Krankenschwester allein war. »Anschließend legen Sie sie dann auf die Gynäkologie.«

Erstaunt sah Schwester Alexandra ihn an. »Auf die Gynäkologie? Aber ich dachte, sie hätte einen Kreislaufzusammenbruch gehabt.«

Dr. Scheibler nickte. »Das ist zwar richtig, doch diesem Kreislaufzusammenbruch könnte durchaus ein gynäkologisches Problem zugrunde liegen. Die Mutter der Patientin hat gesagt, sie hätte Liebeskummer.« Dann lächelte er. »Außerdem halte ich es gerade in diesem Fall für dringend erforderlich, daß sich Dr. Daniel der jungen Dame annimmt. Er hat im Umgang mit traurigen Mädchen mehr Erfolg und Erfahrung als wir alle zusammen.«

Alexandra lächelte nun ebenfalls. »Da haben Sie recht, Herr Oberarzt. Dr. Daniel ist ein Arzt, zu dem man einfach Vertrauen haben muß.«

»Deshalb werde ich ihn auch gleich anrufen«, beschloß Dr. Scheibler, betrat das Ärztezimmer und wählte die Nummer von Dr. Daniels Praxis. Wie immer meldete sich dort die junge Empfangsdame Gabi Meindl, legte das Gespräch auf Dr. Scheiblers Bitte aber unverzüglich ins Sprechzimmer.

»Robert, es tut mir leid, wenn ich Sie mitten in der Sprechstunde stören muß, aber ich hatte gerade eine Patientin mit einem massiven Kreislaufzusammenbruch«, erklärte Dr. Scheibler. »Wir werden sie hier gründlich untersuchen, aber ich denke, es wäre von Vorteil, wenn Sie sich die junge Frau auch ansehen würden. Ihre Mutter hat gesagt, sie hätte großen Liebeskummer, und erfahrungsgemäß haben junge Damen mit derartigen Herzschmerzen zu Ihnen immer besonders viel Vertrauen.«

Dr. Daniel mußte lachen, doch Dr. Scheibler hatte den Eindruck, als würde seine Stimme heute ein bißchen gezwungen klingen.

»In Ordnung, Gerrit, ich komme gleich nach dem Mittagessen in die Klinik«, versprach er.

Es war dann auch tatsächlich noch nicht einmal ein Uhr, als Dr. Daniel die Waldsee-Klinik betrat. Bereits in der Eingangshalle traf er auf den Oberarzt, der ihn sofort in die Gynäkologie hinüberbegleitete.

»Der körperliche Zustand von Fräulein Weber ist sehr bedenklich«, erzählte er dabei. »Sie scheint in letzter Zeit wirklich nur das Nötigste gegessen zu haben.«

Dr. Daniel runzelte die Stirn. »Denken Sie an Magersucht?«

Doch Dr. Scheibler schüttelte den Kopf. »Nein, keineswegs. Sie hat einfach keinen Appetit, dazu der Schlafmangel… ich fürchte, es wird nicht einfach sein, ihr zu helfen. Wahrscheinlich kann da nur die Zeit heilen.«

»Wissen Sie etwas Genaueres über ihren Liebeskummer?«

Dr. Scheibler schüttelte den Kopf. »Ich weiß nur, daß sich der Mann, den sie liebt, mit einer anderen verlobt hat.«

»Das ist ja in der Tat schon schlimm genug«, urteilte Dr. Daniel.

Inzwischen hatten sie das Zimmer erreicht, in dem Juliane lag, und Dr. Daniel trat nach kurzem Anklopfen ein. Die junge Frau wandte den Kopf, dann richtete sie sich ein wenig auf.

»Guten Tag, FräuleinWeber«, grüßte Dr. Daniel mit einem herzlichen Lächeln. »Ich bin Robert Daniel, der Gynäkologe von Steinhausen und überdies Direktor dieser Klinik.«

Juliane erschrak. »Gynäkologie? Bin ich denn… schwanger?«

Aufmerksam sah Dr. Daniel sie an. »Daran dachten wir eigentlich nicht. Ich bin vielmehr gekommen, weil Dr. Scheibler mich darum gebeten hat. Er sagte, Sie seien sehr deprimiert, und ich weiß aus langjähriger Erfahrung, daß da ein eingehendes Gespräch oft mehr nützt als die gründlichste Untersuchung.« Er schwieg einen Moment. »Wäre es denn möglich, daß Sie schwanger sind?«

Juliane zögerte, dann nickte sie. »Ja, Herr Doktor, möglich wäre das schon.« Mit zitternden Fingern strich sie sich ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. »Klaus und ich… wir wollten heiraten… das heißt, er sagte, daß er mich heiraten wolle, aber dann… angeblich hat sein Vater ihn gezwungen, sich mit einer anderen Frau zu verloben, doch das glaube ich inzwischen nicht mehr. Dafür sieht er viel zu glücklich aus.«

»So etwas tut sehr weh«, meinte Dr. Daniel mitfühlend, dann griff er nach Julianes Hand. »Vielleicht sollten wir ganz zur Sicherheit einen Schwangerschaftstest machen. Wenn er wirklich positiv ausfällt, dann…« Er zögerte, sprach aber schließlich doch weiter. »Viele junge Männer entscheiden sich auf einmal ganz anders, wenn sie erfahren, daß sie im Begriff sind, Vater zu werden.«

Juliane schüttelte den Kopf. »Daran ist bei Klaus nicht zu denken. Er ist verlobt, und das wiegt in seiner Familie etwa so schwer wie eine lebenslängliche Gefängnisstrafe.«

Dr. Daniel runzelte die Stirn. Das alles erinnerte ihn an das Gespräch mit Sarina von Gehrau, das er vor noch nicht allzu langer Zeit geführt hat. Zufälligerweise hieß ihr Verlobter doch auch Klaus. Oder… war das vielleicht gar kein Zufall? Obwohl es ihn drängte, danach zu fragen, ließ er es im Moment noch bleiben. Er wollte in Juliane jetzt nicht noch mehr Schmerzen wecken. Es fiel ihr anscheinend sowieso schon schwer genug, überhaupt über diesen Klaus zu sprechen.

Er stand auf. »Ich werde die Schwester wegen einer Urinprobe zu Ihnen schicken, Fräulein Weber, und dann sehen wir mal, ob eine Schwangerschaft der Grund für Ihren labilen Kreislaufzustand ist. Möglich wäre das nämlich durchaus.«

Juliane nickte. »Wenn ich tatsächlich ein Baby erwarte… ich weiß nicht, wie es dann weitergehen soll. Ich bin arbeitslos und…« Sie vergrub das Gesicht in den Händen und schluchzte leise.

Tröstend streichelte Dr. Daniel ihren bebenden Rücken. »Es muß ja gar nicht sein, daß Sie schwanger sind. Wir wollen nur sichergehen.«

Wieder nickte Juliane, doch als Dr. Daniel nach einigen Minuten mit dem Testergebnis zurückkehrte, erkannte sie schon an seinem Gesicht, daß auf sie jetzt noch viel schwerere Zeiten zukommen würden.

»Ich bin tatsächlich schwanger, nicht wahr?« fragte sie fast tonlos, noch bevor Dr. Daniel etwas sagen konnte.

Er setzte sich wieder zu ihr ans Bett, dann nickte er. »Ja, Fräulein Weber, der Schwangerschaftstest war positiv, und ich glaube, jetzt sollten wir uns wirklich eingehend unterhalten.«

Resigniert zuckte Juliane die Schultern. »Worüber sollen wir uns denn jetzt noch unterhalten, Herr Doktor? Ich habe es Ihnen vorhin schon gesagt – ich bin arbeitslos, mein Freund hat mich wegen einer anderen verlassen, und nun bin ich auch noch schwanger.« Aus traurigen Augen sah sie Dr. Daniel an. »Mein ganzes Leben ist im Moment nur noch grau und trostlos.«

»Das wird sich wieder ändern«, versprach Dr. Daniel. »Gemeinsam werden wir die beste Lösung für Sie und das Baby finden.«

»Die beste Lösung für mich wäre vermutlich eine Abtreibung«, erklärte Juliane, doch allein der Ton, in dem sie das sagte, bewies Dr. Daniel, daß dieser Schritt für sie glücklicherweise nicht in Frage kam.

»Ich glaube nicht, daß eine Abtreibung eine gute Lösung wäre… das ist sie nämlich in den seltensten Fällen. Ich selbst ziehe einen solch gravierenden Schritt nur dann in Betracht, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder das Kind so schwer behindert, daß es aller Voraussicht nach bei der Geburt oder kurz danach sterben würde.«

Sehr lange sah Juliane den Arzt an und dachte dabei an ihren Gynäkologen in München. Er war zwar sehr nett und verantwortungsbewußt gewesen, doch Dr. Daniel übertraf ihn bei weitem. Er besaß eine Ausstrahlung, die ihn unheimlich sympathisch machte. Zu ihm mußte man einfach Vertrauen haben.

»Meine Mutter hatte recht«, erklärte Juliane aus diesen Gedanken heraus. »Es ist gut, daß ich hier in der Waldsee-Klinik gelandet bin.«

*

Sarina von Gehrau erledigte ihre Arbeit in der Praxis von Dr. Daniel mechanisch und ohne die Freude, die sie ihr früher bereitet hatte.

»Sarina, wenn ich dir irgendwie helfen kann«, begann ihre Kollegin Gabi vorsichtig.

»Heirate den Prinzen«, gab Sarina zurück. »Das wäre das einzige, womit mir geholfen wäre.« Dann ließ sie sich auf einen Stuhl fallen und vergrub das Gesicht in den Händen. »Es tut mir leid, Gabi. Ich wollte nicht so patzig sein. Du kannst ja nichts dafür, aber… ich bin so todunglücklich.«

Mit aufrichtigem Mitgefühl sah Gabi ihre Kollegin an. »Ich verstehe das alles nicht. Warum mußt du diesen Kerl überhaupt heiraten?«

Sarina seufzte. »Wenn ich das nur wüßte. Sein Kuhhandel geht mich im Grunde überhaupt nichts an.« Deprimiert winkte sie ab. »In den vergangenen Wochen habe ich unzählige Male mit dem Gedanken gespielt, die Verlobung einfach zu lösen, aber wenn ich dann auf Schloß Hohenstein bin… wenn es wirklich getan werden müßte… dann bin ich doch zu feige. Der Fürst jagt mir regelrecht Angst ein, und Klaus… ich habe das Gefühl, als könnte er sich niemals gegen seinen Vater durchsetzen.«

»Also ein echter Waschlappen«, urteilte Gabi hart.

Doch Sarina schüttelte den Kopf. »Nein, das ist er ganz bestimmt nicht. Er ist sogar ein unheimlich lieber Kerl, und im Grunde müßte ich mich zu einem solchen Mann beglückwünschen. Aber… ich liebe ihn nun mal nicht, und er denkt ja auch ständig an eine andere Frau. Ich habe sie nur ein einziges Mal gesehen – bei der Silberhochzeit des Fürstenpaares, aber Klaus muß sie seitdem abgöttisch lieben.«

Verständnislos schüttelte Gabi den Kopf. »Warum heiratet er dann dich und nicht sie?«

»Das ist ja eben der Kuhhandel, von dem ich sprach. Es war eigentlich nichts anderes als ein Wettkampf zwischen Vater und Sohn. Wer als erster die Verlobung offiziell bekanntgeben würde, war der Sieger. Klaus und ich sind in diesem Fall die großen Verlierer geworden«, fügte sie voller Bitterkeit hinzu.

»Tut mir leid, aber das übersteigt meine geistigen Fähigkeiten«, erklärte Gabi. »Eine Verlobung ist schließlich noch keine Ehe. Warum läßt sich dieser Prinz so sehr bevormunden?« Sie schüttelte den Kopf. »Also, irgendwie haben diese Adligen doch alle einen Schlag.« Sie errötete. »Dich meine ich damit natürlich nicht.«

Sarina versuchte ein Lächeln, doch es mißlang kläglich. »Danke. Im übrigen solltest du nicht den ganzen Adel über einen Kamm scheren. Diese seltsame Einstellung, daß eine offizielle Verlobung nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, existiert meines Wissens nur auf Schloß Hohenstein.« Mit einem tiefen Seufzer stand sie auf. »Wie auch immer. Alles Reden darüber nützt mir nichts. Ich muß zusehen, daß ich wieder an meine Arbeit komme.«

In diesem Moment klingelte es, und Gabi drückte auf den Türöffner. Erstaunt sah sie den jungen Mann an, der ins Vorzimmer trat und sie freundlich anlächelte.

»Guten Tag«, grüßte er. »Fräulein Meindl, nehme ich an.«

Gabi nickte erstaunt. »Ja. Kennen wir uns?«

»Nein, aber Dr. Daniel hat mir bereits von Ihnen erzählt.«

Gabi errötete ein wenig. »Hoffentlich nicht die ganze Wahrheit.«

Der junge Mann mußte lachen. »Er hat nur gesagt, daß Sie seine Empfangsdame sind und äußerst fähig wären.« Er streckte die Hand aus. »Im übrigen bin ich nur gekommen, um mich

vorzustellen. Rainer Köhler ist mein Name. Ich bin der neue

Assistenzarzt der Waldsee-Klinik.«

Überrascht sah Gabi ihn an. »Ich glaube, Sie sind der erste Arzt, der sich so förmlich hier in der Praxis vorstellt. Mit den Klinikärzten haben wir nämlich eigentlich nichts zu tun.«

»Weiß ich«, entgegnete Dr. Köhler. »Aber da Dr. Daniel Klinikdirektor ist, hielt ich es doch für angebracht, mal bei Ihnen vorbeizuschauen.«

»Das ist aber ein feiner Zug«, erklärte Dr. Daniel, der unbemerkt dazugekommen war und Dr. Köhlers Worte gehört hatte. Lächelnd reichte er dem jungen Arzt die Hand. »Ich freue mich, daß Sie uns hier besuchen.«

»Jetzt habe ich dazu ja auch noch Gelegenheit«, meinte Dr. Köhler. »Wenn ich erst einmal die Pflichten Ihres Sohnes übernehmen muß, dann werde ich für Besuche solcher Art wohl nicht mehr viel Zeit haben.«

Dr. Daniel lächelte. »Ja, das denke ich auch. Der Beruf des Assistenzarztes in der Waldsee-Klinik kommt nicht gerade einem Erholungsurlaub gleich. Mein Sohn wird Ihnen davon ein Lied singen können. Allerdings wird er auch nach Abschluß seiner Assistenzzeit noch ein paar Monate an der Waldsee-Klinik tätig sein, weil sich seine Ausbildung zum Facharzt leider ein bißchen verzögert.« Dr. Daniel wies zu seiner Sprechzimmertür. »Wenn Sie ein bißchen Zeit haben, können wir uns noch unterhalten. Im Augenblick herrscht bei mir in der Praxis ausnahmsweise einmal Ruhe.«

»Die Ruhe vor dem Sturm«, vermutete Dr. Köhler. »Nach allem, was ich bisher gehört habe, muß bei Ihnen ja meistens die Hölle los sein, aber…« Er verstummte abrupt, als Sarina aus dem Labor trat.

»Das ist meine Sprechstundenhilfe, Sarina von Gehrau«, stellte Dr. Daniel die junge Frau vor, dann wandte er sich ihr zu. »Dr. Köhler ist der neue Assistenzarzt der Waldsee-Klinik.«

Höflich reichte Sarina ihm die Hand, und als der Blick seiner sanften, dunklen Augen sie traf, war ihr auf einmal ganz anders zumute.

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, erklärte sie mechanisch und wunderte sich, daß ihre Stimme dabei so normal klang. Fast hätte sie geschworen, keinen einzigen Ton hervorzubringen. Mit Mühe wich sie seinem Blick aus und sah Dr. Daniel an. Dabei fühlte sie, wie sich eine entsetzliche Leere in ihr auszubreiten begann.

»Leider werde ich nicht mehr lange Ihre Sprechstundenhilfe sein.«

Sie hörte die Worte und wußte, daß sie es gewesen war, die sie ausgesprochen hatte, trotzdem war ihr, als stünde sie irgendwo außerhalb und würde diese ganze Szene nur beobachten.

»Daran wollen wir noch gar nicht denken, Fräulein Sarina«, entgegnete Dr. Daniel und betrachtete sie dabei prüfend. Sie hatte in den vergangenen Wochen ja schon traurig und unglücklich gewirkt, doch ihr jetziger Zustand ging noch einen Schritt weiter. »Ich habe die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, daß Sie mir als Sprechstundenhilfe erhalten bleiben.«

Wie unter einem Zwang wandte sich Sarina wieder dem jungen Arzt zu. Sie hatte das dringende Bedürfnis, ihn zu berühren, sich bei ihm anzulehnen… in seinen Armen Schutz zu suchen. Sie spürte, daß ihr Herz wie rasend klopfte. Das Blut rauschte in ihren Ohren, und unwillkürlich taumelte sie ein wenig.

Rasch griff Dr. Daniel an ihren Arm, um sie zu stützen.

»Fräulein Sarina, ist alles in Ordnung?« fragte er besorgt.

Sie nickte hastig. »Ja… ja, Herr Doktor, natürlich.« Dann betrat sie rasch das Labor… so rasch, daß es wie eine Flucht aussah. Und es war auch eine Flucht – eine Flucht vor der Reaktion ihres Herzens.

*

Sehr blaß, mit fest zusammengepreßten Lippen saß Sarina Stunden später auf dem steifen Sofa im weitläufigen Salon von Schloß Hohenstein. Prinz Klaus hatte sich neben sie gesetzt, trotzdem hatte es den Anschein, als seien sie meilenweit voneinander entfernt.

»Ich werde dich nicht heiraten.«

Die Worte standen fast feindselig im Raum.

Prinz Klaus seufzte. »Ich habe dir doch schon gesagt…«

»Daß es sein muß?« vollendete Sarina seinen angefangenen Satz. »Es muß nicht sein. Hör zu, Klaus, mir ist es egal, daß du mir dasselbe antust. Ich habe es dir schon vor ein paar Wochen gesagt – ich habe mit dem merkwürdigen Wettkampf, der zwischen dir und deinem Vater stattgefunden hat, nichts zu schaffen. Und wenn du nicht in der Lage bist, dich gegen ihn durchzusetzen, dann tust du mit leid.«

Prinz Klaus stand abrupt auf und ging erregt im Zimmer hin und her.

»Darum geht es nicht«, behauptete er.

»Worum denn dann?« Sie wartete eine Antwort gar nicht ab. »Weißt du, wie ich es sehe? Dein Vater regiert hier oben wie ein hartherziger König, und du bist ihm total untertan. Er verlobt dich mit einer Frau, die du nicht willst, trotzdem setzt du dich nicht einmal zur Wehr. Klaus, du bist vierundzwanzig! Niemand auf der ganzen Welt kann dir vorschreiben, wen du heiraten mußt.«

»Das Gesetz derer von Hohenstein schreibt es mir vor«, erklärte Prinz Klaus kühl. »Diesem Gesetz müssen wir uns beugen.«

»Es ist ein hoffnungslos verstaubtes Gesetz!«

»Was fällt dir ein, so mit meinem Sohn zu sprechen!« brauste der Fürst auf. Durch die angelehnte Salontür hatte er das Gespräch der beiden belauscht. »Ihr seid offiziell verlobt, nur das zählt.« Seine zornfunkelnden Augen richteten sich auf Sarina. »Meine liebe Komtesse, du magst zu Hause deine Launen durchgesetzt haben – hier auf Schloß Hohenstein wird dir das nicht gelingen. Und um dir eine Kostprobe meiner Strenge zu geben, verbiete ich dir ab sofort, deinem skandalösen Beruf nachzugehen. Ab morgen besuchst du eine andere Schule – nämlich die der Für-

stin. Sie wird dich lehren, gehorsam zu sein, und dir beibringen, dich standesgemäß zu benehmen.«

Erregt sprang Sarina auf. »Ich kann Dr. Daniel nicht einfach im Stich lassen! Außerdem hat Klaus versprochen…«

»Schweig!« herrschte der Fürst sie an. »Schloß Hohenstein ist jetzt dein Zuhause, und das wirst du bis zur Hochzeit nicht mehr verlassen.« Er wandte sich um. »Johann!«

Der Butler erschien, als hätte er draußen nur auf diesen Zuruf gewartet.

»Komtesse Sarina von Gehrau wird im Westflügel des Schlosses untergebracht«, ordnete der Fürst an. »Ohne Begleitung hat mein Sohn dort keinen Zutritt. Umgekehrt hat Komtesse Sarina den Westflügel nur dann zu verlassen, wenn sie gerufen wird.«

»Ich lasse mich nicht einsperren!« begehrte Sarina auf.

Mit einem Schritt stand der Fürst vor ihr, und seine kalten Augen jagten ihr Angst ein.

»Du wirst gehorchen!« erklärte er hart. »Du wirst hier die Bedeutung des Wortes Gehorsam lernen.« Dann sah er seinen Sohn an. »Du wirst deine Verlobte in ihre Räume begleiten, anschließend kommst du dann unverzüglich wieder hierher. Es schickt sich für ein angehendes Ehepaar nicht, vor der Hochzeit miteinander allein zu sein.«

»Ja, Vater«, stimmte Prinz Klaus zu, dann reichte er Sarina höflich den Arm, um sie in den Westflügel des Schlosses zu führen.

»Ich lasse mir das nicht gefallen!« erklärte Sarina wütend.

»Hör auf damit«, bat Prinz Klaus. »Du hast es mit deinen vorlauten Worten schon schlimm genug gemacht.« Er sah sie an. »Es tut mir leid, daß alles so gekommen ist.« Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Ich werde Dr. Daniel Bescheid geben, daß du nicht mehr in die Praxis kommen wirst. Mehr kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht für dich tun.«

*

Dr. Daniel war sehr erstaunt, als am nächsten Morgen anstatt der erwarteten Sarina Prinz Klaus in die Praxis kam und ihn zu sprechen wünschte.

»Komtesse Sarina hat sich gestern zu einigen unbedachten Worten hinreißen lassen«, erklärte er kühl. »Daher hat mein Vater ihr verboten, weiterhin ihrem Beruf nachzugehen. Ich bin nur hier, um Sie davon in Kenntnis zu setzen.«

Damit wollte er sich umdrehen und die Praxis wieder verlassen, doch Dr. Daniel hielt ihn zurück.

»Finden Sie es eigentlich in Ordnung, was Sie da tun?« fragte er.

Prinz Klaus wich seinem prüfenden Blick aus, dann zuckte er die Schultern. »Ich wurde so erzogen.«

»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«

Der Prinz seufzte tief auf. »Nein, ich finde es nicht in Ordnung, und wenn ich es ändern könnte…«

»Sie können es ändern«, erklärte Dr. Daniel entschieden.

Doch Prinz Klaus schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht. Meine Verlobung mit Komtesse Sarina ist offiziell, und das bedeutet…«

»Ich weiß, was das bedeutet«, fiel Dr. Daniel ihm ins Wort. »Sie verurteilen sich und die Komtesse zu einem einsamen, unglücklichen Leben. Und damit nicht nur Sie beide. Es gibt noch einen dritten Menschen, der unter Ihrem Verhalten leidet.«

Prinz Klaus errötete. »Woher wissen Sie…« Er stockte. »Ach so, Sarina wird es Ihnen gesagt haben.«

»Sie hat nur eine Andeutung gemacht«, entgegnete Dr. Daniel. »Ein Blick in Ihr Gesicht sagte mir, wie unglücklich Sie sind, und das liegt nicht nur an der Verlobung, die Sie nicht gewollt haben. Ihr Herz gehört einer anderen Frau, und ich frage mich, weshalb Sie nicht um Ihre Liebe kämpfen.«

Abrupt drehte sich der Prinz um. »Das kann und will ich mit Ihnen nicht erörtern.« Damit verließ er rasch das Zimmer, bevor Dr. Daniel noch etwas sagen konnte.

Der Arzt seufzte tief auf. »Das wird ein hartes Stück Arbeit, und der Himmel allein weiß, ob es mir gelingen wird, sie zu bewältigen.«

*

»Schwester Bianca, können Sie mir sagen, wann Dr. Daniel kommen wird?« fragte Juliane Weber, als die Stationsschwester ihr Mittagessen brachte.

»Dr. Daniel ist schon im Haus«, antwortete Bianca lächelnd. »Ich glaube sogar, er ist bereits auf dem Weg zu Ihnen.«

Als hätte er es gehört, stand der Arzt in diesem Moment auch schon im Türrahmen.

»Ach, jetzt störe ich beim Mittagessen«, erklärte er bedauernd.

Rasch schüttelte Juliane den Kopf. »Sie stören überhaupt nicht, Herr Doktor, ganz im Gegenteil. Ich habe Sie schon dringend erwartet, weil ich…«

Dr. Daniel erfuhr nicht mehr, was Juliane sagen wollte, denn in diesem Moment stürzte Sarina von Gehrau ins Zimmer. Ihr Gesicht war vor Aufregung oder Anstrengung leicht gerötet, und sie atmete so heftig, als wäre sie den ganzen Weg von Schloß Hohenstein bis hierher gelaufen – was vermutlich auch der Wahrheit entsprach.

»Herr Doktor, ich kann nicht mehr!« stieß sie hervor. »Bitte, helfen Sie mir…«

»Komtesse Sarina von Gehrau!«

Julianes Stimme war plötzlich hart und kalt, und sie fiel mitten in Sarinas Worte. Die junge

Komtesse verstummte und

wandte sich erstaunt zu Juliane um.

»Sie wagen es, hier hereinzukommen!« fuhr Juliane aufgebracht fort. »Zuerst nehmen Sie mir den einzigen Mann, den ich wirklich liebe, und dann quälen Sie mich auch noch mit Ihrer Anwesenheit. Genügt es Ihnen nicht, daß Sie Klaus bekommen haben?«

»Ich will ihn ja gar nicht!« begehrte Sarina auf. Sie wußte plötzlich, wer die junge Frau in dem Krankenbett war. Juliane Weber – die Frau, mit der er sich hatte verloben wollen. Doch dann war ihm sein Vater zuvorgekommen.

Aus weitaufgerissenen Augen starrte Juliane die Komtesse nun an. Mit dieser Antwort hatte sie nicht gerechnet. Nach dem groß aufgemachten Bericht in der Zeitschrift war sie fest davon überzeugt gewesen, daß Klaus in Wirklichkeit die Komtesse liebte und sie nur eine willkommene Abwechslung für ihn gewesen war.

»Sie… wollen ihn nicht?« stammelte sie leise. »Aber… dann ist ja alles wahr, was er gesagt hat…«

»Ich glaube, jetzt ist es an der Zeit, daß Sie beide sich zusammensetzen und ein ausführliches Gespräch miteinander führen«, meinte Dr. Daniel, doch als er das Zimmer diskret verlassen wollte, wurde er von Juliane und Sarina zurückgehalten.

»Ohne Ihre Hilfe schaffen wir es doch nicht«, erklärte Juliane, und Sarina legte eine Hand auf Dr. Daniels Arm, ehe sie hinzufügte: »Wir brauchen Sie, Herr Doktor.«

»Also schön«, stimmte Dr. Daniel zu, zog noch einen Stuhl heran und setzte sich zu den beiden jungen Frauen, die aus so verschiedenen Welten kamen und doch beide so verzweifelt waren. Er sah Sarina an. »Was ist passiert, Fräulein Sarina? Prinz Klaus war heute bei mir und sagte etwas von unbedachten Worten, wegen denen Sie Ihren Beruf nicht mehr ausüben dürften.«

Sarina seufzte. »Ich will Klaus nicht heiraten, und das habe ich ihm auch gesagt. Ich will mein Leben nicht ruinieren lassen…« Sie senkte den Kopf. »Es gibt auch noch einen anderen Grund, aber davon muß niemand etwas wissen.«

»Sie lieben einen anderen Mann«, stellte Juliane fest, dann lächelte sie Sarina voll innerer Verbundenheit an. »Leugnen Sie es nicht, man sieht es Ihnen deutlich an.«

Sarina nickte. »Die Liebe traf mich wie ein Blitz, aber auch ohne dieses einschneidende Erlebnis…« Sie schüttelte den Kopf. »Ich will diese Art von Leben, zu der ich an Klaus’ Seite gezwungen wäre, nicht führen. Im übrigen hat man auf Schloß Hohenstein das Gefühl, als wäre die Zeit irgendwo im finstersten Mittelalter stehengeblieben.« Sie seufzte. »Unglücklicherweise hat der Fürst meine Worte gehört und daraufhin angeordnet, daß ich bis zur Hochzeit auf Schloß Hohenstein zu bleiben hätte – natürlich strikt getrennt von Klaus, damit wir unserem guten Ruf nicht schaden würden.« Sie schwieg einen Moment. »Bei der ersten sich bietenden Gelegenheit habe ich mich natürlich sofort aus dem Staub gemacht. Allerdings wird es nicht lange dauern, bis man mich zurückholen wird.«

»Das sind ja wirkich Sitten wie im Mittelalter«, erklärte Dr. Daniel ärgerlich. »Damit geht der gute Fürst entschieden zu weit, und ich denke, wenn wir alle an einem Strang ziehen, müßte es uns gelingen, dieses Fürstenhaus zu etwas menschlicheren Umgangsformen zu bewegen.«

Aufmerksam sah Sarina ihn an. »Das klingt nicht so, als würden Sie mir helfen, diese Ehe gar nicht erst schließen zu müssen.«

Väterlich legte Dr. Daniel einen Arm um ihre Schultern. »Das liegt nicht an mir, Fräulein Sarina, sondern an Ihnen und Prinz Klaus. Sie sind beide volljährig, also können Sie gar nicht zu einer Ehe gezwungen werden – gleichgültig, was dieses seltsame Gesetz derer von Hohenstein besagt. Wenn Sie vor dem Standesbeamten ›nein‹ antworten, werden die hohen Herrschaften das akzeptieren müssen.«

Sarina lauschte diesen Worten nach, dann konnte sie zum ersten Mal seit langem wieder lächeln. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber das wäre vielleicht wirklich eine Idee.« Sie mußte laut auflachen. »Der Fürst wäre bis auf die Knochen blamiert, aber das würde ich ihm von Herzen gönnen.«

»Ich auch«, stimmte Juliane lebhaft zu.

Dr. Daniel schmunzelte. »Ihr Vorhaben in allen Ehren, Fräulein Sarina, aber vielleicht wäre es doch besser für alle Beteiligten, wenn man versuchen würde, zu einer Einigung zu kommen, die jeder akzeptieren kann, ohne das Gesicht zu verlieren. Dazu gehört allerdings auch, daß Sie noch einmal ein eingehendes Gespräch mit Prinz Klaus führen, und zwar mit ihm allein. Wenn Sie möchten, werde ich Sie gern dabei unterstützen.«

Sarina nickte ohne zu zögern. »Dafür wäre ich Ihnen sogar sehr dankbar, Herr Doktor.«

Dr. Daniel wandte sich Juliane zu. »Vielleicht sollte man den Prinzen mit einer gewissen Tatsache konfrontieren, Fräulein Weber.«

Für einen Augenblick senkte Juliane den Kopf, dann blickte sie Dr. Daniel wieder an. »Wenn Sie glauben, daß das etwas nützen wird…« Ihr Blick ging weiter zu Sarina. »Ich erwarte ein Baby von Klaus.«

Spontan griff Sarina nach ihrer Hand und drückte sie sanft. »Das werde ich ihm sagen, und wenn er dann seine Meinung immer noch nicht ändert, weiß ich nicht mehr, was ich von ihm halten soll.«

*

Als Sarina von Gehrau am späten Nachmittag nach Schloß Hohenstein zurückkehrte, wurde sie von Fürst Adalbert und Prinz Klaus bereits erwartet.

»Wo warst du?« erkundigte sich der Fürst in barschem Ton.

Sarina reckte den Kopf hoch.

»Ich lasse mich nicht einsperren«, erklärte sie. »Im übrigen habe ich meine Angelegenheiten immer selbst geregelt, und ich gedenke nicht, das zu ändern, nur weil ich Klaus heiraten soll.«

Mit jedem Wort, das Sarina gesprochen hatte, hatten sich tiefere Falten in Fürst Adalberts Stirn gegraben. Aber noch bevor er seinem Zorn Luft machen konnte, wandte sich die junge Komtesse an Prinz Klaus.

»Mit dir möchte ich noch sprechen, Klaus«, erklärte sie bestimmt und fügte nach einem Seitenblick zu Fürst Adalbert hinzu: »Unter vier Augen.«

»Was erlaubst du dir?« brauste der Fürst jetzt auf. »Wenn du mit Klaus etwas zu besprechen hast, dann…«

»Dann geht das nur ihn und mich etwas an«, fiel Sarina ihm scheinbar gelassen ins Wort. Wieviel Mut sie ihr Widerspruch tatsächlich kostete, zeigte sie nicht. »Immerhin sind wir verlobt – auch wenn es nicht unserem Wunsch entsprach.«

Der Fürst schnappte hörbar nach Luft, während Prinz Klaus nicht wußte, ob er über Sarinas Verhalten entsetzt sein oder sie lieber bewundern sollte.

»Du bist sehr mutig«, erklärte er nur, als er mit Sarina den grünen Salon betrat, einen verhältnismäßig kleinen Raum, den sogar die junge Komtesse als einigermaßen gemütlich empfand. »Keiner von uns hat es jemals gewagt, so mit Vater zu sprechen.«

»Das glaube ich gern«, entgegnete Sarina. »Ich habe zuerst auch nicht geglaubt, daß ich den Mut dazu aufbringen würde, aber… es mußte einfach sein. Ich mußte unbedingt Gelegenheit haben, mit dir allein zu sprechen.« Sie schwieg einen Moment und sah Prinz Klaus prüfend an. Wie er wohl auf ihre Mitteilung reagieren würde? Einen Moment lang wünschte sie, sie könnte damit warten, bis Dr. Daniel hier sein würde, doch es war nicht abzusehen, wieviel Zeit ihnen der Fürst lassen würde.

»Ich war heute in der Waldsee-Klinik und habe Juliane gesehen«, begann sie schließlich.

Prinz Klaus zeigte enorme Selbstbeherrschung. Nur das Zucken um seine Mundwinkel verriet, wie groß der Aufruhr in seinem Innern allein durch die Nennung des geliebten Namens war.

»Klaus, diese Frau ist krank vor Liebe zu dir«, fuhr Sarina eindringlich fort. »Ich weiß, daß es eine solche Diagnose medizinisch betrachtet eigentlich nicht gibt, aber… ich habe ihre Augen gesehen… ihr ganzes Gesicht ist gezeichnet von Kummer und schlaflosen Nächten.«

Prinz Klaus wich ihrem Blick aus. »Ich kann nichts dagegen machen, Sarina.«

»Doch, Klaus, du könntest schon, aber dir fehlt der Mut dazu. Du wagst es nicht, deinem herrschsüchtigen Vater die Stirn zu bieten.« Sarina machte eine kurze Pause. »Es wundert mich auch nicht, denn du wurdest ja ein Leben lang zu absolutem Gehorsam gezwungen.« Mit einer Hand griff sie nach dem Arm des Prinzen, während ihre Augen seinen Blick suchten. »Wir müssen um unsere Liebe kämpfen, Klaus. Du um deine, ich um meine. Es wird nicht einfach sein, aber wenn wir zusammenhalten, dann muß dein Vater am Ende doch klein beigeben.«

Prinz Klaus seufzte. »Damit stellst du alles in Frage, wonach ich bisher gelebt habe. Wenn ich bloß an Thilo denke… wie unglücklich er in seiner Ehe ist, aber er hat sie trotzdem geschlossen, dabei war vor der Hochzeit schon abzusehen, wie sich die Beziehung der beiden entwickeln würde.« Er strich sich mit einer fahrigen Handbewegung über die Stirn. »Mag sein, daß du dieses Gesetz für falsch hältst, aber wir von Hohensteins leben seit Jahrzehnten danach, und wir beide werden darin keine Ausnahme machen können.«

»Das ist es doch, Klaus!« begehrte Sarina auf. »Ihr lebt seit Jahrzehnten danach, aber mit der Zeit hat sich dieses Gesetz überlebt. Ich habe es dir schon einmal gesagt – ich sehe ein, daß eine Scheidung für euch tabu ist, aber eine Verlobung ist schließlich noch keine Ehe.« Mit einer heftigen Bewegung warf sie ihr langes, blondes Haar in den Nacken. »Hör zu, Klaus, ich lasse mich nicht in diese Ehe hineinzwingen. Ich bin volljährig und habe meine eigenen Vorstellungen vom Leben. Eine Ehe ohne Liebe gehört nicht dazu, und wenn diese Verlobung nicht zu lösen ist, dann werde ich schlicht und einfach vor dem Standesbeamten ›nein‹ sagen.«

Prinz Klaus erschrak zutiefst. »Das kannst du nicht tun! Wir wären alle bis auf die Knochen blamiert. Stell dir nur vor – die Hochzeitsgäste…«

»Das ist mir egal, Klaus«, behauptete Sarina, obwohl das nicht so ganz der Wahrheit entsprach. In Wirklichkeit fürchtete sie sich ganz schrecklich davor, diese Drohung womöglich wahr machen zu müssen, wenn ihr tatsächlich keine andere Wahl bleiben sollte, um ihr Lebensglück zu retten.

»Es geht auch noch um etwas anderes«, fuhr sie fort. »Juliane erwartet ein Kind von dir.«

Prinz Klaus zuckte zusammen wie unter einem Schlag.

»Ein Kind«, stammelte er und erhob sich dann so abrupt, daß Sarina überzeugt davon war, er werde jetzt das einzig richtige tun und zu der Frau seines Herzens gehen.

Doch die Reaktion des Prinzen sah völlig anders aus als von ihr erwartet.

»Das Kind wird so aufwachsen, wie es einer Prinzessin oder einem Prinzen von Hohenstein gebührt«, erklärte er. »Wir werden es adoptieren.«

Aus weitaufgerissenen Augen starrte Sarina ihn an. »Klaus!« Ohne zu überlegen, faßte sie ihn bei den Schultern und schüttelte ihn. »Meine Güte, was geht in den Köpfen von euch Hohensteins eigentlich vor? Glaubt ihr denn wirklich, ihr könntet alle Menschen so lenken, wie es euch in den Kram paßt? Klaus, diese Frau ist schwanger! Sie erwartet dein Baby! Du denkst doch wohl nicht allen Ernstes, daß sie ihr Kind freiwillig hergeben würde!«

Verzweifelt vergrub der Prinz das Gesicht in den Händen. »Was soll ich denn sonst tun? Juliane ist meinetwegen arbeitslos geworden, und nun kann ich ihr nicht einmal den Schutz und die Sicherheit einer Ehe geben. Als alleinerziehende Mutter… was glaubst du, was für ein elendes Leben auf sie warten würde? Finanziell würde ich sie natürlich großzügig unterstützen, aber was bedeutet Geld, wenn man…« Resigniert winkte er ab. »Wie solltest ausgerechnet du das verstehen?«

»Besser als du vielleicht denkst«, entgegnete Sarina. »Immerhin komme ich in meinem Beruf mit mehr alleinerziehenden Müttern zusammen als du.« Sie blickte ihn sehr ernst an. »Du müßtest einmal über deinen Schatten springen, Klaus. Löse die Verlobung mit mir und bekenne dich zu deiner Liebe.«

Prinz Klaus zögerte, dann schüttelte er den Kopf. »Das kann ich nicht. Ich darf mein Wort nicht brechen.«

»Es ist nicht dein Wort, sondern das deines Vaters«, korrigierte ihn Sarina, doch in ihrer Stimme lag dabei plötzlich keine Hoffnung mehr. Sie spürte, daß es nicht in ihrer Macht liegen würde, den Prinzen umzustimmen.

»Das ist in diesem Fall dasselbe«, erwiderte Klaus dann auch schon. »Für die Öffentlichkeit ist es mein Wort, das ich dir gegeben habe, und ich bin verpflichtet, dazu zu stehen.«

*

Es kostete Dr. Rainer Köhler große Mühe, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, und das war etwas völlig Neues für ihn. Bevor er zur Waldsee-Klinik gekommen war, hatte er bereits ein Jahr an einer Münchner Privatklinik als Assistenzarzt gearbeitet, doch das verantwortungslose Vorgehen des dortigen Chirurgen hatte ihn mehr als befremdet. Eine diesbezügliche Bemerkung hatte für Dr. Köhler dann die fristlose Kündigung zur Folge gehabt, doch danach hatte ihn der Zufall in die Waldsee-Klinik und zu Dr. Daniel geführt. Es hatte sich herausgestellt, daß der Chirurg aus der Privatklinik tatsächlich einen groben Fehler begangen hatte, und nicht zuletzt durch Dr. Köhlers Aussage war ihm dieser nachgewiesen worden. Dem Chirurgen war die Approbation entzogen worden und Dr. Daniel hatte sich von den Zeugnissen und vor allem von der sympathischen Ausstrahlung des jungen Assistenzarztes überzeugen lassen und ihn in der Waldsee-Klinik eingestellt.

»Nun habe ich mich so sehr auf diese Arbeit gefreut«, murmelte Dr. Köhler. »Doch jetzt…«

»Gefällt es Ihnen hier nicht?«

Erschrocken fuhr der junge Assistenzarzt herum und wurde schrecklich verlegen, als er sich so unverhofft Dr. Daniel gegen-übersah.

»Doch… natürlich…«, stammelte er. »Es ist nur… ich kann mich nicht mehr richtig konzentrieren, weil…« Er stockte.

»Weil die Augen einer gewissen jungen Dame Sie verfolgen, habe ich recht?« fragte Dr. Daniel schmunzelnd.

Erneut zog eine verlegene Röte über Dr. Köhlers Gesicht.

»Mir ist so etwas noch nie passiert«, versicherte er. »Bisher gab es für mich immer nur meine Arbeit, aber…« Er senkte den Kopf. »Sie haben recht, ich kann sie nicht vergessen. Ihre Augen waren so traurig.«

»Aus gutem Grund«, meinte Dr. Daniel. »Sie soll einen Mann heiraten, den sie nicht liebt.«

Dr. Köhler erschrak. »Aber… das ist doch unmöglich! Heutzutage…« Er bemühte sich, seine Fassung wiederzugewinnen. »Entschuldigen Sie, das geht mich natürlich überhaupt nichts an.« Er warf einen raschen Blick auf seine Uhr. »Ich muß wieder an die Arbeit, sonst laufe ich noch Gefahr, den Chefarzt von einer anderen Seite kennenzulernen, und das will ich lieber nicht herausfordern.«

Dr. Daniel sah ihm nach, wie er eilig in die Chirurgie verschwand.

»Da hat der Blitz aber auch voll eingeschlagen«, murmelte er schmunzelnd, dann wurde er ernst. »Das bedeutet, daß wir jetzt erst recht versuchen müssen, diese unselige Verlobung zu lösen. So viele Menschen dürfen nicht wegen eines unsinnigen Gesetzes, das irgendein Fürst an-

no dazumal ins Leben gerufen hat, unglücklich gemacht werden.«

Dr. Daniel verließ die Waldsee-Klinik, stieg in sein Auto und fuhr zum Schloß hinauf. In den aufsteigenden abendlichen Herbstnebeln wirkte es wie eine finstere, unheimliche Burg, und Dr. Daniel fröstelte unwillkürlich, als er sich vorstellte, die lebensfrohe Sarina müßte dort ihr weiteres Leben verbringen – an der Seite eines ungeliebten Mannes.

Der Arzt hielt seinen Wagen in der breiten Auffahrt an, stieg aus und ging die Stufen des Portals hinauf, dann betätigte er den schweren Türklopfer. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der Butler ihm öffnete.

»Guten Abend«, grüßte Dr. Daniel höflich. »Ich bin Dr. Robert Daniel aus Steinhausen und hätte gern mit Prinz Klaus von Hohenstein gesprochen.«

Der Butler verbeugte sich und ließ Dr. Daniel eintreten, dann entschwand er nahezu lautlos, kehrte aber schon wenig später zurück und begleitete den Arzt in die Bibliothek, wo Besucher üblicherweise empfangen wurden.

Wieder legte sich die düstere Stimmung schwer auf Dr. Daniels Gemüt, und er fragte sich, wie man hier tagaus, tagein überhaupt leben konnte.

»Was wollen Sie von meinem Sohn?«

Dr. Daniel fuhr herum und sah sich unvermittelt dem Fürsten gegenüber, der ihn fast feindselig anstarrte.

»Ich wollte mit dem Prinzen über die bevorstehende Hochzeit sprechen«, erklärte Dr. Daniel rundheraus, denn auch ein zorniger Fürst konnte ihn so leicht nicht einschüchtern.

»Das dachte ich mir.« Der Fürst machte eine ärgerliche Handbewegung. »Ihr Name ist mir nämlich durchaus ein Begriff, und ich kann nicht behaupten, daß es mir gefällt, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit, hätte Dr. Daniel gern gesagt, unterließ es aber, weil sich eine solche Bemerkung sicher nicht günstig auf die Verhandlungen ausgewirkt hätte, die Dr. Daniel zu führen gedachte.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Durchlaucht«, entgegnete er statt dessen. »Es liegt mir fern, irgendwelche Gebräuche oder ungeschriebene Gesetze zu kritisieren, die sicher nicht ohne Grund eingeführt worden sind. Aber rechtfertigt ein solches Gesetz es tatsächlich, daß vier Menschen unglücklich für ihr Leben werden?«

»Das geht Sie überhaupt nichts an!« brauste Fürst Adalbert auf.

»Doch«, erwiderte Dr. Daniel mit schier unerschütterlicher Ruhe. »Immerhin bin ich im Begriff, meine verläßliche Sprechstundenhilfe zu verlieren.« Er lächelte, um die bestehenden Spannungen ein wenig abzubauen, doch sein Lächeln prallte an der eisigen Ablehnung des Fürsten ab. »Wobei dieser Punkt nur zweitrangig wäre.« Er wurde wieder ernst. »Viel wichtiger ist es doch, daß Prinz Klaus eine andere Frau liebt, und zwar eine, die ihm in Kürze ein Kind schenken wird.«

Normalerweise hätte Dr. Daniel diese Bemerkung aufgrund seiner Schweigepflicht gar nicht machen dürfen, doch Juliane hatte ihm die Erlaubnis dazu ausdrücklich erteilt, und Dr. Daniel bemerkte zu seiner Genugtuung, daß der Fürst sekundenlang irritiert und sprachlos war.

»Dazu kommt, daß auch das Herz der Komtesse einem anderen Mann gehört«, fügte Dr. Daniel hinzu, obwohl er von vornherein wußte, daß das den Fürsten nicht weiter interessieren würde.

Jetzt reckte sich Fürst Adalbert hoch, sein Blick war starr und eisig geworden.

»Die Verlobung ist offiziell bekanntgegeben, die Hochzeit wird zu dem von mir bestimmten Termin stattfinden«, erklärte er.

»Durchlaucht, gestatten Sie mir eine Bemerkung«, entgegnete Dr. Daniel, wartete die Zustimmung des Fürsten aber gar nicht ab, sondern fügte hinzu: »Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert. Die Lösung einer Verlobung ist heute keine Besonderheit mehr, vor allem dann nicht, wenn beide Verlobte sie wünschen. Im übrigen sind sowohl Prinz Klaus als auch Komtesse Sarina volljährig und im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte. Es kann ihnen also zugetraut werden, eigene Entscheidungen zu treffen, und ich kann Ihnen versichern, daß sie das tun werden.«

»Was erlauben Sie sich eigentlich?« fuhr der Fürst ihn an. »Die beiden werden sich nicht erdreisten, diese Verlobung ohne mein Einverständnis zu lösen!«

Die Stimme des Fürsten dröhnte wie Donnergrollen, doch nicht einmal damit konnte er Dr. Daniel irgendwie verunsichern. Er blieb nach außen hin völlig gelassen, was Fürst Adalbert zusehends auf die Palme brachte. Er war es gewohnt, daß jeder vor ihm kuschte, doch diesem Arzt war anscheinend mit gar nichts beizukommen.

»Verlassen Sie sich lieber nicht darauf«, erklärte er auf die Bemerkung des Fürsten. »Ihren Sohn kenne ich zwar nicht besonders gut, dafür sind mir die Reaktionen der Komtesse aber um so besser vertraut. Immerhin arbeitet sie seit ein paar Jahren für mich, und ich kann Ihnen versichern, daß sie sich zu nichts zwingen lassen wird – auch nicht von Ihnen.«

Stolz hob der Fürst den Kopf. »Sie werden sich eines besseren belehren lassen müssen. Im Frühjahr wird Komtesse Sarina meinem Sohn das Ja-Wort geben.«

Dr. Daniel lächelte. »Sofern sie vor dem Standesbeamten nicht ›nein‹ sagt, und das, Durchlaucht, würden Sie nicht verhindern können.«

Entsetzt starrte der Fürst ihn an. Damit hatte er nicht gerechnet, und mit erschreckender Klarheit wurde ihm bewußt, daß Dr. Daniel recht hatte. Sollte sich Sarina eine solche Dreistigkeit, wie er es bezeichnete, erlauben, würden sie alle machtlos danebenstehen – sogar er.

»Das wird sie nicht wagen«, knurrte Fürst Adalbert – doch es gelang ihm nicht richtig, sich selbst davon zu überzeugen.

*

»Guten Morgen, Fräulein Weber«, grüßte Dr. Rainer Köhler mit einem freundlichen Lächeln. »Es tut mir leid, aber ich muß Sie jetzt ein bißchen pieksen. Dr. Daniel braucht wieder ein Blutbild.«

Erstaunt betrachtete Juliane den jungen Assistenzarzt. »Das macht doch normalerweise Schwester Bianca.«

Dr. Köhler nickte. »Richtig, aber sie ist momentan so sehr im Streß, da habe ich mich angeboten, ihr einen Teil ihrer Arbeit abzunehmen.« Er grinste. »Ich hoffe, daß ich es auch so gut kann wie Bianca.«

Juliane lächelte. Der junge Assistenzarzt war ihr ausgesprochen sympathisch, aber das waren im Grunde alle Ärzte, die hier arbeiteten.

»Ich denke, Sie als Arzt müßten das eigentlich noch besser können«, meinte sie.

»Täuschen Sie sich da nicht«, entgegnete Dr. Köhler und setzte sich kurzerhand auf die Bettkante. »Im Spritzen und Blutabnehmen sind die Schwestern meistens geschickter und besser als wir Ärzte.« Er lächelte. »Ich werde mich trotzdem bemühen, Ihnen nicht mehr wehzutun als nötig.«

Er griff nach ihrer Hand und piekste sie dann mit einer kurzen, raschen Bewegung in die Fingerkuppe des Mittelfingers.

»Nun, wie war ich?« wollte er wissen, während er den ersten Tropfen Blut wegwischte und dann mit Hilfe eines dünnen Plastikröhrchens eine winzige Menge Blut auffing.

»Ich will ganz ehrlich sein«, entgegnete Juliane. »Ich lasse mir lieber aus der Armbeuge einen Liter Blut abnehmen als aus der Fingerspitze ein paar Tropfen.« Sie lächelte. »Allerdings war es jetzt bei Ihnen nicht unangenehmer als sonst auch.«

»Das freut mich zu hören«, erklärte Dr. Köhler und stand auf. »Jetzt quäle ich Sie auch nicht länger. Ich muß nur noch den Blutdruck kontrollieren.«

Er legte die Manschette um Julianes Oberarm, pumpte auf und ließ die Luft dann langsam ab.

»Hundertzwanzig zu achtzig.« Er grinste. »Ich schätze, einen so erstklassigen Blutdruck haben Sie nur in meiner Anwesenheit.«

Juliane mußte lachen. »Sie sind mir ein rechter Draufgänger. In einem haben Sie allerdings recht: Mein Blutdruck ist normalerweise eher zu niedrig, aber wenn hier in der Klinik gemessen wird…« Sie zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, woran es liegt, daß er hier immer höher ist.«

»Bestimmt an den gutaussehenden Ärzten«, urteilte Dr. Köhler noch immer grinsend, dann wandte er sich um. Dabei streifte sein Blick die Zeitschrift, die aufgeschlagen auf Julianes fahrbarem Nachttisch lag. Das hübsche Frauengesicht, das ihn von einem Bild her anlächelte, ließ ihn förmlich erstarren. Wie unter einem Zwang griff er nach der Zeitschrift, betrachtete die Bilder, die von Glück und Harmonie zeugten, und las die Überschrift des Artikels: Glanzvolle Verlobungsfeier auf Schloß Hohenstein.

»Herr Doktor, ist alles in Ordnung?«

Julianes Stimme drang wie aus weiter Ferne an sein Ohr, und er nickte geistesabwesend, dann sah er sie an.

»Darf ich… darf ich das kurz mitnehmen?« fragte er, und seine Stimme klang dabei plötzlich ein wenig heiser und unsicher. »Ich… ich möchte es nur le-

sen.«

»Natürlich«, stimmte Juliane überrascht zu. Üblicherweise interessieren sich Männer nicht für derartige Zeitschriften und vor allem nicht für Klatschgeschichten aus Fürstenhäusern. Für Juliane hatte der Bericht noch vor kurzem große Bedeutung gehabt, doch jetzt, seit sie Sarina kannte, war er ihr unwichtig geworden, und eigentlich hatte Juliane die Zeitschrift schon wegwerfen wollen.

Dr. Köhler konnte sich gerade noch zu einem flüchtigen Abschiedsgruß aufraffen, dann verließ er den Raum und eilte zum Ärztezimmer. Kraftlos ließ er sich auf einen Stuhl fallen, betrachtete die Bilder und las Bruchstücke des Berichts.

»Eine Komtesse«, flüsterte er erschüttert, dann vergrub er das Gesicht in den Händen. »Sie ist eine Komtesse.«

Dr. Daniels Worte fielen ihm ein. »Sie soll einen Mann heiraten, den sie nicht liebt.«

Wieder betrachtete Dr. Köhler die Bilder, dann schüttelte er den Kopf. »So sieht keine Frau aus, die zur Heirat gezwungen werden soll.«

Fast angewidert schob er die Zeitschrift zurück, dann stand er abrupt auf und verließ das Ärztezimmer.

»Rainer, was ist denn mit Ihnen los?« erkundigte sich

Dr. Gerrit Scheibler besorgt, der in diesem Moment die Gynäkologie betrat. »Ist Ihnen nicht gut?«

Dr. Köhler schüttelte den Kopf. »Es ist alles in Ordnung, Herr Oberarzt, wirklich.«

»Das sieht für mich aber etwas anders aus«, entgegnete Dr. Scheibler entschieden. »Sie machen mir ganz den Eindruck, als würden Sie jeden Moment umkippen.« Er schwieg einen Moment. »Im übrigen merke ich schon seit ein paar Tagen, wie unkonzentriert Sie sind.«

Dr. Köhler erschrak. Bedeuteten die Worte des Oberarztes womöglich, daß man seine Entlassung ins Auge gefaßt hatte? Aber noch bevor der junge Assistenzarzt seine Befürchtung in Worte fassen konnte, war Dr. Scheibler schon zu ihm getreten und hatte ihm mit einer raschen Bewegung den Handrücken an die Stirn gelegt.

»Erhöhte Temperatur scheinen Sie nicht zu haben«, erklärte er. »Trotzdem habe ich das Gefühl, als würden Sie irgendeine Krankheit ausbrüten.«

»Ich bin nicht krank«, entgegnete Dr. Köhler. »Es ist nur…« Er stockte, dann fuhr er sich mit einer Hand über die Stirn. Dabei bemerkte Dr. Scheibler seine kaum mehr beherrschte Nervosität.

Ohne noch länger zu zögern, nahm der Oberarzt ihn am Arm. »Kommen Sie, Rainer.« Er brachte den jungen Assistenzarzt zu einem der Patientenzimmer. »Legen Sie sich ins Bett.«

»Aber… ich habe doch Dienst.«

»Der ist hiermit gestrichen.« Dr. Scheibler verließ das Zimmer für einen Moment und kehrte mit einem kleinen Plastikbecher zurück, der eine braune Flüssigkeit enthielt. »Trinken Sie das. Es schmeckt nicht sehr gut, aber es wird Sie beruhigen und sicher bald einschlafen lassen.«

»Ich möchte nicht…«, begann der junge Arzt, doch Dr. Scheibler ließ ihn gar nicht aussprechen.

»Keine Widerrede«, erklärte er streng. »Wenn der Oberarzt etwas anordnet, dann hat der Assistenzarzt zu gehorchen. Sie werden sehen, nach ein paar Stunden Schlaf wird es Ihnen wieder bessergehen.«

Dr. Köhler sah ein, daß es wirklich keinen Sinn hatte, sich weiter dagegen zu sträuben. Er schluckte das Medikament und fühlte schon bald, wie eine lähmende Müdigkeit von ihm Besitz ergriff.

»Der junge Mann scheint ein wenig labil zu sein«, erklärte der Chefarzt Dr. Wolfgang Metzler, als Dr. Köhler eingeschlafen war. Er hatte die Szene zwischen Oberarzt und Assistenzarzt schon eine Weile unbemerkt beobachtet.

Jetzt drehte sich Dr. Scheibler zu ihm um und seufzte. »Deine Menschenkenntnis in Ehren, Wolfgang, aber in diesem Punkt irrst du dich. Rainer ist nicht labil, er schleppt vielmehr irgendein schwerwiegendes Problem mit sich herum.« Er zuckte die Schultern. »Vielleicht steckt aber auch nur eine Krankheit in ihm, die in den nächsten Tagen noch ausbrechen wird.«

Dr. Metzler trat näher und betrachtete den schlafenden jungen Mann.

»Oder die fristlose Kündigung in dieser Privatklinik hatte doch ihren Sinn«, meinte er.

Ärgerlich schüttelte Dr. Scheibler den Kopf. »Also weißt du, Wolfgang, manchmal siehst du wirklich nicht weiter als bis zu deiner Nasenspitze.«

»Danke«, knurrte Dr. Metzler verärgert. »Normalerweise dürftest du dich als Oberarzt deinem Chefarzt gegenüber zu keinen derart respektlosen Bemerkungen hinreißen lassen.«

Dr. Scheibler grinste. »Wenn dieser Chefarzt gleichzeitig mein Schwager ist, dann schon.« Er legte Wolfgang eine Hand auf die Schulter. »Komm, sei nicht gleich beleidigt. Es ist…«

»Was ist denn hier los?«

Mit dieser Frage gesellte sich Dr. Daniel zu den beiden Ärzten, dann warf er dem schlafenden Dr. Köhler einen kurzen Blick zu. »Fehlt ihm etwas?«

Dr. Scheibler zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Er behauptet, daß er gesund ist, aber ich spüre seine Unkonzentriertheit schon seit ein paar Tagen. Heute war er darüber hinaus auch noch so nervös und fahrig – das muß einen ernsthaften Grund haben.«

Dr. Daniel nickte. »Richtig, Gerrit. Soll ich Ihnen auch sagen, wie dieser Grund heißt?« Er schmunzelte. »Man nennt diese Art Erkrankung ›akuten Liebesschmerz‹.«

»Wie bitte?« warf Dr. Metzler in fast drohendem Ton dazwischen. »Willst du damit etwa andeuten, daß Rainer nur verliebt ist?« Er stemmte die Hände in die Hüften. »Wenn das wirklich stimmt, dann kann sich der junge Mann auf etwas gefaßt machen. Der soll seinen Liebeskummer zu Hause lassen und hier ordentlich arbeiten.«

»Wolfgang, beruhige dich wieder«, erklärte Dr. Daniel besänftigend. »Zum einen arbeitet Dr. Köhler sehr ordentlich – auch wenn er sich zeitweise vielleicht nicht richtig konzentrieren kann.«

»Stimmt«, bekräftigte Dr. Scheibler. »Er hat trotz gelegentlicher Unkonzentriertheit noch keinen Fehler gemacht.« Er sah den Chefarzt an. »Im übrigen ist es nicht mehr so einfach, seine Gefühle zu Hause zu lassen, und ich darf dich daran erinnern, daß auch du in dieser Hinsicht schon gewisse Schwierigkeiten hattest.«

Abwehrend hob Dr. Metzler beide Hände. »Ja, ja, ich ergebe mich. Du mußt mich also nicht gleich zerfleischen.«

»Will ich ja gar nicht«, entgegnete Dr. Scheibler lächelnd. »Man muß dir bloß gelegentlich in Erinnerung rufen, daß auch Ärzte nur Menschen sind.«

»Und wegen welcher jungen Dame hat unser Herr Assistenzarzt nun solche Herzschmerzen?« fragte Dr. Metzler versöhnlicher. »Oder darf man das nicht erfahren?«

Statt einer Antwort reichte Dr. Daniel ihm eine aufgeschlagene Zeitschrift. »Die habe ich gerade im Ärztezimmer gefunden, und ich glaube, sie beantwortet deine Frage hinreichend.«

Dr. Metzler betrachtete die Bilder und las den dazugehörigen Text, dann nickte er. »Das erklärt tatsächlich einiges.«

Dr. Daniel nahm die Zeitschrift wieder zurück und blickte auf das Bild, das Sarina von Gehrau und Prinz Klaus von Hohenstein zeigte.

»Ich hoffe sehr, daß sich diese ganze verfahrene Geschichte zum Wohle aller regeln läßt.«

*

Sarinas Worte gingen Prinz Klaus nicht mehr aus dem Kopf.

»Du müßtest über deinen Schatten springen, Klaus. Löse die Verlobung mit mir, und bekenne dich zu deiner Liebe.«

Aufstöhnend vergrub der Prinz das Gesicht in den Händen. Über seinen Schatten springen. Sich zu seiner Liebe bekennen. Wenn das alles so einfach wäre.

Dabei fiel ihm ein, wie entschlossen er gewesen war, Juliane zu seiner Frau zu machen. Gegen den Willen seiner Eltern hatte er sie heiraten wollen, und nun hatte ihn ein Gesetz in die Knie gezwungen, dessen Existenz er im Grunde niemals hatte anerkennen wollen. Er hatte sich dem Willen seines Vaters gebeugt, obwohl er sich bei der Hochzeit seines jüngeren Bruders geschworen hatte, daß ihm das nicht passieren würde.

Kraftlos ließ sich Prinz Klaus in das von den Morgennebeln immer noch feuchte Gras zurücksinken. Er hatte heute die Einsamkeit der Berge gesucht, und dabei war es ihm egal, daß die Feuchtigkeit der Almwiese durch seine Jacke und sogar durch das Hemd drang.

»Sie wälzen ein ziemlich großes Problem, nicht wahr?«

Erschrocken fuhr der Prinz hoch und sah sich unvermittelt Dr. Daniel gegenüber.

»Wie kommen Sie hierher?« fragte er zurück.

Dr. Daniel ließ sich neben dem Prinzen im Gras nieder.

»Meine Frau und mein Töchterchen sind heute zum Stadtbummel nach München gefahren«, erzählte er. »Normalerweise lasse ich mir keine Gelegenheit entgehen, um mit Manon und unserer kleinen Tessa etwas zu unternehmen, aber an einem langen Samstag von Kaufhaus zu Kaufhaus pilgern – das ist nichts für mich.« Er stützte sich mit einer Hand auf dem feuchten Boden ab. »Da wollte ich die Gelegenheit zu einer kleinen Tour wahrnehmen. Eigentlich hätte es mich ja mal wieder auf den Kreuzberg gezogen, aber dafür war die Zeit dann doch ein wenig zu kurz.« Er lächelte. »Jetzt bin ich froh, daß ich hier heraufgegangen bin.«

Prinz Klaus betrachtete den Arzt eine Weile, dann senkte er den Kopf.

»Was soll ich nur tun?« fragte er leise.

Dr. Daniel war erstaunt. Nie hätte er damit gerechnet, daß er so einfach zum Ziel gelangen würde, aber wahrscheinlich war der junge Prinz inzwischen verzweifelt, daß er in diesem Augenblick mit jedem über sein Problem gesprochen hätte.

»Das fragen Sie ausgerechnet mich?« entgegnete Dr. Daniel trotzdem.

Langsam hob der Prinz den Kopf wieder, dann nickte er. »Ja, Herr Doktor.« Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Sarina hat mir so viel von Ihnen erzählt – anfangs übrigens gegen meinen Willen –, daß ich das Gefühl habe, Sie seit Ewigkeiten zu kennen. Und…« Er blickte wieder zu Boden. »Ich habe Vertrauen zu Ihnen. Ich weiß nicht, warum, schließlich sehe ich Sie heute erst zum zweiten Mal, aber… wie Sie vorhin gesprochen haben… über Ihre Frau und Ihre kleine Tochter… ich kann Sie mir so gut als Vater vorstellen, und ich wünschte… ich wünschte…« Er schwieg, doch Dr. Daniel ahnte, woran er einen Augenblick lang gedacht hatte.

»Mein Vater war auch zu Hause immer der Fürst«, fuhr Prinz Klaus dann auch schon fort. »Ich kann mich nicht erinnern, daß er mit Thilo und mir jemals etwas unternommen hätte – jedenfalls nichts, woran wir Spaß gehabt hätten.« Nachdenklich blickte er auf seine Hände. »Spaß… Freude… das waren immer Fremdworte auf Schloß Hohenstein. Es gab nur die Pflicht und die vielen Gesetze, die mein Vater, Großvater oder sonst jemand aus der alten Ahnenreihe aufgestellt hatte. Wurde ein Gesetz gebrochen, gab es harte Strafen.« Er seufzte. »Manchmal habe ich versucht, mich gegen die Härte meines Vaters aufzulehnen, doch das Ergebnis waren nur weitere Strafen. Irgendwann habe ich mich mit der Kälte, die auf Schloß Hohenstein herrschte, dann abgefunden, aber als Thilo eine Ehe eingehen mußte, die nur schiefgehen konnte, habe ich mir geschworen, daß ich niemals ohne Liebe heiraten würde.«

»Und jetzt sind Sie im Begriff, genau das zu tun«, entgegnete Dr. Daniel. »Vier Menschen sollen unglücklich werden, nur weil irgendein Fürst von Hohenstein vor Jahrzehnten dieses seltsame Gesetz ins Leben gerufen hat.«

Prinz Klaus schüttelte den Kopf. »Sarina wird mich nicht heiraten. Sie hat bereits prophezeit, daß sie notfalls vor dem Standesbeamten ›nein‹ sagen wird.«

Prüfend sah Dr. Daniel ihn an. »Darauf wollen Sie es wirklich ankommen lassen? Klaus… ich darf Sie doch Klaus nennen, oder?« Er lächelte. »Immerhin könnten Sie mein Sohn sein.«

Der Prinz nickte. »Natürlich können Sie mich Klaus nennen. Ich habe den Prinzen manchmal bis obenhin satt.«

»Nein, Klaus, nicht den Prinzen«, entgegnete Dr. Daniel ruhig, »sondern die eisige Kälte auf Schloß Hohenstein.« Er legte eine Hand auf Klaus’ Arm. »Vielleicht liegt es in Ihrer Hand, das zu ändern. Bringen Sie Licht und Wärme nach Schloß Hohenstein. Gehen Sie den Weg, den Ihr Herz Ihnen vorschreibt.«

Prinz Klaus seufzte und fuhr sich mit beiden Händen durch das dichte dunkle Haar.

»Ich hätte den Mut gehabt, meine Verlobung mit Juliane offiziell bekanntzugeben«, erklärte er. »Mein Vater wäre schockiert und vielleicht auch wütend gewesen, aber er hätte es akzeptiert, weil es in unserer Familie Gesetz ist. Doch jetzt sieht alles anders aus. Die Verlobung rückgängig zu machen, würde bedeuten…« Er schüttelte den Kopf. »Ein derartiger Skandal in unserem Fürstenhaus würde meinen Vater unsagbar zornig machen.« Er blickte wieder zu Boden. »Wahrscheinlich halten Sie mich für feige, aber… ich fürchte den Zorn meines Vaters.«

»Nein, Klaus, ich halte Sie nicht für feige«, entgegnete Dr. Daniel. »Sie haben vermutlich allen Grund, den Zorn Ihres Vaters zu fürchten. Allerdings sollten Sie sich vor Augen halten, daß Sarina diesen Skandal an Ihrem Hochzeitstag unweigerlich heraufbeschwören wird.«

Aufmerksam sah Prinz Klaus ihn an. »Was denken Sie, Herr Doktor, wird Sarina den Mut dazu wirklich aufbringen?«

Dr. Daniel nickte ohne zu zögern. »Mit Sicherheit. Und wissen Sie, warum?« Er wartete die Antwort des Prinzen gar nicht ab, sondern fuhr fort: »Weil sie liebt, und das mit der ganzen Kraft ihres Herzens.« Er schwieg einen Moment. »Als die Verlobung zwischen Ihnen und Sarina bekanntgegeben wurde, hat sie resigniert. Sie wäre bereit gewesen, sich in ihr Schicksal zu fügen, doch dann trat ein junger Mann in ihr Leben. Erst zu diesem Zeitpunkt hat sie den Kampf gegen Sie und Ihren Vater aufgenommen.«

»Dann wird es also in jedem Fall einen Skandal geben«, befürchtete Prinz Klaus.

»Nein«, entgegnete Dr. Daniel. »Geben Sie zusammen mit Sarina eine offizielle Erklärung ab. Sagen Sie, Ihre Gefühle zueinander hätten sich geändert… es wäre eine tiefe Freundschaft, aber keine Liebe. Seien Sie einfach ehrlich, Klaus, und ich bin sicher, niemand wird aus der gelösten Verlobung einen Skandal machen.«

»Mein Vater schon«, murmelte Prinz Klaus. »Vor allem, wenn ich ihm als Ersatz für eine Komtesse ein einfaches Mädchen ins Schloß bringe.«

»Ein Mädchen, das Ihr Kind unter dem Herzen trägt«, fügte Dr. Daniel hinzu. »Es ist eine Prinzessin oder ein Prinz von Hohenstein. Denken Sie darüber nach, Klaus, ob dieses Kind es nicht verdient hat, dort geboren zu werden, wo es rechtmäßig hingehört. Vor allen Dingen sollten Sie diesem Kind aber beweisen, daß Sie ihm ein guter Vater sein werden.«

Prinz Klaus schwieg. Er konnte sich jetzt nicht dazu äußern. Zu schwerwiegend war die Entscheidung – nicht nur für sein weiteres Leben, sondern auch für die Zukunft von Schloß Hohenstein. War das ungeschriebene Gesetz einmal gebrochen, dann würde es nie wieder seine Macht entfalten können. Es mochte vielleicht ein Segen sein, denn dann würde niemand mehr zu einer Ehe gezwungen werden können. Andererseits war die Gefahr groß, daß das Fürstengeschlecht derer von Hohenstein mit den Jahren an Ansehen verlieren würde, denn wer sollte sich in Zukunft noch an sein Wort gebunden fühlen?

Der Prinz fröstelte plötzlich, denn die Feuchtigkeit der Almwiese war mittlerweile bis auf seine Haut gedrungen. Doch sie allein war nicht der Grund. Die Last, die auf seinen Schultern lag, wog im Moment noch schwerer.

»Denken Sie in Ruhe darüber nach«, riet Dr. Daniel ihm. »Und fragen Sie Ihr Herz, denn was das Herz Ihnen rät, kann niemals schlecht sein.«

*

Der Prinz bezahlte seinen Ausflug mit einer schweren Erkältung, begleitet von hohem Fieber. Letzteres gab den Ausschlag dafür, daß Prinz Klaus in die Waldsee-Klinik gebracht wurde, denn der Leibarzt derer von Hohenstein schaffte es mit keinem noch so starken Medikament, das Fieber zu senken.

Als der Prinz die Waldsee-Klinik erreichte, war sein Zustand bereits so bedenklich, daß er sofort auf die Intensivstation gelegt werden mußte. Über einen speziellen Temperaturfühler konnte das Fieber dort rund um die Uhr überwacht werden.

Dr. Daniel, der von Sarina unverzüglich über die Krankheit des Prinzen informiert worden war, kam mindestens zweimal täglich zur Intensivstation, um sich nach Klaus’ Zustand zu erkundigen.

Vor Juliane hatte man die Krankheit vorerst noch geheimgehalten. Ihre Situation war durch die Schwangerschaft und die Tatsache, daß die Verlobung zwischen Klaus und Sarina noch immer bestand, ohnehin schwierig genug. Unter diesen Umständen wollte man ihr die Sorge um den kranken Prinzen wenigstens ersparen.

»Wie geht’s ihm?« wollte Dr. Daniel wissen.

Der Chefarzt der Waldsee-Klinik zuckte die Schultern. »Sein Zustand ist noch immer unverändert. Das Fieber ist so hoch, daß er kaum einmal zu sich kommt. Meistens phantasiert er irgend etwas, doch davon versteht man kaum ein Wort.« Er sah Dr. Daniel ernst an. »Die Erkältung

ist harmlos, und das hohe Fie-

ber hat damit auch nichts zu

tun. Es ist Ausdruck für ein schwerwiegendes seelisches Problem.«

Dr. Daniel seufzte tief auf. »Ich weiß, was das für ein Problem ist, aber ich fürchte, da kann ihm niemand helfen. Die Entscheidung über sein weiteres Leben muß er schon allein treffen.«

»Vorausgesetzt, er überlebt diese massive Fieberattacke überhaupt«, wandte Dr. Metzler ein. »Mit Medikamenten ist ihr nämlich kaum beizukommen. Es gelingt uns höchstens mal, das Fieber für ein paar Stunden zu senken – mehr ist leider nicht drin. Über kurz oder lang wird sein Kreislauf die hohe Temperatur nicht mehr verkraften. Sein körperlicher Zustand ist nämlich nicht sehr viel besser als sein psychischer.«

Dr. Daniel warf dem Prinzen einen besorgten Blick zu. Die Hände des jungen Mannes glitten im Fiebertraum unruhig über die Bettdecke, und das Thermometer zeigte eine konstante Temperatur von einundvierzig Grad an.

»Wir sollten Juliane informieren.«

Sarina von Gehrau sprach aus, was Dr. Daniel in diesem Moment gedacht hatte. Jetzt drehte er sich zu ihr um und nickte.

»Genau das wollte ich gerade tun«, stimmte er ihr zu.

Beklommen sah Sarina ihn an. »War es falsch, daß wir ihr Klaus’ Zustand bis jetzt verschwiegen haben?«

Dr. Daniel überlegte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Fräulein Sarina, es war nicht falsch. Juliane ist schwanger, da ist Rücksichtnahme geboten, vor allem wenn die werdende Mutter ohnehin unter Streß steht, wie es bei Juliane der Fall ist. Allerdings ist jetzt das Leben des Prinzen in Gefahr, da gelten andere Prioritäten.«

Sarina senkte den Kopf. »Ich fühle mich ein bißchen schuldig an dem, was passiert ist. Vielleicht hätte ich ihm nicht so zusetzen sollen, aber…« Sie zuckte die Schultern. »Ich kann mich mit einem solchen Leben nun mal nicht abfinden.«

»Wo Sie zudem auch noch verliebt sind«, ergänzte Dr. Daniel, dann legte er einen Arm um Sarinas schmale Schultern. »Machen Sie sich keine Gedanken. Es ist ganz bestimmt nicht Ihre Schuld, daß Prinz Klaus jetzt so krank ist. Er hat sich ein Leben lang seinem herrschsüchtigen Vater beugen müssen, aber wenn die Belastung zu groß wird, dann wehrt sich der Körper dagegen.

»Danke«, flüsterte Sarina, und man sah ihr eine gewisse Erleichterung an. Dr. Daniel hatte mit seinen Worten eine große Last von ihr genommen.

»Für die Wahrheit muß man sich nicht bedanken, Fräulein Sarina.«

Da lächelte ihn die junge Frau an. »Sie sind ein wundervoller Mensch, Herr Doktor, aber das wußte ich ja vom ersten Augenblick an.«

Abwehrend hob Dr. Daniel eine Hand. »Hören Sie bloß auf, mir zu schmeicheln, sonst bilde ich mir am Ende noch darauf etwas ein.« Dann ging er zusammen mit Sarina zur Gynäkologie hinüber. Nach kurzem Anklopfen betraten sie Julianes Zimmer.

»Herr Doktor, Sarina, das ist aber eine Überraschung«, meinte sie, dann deutete sie die ernsten Gesichter der beiden richtig und erschrak. »Ist etwas mit Klaus?«

Dr. Daniel setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand. »Prinz Klaus ist hier in der Klinik, Fräulein Weber, und ich will ganz ehrlich sein – es geht ihm nicht besonders gut. Er hat sehr hohes Fieber bekommen, das mit Sicherheit Ausdruck seiner schwerwiegenden Probleme ist. Mit Medikamenten ist diesem Fieber nicht beizukommen, deshalb setze ich jetzt meine ganzen Hoffnungen auf Sie. Ihre Liebe zu Prinz Klaus könnte eine Macht sein, die die Krankheit besiegt.«

»Krank vor Liebe«, murmelte Juliane, dann blickte sie auf und direkt in Dr. Daniels gütige blaue Augen. »Ist das immer so, Herr Doktor? Wird man immer krank, wenn sich eine Liebe nicht erfüllt?«

»Wenn es eine so tiefe, ehrliche Liebe ist wie zwischen Ihnen und Prinz Klaus… ja, ich denke, dann ist eine Krankheit eine sehr realistische Möglichkeit, um sich damit auseinanderzusetzen.«

Entschlossen stand Juliane auf. »Ich muß zu ihm.«

Dr. Daniel und Sarina begleiteten sie zur Intensivstation, doch hineingehen ließen sie Juliane allein. Nur durch die großen Glasfenster beobachteten sie, was nun passieren würde.

»Wir dürfen uns nicht zu viele Hoffnungen machen«, meinte Dr. Daniel, während er zusah, wie Juliane an das Bett trat und zärtlich über das fieberheiße Gesicht des Prinzen streichelte. »Auch Wunder brauchen ihre Zeit.«

Währenddessen streichelte Juliane noch immer das geliebte Gesicht, berührte die vom Fieberschweiß feuchten Haare und beugte sich dann über den Prinzen, um sanft und zärtlich seine Lippen zu küssen.

»Klaus«, flüsterte sie. »Mein Liebling.«

Und dann nahm sie seine Hand und legte sie auf ihren Bauch, dem man die Schwangerschaft noch nicht ansehen konnte.

»Fühlst du das Leben, das da drin heranwächst?« fragte sie leise. »Das Leben, das aus unserer Liebe entstanden ist? Klaus, es ist unser Kind… unsere Liebe, für die wir kämpfen müssen – wenn es sein muß, gegen den Rest der Welt.«

In diesem Moment schug Prinz Klaus die Augen auf. Der Fieberglanz lag noch darin, trotzdem war sein Blick klar und nicht von wirren Phantastereien getrübt.

»Juliane«, flüsterte er nahezu tonlos. Er versuchte, eine Hand zu heben, um über ihr langes, dunkles Haar zu streicheln, wie er es während ihrer glücklichsten Zeit immer getan hatte, doch das Fieber hatte ihn zu sehr geschwächt.

Da beugte sie sich über ihn und legte ihr Gesicht auf seine Brust.

»Alles wird gut, Klaus«, versicherte sie. »Gemeinsam sind wir unbesiegbar.«

*

Dr. Daniel und Sarina von Gehrau standen noch am Fenster der Intensivstation und betrachteten gerührt diese zärtliche Szene, die von so viel Liebe und Vertrauen zeugte, als Fürst Adalbert hereintrat.

»Was ist mit meinem Sohn? Konnten Sie ihm jetzt endlich helfen?« fragte er barsch.

Dr. Daniel drehte sich um und betrachtete ihn.

»Ja, Durchlaucht«, antwortete er dann. »Wir konnten ihm helfen.« Er wies auf das, was sich gerade hinter den Fenstern der Intensivstation abspielte. »Die Medizin sitzt an seinem Bett.«

Unwillig runzelte der Fürst den Kopf. »Kein Unsinn, Durchlaucht, sondern das Wunder der Liebe.«

Mit einem Schritt stand der Fürst jetzt bei ihm und starrte auf die Szene, die sich seinen Augen bot.

»Das ist doch…«, brauste er auf, aber Dr. Daniel ließ ihn nicht aussprechen.

»Sie sollten akzeptieren, daß es eine Macht gibt, die stärker ist als alle Gesetze dieser Welt – seien sie nun offizieller oder inoffizieller Art«, erklärte er. »Freuen Sie sich über das Glück Ihres Sohnes, und bestehen Sie nicht länger auf der Einhaltung eines Verlöbnisses, das Ihr Sohn niemals eingegangen wäre, wenn er die Wahl gehabt hätte.«

»Er hat aber keine Wahl«, beharrte der Fürst. »In vier Monaten wird er mit Komtesse Sarina vor dem Traualtar stehen.«

»Nein!«

Die Stimme kam laut und deutlich aus dem Innern der Intensivstation – es war die Stimme von Prinz Klaus.

Jetzt ließ sich Fürst Adalbert nicht mehr zurückhalten. Wie ein Orkan stürmte er in den Raum und versuchte, Juliane vom Bett seines Sohnes wegzuziehen, doch die Hände der Liebenden waren so fest ineinander verschlungen, daß es dem Fürsten nicht gelang, sie zu trennen.

»Meine Hochzeit wird vorverlegt«, erklärte Prinz Klaus, und niemand hätte in diesem Moment für möglich gehalten, daß er noch vor einer Stunde im Fieber phantasiert hatte. Seine Temperatur lag noch immer bei fast vierzig Grad, doch das schien ihm plötzlich gar nichts mehr anhaben zu können.

»Bevor der erste Schnee fällt, wird Juliane meine Frau sein«, fuhr der Prinz ungerührt fort. »Meine Verlobung mit Komtesse Sarina ist hiermit gelöst.« Er lächelte die junge Frau an, die zusammen mit Dr. Daniel nun ebenfalls hereingetreten war. »Ich glaube, damit spreche ich auch dir aus der Seele, nicht wahr, Sarina?«

Sie nickte glücklich. »Und ob!« Spontan umarmte sie den Prinzen und küßte ihn auf die Wange, dann richtete sie sich auf und lächelte Juliane an. »Er gehört zu dir. Werdet glücklich.«

»Augenblick!« fiel Fürst Adalbert dazwischen. »Noch ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit nicht gesprochen!«

»Doch, Durchlaucht, ich glaube schon«, erklärte Dr. Daniel ruhig, der spürte, daß Prinz Klaus noch nicht halb so kräftig war, wie er sich gab und im Moment vielleicht sogar fühlte. »Die Liebe hat das letzte Wort gesprochen, und das sollten Sie akzeptieren.«

Wie zum Beispiel dafür beugte sich Juliane zu Prinz Klaus hinunter, um ihn zärtlich zu küssen. Der Fürst bebte vor Zorn, und sekundenlang sah es so aus, als würde er noch einmal versuchen, die beiden Liebenden auseinanderzureißen, doch dann drehte er sich um und verließ fast fluchtartig die Intensivstation.

»Ich fürchte, das wird er niemals verkraften«, vermutete Prinz Klaus, und jetzt war ihm die Schwäche deutlich anzusehen.

»Doch, das wird er«, entgegnete Dr. Daniel. »Spätestens dann, wenn er sein Enkelkind in den Armen hält, wird er froh über diese Entscheidung sein.« Flüchtig berührte er Klaus’ Arm. »Und Sie, lieber Prinz, werden jetzt schlafen. Diese Erholung haben Sie nämlich noch bitter nötig.«

»Ja, Herr Doktor«, flüsterte Prinz Klaus gehorsam, weil er die Augen wirklich kaum noch offenhalten konnte. Dann huschte ein Lächeln über seine Lippen. »Schade, daß ich der Prinz und nicht Dornröschen bin.«

Juliane wußte, was er meinte. Lächelnd beugte sie sich über ihn.

»Das macht nichts. In diesem Fall wird eben der Prinz von

seinem Dornröschen wachge-

küßt.«

»Darauf freue ich mich schon jetzt«, murmelte Klaus noch, dann fielen ihm die Augen zu.

»Herr Doktor, darf ich noch ein bißchen bei ihm bleiben?« fragte Juliane.

Dr. Daniel nickte. »Natürlich, Fräulein Weber. Es käme ja beinahe einem Verbrechen gleich, wenn ich Sie jetzt von Ihrem Prinzen trennen würde. Bleiben Sie, solange Sie wollen. Das kann für Sie beide nur gut sein.«

Da trat Juliane zu ihm, nahm seine beiden Hände und drückte sie voller Dankbarkeit.

»Ich weiß nicht, was wir ohne Sie getan hätten, und ich schwöre Ihnen – wenn wir einen kleinen Prinzen bekommen, dann wird er Ihren Namen tragen.«

*

»Es ist wie im Märchen«, erklärte Sarina, als sie mit Dr. Daniel die Waldsee-Klinik verließ. »Der Prinz hat seine Prinzessin bekommen, und beide lebten glücklich und zufrieden…«

»Da höre ich aber eine ganze Menge Melancholie heraus«, meinte Dr. Daniel. »Dabei haben Sie dazu noch gar keinen Grund. Immerhin konnten Sie das Schicksal einer Ehe ohne Liebe von sich und Prinz Klaus abwenden.«

Sarina nickte. »Das schon, aber…« Sie stockte. Was in ihrem Kopf und vor allem in ihrem Herzen vorging, wollte sie nicht preisgeben.

Väterlich legte Dr. Daniel einen Arm um ihre Schultern. »Ich bin sicher, daß auf Sie auch ein Prinz wartet, Fräulein Sarina. Vielleicht kein blaublütiger, aber auf jeden Fall einer mit einem goldenen Herzen.«

Sarina mußte lächeln. »Ich glaube, Sie erzählen Ihrer kleinen Tochter wunderschöne Märchen, Herr Doktor.« Dann wurde sie wieder ernst. »Leider bin ich keine fünf Jahre mehr, sondern zweiundzwanzig. Ich glaube nicht mehr an Märchen.«

»Das sollten Sie aber vielleicht wieder tun«, riet Dr. Daniel ihr. »Wie Sie an Prinz Klaus und Juliane Weber gesehen haben, können gelegentlich auch Märchen wahr werden.«

Sarina dachte an den jungen Assistenzarzt, der mit seinem unbeschwerten Lächeln in die Praxis von Dr. Daniel getreten und dabei mitten in ihrem Herzen gelandet war.

»Ja… vielleicht«, murmelte sie, dann brachte sie ein schwaches Lächeln zustande. »Die Verlobungszeit mit Klaus hat mich wahrscheinlich zu viel Kraft gekostet. Vielleicht bin ich einfach nur zu müde, um noch an irgend etwas zu glauben.«

»Dann sollten Sie jetzt ein bißchen Urlaub machen«, meinte Dr. Daniel, doch Sarina schüttelte heftig den Kopf.

»Nein, Herr Doktor, ich will arbeiten«, erklärte sie entschieden. »Dabei kann ich mich von den Strapazen der letzten Wochen viel besser erholen.« Insgeheim hoffte sie auf diese Weise, den netten Assistenzarzt wiederzusehen. Vielleicht würde er ja noch mal in die Praxis kommen, oder sie selbst bekäme womöglich die Gelegenheit, zur Waldsee-Klinik hinüberzugehen.

Sarina ahnte nicht, daß Dr. Daniel ihre Gedanken ziemlich genau erraten konnte. Er war sicher, daß sich für Sarina und Dr. Köhler noch alles zum Guten wenden würde. Die Liebe fand immer einen Weg.

*

Die Hochzeit auf Schloß Hohenstein war das größte gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Unmittelbar nach der Genesung des Prinzen hatte man das Aufgebot bestellt, und als die ersten Schneeflocken vom Himmel taumelten, gaben sich Klaus und Juliane das Ja-Wort.

Fürst Adalbert beobachtete die feierliche Trauungszeremonie mit verkniffenem Gesicht – ein deutliches Zeichen, daß er sich mit seiner zukünftigen Schwiegertochter noch immer nicht abgefunden hatte. Auch die Fürstin schien von der Wahl ihres Sohnes nicht gerade angetan zu sein, aber abgesehen von diesen beiden hatte Juliane die Herzen aller im Sturm erobert.

Bürgerliche bringt Licht und Wärme nach Schloß Hohenstein, stand einen Tag nach der Hochzeit in der Zeitung, und die beigefügten Fotos sprachen für sich. Sie zeigten ein glücklich lächelndes Hochzeitspaar.

Dieses Bild war es dann auch, das Dr. Rainer Köhler sofort ins Auge stach, als er auf seinem Weg zur Klinik an dem kleinen Bahnhofskiosk vorbeikam. Überrascht griff er nach der Zeitung und konnte kaum glauben, was er sah.

»Das ist doch…«, begann er fassungslos.

»Hallo! Wollen Sie nicht bezahlen?« rief ihm die Frau am Kiosk nach.

»Doch… natürlich«, stammelte Dr. Köhler zerstreut, nestelte seine Geldbörse heraus und bezahlte die Zeitung, dann drehte er sich um und wollte sich eiligst auf den Weg zur Klinik machen. Dabei stieß er fast mit einer jungen Frau zusammen und murmelte eine hastige Entschuldigung.

»Guten Tag, Herr Doktor.«

Die Stimme ließ ihn wie elektrisiert hochfahren. Da stand sie leibhaftig vor ihm – sie, von der er seit Wochen träumte.

»Fräulein… ich meine… Komtesse…«, brachte er mühsam hervor.

Lächelnd schüttelte Sarina von Gehrau den Kopf. »Bemühen Sie sich nicht, Herr Doktor. So gerne höre ich die Komtesse nicht. Sagen Sie doch einfach Sarina zu mir.« Dabei wunderte sie sich, wie es ihr gelang, bei dem Aufruhr, den diese unverhoffte Begegnung in ihrem Innern verursacht hatte, so ruhig zu sprechen.

Doch Dr. Köhler hatte ohnehin nicht richtig zugehört. Etwas anderes beschäftigte ihn im Moment sehr viel mehr.

»Ich dachte…« Er wies auf den Zeitungsbericht. »Der Prinz hat gestern geheiratet, aber… ich dachte, er sei mit Ihnen verlobt gewesen.« Heiße Verlegenheit überzog sein Gesicht, weil ihm da Worte herausgeplatzt waren, die ihm eigentlich nicht zustanden. Ob und mit wem Sarina von Gehrau verlobt war oder nicht, ging ihn schließlich überhaupt nichts an – auch wenn er sie so sehr liebte, daß es schon weh tat. Aber davon wußte sie ja nichts.

Doch Sarina kam gar nicht auf den Gedanken, daß Dr. Köhlers Frage vielleicht ungehörig sein könnte.

»Das ist richtig«, antwortete sie. »Wir waren tatsächlich verlobt, aber das war eine Entscheidung, die nicht wir getroffen haben, sondern einzig Fürst Adalbert von Hohenstein.« Sie lächelte wieder. »Klaus und Juliane gehören zusammen, und wenn der Fürst nicht so verbohrt gewesen wäre, dann hätte es diese erzwungene Verlobung zwischen dem Prinzen und mir niemals gegeben.«

Dr. Köhler hatte das Gefühl, als würde ihm ein zentnerschwerer Stein vom Herzen fallen. Er lächelte Sarina an, aber noch bevor er aussprechen konnte, was sein Herz seit Wochen bewegte, bremste er sich. Es war gleichgültig, ob Sarina nun die Verlobte des Prinzen war oder nicht – sie blieb immer noch eine Komtesse. Dabei übersah Dr. Köhler völlig, was in Sarinas Augen geschrieben stand… welch unbeschreibliche Sehnsucht sie zu ihm trieb.

Er murmelte hastig etwas von seinem Dienst, verabschiedete sich und eilte in Richtung Waldsee-Klinik davon. Traurig sah Sarina ihm nach. Sein Lächeln, der warme Glanz in seinen sanften, dunklen Augen… das alles war doch schon so vielversprechend gewesen…

Sie seufzte tief auf, dann machte sie sich ebenfalls auf den Weg zur Arbeit. Dr. Daniel würde sicher schon auf sie warten.

Allerdings wurde Sarina nicht nur von Dr. Daniel erwartet, sondern auch von ihrer Mutter, die unruhig vor der stattlichen Villa, in der sich die Praxis befand, auf und ab ging.

»Sarina! Endlich!« stieß sie hervor.

»Mama«, entgegnete die junge Komtesse erstaunt. »Warum bist du nicht in meine Wohnung gekommen?«

»Das war ich doch«, entgegnete Gräfin Henriette unwillig. »Aber du warst schon weg, also dachte ich, du wärst hier.« Sie winkte ab. »Es ist ja völlig unwichtig. Hauptsache, ich habe dich jetzt endlich gefunden.« Sie seufzte abgrundtief. »Es war eine so schöne Hochzeit.« Ungnädig betrachtete sie ihre Tochter. »Und du wärst dabei eine zauberhafte Braut gewesen.«

»Eine unglückliche Braut«, verbesserte Sarina. »Neben einem unglücklichen Bräutigam.« Sie zeigte ihrer Mutter das Bild des jungen Brautpaares. »Das ist Liebe, Mama, wirkliche Liebe, und sie siegt letztendlich immer. Sogar der Fürst mußte sich ihr beugen.«

Noch einmal seufzte die Gräfin. Wahrscheinlich würde es ihr nie gelingen, Sarina standesgemäß zu verheiraten.

»Bei den Hochzeitsfeierlichkeiten habe ich übrigens einen ganz reizenden jungen Mann kennengelernt«, fuhr Gräfin Henriette fort. »Baron…«

Abwehrend hob Sarina beide Hände. »Spar dir die Mühe, Mama. Mein Herz gehört bereits einem anderen.«

Vor Überraschung blieb Gräfin Henriette der Mund offenstehen. »Einem… anderen? Aber, um Himmels willen, Kind…«

»Er ist Arzt«, fiel Sarina ihrer Mutter ins Wort.

Die Kummerfalten auf Gräfin Henriettes Stirn glätteten sich.

»Ein bekannter Professor?« gab sie ihrer letzten Hoffnung Ausdruck. Wenn Sarina schon keinen Adligen heiraten wollte, dann hätte sich die Gräfin noch am ehesten mit einem berühmten Professor abfinden können.

»Mama, du bist wirklich unverbesserlich«, hielt Sarina ihr vor. »Professoren sind durchweg in einem Alter…«

»Es schadet überhaupt nichts, wenn ein junges Mädchen einen älteren Mann heiratet«, belehrte die Gräfin ihre Tochter.

»Aber nicht einen, der mein Vater oder womöglich mein Großvater sein könnte«, entgegnete Sarina entschieden, dann huschte ein zärtliches Lächeln über ihr Gesicht. »Er ist Assistenzarzt in der Waldsee-Klinik.«

»Ein Assistenzarzt!« kreischte Gräfin Henriette. »Aber… dann ist er ja noch nicht mal ein richtiger Arzt!«

»Er hat bereits promoviert«, erklärte Sarina, dann winkte sie ärgerlich ab. »Im übrigen ist mir das völlig egal. Er könnte auch einen völlig anderen Beruf ausüben… das würde an meiner Liebe zu ihm nichts ändern.«

Jetzt war Gräfin Henriette tatsächlich einer Ohnmacht nahe. Wie konnte Sarina ihren gräflichen Stand nur so verleugnen?

»Ich werde dich nie verstehen«, seufzte sie.

»Da hast du wohl recht, Mama.« Sarina lächelte. »Aber vielleicht genügt es dir ja zu wissen, daß ich glücklich bin, wie ich lebe. Ich habe eine Arbeit, die mich ausfüllt, und vielleicht…« Sie beendete den Satz nicht, doch ein zärtlicher Gedanke wanderte zur Waldsee-Klinik und zu Dr. Rainer Köhler hinüber.

*

»Rainer, was soll denn das sein?«

Dr. Köhler betrachtete das Blatt Papier, das Dr. Scheibler ihm entgegenhielt.

»Die Auswertung der Blutprobe von Frau Klein«, antwortete er.

»So?« Mißbilligend schüttelte Dr. Scheibler den Kopf. »Wenn Sie mich fragen, dann ist das eher ein Witz. Allerdings werde ich Ihnen diesmal nicht aus der Patsche helfen, mein lieber Freund. Mit diesem Unsinn gehen Sie jetzt selbst zu Dr. Daniel. Er ist zwar eigentlich die Sanftmut in Person, aber diesmal, schätze ich, wird er Ihnen gehörig was zu erzählen haben.«

In diesem Punkt irrte der Oberarzt allerdings. Dr. Daniel betrachtete die Werte, die Dr. Köhler ermittelt hatte und die so haarsträubend ausfielen, daß sie nur falsch sein konnten, dann zerriß er das Blatt ohne Kommentar.

Dr. Köhler schluckte schwer. Er erwartete herbe Vorwürfe von Dr. Daniel. Womöglich drohte ihm diesmal eine Kündigung, die gerechtfertigt wäre.

»Setzen Sie sich«, bat Dr. Daniel, dann betrachtete er den jungen Arzt prüfend. »Warum folgen Sie nicht endlich der Stimme Ihres Herzens.«

Völlig konsterniert starrte Dr. Köhler ihn an. Mit einer solchen Frage hatte er nicht gerechnet.

»Aber…«, begann er, doch Dr. Daniel ließ ihn gar nicht erst aussprechen.

»Wenn ich nicht wüßte, wie gut Sie eigentlich sein könnten, würde ich Sie aufgrund des ganzen Unsinns, den Sie in den letzten Wochen hier fabriziert haben, auf der Stelle entlassen«, erklärte er. »Allerdings weiß ich, daß es mit ihrer extremen Unkonzentriertheit sofort vorbei sein würde, wenn Sie Ihre Herzensangelegenheit endlich geregelt hätten. Also, worauf warten Sie noch? Das Mädchen ist frei.«

Dr. Köhler seufzte. Es hatte keinen Sinn, vor Dr. Daniel sein Geheimnis länger zu hüten. Er hatte ihn ja längst durchschaut.

»Sie ist eine Komtesse«, wandte er daher nur ein.

»Glauben Sie allen Ernstes, daß eine Komtesse, die etwas auf ihren Stand halten würde, in meiner Praxis als Sprechstundenhilfe tätig wäre?«

Aus weitaufgerissenen Augen starrte Dr. Köhler ihn an. »Sie meinen…« Er wagte es nicht, den Satz zu beenden.

Dr. Daniel warf einen Blick auf die Uhr. »Ich gebe Ihnen eine Stunde Zeit, und danach erwarte ich von Ihnen ordentliche Arbeit, haben wir uns verstanden?«

Abrupt spang der junge Assistenzarzt auf. »Ja, Herr Dr. Daniel, ich schwöre Ihnen, daß Sie keinen Grund zur Klage mehr haben werden.«

Dann war er draußen, und Dr. Daniel sah ihm schmunzelnd nach. Das war ja wirklich eine schwere Geburt gewesen – wenn man es so bezeichnen konnte.

Währenddessen legte Dr. Köhler den Weg von der Waldsee-Klinik zur Praxis von Dr. Daniel in einem rekordverdächtigen Tempo zurück. Atemlos stürzte er ins Vorzimmer, würdigte die erschrockene Gabi Meindl keines Blickes, sondern riß die junge Sprechstundenhilfe heftig in seine Arme.

»Sarina, liebst du mich?« stieß er hervor.

Verwirrt und überrascht sah sie ihn an, dann lachte sie glücklich auf und schlang ihre Arme um seinen Nacken.

»Ja, Rainer, ich liebe dich«, gestand sie offen ein. »Und wie ich dich liebe!«

Während sie sich noch küßten, trat Dr. Daniel herein, warf einen Blick auf das glücklich verliebte junge Paar und seufzte leise: »Na, endlich.«

In diesem Moment klingelte das Telefon, und die Empfangsdame Gabi Meindl meldete sich. Sie lauschte nur wenige Sekunden lang, dann hielt sie eine Hand über die Sprechmuschel.

»Herr Doktor, Notfall in der Waldsee-Klinik. Eine junge Frau mit einem Schock. Zuvor klagte sie noch über Unterleibsschmerzen.«

Dr. Daniel seufzte von neuem. »Ich sehe schon. Mir ist keine Atempause vergönnt…«

Schon war er wieder unterwegs zur Waldsee-Klinik.

– E N D E –

Dr. Daniel Paket 2 – Arztroman

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