Читать книгу Das Geheimnis der Greta K. - Marie Louise Fischer - Страница 7
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ОглавлениеAls Hans-Philipp König am späten Nachmittag in den Burghof einfuhr, hupte er so laut und herausfordernd, dass das Echo von den Mauern widerhallte. Greta und Aline stürzten, wie er es erwartete, aus ihren Zimmern, aber seine Frau ließ ihrer Stieftochter den Vortritt und blieb auf der Treppe stehen.
Aline lief auf ihren Vater zu, und es sah so aus, als wollte sie sich in seine Arme werfen. Doch kurz bevor sie ihn erreichte, verhielt sie den Schritt. Die Begrüßung fiel frostig wie gewohnt aus. Greta eilte zu den beiden hin.
»Kannst du denn nicht ein einziges Mal etwas Anständiges anziehen, Aline?« tadelte er.
Greta umarmte ihn rasch. »Ach, lass doch!« bat sie. »Dieses Thema haben wir nun oft genug gehabt.«
»Aber ich verstehe nicht …«
»Heutzutage laufen alle so rum.«
»In der Schule mag das angehen, aber zu Hause …«
»Ich mag mich nicht verkleiden, und das weißt du«, sagte Aline patzig.
Er setzte sein charmantestes Lächeln auf. »Auch nicht mir zuliebe?« »Ich will nicht dein Komtesschen spielen.« Aline wandte sich brüsk ab.
»Du nimmst das zu ernst, Philipp«, sagte Greta, »ihre Eitelkeit wird noch früh genug kommen.«
»Ist es zu viel verlangt, wenn ich eine hübsche Tochter haben möchte?«
»Aber hübsch ist sie ja, Philipp, und eines Tages wird sie eine Schönheit werden.«
»Du solltest ihr gut Zureden.«
»Sinnlos. Sie würde sich nur um so mehr in ihrer Ablehnung versteifen.« Sie lächelte ihn an. »Es tut mir so leid, dass du dich wieder ärgern musstest. Soll ich uns einen Drink machen?«
»Lieber nicht. Wir werden heute Abend noch genug trinken müssen.« Seine Züge glätteten sich. »Wenigstens du bist ein erfreulicher Anblick!«
Sie trug einen weißen Leinenrock mit einem grünen Top aus dem gleichen Material, der ihre gut geformten, von der Sonne gebräunten Arme und Schultern freigab. »Gefalle ich dir?« fragte sie mit einem Anflug von Koketterie und ließ mit einer leichten Drehung den Rock schwingen.
»Immer.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich hoffe, du hast nichts mehr in der Küche zu tun?«
»Alles vorbereitet.«
»Dann lass uns eine Partie Tennis spielen.«
Greta fiel es nicht leicht, sich ihre leichte Unlust nicht anmerken zu lassen. Sie hatte Zeit und Mühe darauf verwandt, sich die Haare zu waschen und zu föhnen. Nach dem Spiel würde es natürlich verschwitzt sein. »Wenn du möchtest«, sagte sie.
»Also hopp, hopp! Ziehen wir uns um!«
Schon als sie die ersten Bälle wechselten, hörte Greta auf, einen Gedanken an ihre Frisur zu verschwenden. Das Spiel machte ihr Spaß, und ihr Mann war ihr liebster Tennispartner. Er war der einzige Mensch, von dem sie sich zu einem Match herausfordern ließ. Allen anderen gegenüber hatte sie die Gewissheit, ihnen überlegen zu sein, und sie mochte nicht schwächer spielen, als sie konnte. Philipp besiegte sie immer, und sie gönnte ihm die Freude und genoss die Herausforderung. Es war ihm nicht anzumerken, dass er tagsüber am Schreibtisch arbeitete und die Vierzig schon um ein paar Jahre überschritten hatte. Er war groß und bärenhaft stark. Sein Kopf wirkte ein wenig zu klein im Vergleich zu den mächtigen Schultern, zumal er das dunkelblonde Haar sehr kurz geschnitten trug. Seine blauen Augen lagen etwas zu tief in den Höhlen, aber seine Nase, sein Kinn und seine Stirn waren sehr ausgeprägt. Ansonsten gehörte er zu den wenigen Männern, die sowohl in salopper Kleidung, im Zweireiher oder, wie jetzt, in weißen Shorts und Polo eine gute Figur machten. Greta liebte es, ihn über den Platz jagen zu sehen, beobachtete mit Freude die Anspannung seiner Muskeln unter der gebräunten, mit in der Sonne flirrenden blonden Härchen übersäten Haut.
Hans-Philipp schonte sie nicht, aber das machte ihr nichts aus. Sie freute sich diebisch, wenn es ihr gelang, den eigenen Aufschlag durchzubringen. Am Ende gewann er 6: 2 und 6:3. Wie es sich gehörte, liefen sie zum Netz und reichten sich die Hände. Beide waren sie erschöpft und doch sehr wohlgemut.
Er ging zur Bank, trocknete sich Haar und Gesicht und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, die er vor dem Spiel dort abgelegt hatte. »Es bleibt uns noch Zeit, eine Runde zu schwimmen«, stellte er fest. »Gut, gut«, erwiderte sie fröhlich, obwohl sie befürchtete, dass sie sich anschließend beim Zurechtmachen sehr hetzen musste. ›Notfalls‹, dachte sie, ›müssen sie eben den Aperitif ohne mich nehmen.‹ In den Kabinen neben dem Swimmingpool zogen sie sich um. Greta sorgte immer dafür, dass hier Badezeug und Frottiertücher bereit hingen, nicht nur für sich, ihren Mann und Aline, sondern auch für eventuelle Gäste.
Sie hätte es gern gehabt, wenn der große Besitz häufig von jungen Leuten gewimmelt hätte, zumindest an den Wochenenden. Für ihre kleine Familie erschien er ihr erheblich zu groß. Aber das war schwer zu erreichen, weil Aline wenig Freunde hatte, Stefan im Internat war, und ihre Bekannten in Sigmaringen laute Kinder hatten, die Hans-Philipp auf die Nerven gingen. »Wenigstens samstags-sonntags«, pflegte er zu sagen, »will ich meine Ruhe haben.« Das war ja auch nur zu verständlich, und Greta mochte ihn nicht mit ihrem Wunsch nach mehr Geselligkeit belästigen.
Als sie in einem einteiligen weißen Badeanzug aus der Kabine trat, war er schon im Becken. Sehr ernsthaft, als wäre dies eine Beschäftigung, die Konzentration erforderte, kraulte er seine Runden. Mit einem Hechtsprung tauchte sie ins Wasser, hielt sich aber von ihm fern, weil sie wusste, dass er jetzt nicht gestört werden wollte. Erst als er sich auf den Rücken legte, schwamm sie zu ihm hin und begann, ihn wie ein Delphin zu umspielen. Sie umrundete ihn, tauchte unter ihm weg und versuchte, ihn unter Wasser zu ziehen. Er schimpfte und lachte, versuchte sie zu fangen, doch sie entglitt ihm. Mit kräftigen Stößen verfolgte er sie, und am Rand des Pools gelang es ihm, sie zu fangen, bevor sie aus dem Becken klettern und sich in Sicherheit bringen konnte.
»Du ungezogenes Mädchen!« schalt er. »Was fange ich jetzt mit dir an?«
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und hob ihm das nasse Gesicht entgegen. »Gib mir einen Kuss!«
»Glaubst du, dass du das verdient hast?«
»Warum nicht?«
Eng aneinandergepresst standen sie im niedrigen Wasser. Sie spürte seine Erregung und bot ihm ihre Lippen.
Fast brutal schob er sie plötzlich von sich. »Greta, ich bitte dich! Nicht hier und nicht jetzt. Das solltest du endlich wissen.«
»Das ist auch ein Spiel«, beschwerte sie sich, »dass du mich nie gewinnen lässt.«
»Man kann uns von der Burg aus sehen.«
»Höchstens mit einem Fernglas.«
Er war aus dem Becken geklettert und reichte ihr die Hand, um ihr zu helfen. »Na komm schon und hör auf zu motzen. Du bist ja selber schuld. Warum musst du immer wieder mit diesen Dummheiten anfangen?«
»Na schön, ich will’s nicht wieder tun«, versprach sie. Aber sie wusste, dass er sehr enttäuscht sein würde, wenn sie ihr Wort hielt. Tatsächlich liebte er es, ihr und sich selber seine Beherrschung zu demonstrieren.
Sie trockneten sich ab, schlüpften in Jogginganzüge und trabten dann den steilen Weg zur Burg hinauf. Hans-Philipp musste weiter seine Fitness beweisen und war Greta bald weit voraus. Ihr war es wichtiger, am Abend in Form zu sein. Sie wusste, dass kleine Pannen bei einer Einladung ohne Bedeutung, ja, manchmal sogar dazu angetan waren, die Stimmung zu heben. Aber Hans-Philipp hasste Zwischenfälle jeder Art. Ein zu blutiges oder zu trockenes Roastbeef konnte ihn außer Fassung bringen und die Laune verderben.
Greta beschloss, erst noch einmal in der Küche nach dem Rechten zu sehen und Frau Breuer letzte, wenn auch wahrscheinlich überflüssige Anweisungen zu geben, bevor sie sich schön machte.