Читать книгу Das Geheimnis der Greta K. - Marie Louise Fischer - Страница 8
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ОглавлениеGegen zehn Uhr war das Dinner fast beendet. Es war eine köstliche Mahlzeit gewesen, und der gute Wein hatte Mister Buxter und Mister Smith, die anfangs ein wenig steif und zurückhaltend gewesen waren, in Stimmung gebracht. Auch die Kramers genossen den Abend. Er, Heinz Kramer, verantwortlich für die Technik in der Firma »König & Kramer, Elektronische Bauelemente«, besaß zwar keinerlei gesellschaftliche Talente, hatte es aber gern, von lebhafter Konversation umplätschert zu sein, zu der er nur hin und wieder ein Wort hinzufügen musste, um sich miteinbezogen zu fühlen. Er war ein freundlicher, uneleganter Mann mit beginnender Glatze und einer Brille mit dicken Gläsern. Inge, seine Frau, war ebenfalls klein, aber sehr viel lebhafter. Gleichaltrig mit Greta, konnte sie es mit ihr jedoch in keiner Weise aufnehmen. Aber da sie es auch gar nicht versuchte, bestand keinerlei Rivalität zwischen den beiden Frauen.
Dabei war Inge durchaus hübsch mit ihren großen braunen Kulleraugen und dem braun gelockten Haar, das ihr rundes Gesicht umrahmte. Etwas mollig, wie sie war, brachte sie ihre Kurven in einem tief ausgeschnittenen, engen Kleid aus Goldlamee voll zur Geltung.
Hans-Philipp König lehnte sich ein wenig auf seinem hochlehnigen gotischen Stuhl zurück und beobachtete die Anwesenden, die um den langen Refektoriumstisch saßen. Er fühlte sich hoch zufrieden, ein Mann, der alles besaß, was er sich erträumt hatte: eine gutgehende Firma, ein großes Haus, eine wunderbare Frau. Kinder – nein, er musste sich zugeben, dass seine Kinder ihm keine Freude machten. Er verscheuchte den Gedanken an seine verstorbene Frau, weil er ihm, wie immer, Unbehagen bereitete.
Mit Greta hatte sich sein Leben verändert. Nichts wünschte er sich mehr von ihr als einen Sohn, und er wusste, der würde ein Junge nach seinen Vorstellungen werden. Noch sträubte sie sich dagegen, und er war außer Stande zu verstehen, warum. Aber sie liebte ihn ja, und er war sicher, dass der Tag nicht mehr fern war, an dem sie nachgeben würde.
Jetzt erhob sie sich und zog mit dieser Bewegung aller Augen auf sich. Hans-Philipp fand, dass sie atemberaubend schön war in ihrem schlichten langärmeligen und nur ganz wenig ausgeschnittenen Kleid. Sie hatte ihr hellblondes Haar hoch gesteckt und den Schmuck aus den mit Brillanten gefassten Smaragden angelegt. Wie immer bei derartigen Gelegenheiten hatte sie kaum getrunken, nur gerade so viel, um die Gäste zu animieren, und ihre grünen, durch Lidschatten noch betonten Augen blickten klar.
»Ich denke, wir gehen jetzt ins Wohnzimmer hinüber«, schlug sie vor.
Alle folgten ihrer Aufforderung.
Die Bezeichnung »Wohnzimmer« wirkte allerdings für den prächtigen Raum, den die Gesellschaft jetzt betrat, mehr als untertrieben. Aber Greta hatte eine gewisse Gemütlichkeit geschaffen, indem sie ihn nicht ganz hatte ausleuchten lassen, sondern nur jenen Teil, in dem man sich jetzt niederließ. In dem gewaltigen offenen Kamin loderte ein helles Feuer. Das war trotz des frühsommerlichen Abends angebracht, denn in der Burg war es kühl geblieben. Rundum standen mit mattem, rehfarbigem Leder bezogene Sitzgelegenheiten. Sie waren modern und bequem, und alle genossen es, sich von den harten gotischen Stühlen erholen zu können. Die kleinen Beitische stammten aus den alten Beständen des Schlosses und zeigten verschiedene Stilrichtungen.
An den holzgetäfelten Wänden hingen vom Alter verdunkelte Olgemälde, meist Porträts, ohne besonderen künstlerischen Wert, aber sehr wirkungsvoll.
Hans-Philipp öffnete die oberen Türen eines kleinen antiken Schrankes, die mit Motiven aus der Minnesängerzeit bemalt waren. In ihm hatte er seine Hausbar eingerichtet und sogar einen elektrischen Anschluss zu der Eisbox legen lassen. Zwar wusste er selber, dass diese Verfremdung recht barbarisch war und pflegte sich, wenn er besonders kultivierte Gäste hatte, dafür zu entschuldigen.
Nachdem Greta ihn zum Kauf der Polstermöbel bewegt hatte, hätte er sich auch eine moderne Bar zulegen können. Aber der antike Schrank war nun einmal verschandelt, und kaum jemand nahm Anstoß daran.
Nach den Wünschen der Gäste füllte er Gläser mit schottischem und irischem Whisky, Calvados und Cognac. Greta und Inge baten um viel Wasser und Eiswürfel zu ihren Getränken, die Herren nahmen sie kaum oder gar nicht verdünnt.
Als Hans-Philipp, ein Cognacglas in der Hand, schließlich ebenfalls Platz nahm, war das Gespräch schon in vollem Gange. Es war selbstverständlich, dass Greta und Inge sich bemühten, die Gäste aus England zu unterhalten. Sie wussten, es ging um einen bedeutenden Geschäftsabschluss. Aber beide verhielten sich sehr unaufdringlich. Inge tat es auf eine naive, muntere Art, Greta gab sich zurückhaltend und ging auf die Flirtversuche der Herren nur gerade so weit ein, dass es nicht unhöflich wirkte. Aber sie vermied auch nur den Hauch einer Ermutigung.
Gerade als die Unterhaltung ein wenig abebbte – man hatte über Tennis gesprochen, dem die beiden Engländer Polo als eleganter und exklusiver vorzogen -, sagte Mister Buxter zu Greta: »Sie sind auf diesem Gemälde sehr gut getroffen!«
»Wie? Was meinen Sie?« fragte Greta verwirrt.
»Nun, dieses Gemälde neben dem Kamin. Es stellt Sie doch dar, nicht wahr?«
Alle blickten von Mister Buxter zu Greta und dann zu dem Bild. Es zeigte eine mittelalterliche Dame in einem sehr starren Gewand, mit schmaler, spitzer Taille und einem weiten Ausschnitt, der die Brüste und einen Teil der Oberarme freigab. Das Haar war völlig von einer Haube verdeckt. Das Gesicht mit den sehr ausgeprägten Jochbögen und den leuchtend grünen Augen hatte im wechselnden Licht der auflodernden Flammen etwas Lebendiges, und es zeigte auch eine gewisse Ähnlichkeit mit Greta, die ihr zuvor nie aufgefallen war.
»Sie meinen, ich hätte mich in einem Kostüm malen lassen?« fragte sie und lachte.
»Ja, genau das.«
»Aber nein, das bin ich nicht. Es ist ein ganz altes Bild, und ich weiß nicht einmal, wen es darstellt.«
»Wie schade!« sagte Mister Buxter. »Wenn es doch wenigstens eine Ahnfrau von Ihnen darstellen würde!«
»Bei Tageslicht würden Sie bestimmt erkennen, dass sie nichts mit mir zu tun hat. Übrigens wirkt die Dame nicht einmal sympathisch.« »Es ist unsere Weiße Frau«, erklärte Hans-Philipp überraschend.
»Du machst Spaß!« rief Inge. »Das ist nicht nett von dir, Hans-Philipp. Wir sollen uns wohl gruseln?«
Greta hatte etwas Ähnliches gedacht, aber nicht ausgesprochen, weil sie nicht wusste, worauf ihr Mann hinaus wollte.
»Nein, durchaus nicht. Es stellt eine Ulrike von Werdenfels dar. Sie war im fünfzehnten Jahrhundert Burgherrin von Salm.«
»Warum hast du mir nie von ihr erzählt?« fragte Greta.
Er zuckte die Achseln. »Es gab keinen Grund dazu.«
»Und sie spukt wirklich?« fragte Inge aufgeregt.
»Man erzählt es.«
»Und warum? Es muss doch irgendetwas passiert sein, wodurch solche Geschichten aufkommen«, meinte Greta.
»Es heißt, sie hätte ihren Mann betrogen.«
»Und?«
»Na ja, ihr wisst, dass man damals bei so etwas keinen Spaß verstand.« Hans-Philipp sah sich in der Runde um. »Es heißt, ihr Mann hätte sie einmauern lassen … Bei lebendigem Leibe.«
»Huh« machte Inge.
»Wo?« fragte Mister Buxter.
»Hier in der Burg.« Mit einer Handbewegung brachte er die Ausbrüche des Entsetzens zum Schweigen. »Kein Grund zur Aufregung. Bevor ich hier einzog, habe ich die Burg gründlich von Bauleuten untersuchen lassen. Ich versichere euch, es gibt keinen zugemauerten Raum oder dergleichen. Falls er einmal vorhanden gewesen sein sollte – was ich sehr bezweifle -, ist das Skelett der Dame längst entfernt und das Zimmer wieder geöffnet worden.«
»Aber wenn das stimmt, könnte sie ja nicht spuken!« rief Inge. »Vielleicht tut sie es ja auch gar nicht. Ich selber habe es jedenfalls nicht erlebt.«
»Aber die Leute erzählen es sich?« fragte Greta nachdenklich.
»Ja, die Dorfbewohner. Die wenigsten sind wohl so verrückt, so etwas zu glauben.«
Jetzt begriff Greta, warum keines der Mädchen, die zur Hilfe heraufkamen, wie auch heute Abend, über Nacht auf der Burg bleiben wollte. »Das hätte ich wissen sollen«, meinte sie.
»Unsinn! Warum solltest du dich mit Schauermärchen befassen?«
Darf man fragen, wie der Spuk vor sich gehen soll?« erkundigte sich Mister Smith.
»Es heißt, dass sie als Weiße Frau durch Gänge und Räume der Burg wandelt.«
»Macht sie Lärm dabei?«
»Das nicht. Sie bewegt sich ganz lautlos und strömt eisige Kälte aus.« Greta schauderte. »Unheimlich!«
Er lachte. »Ich habe es absichtlich zu eurer Unterhaltung so erzählt. Ich selber bin überzeugt, dass kein Wort daran wahr ist. Wie gesagt, ich habe ihr Auftreten selber nie erlebt.«
»Aber jemand anders?« fragte Greta.
»Nein«, antwortete er.
»Aber selbst wenn es ein Gespenst auf der Burg gäbe«, fragte Inge, »woher weiß man denn so genau, dass es diese Ulrike ist?«
»Niemand weiß etwas, Inge. Es sind alles nur Geschichten. Entweder sind sie einfach dadurch entstanden, dass es in so einem alten Gemäuer manchmal zieht – der berühmte eisige Hauch, der das Gespenst begleitet -, und dass jemand oder auch einige Bewohner zuviel Fantasie gehabt haben. Vielleicht hat auch einer meiner Vorbesitzer alles nur frei erfunden, weil eine Burg mit Gespenst für ihn wertvoller und interessanter schien als ohne.«
»Oh, der Meinung ist man auf unserer Insel auch!« stimmte Mister Smith ihm zu. »Jeder Schlossherr ist stolz auf sein Gespenst. Außerdem sind sie unter Umständen von finanziellem Interesse. Spukerscheinungen ziehen Touristen an.«
Die beiden Engländer überboten sich jetzt mit Geschichten von falschen, aber auch echten Gespenstern. Obwohl sie es mit viel Ironie taten, war die Wirkung doch, gerade hier in dem altertümlichen Raum beim wechselvollen Licht des Feuers und dem Krachen der Buchenscheite im Kamin, gruselig genug. Hans-Philipp, der ja selber das Thema zur Sprache gebracht hatte, versuchte vergeblich, davon abzulenken. Als die alte Standuhr Mitternacht schlug, entstand eine plötzliche Stille; alle erwarteten unwillkürlich das Auftreten der Weißen Dame.
»Ich hoffe, wir haben Sie nicht in Angst und Schrecken versetzt«, sagte Mister Smith entschuldigend.
»Aber nein!« erwiderte Inge. »Wenn sie jetzt erscheinen würde, wo wir alle hier beisammen sind, wäre es doch ein großer Spaß.«
Er sah Greta an. »Aber wenn man die Nächte auf der Burg verbringen muss, möglicherweise sogar auch einmal allein …«
Greta fiel ihm ins Wort. »Machen Sie sich meinetwegen keine Gedanken, Mister Smith! Ich fürchte mich nur vor lebendigen Feinden, nicht vor Gespenstern.«
»Ich bewundere Sie.«
»Dazu besteht kein Grund«, behauptete Hans-Philipp. »Selbst wenn es die Weiße Dame tatsächlich geben sollte, so geht sie doch nur höchst selten um, wird erzählt. Nur zu ganz besonderen Gelegenheiten.«
»Wann?« wollten Greta und Inge gleichzeitig wissen.
»Wenn Unheil ins Haus steht«, erklärte Mister Buxter, »das haben diese Art von Gespenstern so an sich.«
»Ist das wahr?« vergewisserte sich Greta.
»Ja, so heißt es.«
Beinahe hätte Greta ihren Mann gefragt, ob jemand die Weiße Frau vor dem Tod Elviras gesehen hätte. Statt dessen sagte sie: »Soll sie nur. Vielleicht kann so eine Warnung ganz nützlich sein.« Sie stand auf und fragte: »Wer hat Lust auf einen Kaffee?«
Das hatten sie alle, wenn auch Heinz Kramer meinte, Greta sollte sich keine Umstände machen.
»Das tue ich auch gar nicht«, sagte Greta, »ich stelle nur die Kaffeemaschine an. Das ist im Handumdrehen geschehen. Bitte, bleib, wo du bist, Inge, ich kann das wirklich allein.«
Tatsächlich hatte Frau Breuer in der Anrichte alles schon bereit gestellt, und Greta brauchte nur den gemahlenen Kaffee in den Filter zu füllen und frisches Wasser zu holen. Als sie die Maschine eingeschaltet hatte, ging sie noch einmal in die Gästetoilette, um sich frisch zu machen. Als sie in den Spiegel schaute, stellte sie fest, dass sie mit ihrem Aussehen zufrieden sein konnte. Die leichten Schatten von Müdigkeit unter ihren Augen ließen ihre Züge durchgeistigter scheinen als gewöhnlich. Dennoch hoffte sie, dass der Abend nun bald zu einem Ende kommen würde.
Aber darin hatte sie sich getäuscht. Nachdem die Herren ihren Kaffee getrunken hatten, wurden sie wieder munter und verfielen ins Fachsimpeln. Weder Greta noch Inge wagten es, sie dabei zu stören. Inge langweilte sich entsetzlich, ließ es sich aber nicht anmerken. Greta, die vor ihrer Ehe in einer Frankfurter Bank gearbeitet hatte, hörte aufmerksam zu. Dies war eine der seltenen Gelegenheiten, etwas über die Geschäfte ihres Mannes zu erfahren. Er lehnte es stets ab, mit ihr darüber zu sprechen. Dennoch war sie froh, als Heinz Kramer endlich zum Aufbruch mahnte.
»Wir sollten jetzt schlafen gehen«, sagte er, »meine kleine Frau kann kaum noch aus den Augen sehen.«
»Stimmt ja gar nicht! Meinetwegen könnt ihr …«
»Nein, nein, Herr Kramer hat Recht!« sagte Mister Smith und räkelte seine langen Glieder aus dem Sessel. »Wie sagt man doch so schön? Morgen ist auch noch ein Tag.«
Alle erhoben sich. Die Herren trafen ihre Verabredung. Greta und Hans-Philipp brachten die Gäste in den Burghof, und nach einem fröhlichen und lauten Abschied, Dankesbeteuerungen und guten Wünschen rollten die Autos den Berg hinunter. Hans-Philipp schloss eigenhändig das schwere Tor und legte die Riegel vor.
Dann gingen die Eheleute Arm in Arm zur Burg zurück. Der Himmel war sternenklar und die kühle Nachtluft erfrischend. Beide genossen es. Im Laufe des Abends war viel geraucht worden.
»Du warst wieder einmal wunderbar!« lobte Hans-Philipp.
»Ein gelungener Abend, nicht wahr?«
»Er ist noch nicht zu Ende.« Er blieb stehen und küsste sie.
Greta entzog sich ihm lachend. »Oh, doch! In wenigen Stunden ist Morgen.«
»Was macht das schon? Vor elf Uhr brauche ich nicht in der Firma zu sein.« Er nahm sie wieder in die Arme.
Diesmal erwiderte sie seine Küsse.
»Sehen wir zu, dass wir ins Bettchen kommen«, sagte er.
»Geh du schon rauf. Ich muss noch ein bisschen aufräumen.«
»Dazu haben wir Personal.«
»Ja, sicher. Aber ich will wenigstens die Aschenbecher leeren und kurz durchlüften. Ich mag es nicht, dass Frau Breuer in eine Raucherhöhle kommt.«
»Denk nicht an sie, sondern an mich.«
Sie strich ihm sanft über die Wange. »Das tue ich doch immer, Geliebter! Aber ohne Frau Breuer könnte ich wohl kaum den Haushalt führen.«
»Die lässt sich jeden Tag ersetzen.«
Obwohl Greta nicht seiner Meinung war, stimmte sie zu. »Du hast Recht. Deshalb werde ich mich auch beeilen. Ehe du im Bett liegst, bin ich schon bei dir, mein Unersetzlicher!« Sie küsste ihn auf die Lippen und huschte an ihm vorbei ins Haus.
Während sie die Fenster aufriss, Wasser auf die letzten Flammen im Kamin goss, die Ascher in ein fest verschließbares, dafür bestimmtes Gefäß leerte und das benutzte Geschirr in den Aufzug stellte, ärgerte sie sich über sich selber. Warum musste sie das alles tun? War es wirklich nötig? Wäre es nicht richtiger und wichtiger gewesen, gleich mit Philipp hinaufzugehen?
Aber Tatsache war, gestand sie sich ein, dass sie keine Lust hatte, mit ihm zu schlafen. Nicht, weil sie ihn nicht liebte, sondern weil sie nach diesem langen Tag völlig zerschlagen war. Heute Nachmittag, am Swimmingpool, wäre sie nur zu gern dazu bereit gewesen. Aber da hatte er sie zurückgestoßen.
Merkwürdig, dachte sie, dass er nie spürt, wann ich in Stimmung bin und merkwürdig auch, dass er glaubt, ich müsste jederzeit bereit sein. Aber darin ist er ja keine Ausnahme. Wie kommt es, dass ein Mann und eine Frau, auch wenn sie sich so nahestehen wie wir beide, kein richtiges Timing haben? Vielleicht ist es das, wodurch die Männer die Liebe kaputtmachen, mehr als durch Nachlässigkeit und Untreue. Aber man kann es ihnen nicht beibringen. Er würde niemals einsehen, dass er selber nach dem anstrengenden Abend und dem vielen Alkohol nicht in der besten Verfassung sein kann.
Greta seufzte. Bevor sie das Fenster schloss, beugte sie sich hinaus, um noch einmal tief Atem zu holen. Dabei blickte sie unwillkürlich hinunter. Die Burg stand so nah am Abgrund, ihre Mauern schlossen mit dem steilen Felsen ab, auf dem sie erbaut war, dass ihr schwindelig zu werden drohte. Rasch zog sie den Kopf zurück.
Sie überwand den Schauer, der sie ergriffen hatte. Das hätte noch gefehlt, dass ich jetzt aus dem Fenster stürzte! dachte sie. Dann gäbe es sicher ein zweites Gespenst auf Burg Salm.
Schnell lief sie nach oben. Als sie Philipp heiratete, hatte sie sich entschlossen, ihm eine gute Frau zu sein, und dabei sollte es auch bleiben. Was machte es schon aus, ob sie Lust hatte, mit ihm zu schlafen oder nicht? Es gab Schlimmeres, als einem Mann zu seinem Vergnügen zu verhelfen.
Als sie ins Schlafzimmer trat, lag er schon ausgezogen im Bett und breitete verlangend die Arme nach ihr aus. Behende schlüpfte sie aus ihrem seidenen Kleid und warf sich an seine Brust.