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5 Eine Insel für die adorierte Primadonna. Eduard Springer Litzlberg, Insel

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Wer sich den Luxus erlaubt, auf einer einsamen Insel im Attersee ein schlossartiges Anwesen zu bauen, muss zumindest ein Baron sein. Das war jedenfalls bis jetzt die vorherrschende Meinung in der Literatur. Weit gefehlt: Man ist zwar versucht, beim Namen Springer an die bekannte und angesehene Bankiersfamilie gleichen Namens zu denken, doch Eduard Springer, Erbauer des Schlosses Litzlberg, hat mit den reichen Bankiers überhaupt nichts zu tun. In seinem Verlassenschaftsakt aus dem Jahr 1917 wird als Adresse Lilienbrunngasse 15 in der Wiener Leopoldstadt angegeben – für einen reichen Bankier wäre dies nicht standesgemäß.


Die Insel Litzlberg

Doch wer ist Eduard Springer? Abteilungsvorstand der Ersten Österreichischen Sparkasse und Realitätenbesitzer, steht lakonisch in seinem Verlassenschaftsakt. Katholisch und ledig, erfährt man weiter. Und bei der weiteren Lektüre eröffnet sich Erstaunliches: In Wertpapieren hinterlässt er 280 000 Kronen, dazu mehrere Zinshäuser in Wien, meist in der Leopoldstadt, sowie einige Liegenschaften in Zell bei Nussdorf am Attersee. Nur zwei Monate vor seinem Tod hat er seinen Besitz in Litzlberg, der die Insel umfasst, an den Industriellen Erwin Böhler verkauft.

Bei näherer Betrachtung seiner Familienverhältnisse wird klar, woher der große Wohlstand stammt: Eduard ist der Nachkomme einer Familie, deren wirtschaftliche Erfolge bereits in der Zeit Maria Theresias begründet sind: Einer seiner Vorfahren war der Hofoptiker Joseph Hamberger, dessen Brillen und sonstige optische Geräte sich großer Beliebtheit erfreuten und ihm ein beträchtliches Vermögen bescherten. Im Jahr 1820 findet er Eingang in ein wissenschaftliches Schriftstellerlexikon: »K. K. Hofoptiker und der berühmte und geschickte Verfertiger der aus Wien kommenden optischen Gläser und anderer mathematisch-physikalischer Instrumente. Er ist gegenwärtig hier der einzige in diesem Fache.«37 Seine Tochter Anna heiratet in die Familie Sigl ein, der die Tuchhandlung Zur weißen Taube in der Wiener Goldschmiedgasse gehört – ein ebenfalls erfolgreiches Unternehmen. Trotz Wirtschaftskrisen, Kriegen und schwierigen Zeiten hält die Familie das Vermögen zusammen – eine außergewöhnliche Leistung in Jahren der Umbrüche und radikalen Veränderungen. Unterstützt wird dies durch zahlreiche familieninterne Ehen, die in vielen Schichten aus wirtschaftlichen Gründen üblich sind. Eduards Mutter Karoline Sigl bringt also ein beträchtliches Vermögen in ihre Ehe mit dem Kaufmann Eduard Springer ein. Ihr einziger Sohn wird später alles erben und einen Teil des Geldes in seine Attersee-Insel investieren.

Denn er verehrt die Opernsängerin Marie Renard – unwillkürlich muss man an die Operette Die Fledermaus denken, in der Gabriel Eisenstein als Marquis Renard vorgestellt wird … Dessen Ehefrau Rosalinde zählte übrigens zu den Paraderollen der Renard. Ein Zufall? Eine Geschichte wie aus der Operette.


Marie Renard in ihrer Paraderolle als Rosalinde in Die Fledermaus, deren Ehemann sich als »Marquis Renard« ausgibt.

Doch Marie Renard ist nicht irgendeine Opernsängerin, sondern der größte Star ihrer Zeit, eine Primadonna im wahrsten Sinn des Wortes, der nur Superlative gerecht werden. Bei ihrem Bühnenabschied im Jahr 1900 lässt sich sogar der sonst immer spitzzüngigkritische Eduard Hanslick zu dem Ausruf hinreißen: »Ist es wahr? Ist es möglich? Die Renard scheidet für immer von der Oper? In der Vollkraft ihres Talents, ihrer Schönheit? Man strengt seine Augen an, um durch den Schleier dieses Geheimnisses zu blicken.«38 Zu diesem Zeitpunkt gehört Eduard Springer bereits der Vergangenheit an – falls er je eine Gegenwart hatte, geschweige denn eine Zukunft. Denn die Renard strebt gesellschaftlich nach Höherem: Ihre Kollegin, die nicht minder beliebte Ilka Palmay, heiratet am 31. August 1892 Eugen Graf Kinsky. Und dieser hat einen Bruder, Rudolf. Verheiratet. Und verliebt in Marie Renard, die er unbedingt heiraten möchte – und dies nach jahrelangen Kämpfen 1901 auch tun wird. Genau während dieser Jahre baut Eduard Springer ein Schloss für die Primadonna. Ob sie davon überhaupt weiß? Oder ob sie ihn einfach gewähren lässt – wissend, dass ihre Zukunft anderswo liegen wird? Einen tieferen Blick hinter die Kulissen des Opernbetriebes gewährt Jahre später der Roman Bagage! über eine andere Primadonna des Attersees, Maria Jeritza (siehe Kapitel 17).

Marie Renard erhält an der Wiener Hofoper eine gigantische Gage von 16 000 Kronen pro Jahr, hat es also geschafft. In den Anfangsjahren einer Sängerin, die ihre Bühnenkostüme selbst anschaffen muss, konnte auch sie auf einen reichen Mäzen nicht verzichten. Doch über dieses Stadium ist Marie Renard seit ihrem Engagement an die Wiener Hofoper im Jahr 1888 hinaus, nun winkt die gesellschaftliche Anerkennung. Auch wenn Mesalliancen nicht gern gesehen werden, hat eine Gräfin Kinsky natürlich einen anderen Status als ein Fräulein Marie Pölzl alias Marie Renard. Operette und Realität reichen sich die Hand.

Liest man Berichte über Marie Renards unglaubliche Wirkung, versteht man Eduard Springers glühende Verehrung. Am augenfälligsten manifestiert sich die Begeisterung des Wiener Publikums auf dem Höhepunkt ihrer Karriere: ihrem Abschied von der Bühne. Nach ihrem letzten Auftritt, noch dazu in der von ihr so oft gesungenen Rolle der Carmen, tobt das Publikum im Haus am Ring und ruft die geliebte, verehrte und angebetete Beste aller Sängerinnen mehr als 150 Mal vor den Vorhang – über eine Stunde dauert diese Ovation, die sich auf der Straße fortsetzt. »Wer am 29. Jänner 1900, 11 Uhr abends, in der Nähe des Wiener Opernhauses geweilt haben mochte, ohne zu wissen, was da vor sich ging, der hätte meinen können, eine Revolte sei ausgebrochen oder sonst ein weltbewegendes Ereignis finde gerade hier seinen Niederschlag. Am Ring, rund um die Oper und bis zur Krugerstraße hin, wo die Renard wohnte, gab es ein lebensgefährliches Drängen und Stoßen. Und dies an drei Abenden, an denen Tausende an Marie Renard vorbeidefilierten, ihr den Abschiedsgruß zu entbieten.« Nach der dritten und unwiderruflich letzten dieser Vorstellungen kommt es zu einem noch größeren Tumult: »Was sich dann noch auf der Straße abspielte, gehört zu den turbulentesten Höhepunkten einer losgelassenen Publikumsbegeisterung, wie sie kaum ein zweites Theaterereignis mehr erlebt hat. Kopf an Kopf gedrängt stand die Menge, die Polizei mußte einschreiten, um der Renard den Weg vom Bühnentürl freizumachen.« So erinnert sich die Bühne noch im Jahr 1941 – mehr als eine ganze Generation später – an Marie Renards Bühnenabschied, der in der Zeitschrift Der Floh mit einem Augenzwinkern in Gedichtform beschrieben wird:

Aus der Renard-Woche.

Was kümmert uns der Ausgleichsrummel? Was die Verständ’gungsconferenz?

Die Burenkriege, Englands Pläne, die sind für uns jetzt nichts als Pflänz!

Der Kohlestreik und die Vertheuerung der Lebensmittel aller Art,

Die sind Wurst. Für uns gibt’s eine nur und das ist jetzt: Marie Renard!

Und in der weiteren Beschreibung werden 26 Augen gefunden, »die sich jugendliche Schwärmerinnen herausgeweint haben«.39 Ob Eduard Springer die unfassbare Begeisterung des Publikums an diesem Tag in der Oper auch miterlebt?

Zwei weitere Sommerfrischegäste am Vis-à-vis-Ufer des Schlosses Litzlberg stehen auf unterschiedliche Weise in Verbindung mit Marie Renard. Zum einen Gustav Mahler, unter dessen umstrittener Direktion sie ihren Abschied nimmt. Und zum anderen die große Charlotte Wolter, die das Publikum zu ebensolchen Begeisterungsstürmen bewegt (siehe Kapitel 33 und 29).

Die weiteren Sommer bis zu seinem Tod verbringt Eduard Springer jedenfalls in dem Refugium auf der Insel, kümmert sich um die Fischzucht in Zell bei Nussdorf, stiftet Geld für die Schule in Schörfling, wird Ehrenbürger. Und bleibt unverheiratet. Vielleicht in ewiger Erinnerung an eine unerreichbare Künstlerin, deren Wärme, Geist, Leidenschaft und Zauber der Persönlichkeit ihn bis zu seinem Tod bannen.

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