Читать книгу Die Villen vom Attersee - Marie-Theres Arnbom - Страница 6
Making of …
ОглавлениеDer Attersee ist mir vertraut. Dachte ich jedenfalls. Viele Konzerte haben mir seit Jahrzehnten an verschiedenen Plätzen wunderschöne Sommerabende beschert. Seit mittlerweile 15 Jahren umrunde ich außerdem den See, um die Plakate meines Kindermusikfestivals in St. Gilgen zu verteilen, und beobachte das Verschwinden alter Geschäfte und Gasthöfe ebenso wie das Entstehen neuer Häuser. Freunde, die am Attersee zu Hause sind, werfen mir seit Jahrzehnten vor, dass ich sie nie besuche, aber das ist so eine alte Salzkammergutkrankheit: Jeder sitzt an seinem See und bewegt sich nicht weit weg, sondern genießt die wenigen kurzen Wochen intensiv und will keinen Moment missen.
Jetzt habe ich mich aber hinausgewagt und bin tiefer in die Geheimnisse rund um den Attersee eingetaucht, habe die Umgebung aufmerksam per Schiff, per Auto und zu Fuß erkundet und Eindrücke gesammelt. Viele Gespräche eröffneten Eigenheiten dieses Sees, die große Bedeutung des Segelns, die eingeschworene Gemeinschaft. Dieses Wissen bot mir die Grundlage weiterzuforschen, zu überlegen, wer die Menschen waren, die diese spezielle Atmosphäre des Attersees geprägt haben. Ich hätte nie erwartet, dass so viele schräge und außergewöhnliche Typen zum Vorschein kommen: Schriftsteller und Schauspieler, Frauenrechtlerinnen und Sängerinnen, deren Namen vertraut, und solche, die vergessen sind. Industrielle, die in die Welt der Tüll-Erzeugung ebenso führen wie in die Elektrotechnik, Ärzte, Komponisten und Musiker bevölkerten den Attersee und legten ein unsichtbares Netz quer über den See: Fast alle kannten sich, waren verwandt, verbandelt, übers Kreuz miteinander oder in Liebschaften verbunden – eine große, dicht verwobene Gesellschaft, zusammengesetzt aus vielen bunten Mosaiksteinen. Ganz neue Aspekte tun sich auf und machen neugierig, weiterzuforschen und sich näher mit den Menschen auseinanderzusetzen.
Die Auswahl der beschriebenen Villen ist subjektiv, nur ein geringer Teil der beeindruckenden Häuser und ihrer Bewohner kann berücksichtigt werden, denn dieses Buch soll ja auch ein Begleiter auf Ausflügen rund um den See sein und in eine Tasche passen, damit man an Ort und Stelle nachlesen kann. Bekanntes und Vertrautes wurde daher zurückgestellt, denn es gibt so viele Menschen, die in Vergessenheit geraten sind – ihnen ist das Buch gewidmet.
Die Schilderungen umfassen einen Zeitraum von etwa 100 Jahren – in diesem Jahrhundert wurde Europa von Krisen und Leid gebeutelt: Zwei Kriege, die die Welt bis heute nachhaltig prägen, haben auch am Attersee ihre Spuren hinterlassen. Die Geschichten dieses Buches stellen immer Momentaufnahmen dar, werfen kurze Blitzlichter auf eine bestimmte Zeit, auf bestimmte Personen.
Auffallend sind die vielen Sommerfrischler aus Prag – doch bei näherer Überlegung wird klar, dass dies schlicht mit den vorhandenen Reisemöglichkeiten zusammenhängt: Die Routen der Eisenbahn stellen ein wichtiges Kriterium für die Wahl der Sommerfrische dar, denn das Gepäck ist umfangreich, in den Monaten am Attersee darf es an nichts fehlen: Bücher und Musikinstrumente, Sportgeräte und Bekleidung, Decken, Wäsche und oftmals auch Geschirr braucht es, um den Sommer bequem verleben zu können.
Die einzelnen Orte am Attersee haben unterschiedlichen Charakter. Weißenbach zum Beispiel gilt aufgrund der direkten Anbindung an Bad Ischl als Dependance der kaiserlichen Sommerresidenz, als Ischler Vorort am See. Das Hotel Post zieht die mondäne Welt an, berühmte Persönlichkeiten erwerben Villen in der Umgebung und sonnen sich ein wenig im Ischler Glanz, gespiegelt im legendär grün-blau schimmernden Wasser des Attersees.
In Unterach prägt ein großer, auf verschiedenen Ebenen vernetzter Clan ein beschwingtes, fröhliches und intellektuelles Sommerleben, das von einem gemeinsamen Faktor bestimmt ist: der Musik. In fast allen Villen rund um den See gehört ein Klavier zur selbstverständlichen Einrichtung, gemeinsames Musizieren zählt zu den wichtigsten integrativen Programmpunkten der Sommerfrische. Auf dem Berghof in Burgau laufen viele Fäden zusammen, er kann als Kulminationspunkt des kultivierten Sommerlebens gelten – und die Fäden reichen bis zum Schloss Kammer auf der anderen Seite des Sees hinüber. Dort verkehrt in der Zwischenkriegszeit die mondäne Welt, die sich bei den Salzburger Festspielen trifft – Musik und Theater stehen hier ebenfalls im Mittelpunkt.
Auch am Attersee geht der Bruch des Jahres 1938 nicht spurlos vorbei, doch verlaufen die Ereignisse, anders als in Bad Ischl, weniger organisiert. Besitze wechseln die Eigentümer, und oft wird erst im Nachhinein klar, ob dies – wenigstens nach den Gesetzen der Nationalsozialisten – überhaupt rechtens war oder nicht. Ein schwieriges Kapitel, das trotzdem eines ganz klar zeigt: Die Nazis machen keinen Halt vor repräsentativen Liegenschaften, egal ob die Eigentümer als Juden gelten oder nicht. Beschlagnahmt wird, was schön und teuer ist – und dann beginnen die einzelnen Nazi-Organisationen zu streiten, ob eine von ihnen den Zuschlag erhält oder ob sich vielleicht doch ein Bonze eine repräsentative Bleibe am Attersee aneignen darf. Der Zustand der Häuser verschlechtert sich, niemand fühlt sich verantwortlich, und so kommt es nach dem Ende des Krieges zu unendlich zermürbenden Verhandlungen mit den ursprünglichen Eigentümern. Denn zurückgestellt werden die Besitzungen relativ rasch, doch die Diskussionen und Streitigkeiten über angebliche Investitionen, nicht bezahlte Mieten und gestohlene Möbel ziehen sich ins Unendliche – einmal mehr wird deutlich, wie sehr die unselige Devise von Innenminister Hellmer, »die Sache in die Länge zu ziehen«, der Realität entspricht. Die meist jüdischen Besitzer, die nun in Amerika, in Paris oder jenseits des Eisernen Vorhangs leben, verkaufen ihre Häuser in den 1950er-Jahren.
Doch die Musik bleibt – über alle Zeitläufe hinweg – ein bedeutender Teil des Attersee-Sommers, Festivals entstehen und bieten bis heute vielen großen Künstlern eine wunderschöne und inspirierende Heimat.
Um sich den Menschen und ihrer Zeit zu nähern, muss man sie finden. Und so standen am Beginn meiner Recherche die Grundbücher der einzelnen Gemeinden, in denen die Eigentümer genau aufgelistet sind und aus denen auf einen Blick die Entwicklung eines Hauses mit allen Höhen und Tiefen offenbar wird. Akten und Archivalien bieten weitere wertvolle Einblicke in das Leben der Menschen – ohne die großartige Kooperation des Wiener Stadt- und Landesarchivs und des Oberösterreichischen Landesarchivs wäre vieles nicht zu erschließen gewesen. Unkomplizierte Unterstützung und beste Arbeitsbedingungen, großes Interesse und hilfreiche Gespräche machen diese Archive und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Partnern der wissenschaftlichen Forschung des 21. Jahrhunderts. Die Recherche im Salzburger Landesarchiv – denn Burgau gehört zu Salzburg – erwies sich hingegen als Zeitreise in die 1980er-Jahre, in denen die Nutzer mit Skepsis beäugt wurden und Angst und Misstrauen vorherrschten, dass durch allzu viel Recherche etwas Unliebsames ans »Tageslicht« kommen könnte. Aber selbstverständlich erhielt ich alle Akten und konnte so auch diesen Teil des Attersees in aller Gründlichkeit bearbeiten.
Die Arisierungs- und Rückstellungsakten machen erneut deutlich, mit welcher perfiden Menschenverachtung ab 1938 eine Kultur zerstört wurde, wie unschuldige Menschen vertrieben und in den Tod gehetzt wurden und in der Zweiten Republik unerwünscht blieben. Die Rückstellungsakten erinnern in erschreckend vielen Formulierungen, Vorgehensweisen und sprachlichen Codes an heute wieder spürbare Verrohungstendenzen und mahnen uns, achtsam mit Sprache umzugehen und uns unserer Verantwortung bewusst zu sein.
Verlassenschaftsabhandlungen fassen am Ende eines Lebens das Bleibende zusammen und machen so manche Verwicklung, Verletzung oder Dankbarkeit innerhalb von Familien deutlich. Mein Mann Georg Gaugusch hat diese Akten im Wiener Stadt- und Landesarchiv unermüdlich für mich gescannt und mir mit seiner großartigen, bahnbrechenden Recherchearbeit nicht nur viel Arbeit erspart, sondern für viele Kapitel überhaupt erst die Grundlage geboten, auf der ich aufbauen konnte.
Schlüsselromane, Gedichtbände, wissenschaftliche Artikel und Lebenserinnerungen bieten Einblick in die Gedankenwelt der geschilderten Menschen, die auf so unterschiedlichen Gebieten Großes geleistet haben.
Und auch Heimatbücher standen zur Verfügung – zwei davon bedürfen einer dringenden Überarbeitung: Das Heimatbuch von Schörfling erschien 2002 als Neuauflage der Fassung von 1988. Darin finden sich folgende Formulierungen: »Die Sommerfrischler verließen im Herbst [1919] nur widerwillig das Salzkammergut, speziell das Atterseegebiet. Sie saßen wie die Maden im Speck, und manch einer dieser ›Gäste‹ mußte gewaltsam weggebracht werden, was mancherorts zu unerquicklichen Szenen führte. Zum Großteil gehörten sie dem auserwählten Volke an. Die ortsansäßige Bevölkerung war aufgebracht, denn die ›Gäste‹ zahlten phantastische Preise für die Lebensmittel, die dann den Einheimischen abgingen.«1 Solch offener Antisemitismus hat in einer offiziellen Gemeindechronik, die außerdem im Jahr 1920 endet, nichts zu suchen. In der 1990 erschienenen Chronik von Unterach ist die Wortwahl weniger explizit, aber trotzdem mehr als deutlich: »Freilich zogen die großen Lichter auch wieder kleine Dunkelmänner an, die sich in Unterach besonders in wirtschaftlicher Beziehung sehr unbeliebt machten.2 […] Manche von den Sommergästen erbauten sich eigene Villen, meist am See. Einheimische verkauften ihre Häuser, und oft wurde es schmerzlich empfunden, wenn irgendein Herr Neureich mit unsauber erworbenem Vermögen alteingesessene Unteracher mit seinem Geld verdrängte!3« Ein wenig mehr Achtsamkeit bezüglich solcher Formulierungen wäre wünschenswert.
Einmal mehr möchte ich ein Loblied auf die Plattform ANNO der Österreichischen Nationalbibliothek singen: Historische Zeitungen stehen digital zur Verfügung, meist bereits mit Volltextsuche. Man sucht etwas und findet – nebst dem Gesuchten – auch noch ganz Unerwartetes in diesem reichen Angebot, das dank des großen Engagements von Christa Müller unermüdlich erweitert wird.
Mein Dank gilt all jenen, die mich mit Hinweisen, Materialien, Fotos, Kontakten, Gedanken, Gesprächen, Wohlwollen und viel Geduld versorgt haben: Elisabeth Auersperg-Breunner, Alfred von Doderer, Alexander Eberan, Claudia Herz-Kestranek, Miguel Herz-Kestranek, Nikolaus Horn, Grace Jeszenszky, Martin Kolben, Sibylle Langer, Florian von Meiss, Caroline und Andreas Schindler, Gexi Tostmann und Marina Werba.
Georg Male erweist sich in alter Freundschaft einmal mehr als der allerbeste Lektor, der streng und unerbittlich sprachliche Unschärfen auf einen Blick erkennt und in die richtige Bahn lenkt. Danke!
Auf meine unermüdlichen Korrekturleser und -innen ist immer Verlass: Georg Gaugusch, Christiane Arnbom, Elisabeth Kühnelt-Leddihn, Hanna Ecker und Monika Kiegler-Griensteidl und all die anderen, die das eine oder andere Kapitel vorab lesen durften (oder mussten) und mich mit konstruktivem Feedback versehen haben.
Dem Amalthea Verlag mit dem engagierten Team um Katarzyna Lutecka danke ich für das Vertrauen und die wie immer großartige Unterstützung.