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7 Von Spitzen, Tüll und Segelbooten. Familie Faber Attersee, Aufham 1

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Bobinet, Tulle anglaise und Tatting. Diese Begriffe tauchen bei der Beschäftigung mit der Familie Faber auf, und es bedarf einer gründlichen Recherche, was es damit auf sich hat. Die schönsten Spitzen auf feinstem Tüll stecken hinter diesen Begriffen, feines, zartes Gewebe, das zu den prächtigsten und elegantesten Deckerln, Spitzen, Vorhängen und Kleidern weiterverarbeitet wird.

Die Familie Faber zählt zu den Textilpionieren der österreichischungarischen Monarchie. Bereits während der Biedermeierzeit nutzen sie die Gunst der Stunde und der industriellen Revolution in England, um in Böhmen ihren Beitrag zur rasanten Entwicklung der Textilindustrie in diesem Teil der Monarchie zu leisten. Dies führt uns an den Beginn des 19. Jahrhunderts zurück, als 1809 eine Maschine die Textilindustrie revolutioniert. Bis zu diesem Zeitpunkt werden Tüll und Bobinet, das Grundmaterial der Spitzen, per Hand gefertigt, geklöppelt: eine Luxusware, den Fürstenhäusern vorbehalten. Die neue Maschine bringt eine Demokratisierung der Spitze mit sich: Plötzlich kann der Stoff in großen Mengen und zu günstigen Preisen hergestellt werden, und England überschwemmt den Kontinent damit. Dies lässt sofort die Frage aufkommen, ob nicht auch Unternehmer in Österreich oder Deutschland diese Ware produzieren könnten – aber die Engländer wollen ihre Vorherrschaft nicht verlieren und verbieten die Ausfuhr der Maschinen. Per Todesstrafe. Eine drastische Maßnahme, die findige Unternehmer natürlich nicht abhalten kann: Eine Maschine wird zerlegt und in Einzelteilen nach Österreich geschmuggelt. Und einige kundige Arbeiter folgen nach.

Dies ist der Beginn der industriellen Tüll- oder Bobinet-Produktion, geprägt von Daniel Baum in Lettowitz, 50 Kilometer nördlich von Brünn, sowie Josef Damböck und Moritz Faber in Wien. Sie sind bereits in diesem Metier tätig, auch familiär verbunden, und modernisieren ihr Unternehmen nun radikal. Damböck und Faber pachten Baums Fabrik und schaffen so das »größte Etablissement dieser Art in Österreich. Sie war mit der Fabrik des Damböck in Wien, mit einer in Prag und einer in Vorarlberg vereinigt und erzeugte in Verbindung mit ihnen jährlich 130 Ctr. Tullanglais. Der Maschinenbau wurde in der Lettowitzer Fabrik am nachdrücklichsten betrieben, so zwar, daß im vergangenen Jahre vier neue Maschinen in Gang gesetzt wurden. Die Bewegung sämmtlicher Maschinen fand durch Wasserkraft statt. Das Fabrikspersonal bestand aus 256 Individuen. Außer diesen wurden noch in der Umgegend und in Böhmen 1000 bis 1200 Menschen mit dem Sticken des erzeugten Bobbinets beschäftigt.«47

Warum gerade hier? Die Antwort ist einfach: Wasser. Besser gesagt: Wasserkraft. An den vielen Flüssen Böhmens siedeln sich zahlreiche Unternehmer an, um die Wasserenergie zu nutzen – heute noch zeugen zahlreiche verfallene Industriebauten von längst vergangenen wirtschaftlichen Glanzzeiten.

So wie andere Industriellenfamilien auch nutzt Familie Faber48 die Gunst der Stunde, um die vielen noch brachliegenden Ressourcen des Kronlandes Mähren auszuschöpfen. Auffallend ist dabei, dass die meisten mährischen Pioniere nicht katholisch, sondern jüdisch oder, wie die Fabers, protestantisch sind. Heute mag dies wenig relevant erscheinen, doch implizieren diese drei Religionen erhebliche Unterschiede im Arbeitsethos: Verallgemeinert gesagt, vertraut die katholische Mehrheit auf die bestehenden Strukturen der Zünfte und damit auf Organisationsformen, die ins Mittelalter zurückreichen. Alles Neue wird scheel beäugt und vorerst strikt abgelehnt. Juden und Protestanten wiederum eint die Minderheitenstellung, aus der heraus sie sich gegen die skeptisch bis feindlich gesinnte Umwelt durchsetzen und etablieren müssen. Die Juden unterliegen zudem strengen Gesetzen, sie haben kein freies Niederlassungsrecht und dürfen nur wenige Berufe ausüben, auch ist es ihnen bis 1848 nicht gestattet, in den größeren Städten zu wohnen. Die Rechte der Protestanten sind ebenfalls eingeschränkt, doch setzen sie sich mit ihrem strengen Arbeitsethos langsam, aber sicher durch.

Eine interessante Mischung also, die aus Mähren ein blühendes Industrieland macht – von Zuckerraffinerien über Eisenindustrie bis zum Maschinenbau und eben der Textilbranche reicht die Palette der Innovationen.

Das Unternehmen von Josef Damböck und Moritz Faber wächst und wächst, weitere Maschinen werden angeschafft, eine eigene Stickereifabrik kommt hinzu. Namhafte Künstler entwerfen Muster für M. Faber & Co., wie die Firma mittlerweile heißt, und prägen damit die Entwicklung der Mode des 19. Jahrhunderts.

Eine der herausragenden Persönlichkeiten der Firmengeschichte ist Arthur Faber49, der Mitte des 19. Jahrhunderts in das florierende Familienunternehmen einsteigt und es maßgeblich prägt. Trotzdem findet er Zeit, sich auch gesellschaftlich zu engagieren – und dies hängt mit der Musik und mit dem Attersee zusammen. Arthur und seine Frau Bertha pflegen enge Beziehungen zu Johannes Brahms und dem Geiger Joseph Joachim, Letztere gehören auch zum Freundeskreis von Ignaz Brüll, der seine Sommer in Unterach auf dem Berghof verbringt (siehe Kapitel 21).

Bertha lernt Brahms in Hamburg kennen, wo sie ein Jahr bei ihrer Tante verbringt und in einem Frauenchor singt. Dieser wird von Johannes Brahms geleitet, der sich für die Wienerin besonders interessiert. Bertha kehrt nach Wien zurück und heiratet 1862 Arthur Faber. Auch Brahms übersiedelt bekanntlich nach Wien und zählt in weiterer Folge zu den engsten Freunden des Ehepaares, dem er ein besonderes Geschenk macht: Zur Geburt des zweiten Sohnes Hanns im Jahr 1868 widmet er den jungen Eltern sein wohl berühmtestes Lied, Guten Abend, gut Nacht, als Willkommensgruß für den kleinen Buben. Brahms verbindet dies mit einer besonderen Botschaft an Bertha: In der Klavierstimme verarbeitet er ein altes Wienerlied, das ihm Bertha in Hamburg vorgespielt hat – ein wunderbarer Beweis großer Zuneigung und musikalischen Humors. Die Liebe zur Musik veranlasst Arthur Faber auch, Förderer des neuen Wiener Musikvereins zu werden.

Bald zählt ein weiterer Brahms-Vertrauter zu den Freunden der Fabers: der große Chirurg Theodor Billroth, der seine Sommer in St. Gilgen verbringt und dessen größtes Anliegen es ist, ein modernes Spital mit zeitgemäßer Pflegerinnen-Ausbildung zu schaffen. Auch hier, im neu gegründeten Rudolfiner-Haus in Wien-Döbling, engagiert sich Arthur Faber und fungiert als Präsident.

Am Ende des 19. Jahrhunderts beschäftigen sich viele Industrielle mit den Lebensbedingungen ihrer Arbeiter und Angestellten, ganze Städte und Siedlungen entstehen, um eine adäquate Unterbringung zu gewährleisten. Arthur Faber steht dem in nichts nach und publiziert 1889 ein schmales Büchlein mit dem Titel Arbeitsverhältnisse und Wohlfahrts-Einrichtungen der k. u. k. priv. Heinrichsthaler Bobbinet- und Spitzenfabrik Arthur Faber als Beitrag zur Deutschen Allgemeinen Ausstellung für Unfallverhütung in Berlin. Die von ihm veranlassten Verbesserungen der Lebensbedingungen werfen ein interessantes Licht auf die Zustände, die davor herrschten. Arthur Faber trachtet danach, seinen Arbeitern den Arbeitsweg zu verkürzen, und erbaut daher in der Nähe der Fabrik Häuser – ein Vorteil für alle Seiten, denn die Erkrankungen aufgrund von langen Märschen bei Wind und Wetter, Regen und Schneefall sinken rapide. Eine Krankenkasse und eine Pensionskasse werden eingeführt, ebenso der Anspruch auf Urlaub – eine fast schon revolutionäre Neuerung.

Und es wäre nicht Arthur Faber, wenn ihm die Musik nicht auch hier besonders am Herzen läge: Eine Blaskapelle entsteht, deren Mitglieder den Lehrlingen der Fabrik Unterricht erteilen, jedoch: »Wir sind in der Auswahl der Gelegenheiten, wo diese jugendliche Kapelle öffentlich auftreten darf, sehr streng, da uns dabei nicht als Zweck vorschwebt, sie vielleicht durch ermüdendes Aufspiel zum Tanz einen Nebenverdienst erwerben zu lassen, sondern ihnen in einer guten technischen Grundlage einen Schatz für’s spätere Leben mitzugeben.«50 Musik nicht nur zum Vergnügen, sondern mit ethischem Anspruch.

Dazu passt auch Fabers Engagement für die Erziehung der Kinder seiner Angestellten. Ein Kindergarten kümmert sich um die Arbeiterkinder, denn deren Situation entsetzt Arthur Faber: »Die Kinder hatten ein trotziges, scheues Wesen und lagen meist schreiend und balgend auf der Straße herum, der Gefahr vorüberfahrender Wagen ausgesetzt.«51 Der Kindergarten bietet regelmäßige Mahlzeiten, Kleidung, Beschäftigung und Erziehung. Und das alles auf Deutsch in einer rein tschechischen Umgebung, um den Kindern bessere Chancen für die Zukunft zu bieten, denn Deutsch ist die Amtssprache der Monarchie. Ähnliches gilt für die neu errichtete Schule, die sich der weiteren Erziehung annimmt.

In dieser Atmosphäre der Rechtschaffenheit und sozialen Verantwortung wächst Arthur Fabers Sohn Richard auf. 1886 tritt er in die Firma ein und kann noch nicht ahnen, dass schwierigste wirtschaftliche Zeiten auf ihn zukommen. Doch in den ersten Jahrzehnten seiner Tätigkeit läuft alles prächtig, Spitzen, Tüll und Vorhangstoffe finden dank eines umfangreichen Vertriebsnetzes erfolgreich ihren Weg in alle Regionen der großen Monarchie.

1902 erwirbt Richard um 72 000 Kronen einen stattlichen Besitz in Attersee – ganz in der Nähe des Yacht-Clubs, kein unwichtiges Kriterium für einen fanatischen Segler. Wirklich interessant gestaltet sich die Dokumentation der Baugeschichte des dort entstehenden prachtvollen Hauses, wirft sie doch ein bezeichnendes Licht auf den Stellenwert von Archivalien. Denn anhand der Aktenlage können weder der Architekt noch der Zeitpunkt des Baues eindeutig fixiert werden. Ein erstaunlicher Befund, handelt es sich doch nicht um ein unbedeutendes Haus nach einem gängigen Schema, sondern um eine herrschaftliche Villa mit durchaus eigenständigem Aussehen. Die ältesten Pläne sind mit 1904 datiert52, als Architekt wird Max Fabiani angenommen – da der Bauherr selbst großes architektonisches Interesse hat, hat er wohl bei der Planung viele seiner eigenen Ideen umsetzen lassen und so ein gemeinsames Projekt geschaffen. Spektakulär ist neben dem aufwendig gestalteten Park vor allem das Bootshaus, 1909 von den Architekten Franz von Krauß und Josef Tölk erbaut, dessen Turm man schon von Weitem sehen kann. Es ist so großzügig dimensioniert, dass man mit aufgetakeltem Boot hineinfahren kann – eine Seltenheit im Salzkammergut, aber für einen passionierten Segler wie Richard Faber völlig passend.


Werbung für die Spitzenprodukte der Firma Faber im Jahrbuch des Yacht-Clubs Attersee, 1936


»Kiellinie beim Ansegeln« lautet die Beschriftung im Fotoalbum der Familie Meiss-Teufen (links). Am Boot darf ein Radio nicht fehlen (rechts). 1928

In den 1920er- und 1930er-Jahren entwickelt sich die Villa Faber zu einem gesellschaftlichen »Hotspot«53. Anlässlich der vielen Regatten auf dem See finden regelmäßig Feste statt, zu denen sich die gesamte Atterseer Sommergesellschaft einfindet. 1930 gibt es eine Premiere: Erstmals in Oberösterreich veranstaltet der Yacht-Club eine »Außenbordmotor-Regatta«, wie die erste Motorboot-Regatta etwas umständlich genannt wird. Die Boote erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 55 km/h, nur das Boot eines Prinzen Liechtenstein schafft es angeblich auf 75 km/h, wie die Linzer Tages-Post am 22. August 1930 begeistert berichtet: »Die spannenden Kämpfe wurden von zahllosen Motorbooten und Ruderbooten beobachtet. Auch auf dem Klubplatz herrschte reges Leben. Das neuartige Rennen bildete damit einen glänzenden Abschluß der diesjährigen Atterseewoche. Mittags fand dann ein Frühstück und Empfang beim Vizepräsidenten des Klubs Generaldirektor Doktor Richard Faber statt.« Zehn Jahre später stirbt Richard Faber und mit ihm eine unwiederbringliche Epoche der Sommerfrische. In der Todesanzeige der Firma M. Faber & Co. werden seine Verdienste zusammengefasst: »Wir verlieren in dem Dahingeschiedenen den langjährigen zielbewußten Führer, der sich durch seine hervorragenden Kenntnisse, seine unermüdliche Arbeitskraft, durch seinen vornehmen Charakter und seine Fürsorge für alle seine Mitarbeiter unvergängliche Verdienste um unser Unternehmen erworben hat. Er wird uns stets ein leuchtendes Vorbild bleiben.«54


Der Yacht-Club Attersee in frühen Jahren

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