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Kapitel 5 U2 ab Burgstraße

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Die Türen der U-Bahn schlossen sich mit dem typischen Piepen, das die Fahrgäste davor warnen sollte, noch einzusteigen, aber regelmäßig das Gegenteil erreichte. Auch jetzt fingen zwei Teenager an zu rennen und quetschten sich noch in letzter Sekunde in den Wagon, wodurch sie eine Frau mit Kinderwagen zwangen den Geschäftsmann neben sich näher kennen zu lernen. Johanna achtete weder auf das Gedränge um sie herum noch auf den durchdringenden Warnton. So häufig, wie sie den öffentlichen Nahverkehr frequentierte, hatte sie gelernt, ihre Umgebung dabei auszublenden (nur beim Geruch von Döner aus der Sitzreihe hinter ihr gelang ihr das noch nicht ganz).

Überhaupt hatte sie von Zeit zu Zeit das Gefühl, in den muffigen Wagons zu leben: Von der WG ins Büro, von dort zu Moritz, zurück in die WG, nochmal zu Moritz, am Morgen wieder ins Büro, am Wochenende zu ihren Eltern und zwischendurch den Einkauf nicht vergessen… Es war doch wirklich ein Segen, wie gut das Hamburger Schienennetz ausgebaut war! Manchmal fragte Johanna sich, ob andere Fahrgäste sie wohl wiedererkannten und bei sich dachten: Ach, die sieht aber noch gut aus, dafür, dass sie in der U2 wohnt! Aber nein, wenn sie jemand beobachten sollte, würde er schnell merken, dass sie immer nur zwischen der Haltestelle Burgstraße und dem Hauptbahnhof pendelte. Um dort in eine andere Linie zu wechseln…

Mit einem Mal fühlte Johanna sich jetzt wirklich beobachtet und blickte auf. Neben ihr stand eine adrette, ältere Dame, in deren bohrendem Blick eine unmissverständliche Aufforderung lag. „Darf ich Ihnen meinen Platz anbieten?“, fragte Johanna folgsam und noch während sie ihre Tasche und Jacke zusammenraffte, war die Dame auf den freigewordenen Sitz gehüpft. „Gern geschehen“, murmelte Johanna und zwängte sich in eine Ecke. Sie holte ihr Notizbuch wieder hervor, obwohl sie gar nicht wusste, was sie notieren wollte. Seit sie sich verboten hatte, ihre bösen Gedanken auf Papier zu bringen, fehlten ihr immer häufiger die Worte. Aber die Gedanken waren trotzdem da, deswegen musste sie sich irgendwie ablenken. Am besten mit etwas Zielführendem, alles andere war schließlich sowieso Zeitverschwendung.

To Do

Online-Banking

Friseurtermin

Mantel in die Reinigung!

Den würde sie bald brauchen, denn morgens war es bereits empfindlich kalt. Johanna sah gedankenverloren durch die Scheibe in eine hellerleuchtete Haltestelle, ohne wahrzunehmen, welche es war. Dann beschleunigte die U-Bahn wieder und tauchte in ihren dunklen Tunnel. Dunkel und endlos, dachte Johanna, auch wenn das natürlich Unsinn war.

Zahnarzt:

26.11. 15:00 Uhr

! Hajo ansprechen !

„Und? Wie war dein Tag?“, erkundigte Linea sich, während sie sich mit ihrer Teetasse in der Größe einer Blumenvase unter der Decke verkroch.

„Gut, denke ich“, erwiderte Johanna und setzte sich zu ihr aufs Sofa. „Gib‘ mir was von der Decke ab!“

„Was heißt ‚denke ich‘?“, hakte Linea so unbarmherzig nach, wie nur gute Freundinnen es können.

„Wir haben ein Projekt abgeschlossen.“

„Ok, das ist doch wirklich gut, oder?“

„Nicht für den Kunden“, erklärte Johanna, „denn wir haben einen Scherbenhaufen hinterlassen. Aber gut für Hajo, denn er konnte eine gesalzene Rechnung schreiben.“ Sie angelte ein paar Nüsse aus der Schale auf dem Couchtisch und knabberte daran wie ein Eichhörnchen. „Und was gut für Napoleon ist, muss wohl auch gut für uns sein“, fügte sie hinzu.

Weihnachten / Geschenke

- Mama – Jonas ist dieses Jahr dran!

- Papa – siehe oben

- Linea – Gemeinsamer Sushi-Kurs (trotz der Algen …)

- Moritz – ???

Die Tür des Glaskastens öffnete sich, Hajo trat hinaus und alle Blicke richteten sich auf ihn. Er winkte gönnerhaft, als wäre er ein Popstar auf dem roten Teppich. Johanna versuchte einzuschätzen, wie es um seine Laune bestellt war: Sein Grinsen war so erzwungen, dass die Kiefernmuskulatur unnatürlich hervortrat. Das war nie ein gutes Zeichen, aber eigentlich hatte Johanna gar keine Wahl. Sie hatte ihr Anliegen so lange aufgeschoben, dass sie jetzt unter Zeitdruck stand. „Hajo? Hast du eine Minute?“, fragte sie und versuchte, dabei möglichst locker zu klingen.

„Klar!“ Das Grinsen wurde noch breiter (oder vielleicht wollte er sie fressen?).

„Ich habe morgen einen Termin beim Zahnarzt. Um 15:00 Uhr. Könnte ich ab Mittag im Home Office arbeiten? Dann wäre ich nur eine knappe Stunde nicht erreichbar. Die Praxis ist gleich bei mir um die Ecke.“

Hajo setzte blitzschnell eine bedauernde Miene auf und schüttelte langsam den Kopf. „Aber Johanna, du weißt doch…“

…dass ich dich nicht dafür bezahle, dass du dir in Ruhe die Fußnägel lackierst, ergänzte Johanna in Gedanken und fügte schnell hinzu: „Oder ich verlege den Termin, gar kein Problem!“ Sie ärgerte sich, dass sie überhaupt gefragt hatte.

„Ich sehe, wir verstehen uns!“

Als Hajo im Vorraum verschwunden war, wo er wie immer die Gelegenheit nutzte, die arme Nana anzuschnauzen, holte Johanna ihr Handy hervor, um in der Arztpraxis anzurufen. Garantiert würde sie erst in mehreren Monaten einen neuen Termin bekommen… Sie suchte gerade nach der Telefonnummer, da ging eine Nachricht ein, die aber leider auch nicht zur Verbesserung ihrer Stimmung beitrug: Jonas fragte, ob sie sich nicht - ausnahmsweise! - auch in diesem Jahr um die Weihnachtsgeschenke für ihre Eltern kümmern könnte.

Geschenk Mama & Papa

1) Theaterkarten (oder Musical?)

2) Abendessen: Jonas und ich kochen während der Vorstellung (Menü? JONAS SCHNEIDET AUF JEDEN FALL DIE ZWIEBELN!!!)

Im Badezimmer rauschte die Dusche. „Moritz? Hast du mein Handy gesehen?“ Johanna klopfte gegen die Tür, aber nichts regte sich. „Moritz, ich hab‘s eilig!“ Sie war kurz davor, die Tür einzutreten, als sich diese öffnete und ihr Freund mit einem Handtuch um die schmalen Hüften hinauskam. Seine feuchten Haare hingen ihm verwegen in die Stirn und seine Muskeln glänzten nach dem großzügigen Einsatz von Bodylotion. Johanna schnupperte. Sie liebte diesen Duft! Außerdem sah Moritz gerade so umwerfend aus, dass sie für einen Augenblick alles andere vergaß. Dieser Zustand hielt aber nicht lange an und sie wiederholte ungeduldig: „Weißt du, wo mein Handy ist?“

„Hanni-Bunny, entspann‘ dich!“ Er versuchte, sie zu küssen, aber Johanna zwängte sich an ihm vorbei, um das Badezimmer abzusuchen.

„Ich kann mich nicht entspannen, ich muss los! Denn im Gegensatz zu dir muss ich arbeiten und vorher noch meinen Laptop von zu Hause holen“, giftete sie ihn an, was ihr sofort leidtat.

„Merkst du was?“ Moritz folgte ihr mit aufreizender Langsamkeit.

„Was? Hilf‘ mir lieber!“

Moritz hob willkürlich ein paar Handtücher an, die er auf dem Boden liegen gelassen hatte, was das Smartphone aber auch nicht zum Vorschein brachte. „Naja, dass es viel praktischer wäre, wenn dein Zuhause hier wäre. Dann müsstest du nicht immer hin- und herfahren und hättest mehr Zeit.“ Er schob sich von hinten an sie und knabberte an ihrem Ohr. „Für uns!“

Johanna versteifte sich. Sie kannte und fürchtete dieses Thema, denn obwohl sie Moritz liebte, verspürte sie einen unerklärlichen Widerwillen, wenn es darum ging, mit ihm zusammenzuziehen. Vielleicht lag es daran, dass er auf seine protzige Wohnung bestand. Johanna hätte lieber eine neue gemeinsame Bleibe mit ihm ausgesucht, zusammen eben. Wenn überhaupt. „Du weißt doch, dass das erst geht, wenn Linea mit dem Referendariat durch ist. Sie kann sich die Miete für die Wohnung alleine nicht leisten“, erklärte sie wie jedes Mal, wenn das Thema zur Sprache kam.

„Sie kann sich doch einen anderen Mitbewohner suchen. Deine beste Freundin will deinem Glück garantiert nicht im Weg stehen!“

„Nein, bestimmt nicht, aber… Ich wohne ja auch gerne da. Lass‘ mich das doch noch ein bisschen auskosten, bevor wir richtig erwachsen werden!“ Sie küsste ihn auf die Nasenspitze.

„Na gut“, erwiderte Moritz gedehnt. Er grinste schief, aber Johanna wusste, dass er sich zurückgesetzt fühlte.

Tomaten

Paprika

Milch

Frischkäse

Brot

Haarspray

Schokolade für Nana!

„Hanna! Da bist du ja endlich!“ Oke kam ihr strahlend entgegen und zog sie in seine Arme. Er war groß und so gemütlich, dass Johanna das Gefühl hatte, mit einem überdimensionalen Teddy zu kuscheln. Das war auch gar nicht so falsch, denn Oke war seit der Schulzeit ihr Tröster, Beschützer und bester Freund. Mit Linea waren sie später zum perfekten Trio geworden.

Johanna befreite sich lachend aus seiner Umarmung und zog erstmal Jacke und Schuhe aus. Sie hatte wieder einmal zu lange gearbeitet, dabei hatte sie sich schon die ganze Woche auf diesen Abend gefreut. Sie waren zum Raclette-Essen verabredet, um Silvester sozusagen nachzufeiern. Den Jahreswechsel hatte Linea nämlich mit einem fiesen Magen-Darm-Virus über der Kloschüssel verbracht. Inzwischen war schon Februar, aber sie hatten einfach keinen früheren Termin gefunden (was größtenteils an Johanna lag) und eigentlich war es ja auch ganz egal, wann man sich mit lieben Menschen zum Essen traf. Warum musste es also der 31. Dezember sein? Genauso gut konnten sie den zweiten Freitag im Februar feiern!

Oke und Linea hatten in Johannas Abwesenheit alles vorbereitet, sodass diese sich nur noch an den reich gedeckten Tisch setzen musste. Das Raclette-Gerät verströmte angenehme Wärme und Johanna seufzte, dieses Mal hochzufrieden. Endlich Wochenende!

Ihr bester Freund sah sie aber nachdenklich an, die buschigen Brauen gerunzelt wie ein alter Seebär. „Hanna, geht’s dir nicht gut?“

Sie stutzte, überrascht über die Frage. „Doch! Wieso fragst du?“

„Du siehst so…“

„…ausgekotzt aus!“, ergänzte Linea mitleidlos.

„Nein, so wollte ich das nicht sagen“, verteidigte sich Oke und rieb sich unbehaglich den Nacken. „Es ist nur… Du hast abgenommen…“

„Gut, oder?“ Johanna sah an sich herunter. Es stimmte, dass sie seit einiger Zeit Gewicht verlor, obwohl sie gar nichts dafür tat.

„Ja, schon. Mir hast du vorher aber auch gefallen“, erwiderte Oke.

„Du bist ja auch nur mein bester Freund!“

„Nur dein bester Freund, hör‘ sich das einer an.“ Er knuffte sie freundschaftlich in die Seite und alle drei mussten lachen. Oke wurde aber schnell wieder ernst und fügte hinzu: „Du hast aber auch so dunkle Augenringe wie ein Zombie. Mal ehrlich, ist wirklich alles ok? Uns kannst du es doch sagen!“

„Alles gut!“, entgegnete Johanna schnell. „Wirklich!“, betonte sie, als sowohl Oke als auch Linea sie zweifelnd ansahen. Es war nicht so, dass sie die beiden anlügen wollte, aber ihr war gerade eben klar geworden, dass sie die Antwort auf diese einfache Frage eigentlich selbst nicht kannte. Das war kompliziert und Johanna wollte nicht, dass es kompliziert war. Ihr Leben verlief schließlich nach Plan.

Folie 2: Tabelle ergänzen

Folie 5: Bild einfügen (Quellenangabe?)

Folie 11: Werte überprüfen, ggf. runden

Johanna legte ihr Notizbuch zur Seite und streckte sich wieder auf dem Sofa aus. Sie schrieb sich jedes To-Do zu ihrer wichtigen Präsentation lieber gleich auf, denn im Moment vergaß sie ständig irgendetwas, konnte sich schlecht konzentrieren und neigte zu Kopfschmerzen. Vielleicht war eine Erkältung im Anflug.

„Soll ich dir einen Tee machen?“, erkundigte sich Moritz, als hätte er ihre Gedanken erraten. Johanna nickte und als er wenig später mit der dampfenden Tasse zurückkam, legte er ihr fürsorglich eine Decke um die Schultern. „Wollen wir heute irgendwas mit Liebe gucken?“, fragte er und griff zur Fernbedienung. Das war ziemlich süß von ihm, denn er hasste romantische Komödien. Überhaupt war er im Moment einfach nur lieb und verständnisvoll. Trotzdem empfand sie erstaunlich wenig, als er sie jetzt küsste. Was war nur mit ihr los?

Leer

Johanna starrte auf die makellos weiße Seite, auf die sie gerade ein einzelnes Wort geschrieben hatte. Das einzige Wort, das ihr einfiel. Es schwoll in ihrem Kopf an, betäubte ihre herumwirbelnden Gedanken und hinterließ nur ein dumpfes Dröhnen. Sie fühlte sich genauso wie dieses Blatt Papier. Leer. Eingezwängt zwischen neunundneunzig weiteren Seiten in einem Notizbuch. Kurz erschreckte sie diese Erkenntnis, aber dann gewann die Leere wieder die Oberhand, was nicht unangenehm war.

Vor dem Fenster zog die Schwärze des U-Bahn-Tunnels vorbei, unterbrochen von den immer gleichen U-Bahn-Stationen. „Nächster Halt: Burgstraße“, verkündete eine mechanische Frauenstimme. Johanna griff nach ihrer Tasche, aber sie stand nicht auf. Die Wagons kamen zum Stehen und die Türen öffneten sich. Dann schlossen sie sich wieder (nervtötendes Piepen) und die U-Bahn fuhr wieder an. Johanna saß immer noch auf ihrem Sitz und wartete darauf, wieder in die Dunkelheit einzutauchen. Viele Meter über ihr wurde es wohl gerade Frühling, aber irgendetwas in ihr war noch eingefroren.

Wahrscheinlich war es ihr Herz.

Rapsblütenherz

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