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Aus dem Tagebuch von Audrey Camherst

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7. Pluvis

Oh, Cora ist clever. Sie mag zwar eine fürchterliche Übersetzerin sein, aber sie hat einen sehr geordneten Verstand und hat etwas entdeckt, das ich noch nicht bemerkt hatte.

Ich habe schon erwähnt, dass die Tafeln, als ich zum ersten Mal in die Bibliothek kam, in einer Reihe ausgelegt waren. Ich bin so daran gewöhnt, mit Texten zu arbeiten, an denen bereits jemand gearbeitet hat, dass mir nie der Gedanke gekommen wäre, dass irgendetwas seltsam daran war, als ich um die erste Tafel bat und sie mir diese ohne Zögern reichte. Aber natürlich hätte ich mich wundern müssen: Woher wusste sie, dass diese die Erste war?

Die Antwort liegt natürlich in dem Teil, den ich bereits übersetzt habe. Sie war zwar wohl nicht fähig, ihn sehr gut zu lesen, aber sie konnte sehen, dass er anders war. »Dieser Teil war mit einer horizontalen Linie abgetrennt«, sagte sie, als ich sie fragte. »Keine von den anderen hat einen abgetrennten Teil, nicht so. Es schien mir nicht logisch, dass sie das am Ende der Reihe machen würden oder irgendwo in der Mitte – nicht, wenn es in der oberen Ecke war wie hier.«

»Es ist beinahe wie ein Kolophon«, sagte ich und beugte mich über die fragliche Tafel. »Dann aber auch wieder nicht. Normalerweise verrät einem ein drakoneischer Kolophon alle möglichen Dinge, von einer Zusammenfassung des Texts oder einigen Schlüsselsätzen bis dahin, welcher Schreiber ihn verfasst hat oder wer ihn in Auftrag gegeben hat und warum. Dieser gibt eine Art Zusammenfassung, aber der Rest jener Informationen ist nicht da. Ist er auf der letzten Tafel? Manchmal haben sie ihn stattdessen ans Ende gesetzt.«

Cora schüttelte den Kopf. »Falls er das ist, haben sie ihn nicht markiert.«

Ein schneller Blick auf die letzte Tafel in der Sequenz reichte, um mir zu verraten, dass der letzte Text auch kein Kolophon war. Dann runzelte ich die Stirn und blickte an dem Tisch entlang. »Bist du sicher, dass das hier der Letzte ist?«

»So sicher, wie ich sein kann«, sagte Cora. »Ich habe sie zuerst geordnet, bevor ich versucht habe, mit der Übersetzung anzufangen.«

Ich war von einem Mysterium ins nächste gestolpert. »Woher weißt du, dass sie in der richtigen Reihenfolge sind?«

Obwohl ich mit meinem Kopieren noch nicht sehr weit gekommen war, hatte ich mir jede Tafel angesehen und das Fehlen einer Nummerierung bemerkt. Was Sinn ergibt. Dieser Text ist offensichtlich ein sehr früher und scheint vor der Idee zu datieren, eine Zahl und das Incipit des Texts an den Rand der Tafel zu schreiben, um Dokumente besser zusammen und in Ordnung halten zu können. Aber ohne dies und ohne die Fähigkeit, den Text zu lesen, wie um aller Welt hatte Cora irgendeine Ahnung über ihre Reihenfolge?

Sie strahlte, als ich sie das fragte. Ich glaube, sie wusste, dass sie etwas Kluges gemacht hatte, und war berechtigt stolz. »Schau«, sagte sie und hastete zurück zum Anfang der Reihe. »Siehst du das hier, am Ende dieser Tafel? Und dann den Anfang der nächsten.«

Ich sah es tatsächlich. Die letzte Glyphe auf der ersten Tafel war das Schriftzeichen für »zwei«, und das erste Symbol auf der zweiten Tafel war das Zeichen für »eins«. Die zweite Tafel endete mit »drei«, während die dritte mit »zwei« begann, und so weiter die Reihe entlang.

Was offensichtlich ist, wenn man weiß, worauf man achten muss – aber für jemanden wie Cora, deren Kenntnis der Sprache so rudimentär ist wie die eines Anevrai-Schuljungen, ist es eine gewaltige Leistung, das zu bemerken! Besonders, weil zwei von ihnen so schwer beschädigt sind (möge die Sonne verbrennen, wer auch immer dafür verantwortlich ist!). Und alle von ihnen haben natürlich Text auf beiden Seiten, die Ziffern aber nur am Anfang der Vorderseite und am Ende der Hinterseite, ohne irgendeine andere Markierung, die einem sagt, welche Seite welche ist. Ein schneller Blick zeigte mir sogar zwei Stellen, wo die Hinterseite mit einer Ziffer beginnt oder die Vorderseite mit einer endet, aber einfach als normaler Teil des Texts, nicht als Andeutung einer Reihenfolge. »Ja«, sagte Cora, als ich auf jene hinwies. »Die haben mir für eine Weile einen Haufen Schwierigkeiten gemacht.«

»Ich habe das nie zuvor gesehen«, sagte ich staunend, während ich hastig einige Notizen kritzelte. (Pfeif auf die Übersetzung. Ich vermute, ich könnte den Rest meines Lebens damit verbringen, Fachartikel und Monografien über andere Aspekte dieser Tafeln zu schreiben.) »Keiner von den drakoneischen Texten, die ich schon untersucht habe, hat diese Methode der Reihung benutzt. Und es ist so seltsam, dass es keinen Kolophon gibt – die haben sie bei so gut wie allem benutzt, was kein Dokument für den kurzen Gebrauch war, weil es die einzige Möglichkeit war, ihre Bibliotheken zu sortieren. Ich meine, das hier ist eindeutig ein sehr alter Text, also hatten sie jene Techniken vielleicht noch nicht entwickelt. Aber trotzdem.«

»Wie kannst du feststellen, dass er alt ist?« Cora nahm ihre Notizen zurück und steckte sie in eine Ledermappe weg. »Alle drakoneischen Texte sind alt. Aber du meinst, er ist noch älter, nicht wahr?«

Mich über die Reihe an Tafeln zu beugen, hatte meinen Rücken steif gemacht. Ich streckte ihn und dankte im Geiste meiner Utalu-Mutter, weil sie nie den Sinn von anthiopischen Korsetten gesehen hatte, selbst bevor diese aus der Mode gekommen waren. »Wegen der Orthografie – der Art, wie er geschrieben ist. Frühe Texte neigen dazu, fehlerhafte Doppelkonsonanten zu haben, was bedeutet, dass der Schreiber sie nicht beide geschrieben hat. Man muss einfach herausarbeiten, ob sie doppelt oder einfach sein sollten. Deshalb hattest du übrigens in deiner Übersetzung ›geschlafen‹ statt ›bepflanzt‹. Du wusstest nicht, dass der Schreiber im Verb ein verdoppeltes M gemeint hat. Und diese Tafeln sind so archaisch, dass sie Zeichen für dreiradikalige Wurzeln verwenden, die für jedes von einem Dutzend Nomen oder Verben stehen könnten, die aus jener Wurzel gebaut werden.«

Cora wirkte verwirrt. »Woher soll man wissen, welches es ist?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Man rät.«

Ihre Verwirrung verwandelte sich zu aufrichtigem Ärger. Meine Hand zur Sonne: Ich habe nie im Leben jemanden gesehen, der von Orthografie so erzürnt wurde. »Drakoneisch ist so«, sagte ich, als könne eine weitere Erklärung sie besänftigen. »Manchmal soll man ein bestimmtes Schriftzeichen als seine wörtliche Bedeutung lesen, zum Beispiel galbu für ›Herz‹. Manchmal soll man es stattdessen für seine Silbenbedeutung lesen, lal. Und manchmal ist es ein Determinativ – was bedeutet, dass man es überhaupt nicht ausspricht. Es ist nur da, um einem etwas über den nächsten Teil zu verraten. Der Herz-Determinativ bedeutet, dass was auch immer folgt eine Person oder Personen sind, selbst wenn es nicht so aussieht. ›Drei Herzschilfer‹ sind eigentlich ›drei Völker‹ im Sinn von Rassen oder Nationalitäten.«

Cora machte einige Male den Mund auf und zu, während sie nach Worten suchte. Schließlich fragte sie: »Wie kann irgendjemand diese Sprache lesen

»Mit großen Schwierigkeiten«, sagte ich schulterzuckend. »Jetzt weißt du, warum ich nicht einfach diese Tafeln nehmen und sie wie eine Speisekarte in einem thiessischen Restaurant vorlesen kann.«

»Ja, aber wie haben die sie gelesen? Die antiken Drakoneer?«

Ich lachte. »Genauso wie wir es tun. Einer der ersten Texte, die Großpapa komplett übersetzt hat, stellte sich als Brief von einem jungen Anevrai-Schreiber an den Priester in seinem Heimatdorf heraus, in dem er sich beschwert, wie sehr er es hasst, die Determinative zu lernen, und wie gnadenlos sein Lehrer ihn drischt, wenn er beim Vorlesen einen verdoppelten Konsonanten übersieht.«

»Das ist völlig irrational«, sagte Cora zornig. »Es muss so viele Möglichkeiten geben, die Bedeutung falsch herauszulesen.«

»Ja, aber allgemein wird einem nach einer Weile bewusst, dass man es tatsächlich falsch verstanden hat. Wir würden weniger Fehler machen, wenn wir die Sprache fließend sprechen würden, wie die Schreiber der Antike, aber natürlich müssen wir gleichzeitig auch den Wortschatz herausarbeiten. Wir sind seit dem Kataraktstein weit gekommen, wohlgemerkt – wir können jetzt ziemlich viel lesen. Aber es geht immer noch langsam.«

Ich glaube nicht, dass ich sie von irgendetwas überzeugt habe, obwohl ich, ehrlich gesagt, nicht sicher bin, ob es irgendetwas gibt, von dem ich sie überzeugen könnte. Die drakoneische Schrift ist wirklich ziemlich irrational, wenn man sie sich ansieht. Aber es war das erste Mal, dass irgendjemand irgendwo auf der Welt die Schrift erfunden hatte, und wir können ihnen nicht vorwerfen, dass sie beim ersten Versuch keine sehr gute Arbeit geleistet haben.

Und wenn man darüber nachdenkt, haben sie ausreichend gute Arbeit geleistet, dass ihre Texte über Jahrtausende überlebt haben und wir sie heute immer noch lesen können – wenn auch mit sehr viel Mühe. Ich wäre glücklich, wenn irgendetwas, das ich tue, ein Tausendstel so lange überdauert!

In der einleitenden Anrufung stand etwas über einen männlichen Drakoneer, der als Erster »Sprache in Ton aufzeichnete«. Falls das hier eine mythische Erzählung ist, beschreibt sie vielleicht, wie die Schrift und andere Dinge geschaffen wurden. Ich frage mich, wie sehr die Geschichten denen ähneln werden, an die man sich heute erinnert?

Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht

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