Читать книгу Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht - Marie Brennan, Marie Brennan - Страница 18
Aus dem Tagebuch von Audrey Camherst
Оглавление19. Pluvis
Ich schreibe es hier auf, damit ich keinen Rückzieher machen und vorgeben kann, dass ich diese Entscheidung nicht getroffen habe: Heute werde ich mit Lord Gleinleigh über Kudshayn sprechen.
Er ist endlich zurück auf Stokesley. Er war in einer geschäftlichen Angelegenheit in Thiessin und ist mit Kisten voller Neuerwerbe zurückgekommen – die Sonne weiß, wo er sie hinstellen wird, weil dieser Ort bereits bis an die Decke vollgestopft ist. Hauptsächlich eriganisch, wenn man das glauben kann. Er sagt, das sei wegen mir. Ich denke, er meint das schmeichelnd? Er wollte meine Meinung über sie, und ich musste mich zusammenreißen, um nicht zu sagen: »Ich hoffe, sie sind nicht geplündert.« Zum größten Teil sind sie keine Antiquitäten, aber ich kann mich nicht auf Stokesley umsehen, ohne Alan, Simeon und Großpapa in meinem Kopf zu hören, die alle im Chor mit den Zähnen knirschen. Nicht nur wegen des drakoneischen Materials, obwohl das natürlich das Furchtbarste ist. Ich bin mir sicher, dass Gleinleigh die Hälfte dieser Objekte vom Schwarzmarkt hat.
Vielleicht ist er, wenn ihm diese Übersetzung einen Haufen Geld einbringt, zufrieden genug mit mir, dass ich ihn überreden kann, mit so etwas aufzuhören.
Ganz ehrlich, es war eine gewisse Erleichterung, als er weg war. Ich bin froh, dass er mir auf jede erdenkliche Weise helfen will, aber es ist schnell deutlich geworden, dass Lord Gleinleigh die Art von Mann ist, die keine Idee sehen kann, ohne dieser seine eigenen »Verbesserungen« aufzudrücken. (Er hat im Glashaus Spiegel installiert, nachdem mir klar wurde, dass ich es nutzen konnte, um während Regenperioden an der Transkription zu arbeiten. Sie bringen nicht viel, wenn es draußen düster ist, und an sonnigen Tagen fühle ich mich wie eine Ameise, die von einem sadistischen Schuljungen gebrutzelt wird.)
Und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, fragt er, wie es läuft. Was ganz verständlich ist – nur dass ich sehen kann, wie sich die Zahnräder in seinem Kopf drehen wie bei einer Rechenmaschine und meinen derzeitigen Fortschritt mit dem Zeitplan abgleichen, den ich ihm gegeben habe. Es läuft relativ gut, aber dass er mir (bildlich gesprochen) mit einer Taschenuhr in der Hand über die Schulter späht, macht die Arbeit überhaupt nicht einfacher.
Ich muss allerdings zugeben, dass auf gewisse Weise seine Bedingung zur Geheimhaltung das hier doch einfacher macht. Wenn ich wie üblich an all meine Freunde und Verwandten schreiben würde, würden die mir (bildlich gesprochen) über die Schulter spähen, und auf deren Meinung gebe ich viel mehr als auf die von Lord Gleinleigh. Geheimhaltung bedeutet zumindest, dass Großpapa nie zu erfahren braucht, dass ich das hier ganz ohne die richtige Reihenfolge gemacht habe, indem ich laufend übersetzt habe, statt das ganze Ding zuerst zu kopieren und zu transkribieren.
Er hat wahrscheinlich recht, dass ich das irgendwann bereuen werde. Später wird mir bewusst werden, dass der Schreiber eine gewisse Eigenart hatte, die ich übersehen habe, weil ich die Sache stückweise angegangen bin, oder etwas anderes derart Närrisches. Aber bisher bereue ich es sicherlich nicht! Bei den meisten Texten reicht das Kopieren und Transkribieren, um einen guten Eindruck davon zu vermitteln, was da steht, und nur Teile fühlen sich hier und dort an, als würde man Kopf voraus gegen eine Ziegelmauer rennen. Dieser hier ist ein langes Stück Ziegelmauer, das von gerade genug leicht zu Lesendem durchzogen ist, um einen zu falschem Optimismus zu verleiten. Wenn ich nicht übersetzen würde, während ich daran arbeite, müsste ich Ewigkeiten warten, um herauszufinden, was da steht! Ich bin nicht aus Stein. (Obwohl ich annehme, dass die Anevrai sagen würden, dass ich das doch bin, weil ich ein Mensch bin und so. Vorausgesetzt, āmu bedeutet wirklich »Mensch«.)
Jetzt habe ich den Faden verloren. Lord Gleinleigh – richtig. Wir essen heute gemeinsam zu Mittag (Cora speist immer noch nicht mit mir). Ich habe vor, dann zu fragen. Ich bin ein wenig besorgt, dass er glauben wird, ich breche mein Versprechen zur Geheimhaltung, aber ich werde kein Wörtchen verraten, selbst an Kudshayn, außer Gleinleigh erlaubt es mir.
Ich bin jedoch fest entschlossen, ganz sicherzustellen, dass er mir die Erlaubnis gibt. Denn nach dem, was ich bisher von dem Text gesehen habe, ist er nicht einfach Geschichtsschreibung. Er ist eine heilige Geschichte. Und es ist einfach nicht richtig, dass ein Mensch wie ich der Erste ist, der ihn liest.
Später
Ich habe Tage damit verbracht, mir Möglichkeiten auszumalen, wie dieses Gespräch wohl laufen könnte, und keine davon sah annähernd so aus wie das, was tatsächlich passiert ist.
Es hat angefangen, wie ich erwartet hatte, weil er natürlich gefragt hat, wie die Übersetzung vorangeht. Ich bin schamlos: Ich habe vorgegeben, dass meine ungeordnete Herangehensweise eigentlich zu seinem Wohl diente. »Ich weiß, dass Sie sehr begierig sein müssen zu erfahren, was da steht«, erklärte ich ihm, »und so habe ich laufend übersetzt, statt zuerst alles zu kopieren und zu transkribieren. Gerade gestern bin ich mit der ersten Tafel fertiggeworden – obwohl es kaum so geschliffen ist, wie der endgültige Entwurf sein wird.«
Lord Gleinleigh blickte kaum von seinem Teller auf. Er sagte bloß: »Ausgezeichnet. Es freut mich, das zu hören.«
Dieser Mann! Ich fragte: »Wollen Sie nicht wissen, was da steht?«
Genau das frustriert mich am meisten an ihm. Er ist in größter Eile, sicherzustellen, dass diese Tafeln übersetzt werden, aber ich schwöre, er schert sich keinen Heller darum, worum es auf ihnen geht. Er will nur als der Mann berühmt werden, der sie gefunden hat. Ich kann das einfach nicht verstehen. Sie sind Klumpen aus gebranntem Ton, Himmel noch mal! Sie haben von sich allein aus überhaupt keinen Wert. Ich könnte hingehen und meine eigenen machen, wenn ich wollte, wie damals, als ich neun war und Mama und ich auf dieser Insel in der Bucht von Trayarupti gestrandet waren. Ihr einziger Wert ist das, was sie uns erzählen können. Und dennoch ist das der Teil, der ihn am wenigsten interessiert.
Also ist mein Tonfall vielleicht etwas scharf geraten. Ausreichend, dass Lord Gleinleigh sein Messer und seine Gabel weglegte und sagte: »Ja, natürlich. Ich werde es heute Abend lesen, wenn Sie wollen. Aber geben Sie mir jetzt einen generellen Eindruck.«
»Es ist eine Schöpfungsgeschichte«, sagte ich beflissen. (Vielleicht habe ich meinen Enthusiasmus ein wenig über sein natürliches Maß hinaus gesteigert, in der Hoffnung, ihn auch enthusiastisch zu machen – aber größtenteils war dieser aufrichtig.) »Aber nicht die, die die modernen Drakoneer erzählen! Natürlich ist das nur zu erwarten. Immerhin sind Jahrtausende vergangen, ganz zu schweigen von sehr vielen Veränderungen in ihrer Gesellschaft. Man würde nicht erwarten, dass Leute, die in Dörfern im eisigen Gebirge leben, dieselben Geschichten erzählen wie die Herrscher eines weltumspannenden Reichs. Aber es gibt einige faszinierende Ähnlichkeiten. Sind Sie damit vertraut, wie die modernen Drakoneer denken, dass sie erschaffen wurden?«
Er wandte sich wieder seinem Rindfleisch zu, gab mir aber einen Wink, dass ich fortfahren sollte. Ich hatte mich für mein Thema erwärmt und sagte: »Laut ihrer Geschichte machte die Hitze der Sonne den Wind, der Wind wurde zu vier drakoneischen Schwestern, und die Schuppen, die sie abwarfen, wurden zu Bergen. Und ich vermute, die Berge schufen die Schwerkraft oder so etwas – sie erzählen es nicht so, aber das Gewicht der Berge zerrte die Schwestern auf die Erde herunter, was für mich wie Schwerkraft klingt.
Die Schwestern waren tieftraurig, weil sie nicht länger fliegen konnten, sondern nur ein wenig gleiten. Sie weinten, und das schuf die Gewässer der Welt, all die Flüsse und Seen und so weiter. Dann badeten sie sich, und dies schuf neue Kreaturen. Weil männliche Drakoneer mit Schrift und Sprache assoziiert werden, sagen sie, dass das Wasser, mit dem sich die Schwestern den Mund reinigten, den ersten Bruder schuf. Dann wurden aus dem Wasser, das sie benutzten, um ihre Vorderseite zu waschen, die ersten Menschen – die Vorderseite eines Drakoneers ist menschenähnlicher –, und das Wasser, das sie benutzten, um ihren Rücken und ihre Schwingen zu waschen, schuf die ersten Drachen.«
»Und das ist nicht die Geschichte auf meinen Tafeln.«
Ich spannte mich an, als ich hörte, wie er sie »meine Tafeln« nannte. Mal abgesehen von meinen eigenen besitzergreifenden Gefühlen ihnen gegenüber: Sie sind ein Schatz für die ganze Welt, nicht nur für einen Grafen. Aber ich zwang mich zu lächeln. »Nein, die Geschichte auf den Tafeln bringt die Schöpfung in eine andere Reihenfolge. Aber sie spricht von einer Dreifaltigkeit – drei Göttern, obwohl sie nicht das Wort ›Gott‹ nutzt; ich könnte mir vorstellen, dass man das in der Antike nicht betonen musste –, die die moderne Geschichte ein wenig widerspiegeln, weil es klingt, als seien sie die Sonne, der Wind und die Erde. Die Reihenfolge der Schöpfung ist allerdings anders. Sie schaffen die Welt, dann Drachen, dann Menschen, und schließlich Drakoneer, statt dass die Drakoneer zuerst kommen.« Ich habe ihm nicht erzählt, dass die Tafel sowohl Drachen als auch Menschen zu gescheiterten Prototypen auf dem Weg, die besten Wesen zu schaffen, erklärt. Das hätte ihm gegen den Strich gehen können, gerade wenn ich wollte, dass er gute Laune hatte. Und es ist ja nicht so, als wären unsere eigenen Heiligen Schriften in einigen Dingen sehr schmeichelhaft.
»Faszinierend«, sagte Lord Gleinleigh. »Lassen Sie es in mein Studierzimmer bringen, und wie gesagt, ich werde es heute Abend lesen.«
Bis zu diesem Punkt lief alles genau so, wie ich es vorausgesehen hatte. Mein Plan war, dann einen Blick voll künstlicher Enttäuschung aufzusetzen und ihm zu erklären, dass es mir sehr leidtäte, dass ich ihm noch nicht mehr erzählen konnte, dass Cora sehr hilfreich, aber mit den feineren Details drakoneischer Orthografie und Poesie nicht vertraut sei, und dass die Arbeit so viel schneller gehen würde, wenn ich jemanden hätte, mit dem ich darüber rätseln könnte …
Dann sagte Lord Gleinleigh: »Wissen Sie, Miss Camherst, mir ist aufgefallen, dass ich in meinem Drang zur Geheimhaltung etwas sehr Wichtiges übersehen habe.«
Ich sage dir, Tagebuch, ich wäre beinahe an meinem Rindfleisch erstickt. Nachdem ich es in den richtigen Hals hinunterbekommen hatte, sagte ich, völlig ungekünstelt: »Ach?«
Er erläuterte: »Wir sind uns einig, dass es am besten wäre, die Übersetzung vor dem drakoneischen Kongress in Falchester nächstes Jahr zu veröffentlichen. Und mir scheint es, dass es eine sehr große Beleidigung der Drakoneer wäre, wenn sie am Prozess, um dieses Epos zu übersetzen, überhaupt nicht beteiligt wären. Ihre Familie ist für ihre Freundschaften unter diesen bekannt. Gibt es einen Gelehrten, den Sie mir empfehlen würden? Natürlich nicht, um Sie zu ersetzen – Ihre Arbeit ist bisher sehr zufriedenstellend. Aber Sie haben schon zuvor gesagt, dass es manchmal nötig ist, einen außenstehenden Gelehrten zu konsultieren, also vielleicht jemanden, mit dem Sie gemeinsam arbeiten könnten.«
Mir fehlten gänzlich die Worte. Ich habe so viele Abende mit dem Versuch verbracht, den besten Weg zu planen, um ihn um das hier zu bitten, aber nicht eines von diesen Szenarien schloss ein, dass Lord Gleinleigh es mir vorschlägt. Ich stotterte einen Moment, völlig aus der Bahn geworfen, bis er die Stirn runzelte und sagte: »Außer Ihnen gefällt dieser Gedanke nicht.«
»Er gefällt mir sehr!«, rief ich nachdrücklich. »Ich weiß genau, wen man fragen sollte. Haben Sie von einem Drakoneer namens Kudshayn gehört?«
Er musste von Kudshayn gehört haben. Hadamisten kennen Kudshayn, weil er das sehr öffentliche Emblem von allem ist, was sie verachten. Als Lord Gleinleigh nickte, sagte ich: »Er und ich sind schon von Kindheit an gute Freunde. Seine Kenntnis der antiken Sprache ist sogar noch weitreichender als meine, und er genießt unter seinem eigenen Volk sehr großes Prestige – ganz zu schweigen von unter den Menschen. Selbst wenn er per Post arbeitet, bin ich sicher, dass sein Beitrag unschätzbar wäre.«
Lord Gleinleigh hielt inne, gerade als er sein Weinglas hob. »Per Post?«
»Ich weiß, dass Sie nicht wollen, dass ich Briefe verschicke«, fügte ich hastig an. »Wir können alle Arten von Tricks nutzen, um es zu verschleiern, wenn Sie finden, dass das nötig ist – obwohl ehrlich gesagt die Chancen, dass irgendwer meine Briefe liest, wirklich sehr gering sind. Aber wenn man die Zeit für den Seeweg mit einrechnet, würde es Monate dauern, um ihn hierherzubringen. Ich kann mir nicht leisten, so lange zu warten, nicht, wenn die Übersetzung vor dem Kongress veröffentlicht werden soll. Und weiterzuarbeiten, während er auf dem Weg ist, würde wirklich den Zweck verfehlen. Caeligerpost ist die einzige praktikable Möglichkeit.« (Natürlich keine billige – aber ich war bereit, diese aus eigener Tasche zu bezahlen. Obwohl das, wie ich annehme, am Ende auf Gleinleighs Tasche zurückfällt, weil er ja mich bezahlt.)
»Hmmm.« Lord Gleinleigh nippte an seinem vernachlässigten Wein, dann stellte er ihn nachdenklich ab. Ich hatte ihn es sich nicht irgendwie anders überlegen lassen, oder?
Als er sagte: »Nein, das geht überhaupt nicht«, sank mir das Herz bis in die Zehen. Ich tadelte mich innerlich, weil ich die Post erwähnt hatte. Ich hätte warten sollen, ihn sich mit dem Gedanken, Kudshayn zu rekrutieren, anfreunden lassen, ehe ich herausstellte, dass ich mein Versprechen zur Geheimhaltung würde brechen müssen, damit es funktionierte.
Aber Lord Gleinleigh war noch nicht fertig. »Wenn er hierherkommen soll, müssen wir das Beste aus seiner Zeit machen. Die Post ist viel zu langsam – und mit dem Schiff zu kommen, würde ihn durch die Tropen führen, was, wie ich mir vorstellen kann, schrecklich hart für ihn wäre, selbst wenn er unter Deck bleiben würde. Nein, ich werde einen Caeliger arrangieren.«
Mein Herz sprang aus meinen Zehen zurück, als würde es direkt aus meinem Schädel platzen wollen. »Sie würden dafür bezahlen?« Eine Caeligerreise von hier nach, sagen wir, Eiversheim ist eine Sache, aber um die halbe Welt zu fliegen, ist eine ganz andere!
Lord Gleinleigh sah mich stirnrunzelnd an. Ich habe zu viel von meinem Leben in Gesellschaft von Seeleuten verbracht, was heißen will, mit sehr vielen Kaufleuten, und Mutters Familie ist stolz darauf, Händler zu sein. Ich habe nie ganz gelernt, dass Männer wie Lord Gleinleigh vorgeben, dass Geld nicht wichtig ist. »Für einen Gelehrten von Kudshayns Status«, sagte er, »wäre alles andere eine Beleidigung.«
Kudshayn denkt natürlich nicht so. Er ist mit Geld sogar noch schlimmer als ich, außer dass es bei ihm daran liegt, dass er überhaupt nicht viel darüber nachdenkt. Aber das macht kaum einen Unterschied, weil Lord Gleinleigh eingewilligt hat, ihn hierherzubringen!
Ich bin einfach so schockiert, dass der Graf es selbst vorgeschlagen hat. Angesichts all seiner Besorgnis um die Geheimhaltung war ich sicher, dass er widerwillig wäre, eine weitere Person einzuweihen – besonders einen Drakoneer, wenn ich bezweifle, dass er in seinem Leben je einem von Angesicht zu Angesicht begegnet ist. Stattdessen ist es, als hätte er meine Gedanken gelesen.
Ich werde Kudshayn heute Abend schreiben!