Читать книгу No Pain, No Gain - No Love - Mariella Heyd - Страница 10
Kapitel 5
Оглавление»Klopf, klopf. Jemand da?«
Ich legte mein Buch zur Seite, das ich seit der ausgefallen Nachmittagsvorlesung an diesem Mittwoch durchblätterte. Eindeutig Max’ Stimme. Einen Moment überlegte ich, mich schlafend zu stellen, doch dann siegte meine Neugier. »Herein.«
Max trat ein, schloss die Tür hinter sich und präsentierte sich mir in einem merkwürdigen Outfit: Zu Jeans und weißen Sneakern trug er nämlich einen viel zu engen Pullover, der mir bekannt vorkam.
»Ist das mein Pullover?« Wie zum Teufel war er da rangekommen?
Max grinste mich von oben herab an. »Zum Glück ist deine Mitbewohnerin nicht da.«
Clarissa saß im Gegensatz zu mir noch in der Uni und würde sich sicherlich ärgern, dass nicht auch ihre Vorlesung ausgefallen war.
»Das war keine Antwort auf meine Frage.« Obwohl ich ernst bleiben wollte, brachte mich sein Anblick zum Schmunzeln.
»Er lag wohl noch in der Waschmaschine, als ich meine Sachen reingestopft habe.«
Ich legte die Stirn in Falten. »Das erklärt noch lange nicht, weshalb du ihn trägst.« Mein Lächeln wurde immer breiter, je länger ich ihn ansah.
»Lass uns einen Deal eingehen. Du gibst mir die Unterlagen von Bienbergs letzter Vorlesung, die ich ja leider nur zum Teil miterleben durfte, und du bekommst dafür deinen Pullover zurück.«
Da ich kaum Klamotten besaß und mir so schnell auch keine neuen leisten konnte, antwortete ich schneller, als ich Verstand und Bauchgefühl gegeneinander abwägen konnte. »Deal.«
»Guuut. Dann wäre da nur noch eine Sache.« Er lachte und biss sich verlegen auf den Knöchel seines linken Zeigefingers. »Du musst mir beim Ausziehen helfen, oder ich sprenge alle Nähte. Ich habe ewig gebraucht, um mich da reinzuzwängen, aber dein Lachen war es mir wert.«
Ganz toll. Jetzt musste ich ihn auch noch anfassen.
»Na schön.« Ich wollte mir nicht anmerken lassen, dass mich der Gedanke, ihn zu berühren, nervös machte. Ich stellte mich vor ihn. »Streck deine Arme nach vorn und beug dich vor.« Ich fasste über Max’ Rücken hinweg den Saum des Sweatshirts und zog es ihm zuerst über den Kopf, dann über die Arme. Durch die Wärme seines Körpers stieg mir sein Duft in die Nase. Max roch hervorragend nach schwerem Parfum, das ich bislang noch nie in seiner Anwesenheit gerochen hatte. Hatte er es womöglich extra für mich aufgelegt? Der Gedanke schmeichelte mir.
»Danke.« Er pustete sich eine Strähne aus der Stirn und kämpfte sich aus den Ärmelenden. »Hier.« Max reichte mir das Oberteil, das herrlich nach seinem Parfum roch. Ich wusste sofort, dass ich es nicht waschen würde, und fühlte mich wie ein Teenie bei einem Meet and Greet mit einem Superstar. Inzwischen konnte selbst ich mir nicht mehr weismachen, dass ich nicht wenigstens ein kleines bisschen für ihn schwärmte. Zumindest dann, wenn ich nicht an seine Schattenseiten dachte.
»Meinen Teil des Abkommens habe ich erfüllt. Die Notizen bitte.« Es schien ihm gar nichts auszumachen, halb nackt vor mir zu stehen. Mich brachten seine trainierten Bauch- und Brustmuskeln hingegen etwas aus dem Konzept. Ich raffte die unordentlich auf dem Schreibtisch verstreuten Papiere zusammen, dankbar, einen Grund zu haben, ihn nicht ansehen zu müssen, und drückte sie ihm in die Hand.
»Angaben ohne Gewähr.«
Die Zimmertür öffnete sich und Clarissa trat ein. Sie nahm Max überhaupt nicht wahr, sondern murmelte vor sich hin. »Dieser Idiot hätte doch besser aufpassen können. Das Shirt ist ruiniert. Ich rieche wie eine Barista.« Ihr Oberteil war mit Kaffee getränkt. Als sie aufsah, sah sie Max und mich. »Oh.« Sie blickte von ihm zu mir. Dann zu seinem trainierten Oberkörper. »So eine Art von Party ziehst du also vor.« Sie bedachte mich mit einem anzüglichen Augenzwinkern.
»Ich fürchte, du irrst dich.« Solche Gerüchte wollte ich gar nicht erst aufkommen lassen. Clarissa sah Max an. »Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?«
»Na ja …« Ein verschmitztes Grinsen stahl sich in seine Mundwinkel und Grübchen wurden sichtbar. Max sah mich an. Seine hellblauen Augen hatten etwas Einnehmendes. »Ich bin ein notorischer Zuspätkommer und gut im Verhandeln.« Er winkte mit den Unterlagen. »Vielen Dank dafür.« Max beugte sich völlig unvermittelt zu mir herunter und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Anschließend sah er wieder zu Clarissa. »Jetzt hast du deine Story.«
Und ich einen Kuss von Max. Meine Haut fühlte sich an der Stelle an, als habe sich der Abdruck seiner Lippen eingebrannt.
»Clarissa, ich muss wirklich los. Ich will es mir nicht schon am vierten Tag mit Bienberg verscherzen.« Schnell steckte ich mir drei Feuerzeuge in die Jackentasche und faltete die Liste mit der von ihm gewünschten Literatur zusammen, bevor meine Mitbewohnerin weiter auf mich einreden konnte.
»Du willst ja bloß nicht über Max reden.«
»Beides. Weder will ich meinen Job verlieren noch über einen Typen reden, der sich einen Scherz auf meine Kosten erlaubt hat.« Na ja, und über einen Kuss, der bei dem Gedanken daran noch immer auf meiner Wange glühte. Sie zuckte mit den Schultern. »Du musst es ja wissen. Ich habe ihn jedenfalls nicht lachen sehen. Schien ihm ernst zu sein.«
Wenig später steuerte ich eine der Universitätsbibliotheken an, die laut Campusbroschüre alle Bücher zu meinem Fachbereich beinhaltete. Meine Jacke glänzte nass vom Regen, als ich dort ankam und von einem warmen Heizungsfönwind begrüßt wurde, kaum dass ich die Tür geöffnet hatte. Ich hängte sie an der Garderobe im Eingangsbereich auf. Die Tropfen, die daran herabperlten, landeten in einer Pfütze, die sich beginnend von dem Regenschirmständer über die Fugen der Fliesen bis zu meinen Füßen schlängelte. Ich registrierte mich am Schalter der Bibliothek und legte der Mitarbeiterin meine Liste mit Fachliteratur vor, die Professor Bienberg mir in seiner krakeligen Handschrift ausgehändigt hatte. Am Rand des Papiers prangte ein runder brauner Kreis, der verdächtig auf Kaffee hindeutete.
»Sieht mir ganz nach Professor Bienberg aus«, schlussfolgerte die ältere Dame, als sie sich die Liste unter der grün verglasten Schreibtischlampe näher ansah. »Schönschrift lernt der Gute in diesem Leben jedenfalls nicht mehr.«
Eine attraktive Frau mit hüftlangen blonden Haaren, wahrscheinlich eine Studentin, die hier jobbte, warf einen Blick über ihre Schulter. »Ja, definitiv Bienberg. Max hat sich doch die ganze Zeit um seine Sachen gekümmert. Bist du seine neue Assistentin?« Fragend sah sie von der Liste zu mir auf.
»Ja, seit Kurzem.«
Die beiden musterten mich, ohne etwas dazu zu sagen, dann widmeten sie sich wieder den Aktenbergen auf den Schreibtischen. Die Bibliothekarin sah nach kurzer Zeit wieder zu mir auf und lächelte freundlich. »Ihr Vorgänger war nicht sonderlich verlässlich. Sie machen mir schon jetzt einen besseren Eindruck. Immerhin stehen Sie noch hier und sind nicht plötzlich wie vom Erdboden verschluckt.«
Ich versuchte mir Max vorzustellen, wie er geduldig in der Bibliothek darauf wartete, dass die bestellten Bücher gebracht wurden oder er seelenruhig nach Publikationen in der unsortierten Abteilung der Handsuche forstete. Das wollte wirklich nicht zu dem Bild passen, das ich von ihm hatte.
»Bis auf ein Buch kann ich Ihnen die Bücher in einer Stunde im Fach des Professors bereitstellen. Aber dieses eine da«, sie wies auf den Titel, »ist selbst für Professoren nicht zur Ausleihe freigegeben.«
Also ließ ich mir Regal- und Buchnummer geben und begab mich auf die Suche, um es für ihn zu kopieren. Ausgerechnet dieses Werk lag nämlich nicht in elektronischer Form vor. Da ich meinen ersten Auftrag nicht vermasseln wollte, war ich bereit, keine Mühen zu scheuen, um Bienberg von meiner Zuverlässigkeit zu überzeugen.
Bibliotheken in dieser Größenordnung waren fremdes Terrain für mich. Bislang hatte ich nur die Bücherei in meinem Heimatort und an der Highschool kennengelernt, die beide kaum größer waren als kleine Supermärkte. Doch ich wollte mir meine Herkunft nicht anmerken lassen. Ich fühlte mich wie der Bauer vom Land, der zum ersten Mal in die Stadt kam. Zwischen den massiven Holzregalen, die bis unter die Decke der Halle reichten, fand ich mich zwar nicht auf Anhieb zurecht, genoss allerdings die neuen Eindrücke. Der Duft von alten Büchern, die Stille, die hier herrschte, das Glitzern von Staub hinter den Fenstern, wenn sich die Sonnenstrahlen einen Weg durch die Wolken bahnten, und so viel Wissen schwarz auf weiß. Eine eigenartige Romantik.
»Hey, bist du neu?« Auf einer Leiter, die an einer deckenhohen Bücherwand angebracht war, saß ein Junge, nicht älter als vierzehn, und sah mich an.
»Kennst du etwa alle Studenten persönlich?« Ich lächelte ihn an. So, wie er da hockte, ging er glatt als Bibliotheksgeist durch, wenn er bloß durchsichtig gewesen wäre.
»Nein, aber ich bin gut im Beobachten. Du streifst planlos durch die Gegend und streichelst Bücher. Studenten, die schon länger hier sind, laufen zielstrebig vor dicken Wälzern davon.« Er grinste bei seinem Scherz.
»Gut erkannt. Und du, bist du nicht noch zu jung für ein Studium?« Entweder war er wirklich ein Geist, eine Halluzination oder ein absoluter Überflieger. Der Junge ruderte theatralisch mit den Armen. Automatisch fasste ich nach der Leiter, aus Angst, er könnte herunterfallen.
»Kann man denn zu jung für Literatur sein?«
Seine gestelzte Art, wie in einem Theaterstück, brachte mich zum Lachen. »Dann kannst du mir sicher dabei helfen, dieses Buch zu finden.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und hielt ihm den Notizzettel entgegen.
Der Junge nahm Sprosse für Sprosse und sprang vor meine Füße.
»Zeig mal her. Oh, Bienberg.« Offenbar war der Professor mit seinen Hieroglyphen hier kein Unbekannter. »Nichts leichter als das.« Er marschierte zwischen den Regalreihen hindurch, als hätte er höchstselbst jedes einzelne Buch an Ort und Stelle platziert. »Hier, das suchst du.« Wie eine Trophäe überreichte er mir den Schinken und verwies auf den roten Punkt auf dem Buchrücken. »Das darfst du nicht ausleihen. Kopieren oder einscannen kannst du es dahinten.« Er wies auf einen Raum, aus dem sirrende Scannergeräusche drangen.
»Vielen Dank.«
»Weißt du, welche Kapitel er braucht?«
Ich betrachtete den Wälzer, mit dem man leicht einen Mord begehen könnte. »Ich fürchte, nein.«
»Hm, dann wünsche ich dir viel Spaß beim Kopieren. Wenn du Papier brauchst, und das wirst du, findest du es direkt in dem Sideboard neben dem großen Kopierer.«
»Nochmals danke für deine Hilfe. Ich bin dann wohl eine Weile beschäftigt.« Ich wusste nicht, was ich noch mit ihm reden sollte und steuerte den Raum mit den Kopierern an. Der Junge rief mir hinterher: »Mein Name ist übrigens Everett.«
Ich drehte mich zu ihm um. »Harper, freut mich.«
»Hast du ein Feuerzeug für Bienberg einstecken?«
»Woher …?« Prompt blieb ich stehen. Dass man die Schrift des Professors erkannte, der bereits seit Jahrzehnten hier an der Universität unterrichtete, konnte ich mir noch erklären, aber die Sache mit dem Feuerzeug war doch eine sehr individuelle Eigenart.
»Du bist doch die Neue des Profs, oder?«
Ich verkniff mir, dass sich seine Frage ungehörig zweideutig anhörte. »Schon, aber ist das so offensichtlich?«
»Dein Vorgänger hat mir erzählt, dass du jetzt seinen Job übernimmst. Er hat mir beschrieben, wie du aussiehst.«
Jetzt wurde ich hellhörig. »Wie sehe ich denn laut ihm aus?« Ich hatte mir ein Bild von ihm gemacht, und jetzt interessierte mich, welches er sich von mir gemacht hatte.
»Ist das eine Fangfrage?« Er hob eine Augenbraue. Der Junge machte einen frech-gerissenen Eindruck, und schlagfertig war er auch.
»Reine Neugierde.«
»Du magst ihn also.« Er lachte keck.
»Mich interessiert einfach, wie er mich sieht; wie ich von außen wahrgenommen werde. Bin ich die blöde Kuh, die ihm die Stelle geklaut hat?«
»Du bist die süße Brünette mit einer Vorliebe für Hoodies – und dem Spitznamen Hermine.«
Obwohl die Beschreibung nicht wirklich eine Liebeserklärung war, schmeichelte mir das Attribut süß doch ein wenig. »Hat er das so gesagt?«
»Ja, und dass du eine blöde Ziege bist.«
Boom. Dämpfer. Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Ich wollte auch nicht mit einem kleinen Jungen darüber diskutieren, dass ich eigentlich keine blöde Ziege war und die Sache mit der Stelle keine Absicht. Außerdem sollte mir die Beleidigung recht sein. Bienberg, Steve, die Schrammen in Max’ Gesicht; das alles sollte mir eine Warnung sein, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. »Ich geh dann mal kopieren.«
Als wäre es eine Einladung gewesen, folgte mir Everett. Ich öffnete das Buch und wurde sofort von ihm unterbrochen.
»Lass mich das machen. Du machst nur Rillen in den Buchrücken.« Er nahm mir das Werk ab und scannte in aller Gemütsruhe Seite um Seite. Dabei trällerte er immer mal wieder »Show me what you got«, womit er mich an den Jungen in dem Film About a boy – Der Tag der toten Ente erinnerte. Ich stand untätig neben Everett und sah ihm dabei zu; immer mal wieder wurde ich dabei von dem Licht des Scanners geblendet, wenn der mit einem brummenden Geräusch ein Blatt kopierte.
»Kann ich dir irgendwie helfen?«
Er schüttelte den Kopf. »Lass mich mal machen.«
»Ich fühle mich nicht besonders gut dabei, wenn du meine Arbeit erledigst.«
»Ach, mir macht das Spaß. So habe ich wenigstens etwas zu tun.«
»Magst du Bücher?«, fragte ich überflüssigerweise. So behutsam, wie er die Seiten umschlug und darauf bedacht war, das Papier nicht zu knicken, konnte es gar nicht anders sein. Außerdem nörgelte er hin und wieder, wenn jemand auf einer Seite etwas mit Kugelschreiber markiert hatte.
Er nickte. »Ich mag Science-Fiction, aber auch wissenschaftliche Bücher über Physik und so. Ich lese mindestens zwei Bücher in der Woche. Mindestens.«
»Und die liest du hier?«
Er zog eine Schnute, als würde ihn das Thema gar nicht interessieren. »Meistens«, kam die kurz angebundene Antwort, weiterhin konzentriert, keine Seite zu überblättern.
»Du bist also häufiger hier?«
Wieder nickte er. Gesprächig war er nicht gerade, wenn es um seine Person ging. Dieser Charakterzug wollte so gar nicht zu seiner frechen Art passen, mit der er mich begrüßt und mir brühwarm von Max’ Einstellung mir gegenüber erzählt hatte.
»Arbeitet deine Mutter hier?« Irgendetwas bewog mich dazu, nachzubohren. Es war ungewöhnlich, einen Jungen in seinem Alter hier anzutreffen, während doch alle anderen sicherlich nach der Schule mit Freunden unterwegs waren. Vielleicht war es auch meine Faszination für ein Kind, das sich genauso Geschichten hingeben konnte wie ich, und das bedeutete, dass er entweder keine Freunde hatte oder auch keine Familie.
»Nein. Ich bin einfach so hier.«
»Hm.« Ich presste die Lippen aufeinander. Es war gar nicht so einfach, sich zu unterhalten, wenn der Gesprächspartner derart verschwiegen war. Vor uns lagen noch viele Seiten zum Thema Massenmedien, und ich wollte die Zeit nicht mit unangenehmem Schweigen verbringen. Weggehen und in Büchern stöbern, während er meine Arbeit machte, wollte ich allerdings auch nicht, also versuchte ich es mit etwas Belangloserem. »Wie alt bist du eigentlich?«
»Dreizehn.«
Erneutes Schweigen.
»Hast du Max auch geholfen?«
Er schnaufte. Meine Fragerei ging ihm wohl auf die Nerven. »Du bist ganz schön neugierig«, warf er mir vor.
Ich lachte. Solche Worte aus dem Mund eines Halbwüchsigen. Selbstbewusstsein hatte er. Die ruhige Art, mit der er es rüberbrachte, war zum Schießen.
»Schon gut. Ab jetzt halte ich die Klappe.« Ich kniff die Lippen zusammen, um mir meine Erheiterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen. Tatsächlich störte es Everett nicht, dass wir wortlos nebeneinanderstanden und ich ihm über die Schulter sah. Mit einer Engelsgeduld kopierte er bis zur Danksagung jede Seite.
»Das Blabla zum Schluss wird er vermutlich nicht brauchen. So, fertig.« Er überreichte mir den Stapel Blätter, der nach Druckerschwärze roch und noch angenehm warm war, ohne mir dabei in die Augen zu sehen. »Zu deiner Frage: Ja, ich habe ihm oft geholfen. Meistens war er müde, wenn er hierherkam. Er ist dann auf dem Stuhl neben dem Kopierer eingeschlafen und ich habe alles für ihn erledigt.«
Ohne es zu wollen, ärgerte ich mich über Max. Dieser Typ kam zu spät zu den Vorlesungen, schämte sich nicht für die Überbleibsel seiner Schlägereien und war sich sogar zu fein, ein paar Seiten zu kopieren. Wie konnte man bloß so unverschämt sein? Für den Studienplatz hatte ich mir ein Bein ausgerissen, und für ihn war es eine Selbstverständlichkeit.
»Hat er dir wenigstens ein Taschengeld dafür gegeben?« Ich hoffte, Max hatte wenigstens den Anstand besessen, den Jungen nicht auszunutzen.
»Nein, wie gesagt, ich mache das ja gern.«
In mir brodelte es, aber es nutzte auch nichts, mich jetzt bei Everett über ihn aufzuregen, zumal Everett keinen Grund sah, weshalb er ihm nicht unentgeltlich hätte helfen sollen. Doch des einen guter Kern war des anderen faule Frucht.
»Danke für deine Unterstützung. Du warst mir wirklich eine große Hilfe«, lobte ich ihn. Ich griff in meine Hosentasche, aber beschämende zwei Dollar wollte ich ihm für seine Arbeit nicht geben. Mehr hatte ich allerdings nicht zu bieten. »Wenn ich im Gegenzug etwas für dich tun kann, lass es mich wissen.«
»Keine Ursache. Findest du den Ausgang allein?«
»Ich denke, das schaffe ich.« Ich schmunzelte, wie er so vor mir stand, gut einen Kopf kleiner als ich, und so viel Anstand besaß. Er musste eine gute Erziehung genossen haben. Die meisten Jungs in seinem Alter, zumindest die, die ich aus dem Trailer Park kannte, waren das genaue Gegenteil von ihm. Einmal weggesehen und schwupp, war der Geldbeutel weg. Zu meiner Schande musste ich mir eingestehen, dass ich selbst früher das eine oder andere Portemonnaie gestohlen hatte und es mir damals ganz normal vorgekommen war, denn das war die Norm des Trailer Parks. Ich war schon fast aus der Halle verschwunden, da rief er mir hinterher: »Du?«
»Ja?« Ich drehte mich zu ihm um und hätte dabei beinahe das oberste Blatt meiner Kopien verloren.
»Kommst du wieder?«
Seine Frage brachte mich zum Lächeln. »Ich denke schon, wenn Bienberg mich nicht auch einfach so ersetzt.«
»Denke ich auch. Professor Bienberg will ständig neue Bücher, und manche leiht er mindestens hundertmal aus.«