Читать книгу No Pain, No Gain - No Love - Mariella Heyd - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеNoch am ersten Abend schloss Clarissa Bekanntschaften mit anderen Studenten der umliegenden Zimmer. Die Räume der Jungs waren durch eine Glastür, die als Notausgang zu einem Treppenhaus führte und offiziell nicht geöffnet werden durfte, von den Zimmern der weiblichen Studenten getrennt. Das hielt allerdings weder die eine noch die andere Partei davon ab, Kontakte zu knüpfen. Während sie in den Türrahmen gelehnt mit einem Studenten plauderte, der augenscheinlich kein Freshman mehr war, so wie er in Boxershorts und Shirt mit einer Energydrinkdose in der Hand dastand und über die Professoren schimpfte, saß ich hinter ihr auf dem Bett, winkte einmal höflich und widmete mich wieder den Vorlesungsplänen, die uns Sidney und Joshua ausgehändigt hatten. Ich pinnte die Übersicht an die Wand neben meinem Bett und markierte mir die Vorlesungen der unterschiedlichen Dozenten mit einem Farbsystem: Klassische Medien und moderne Onlinemedien bei Professor Irving, Kommunikationstheorien bei Professor Bienberg, Marketing und Journalismus bei Professor Gimble, Kommunikationswissenschaftliche Arbeits- und Analysemethoden wieder bei Professor Bienberg und viele weitere Fächer. Die meisten davon wurden von Professor Bienberg geleitet. Ein wenig beneidete ich Clarissa um ihre lockere Art, wie sie so dastand und drauflosplapperte. Auf meiner Bettdecke stapelte sich Literatur, die ich mir bereits im Vorfeld zur Vorbereitung auf die Vorlesungen zugelegt hatte. Einen Plan vom Campus hatte ich auch schon, damit ich keinesfalls zu irgendeiner Lesung zu spät kam – wie Harry Potters Karte des Rumtreibers, nur ohne Zauberei. In der Menge war mein Gepäck zwar nicht viel, trotzdem musste ich mich sortieren. Es war neu für mich, ein Zimmer fast für mich allein zu haben und meine Sachen irgendwo unterbringen zu können, und damit meinte ich keine Plastikbox mit Deckel, die ich unter meine Pritsche schieben konnte.
»Hm, die Bücher könnte ich …«, überlegte ich murmelnd, wo meine Studienunterlagen Platz hätten, ohne Clarissas Lippenstiften und Nagellacken in die Quere zu kommen, die sie bereits auf unserer Fensterbank drapiert hatte. Farblich nach Nuancen sortiert, bildeten sie einen Regenbogen bis zu meinem Bettpfosten. Auf dem schmalen Regal über mir würde ich die wissenschaftlichen Schinken jedenfalls nicht lagern können. Das Holzbrett neigte sich auch so schon leicht nach vorn, und solchen Sechshundert-Seiten-Exemplaren würden die Nägel nicht lange standhalten. In Gedanken versunken hörte ich, dass der Student mich ansprach.
»Stören wir dich?« Er sah zu mir herüber und nippte an seinem Getränk.
»Oh, ganz und gar nicht«, wiegelte ich schnell ab.
Clarissa bedachte grinsend den Papierwall um mich herum. »Hermine ist in ihrem Element.« Sie war also auch Teil der Freshmengruppe gewesen, oder mein Spitzname hatte sich schon rumgesprochen.
Der Typ lachte kurz auf. »Ich denke, dann sollten wir sie nicht verärgern, bevor sie uns verhext. Komm, ich zeig dir, wo die Jungs und ich wohnen. Am Wochenende steigt eine kleine Party für die Neuen, wenn ihr Lust habt, seid ihr herzlich eingeladen.«
Damit traf er Clarissas Nerv, denn ihre braunen Kulleraugen wurden bei dem Gedanken an eine Party größer und größer. »Feiert ihr hier häufiger?«
»Eigentlich … immer.«
Ehe ich es mich versah, verschwand sie mit ihm auf den Flur. Ich nutzte das Alleinsein, um Clarissas Arrangement an Nagellacken ein bisschen zur Seite zu schieben, damit Stephen King einen kleinen Sonnenplatz ergatterte. Eigentlich sollte man Bücher vor Sonne schützen, aber meine gebrauchten Exemplare, die ich entweder aus kostenlosen Bücherschränken hatte oder die von Büchereien aussortiert worden waren, waren schon so zerfleddert, dass es ihnen auch nicht mehr schaden konnte.
Nachdem alle Bücher einen Platz gefunden hatten, die meisten davon auf einem Stapel neben dem Bett, suchte ich mir ein freies Fleckchen im Kleiderschrank für meine Jeans und Sweatshirts. Clarissa belagerte ausnahmslos alle Fächer. In einer Etage lagen T-Shirts, darunter nur Pullover, selbst Jeans und Stoffhosen hatte sie in unterschiedliche Fächer einsortiert. Ich räumte die Strümpfe zu ihren Schals und hoffte, sie wäre mit diesem Kompromiss einverstanden. Als ich in meine Sporttasche langte, schreckte ich zurück. T-Shirts und Unterwäsche waren unversehrt, doch meine Jeans und Pullover durchnässt, als hätten sie in einer Pfütze gelegen. Der Grund war schnell gefunden: ein langer Riss am Boden der Tasche. Stöhnend nahm ich meine Sachen heraus und warf sie auf den Boden. Alles war mit braunen Wasserflecken beschmutzt; Waschen war angesagt, oder ich hätte morgen keine saubere Kleidung für die erste Vorlesung. Die zerrissene Tasche warf ich in den Müll. So schnell wollte ich hier ohnehin nicht mehr ausziehen. Ich klemmte mir die schmutzigen Sachen in einem Knäuel unter den Arm und machte mich auf zur Waschküche, die Joshua und Sidney uns vorhin gezeigt hatten. Hinter den meisten Türen hörte ich im Vorbeigehen leise Musik, Gespräche und Gelächter. Manche hatten ihre Türen mit Fahnen von Footballmannschaften, Fotos von Partys oder Do Not Disturb-Schildern dekoriert. Auf der Kellertreppe lagen vereinzelte Socken, die jemand beim Transport verloren haben musste, und eine Hotpants aus roter Spitze hing an der Wand, mit Stecknadeln drapiert wie ein Poster.
In dem Kellerraum mit den grauen Betonwänden, die noch nie einen Tropfen Farbe gesehen hatten, roch es nach einem Potpourri an Weichspülern. Auf einer Seite des Raumes lagen ordentlich gefaltete Oberteile auf Klapptischen und gleich daneben ein Haufen verschwitzter Tennissocken. Drei Waschmaschinen standen den Studenten zur Verfügung sowie zwei Trockner, von denen einer als defekt ausgewiesen war. Zwei Maschinen waren in Betrieb. Weißer Schaum stand hinter den Bullaugen und ein Bündel Wäsche rotierte in jeder Maschine. Ich stopfte meine Sachen in die freie Trommel in der Mitte und griff nach einer Waschmittelflasche. Daneben stand ein Plastikeimer, in dem ein paar einsame Münzen und zwei Knöpfe lagen. Auf der ehemaligen Vanish-Oxi-Action-Dose klebte ein Zettel:
Waschmittelspardose, bitte füttern.
Ich kramte in meiner Jeans nach Kleingeld und warf 50 Cent hinein.
»Achtung! Footballtrikots im Anflug!«, rief jemand von hinten, und bevor ich reagieren konnte, rempelte mich ein junger Typ um. Ich landete neben der Waschmaschine auf dem Boden und ein Berg streng riechender Polyestertrikots in den Universitätsfarben Blau und Gelb auf mir, die schlammverkrustet waren.
»Fuck, sorry, ich hab dich nicht gesehen.« Er half mir dabei, mich von der studentischen ABC-Waffe zu befreien.
»Schon gut. Nichts passiert.«
Mit gerümpfter Nase sammelte er die Trikots wieder ein. »Die stinken echt bestialisch. Die Spieler müssen ihre Klamotten ja nicht selbst waschen – alles Maskottchenaufgabe.« Er zeigte auf sich. Durch seine gedrungene Statur hatte ich mir bereits gedacht, dass er kein Footballer war.
»Bestialisch trifft es ganz gut.« Lachend half ich ihm beim Zusammenklauben. Nun war ich sowieso schon mit dem stinkenden Bündel in Berührung gekommen. Ich stand auf und strich meinen Pullover glatt. Dabei bemerkte ich einen Matschfleck, der groß und breit auf meinen Brüsten prangte. »Oje, doch was passiert.« Ich zog den Stoff von meinem Körper weg und betrachtete das Malheur.
Der Typ biss die Zähne aufeinander und sah mich entschuldigend an. »Tut mir echt leid. Ich nehme an, du willst den Pulli nicht einfach mit den Trikots in die Maschine werfen?«
Skeptisch sah ich zu dem miefenden Berg. »Nein danke. Ich wasche ihn einfach beim nächsten Mal.« Solch kleine Widrigkeiten konnten mir meine gute Laune nicht verderben. Heute war der erste Tag meines neuen Lebens, und wenn verschwitzte Trikots dazugehörten, dann war das eben so.
»Okay, dann sag mir bei deiner nächsten Waschladung Bescheid und ich spendiere sie.«
»Danke, das nehme ich gern an.«
»Ich bin übrigens Greg.«
»Freut mich. Ich bin Harper.«
»Was studierst du? Du bist neu hier, oder?«
»Ich gehöre zu den Freshmen des Studiengangs Kommunikationswissenschaften. Und du?«
»Ich bin im dritten Semester. IT ist mein Spezialgebiet.«
»Cool. Dann weiß ich ja, an wen ich mich wenden kann, wenn die Technik mal spinnt.«
»Das sagen alle.« Er lachte auf. »Der Nerd ist zur Stelle, wenn man ihn braucht.«
Wir verabschiedeten uns, nachdem er sich noch mehrere Male bei mir entschuldigt hatte.
Zurück in meiner neuen Bleibe fiel mir auf, dass ich nichts zum Wechseln hatte. Ausnahmslos alles schleuderte gerade vier Stockwerke unter mir in der Waschmaschine. Die T-Shirts waren zwar unversehrt, doch im Zimmer war es ungemütlich kühl; viel zu kalt, um im Herbst ein Sommeroutfit zu tragen. Ich wollte kein Risiko eingehen und noch vor der ersten Vorlesung krank werden. Clarissa musste zwischenzeitlich zurückgekommen sein und das Fenster zum Lüften geöffnet haben, doch die Nikotinrückstände von etlichen Studenten würden auch dadurch nicht weichen. Ich schloss das Fenster und fasste an die Heizung, die zwar gluckerte, jedoch nur stellenweise lauwarm wurde. Mein Blick fiel auf den Kleiderschrank. Clarissa hatte mir angeboten, etwas von ihr ausleihen zu dürfen. Eigentlich wollte ich das nicht. Schon gar nicht so kurz nach der Ankunft. Andererseits stand ich hier ohne Kleider und mit einem schlammverkrusteten Pullover. Wenn jemand meine Lage verstand, dann sicher Clarissa, so topgestylt, wie sie herumlief. Ich wollte nicht einen ihrer besten Pullover nehmen und griff deshalb nach einem hellgrünen Exemplar mit grauem Stehkragen und Reißverschluss, das ganz unten lag. Vermutlich ein Notfallpullover, zumal er nicht zum Rest ihrer Klamotten passte. Ich streifte ihn mir über. Meine Haare knisterten elektrisch und standen mir wirr vom Kopf ab. Der Pullover war Oversized und damit genau mein Geschmack. Ich schmiegte mich hinein, kletterte auf mein Bett und zog den Saum über meine Knie bis zu meinen Knöcheln. Durch den XXL-Schnitt bestand kein Risiko, den Pullover zu verziehen. Da ich nach meiner Anreise und den ersten Eindrücken erschöpft war, plumpste ich zur Seite, mit dem Rücken zur Tür. Das Bett fühlte sich ungewohnt weich an, es war ruhig und es roch ganz anders als in dem Dunst zu Hause im Trailer. Heimisch fühlte ich mich hier trotzdem noch lange nicht, sondern wie eine Fremde in der Ferne. Dennoch war alles besser als das, was ich zurückgelassen hatte. Ich zog den Reißverschluss zu, sodass der Rollkragen knapp unter meiner Nase endete. Meine Nasenspitze war eiskalt. Mit meinen Füßen strampelte ich die Decke unter meinem Körper nach unten und kroch halb darunter. Eine kurze Auszeit musste erlaubt sein, nachdem ich etliche Meilen zurückgelegt hatte.
Geweckt wurde ich von einem Klopfen an der Tür. Ich drehte mich auf die andere Seite, setzte mich auf und rieb mir die Augen. Es war bereits neun Uhr abends und von Clarissa noch keine Spur. Ihr Bett war bis auf die Delle, wo sie zuvor gesessen hatte, unberührt.
»Herein«, rief ich in dem Glauben, dass sie es war, die nicht hereinplatzen wollte. In den kommenden Tagen würden wir über einen Verhaltenskodex sprechen müssen, um möglichst gut miteinander auszukommen. Sie musste nicht höflicher sein als nötig. Immerhin hatte ich jetzt zum ersten Mal ein eigenes Zimmer. Was wollte ich mehr? Zu Hause war ich es gewohnt, dass mitten in der Nacht Alkohol und Nikotin ausschwitzende Männer in Unterwäsche an mir vorbei zur Toilette wankten. Die Tür öffnete sich und herein trat ein groß gewachsener Typ in schwarzem Hoodie und Jogginghose. Er sah aus, als hätte er gerade eine Runde um den Campus gedreht. Schweißperlen rannen seine Schläfen hinab und seine dunkelbraunen Haare standen ihm wirr vom Kopf ab, als hätte er sie mit einem Handtuch durchgewuschelt. Als er mich sah, staunte er nicht schlecht.
»Falsches Zimmer«, sagte ich zur Begrüßung und lächelte. Es war nicht schwer, sich hier auf den Fluren zu verlaufen.
»Hallo auch. Falscher Pullover«, erwiderte er.
Woher wusste er, dass ich mich an Clarissas Sachen bedient hatte? »Nur geliehen.«
Er hob eine Augenbraue und grinste schief. »Na, das wüsste ich aber.«
»Kennst du Clarissa etwa?« Da es mir unangenehm war, im Bett zu sitzen, während ein wildfremder Student vor mir stand, stand ich auf. Im Vergleich zu ihm war ich ein Hobbit. Er war mindestens zwanzig Zentimeter größer als ich.
»Keine Ahnung, wer das sein soll. Ich weiß nur, dass du meinen Pullover trägst. Wenn ich also bitten dürfte.« Er streckte eine Hand mit der Handfläche nach oben in meine Richtung aus. Da machte es klick. Ich verstand.
»Wie kommt dein Pullover in meinen Schrank?«
Er stöhnte. »Mein Name ist Max. Bis Ende des letzten Semesters war das mein Zimmer. Die ganze Etage war für Jungs, bis es unten bei den Studentinnen einen Wasserrohrbruch gab und alles durcheinandergewürfelt wurde.« Er kam auf mich zu, blieb einen Moment dicht vor mir stehen und bedachte mich von oben mit einem amüsierten Blick, dann ging er zum Schrank und tastete nach etwas. »Da ist sie ja.« Begleitet von einem Staubmäuseregen zog er eine Trainingsjacke hervor und klopfte sie aus, bis das staubige Grau einem Dunkelblau wich. Sein Blick fiel wieder auf mich.
»Weißt du, was? Behalt ihn. Dir steht er besser als mir.« Er sah mir in die Augen und ein Lächeln machte sich in seinen Mundwinkeln breit. Sofort pulsierte es heiß in meinen Ohren. Automatisch spiegelte ich seine Mimik.
»Danke. Mir sind nämlich soeben meine grünen XXL-Sweatshirts ausgegangen.«
»Ja, das kenne ich. Immer die grünen, wie merkwürdig.« Er grinste. Dieser Max schien ganz nett zu sein. Auf eine positive Art machten mich seine Sprüche nervös, weil er damit genau meinen Humor traf. Sofort ermahnte ich mich zur Besinnung. Keine Jungs. Ich würde für Flirtereien nicht meinen Abschluss aufs Spiel setzen. Zum Glück platzte Clarissa in diesem Moment herein und löste unsere Unterhaltung auf. Während sich mein rationaler Anteil über diese Störung freute, gab mir mein Puls jedoch zu verstehen, dass ich es auch irgendwie schade fand, das Gespräch nicht noch ein wenig unter vier Augen weiterführen zu können.
»Hal-looo«, begrüßte sie Max mit einem koketten Augenaufschlag. Ich konnte es ihr nicht verübeln. In der Tat war er durch seine hohen Wangenknochen und die markanten Gesichtskonturen äußerst attraktiv. Vor allem sein Witz gab den entscheidenden Anstoß für diese Wahrnehmung. Unter dem Trainingsanzug versteckten sich außerdem mit Sicherheit definierte Muskeln. Das war bei der Statur mit den breiten Schultern nicht schwer zu erraten.
»Hi. Also dann, einen schönen Start, ihr zwei«, wünschte er uns, ehe er durch die Tür schlüpfte und auf den Flur verschwand.