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Seit der abgeschnittene Kopf des Lambrettafahrers über die Straße vor dem Chalet Idaho gerollt war, hatte Daskind beschlossen, nicht mehr zu staunen. Daskind hatte den Aufprall gehört, sich weit aus dem Fenster der Kammer gelehnt, den Kopf rollen sehen. Jetzt lag der Kopf vor dem Gartentor, beschattet von den blühenden Rosen. Daskind hätte lachen mögen. Vorbei die Kraft der Nervenstränge, die das Gehirn mit dem Geschlecht verbinden, das sich ans Kind wagen würde wie jedes andere Geschlecht, wenn ihm Heimlichkeit und Zeit ­geboten wird. Aber das sähen die Dörfler nicht gern, wenn Daskind laut lachen oder gar tanzen würde, obwohl sie Daskind ohne Gefühl wähnen und dem Teufel ab dem Karren gefallen. Dem Teufel ab dem Karren. So nennen sie es. Daskind lacht leise.

Der Rumpf des Lambrettafahrers liegt unter der Maschine. Die Windschutzscheibe bedeckt das Gesäß, ein durchsichtiger Sargdeckel, auf dem sich Schmeißfliegen niederlassen. Blut fließt noch immer aus Kopf und Rumpf. Das Blut benetzt den Randstein, der die Fahrt des Mannes bremste, benetzt das sonnendürre Gras des Weidelands neben der Sennhütte, die zu dieser Nachmittagsstunde nicht benützt wird. Daskind kann das Blut riechen, vermischt mit dem all­gegen­wär­tigen Geruch der Schotte und dem Viehgeruch aus Gotthold Schättis Stall. Die Kreissäge, vor dem Aufprall hörbar, ist verstummt. Die ­Nüstern des Kindes blähen sich vor Glück. Das hat es geahnt, dass da ein Glück ist, wenn sich der Duft der Schotte mit dem Geruch des Bluts vermischt und einer daliegt, von Kari Kenels Rosen beschattet.

Jetzt eilen die Dörfler hastig herbei, bilden einen Kreis um Kopf und Rumpf des Toten.

Kellers vom Dorfladen telefonieren ins Nachbardorf, wo der Landarzt Mächler wohnt. Daskind hört die kreischende Stimme der telefonierenden Frau. Bereits ist Alois Janser, der Dorfpolizist, zur Stelle. Mürrisch streicht er um die Leichenteile, nachdem er die Menge angewiesen hat, Abstand zu halten. Die lässt sich nicht einfach verscheuchen. Will hautnah teilhaben an der Sensation, die so ein Unfall ist, mitten im Dorf, dem nachmittagsträgen. Die Sommerhitze heizt die Gemüter an, keiner beachtet das lachende Kind.

Männer zerren die Lambretta vom Rumpf des Toten. Ein Schwarm schillernder Schmeißfliegen flieht. Der Kopf des Toten liegt noch immer unter den Rosen. Hat seine Reinheit verloren, seit ein schmutziges Grau das Gesicht überzog und die Stille nach dem Aufprall vom Lärm der Menge verschluckt wurde. Noch stieren die Augen voller Entsetzen, noch scheint der Mund den Atem anzuhalten, aber das Ereignis hat seine Unschuld verloren. Ein Schmerz macht sich spürbar, auch im Kind.

Ruft die Pflegemutter zum dritten Mal aus der Küche, Daskind solle endlich kommen und Kartoffeln schälen. Es sei Zeit, sich nützlich zu machen, und was es denn da oben in der Kammer treibe. Derfratz müsse nicht meinen, sie lasse zu, dass dem Herrgott auch nur ein Nachmittag gestohlen werde. Man habe Daskind nicht zum Faulenzen ins Haus geholt.

Ins Haus geholt? Daskind erinnert sich nicht. Wirft einen Blick in die Kammer, auf das große Bett mit den schweren Decken, auf den Guten Hirten an der Wand mit dem rosaroten Lamm auf den Schultern und dem sanften Hirtenblick. Unter diesem Blick bringt der Immergrüne das Hergelaufene in seine Gewalt, Daskind, das nicht zum Faulenzen ins Haus geholt wurde.

Stumm verlässt Daskind die Kammer, die eine Festung sein könnte, wäre da nicht der Immergrüne. Vorsichtig vermeidet es jede Berührung mit dem Bett, gleitet geschmeidig daran vorbei zur Tür. Aus dem Grünenzimmer ist zu dieser Tageszeit kein Laut zu hören.

Die Treppe knarrt, obwohl Daskind leise auftritt. Manchmal krab­beln Ohrwürmer die Treppe rauf und runter. Wenn sie ein Menschenohr erwischen, dringen sie in die Muschel ein und spucken ihre Brut aus, grad wie der Immergrüne seinen Schleim. Das hat Daskind von andern Kindern gehört. Jetzt sind keine Ohrwürmer zu sehen.

In der Küche liegen die Kartoffeln bereit. Schaben, sagt die Pflege­mutter, es wird nichts vergeudet in diesem Haus.

Wenn wir groß sind, sagt Daskind zu sich und sich, werden wir einen von ihnen töten.

Nach solchen oder ähnlichen Tiraden der Pflegemutter haben weder Daskind noch Kari Kenel zu lachen. Da hört man das unan­genehme Kauen der drei am Küchentisch, so still und sprachlos ist’s im Haus und doch ein Lärm, ein anderer, innerer, in den Nahrung zu sich nehmenden Körpern gefangener. Kari Kenels breites Bauern­gesicht, ein Bauer ist er geblieben, trotz der Jahre in den Zechen von Idaho, verkrampft sich vor Anstrengung beim Anblick des mahlenden Mundes seiner Frau. Von der Sennhütte sind das Scheppern der Milchkannen und scherzende Männerstimmen zu hören. Das dunkle Lachen der Hüttenmarie hallt über die Straße, so unverschämt, dass Frieda Kenel aufstehen muss, an den Herd tritt und laut mit den Pfannen hantiert. Dieses Lachen, das keine Verbitterung kennt, das sich ausbreitet wie der willige Leib einer brünstigen Frau. Wenn das Lachen verklungen ist, kehrt Frieda Kenel an den Tisch zurück, streicht über den hageren Hüften die Schürze glatt mit einem rätselvollen Blick hin zum Kind. Dann zum Mann, der geräuschvoll kaut und den Blick der Frau nicht erträgt.

Am steinernen Waschtrog taucht Daskind die Hände ins heiße Wasser. Wie jedes Mal schreckt es kurz und verstohlen zurück. Sie tut es absichtlich, denken Daskind und der Mann, sagen nichts, sind im Schweigen Geschwister. Gnadenlos. Gnaden Los. Daskind hat das Wort in der Kirche gehört, da war von Menschen ohne Gnade die Rede, denen, die gnadenlos ohne Gnade leben müssen, wenn sie können. Einige landen hinter der Kirchenmauer, in einer dunklen Ecke, im Selbstmördergrab, sagen die Kundinnen der Schneiderin Kenel, sie sagen es verschämt und mit Tadel in den Stimmen. Daskind glaubt ihnen nicht. Sie feiern Feste, wenn sich einer in den Tod leidet, weiß Daskind, werden feucht und begehrlich, wenn es ein junges Mädchen ist. Sie tragen, das hat es während all den Nachmittagen auf dem Sofa gelernt, Gewänder voller Zurechtweisungen, Untersagungen, aber darunter, auf der Haut, blüht das Gift.

Rasch zerbricht Daskind einen Becher, damit die Nacht einen Sinn bekommt. Täglich muss es etwas tun, damit die Nacht einen Sinn bekommt. Frieda Kenel schweigt auch dazu, sie weiß von den langen, sinnlosen Nächten, den spröden Hoffnungen, dem erbärmlichen Hunger im Leib.

Während Daskind sich mit dem Lappen übers Gesicht fährt und die Zähne putzt, begibt sich die Schneiderin an ihre Nähmaschine, Kari Kenel legt sich mit der Zeitung auf das rote Sofa, über ihm der leidende Jesus am Kreuz. Bald wird Daskind, für die Nacht hergerichtet, vor dem Sofa knien, vaterunserbetend die Hände falten. Dem Kind ist nie klar, wem dieses Vaterunser und die gefalteten Hände gelten, dem Silbertod über dem ausgestreckten Mann oder dem Mann selbst, der nun bald aufstehen wird, ohne die Zeitung gelesen zu haben. Der die Stube verlassen und dem Kind in den oberen Stock ins Grünezimmer folgen wird. Aber vorerst betet Daskind und weiß nicht, wem das Gebet gilt. Dann drückt es dem Mann die Hand zum Gutenachtgruß, wie man es ihm beibrachte, damals als sie das Hergelaufene ins Haus geholt haben. Auch die Hand der Frau an der Nähmaschine.

Wenn der letzte Treppenabsatz knarrt, steht Kari Kenel im Türrahmen der Stube. Im oberen Stock wird vom Kind das Grünezimmer betreten, wo der Immergrüne, zu dieser Zeit Gast im Schwanen, wie jeden Morgen ein Durcheinander an Kleidern, Gerüchen und ein ungemachtes Bett zurückgelassen hat. Daskind schaut sich um, findet den Stuhl, mit schmutzigen Wäschestücken übersät, beim Fenster, das den Blick auf den Gemüsegarten und Kenels Rosen hinter dem Haus freigibt. Auch auf den jungen Feigenbaum, von dem noch die Rede sein wird. Mit einer kleinen Handbewegung fegt Daskind die Wäsche vom Stuhl. Trägt den Stuhl in die Zimmermitte. Zieht das Nachtgewand übers Gesäß und legt sich bäuchlings auf die Sitzfläche. Lauscht den Schritten Kari Kenels. Jetzt nützt kein Bannspruch, weiß Daskind. Hört das zögernde Herausziehen des Ledergurtes aus den Hosenschlaufen, dann das Zischen des Leders in der Luft. Wenn der erste Schlag fällt, schließt Daskind die Augen. Sieht regenbogenfarbene Ornamente. Wartet, bis der Schmerz in sein Fleisch eingeht, dass es sich verwandle. Eine Schande, aus der Züchtigung unverwandelt hervorzugehen, denkt Daskind. Kind Selberschuld. Winterkind, Silberfresserin. Schmiegt sich das nackte Kind an das harte Holz. Flattervögelchen, wildes. Fallen Kari Kenels Tränen aufs gemarterte Kind. Trost in den Tränen des Züchtigers. Wer sein Fleisch liebt, züchtigt es. Wer sein Fleisch liebt, benetzt es mit Tränen. Sanft rinnen sie zwischen den Schlägen übers Gesäß des Kindes, das sich allein fühlt mit dem Flattern, mit dem verwandelten Fleisch.

Ach, Kind Selberschuld, dem Flattern gib Raum, den zitternden Flanken, kleines Tier, gib Raum, murmelt der weinende Kari, Silbergott, der jetzt zum letzten Schlag ausholt.

Nachts hört Daskind die Schritte des Immergrünen. Fluchend schiebt der den Stuhl aus der Mitte des Zimmers zum Fenster mit dem Blick auf den jungen Feigenbaum. Hastig nimmt sich Daskind vor, später eine Amsel zu schlachten. Nicht immer ist Rechtzeitigkeit möglich. Manchmal bleibt es den Tribut für den Sinn der Nächte schuldig.

Ein solcher schuldig gebliebener Tribut hatte Kari Kenel unlängst das Leben gerettet. Daskind fror und lebte in einer andern Zeit auf einem andern Stern. Da kann schon einmal ein Wunder geschehen, wenn Zeit und Raum stillstehen, sodass kein Augenblick bleibt, in der richtigen Reihenfolge zu leben. Da kann sich das Wunder aus­toben und totlachen ob dem vergeblichen Bemühen eines Kindes, Ordnung zu schaffen. Ordnung herrschte keine, als Kari Kenel Daskind mit in den Wald nahm und mit ihm den Liedern lauschte, die Bäume statt unnützer Worte gebrauchen, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Es kam nicht oft vor, dass sich Kari Kenel ohne Säge, Draht und Zange zum Vorderberg aufmachte, wo das Dorf sein Holz für den Winter hernahm. Doch wenn der Pflegevater ohne Werkzeug in den Wald ging, so wusste Daskind, war es das Heimweh, das ihn trieb und seine Füße mit Flügeln versah. Eine Krankheit, nannte er dieses Weh, von dem Daskind keine Ahnung hatte, da es seine unbefriedeten Örtlichkeiten, in die man es hineinzwang, als etwas Gegebenes verstand, in dem man sich einzurichten hatte. Dort sein zu wollen, wo man gerade nicht war, hätte für Daskind den sichern Tod bedeutet, denn in seiner Welt hieß träumen einen Augenblick vergessen, dass man sich immer und überall vorzusehen hat, weil immer und überall Gefahr droht. Kari Kenel aber hatte Heimweh und gab damit zu verstehen, dass er sich in seiner Welt nicht vorzusehen hatte. Er konnte sich eine Zeitreise nach Idaho leisten, Daskind an seiner Seite vergessen. In sich gekehrt schritt er dem Vorderberg zu, dessen Waldgürtel unterhalb des breiten Bergrückens ihm die Illusion verschaffte, in den Wäldern Idahos zu wandern.

Daskind war verwirrt. Die Hände auf dem Rücken, wie es Erwach­sene tun, versuchte es, mit dem Pflegevater Schritt zu halten. Der da neben ihm lief, war nicht der Mann, der weinende Gott, dessen Tränen seinen nackten Körper benetzten, wenn er mit bedächtigem Zorn auf es einschlug, oft bis Blut floss. Der hier glich jenem melancholischen, jungen Mann mit dem großen, breitrandigen Hut, von dem die Waldfrau, zu der sich Daskind ab und zu flüchtete, behauptete, dass er ihr Bruder sei. Dann leuchteten ihre Augen, und liebevoll glitten ihre Hände über die leicht vergilbten Fotografien und Ansichtskarten in der Schuhschachtel, die griffbereit in der Küche, auf einem hohen Stapel alter Zeitungen aufbewahrt wurde. Auf dem Deckel war eine Landschaftsansicht aufgeklebt, die aus einer Zeitschrift stammen musste. Im Vordergrund waren düstere Gebäude zu sehen, die sich wie verlassene Katzen aneinanderschmiegten. Sie schienen dem Kind bedrohlich und fremd. An einem Brunnen wuschen sich Männer mit nackten Oberkörpern. Ihre lachenden Gesichter glänzten schwarz, und aus diesem Schwarz leuchteten weiße, gefährliche Raubtierzähne. So jedenfalls empfand es Daskind. Wie Neger, schmunzelte die Waldfrau, aber einer von ihnen sei Kari, der da, sie zeigte auf einen der lachenden Männer; der hochgewachsene, der schöne Kari, so habe man ihn in seiner Jugend genannt. Daskind, das nicht spricht, denkt an den weinenden Silbergott, dem das Blut nicht aus dem Herzen fließt wie dem Silberleider über dem Sofa.

Ein Kind wie Daskind ist leicht zu verwirren, wenn keine Ordnung herrscht. An jenem Tag, einem hellen Frühsommertag, trottet das Kind neben dem Mann her, der es verwirrt. Sie haben die Häuser hinter sich gelassen, in der ersten Steigung wird ihr Schritt langsamer. Weil Daskind auf dem nassen Laub ausrutscht, versucht es, die Hand des Mannes zu fassen, der, weit entfernt, zwischen sich und dem Kind ein Ozean, einen andern Weg geht und dem Kind die Hand nicht reichen kann. Also hält sich Daskind an die Gerüche des Waldes. Und an das Zwitschern, Zirpen und Trillern der Vögel. Manchmal flieht ein Hase ins niedrige Gebüsch, ein Eichhörnchen auf den nächsten Baum. Eichhörnchen, sagt der Mann, oder Hase, ein Wind streicht ihm das graue Haar aus dem Gesicht, sodass die gefurchte Stirn zu sehen ist. Und die Augen, grau wie das Haar. Der Wind hält den Himmel in Bewegung. Das heisere Bellen eines Fuchses ist zu ­hören. Kari Kenel berührt Baumstämme, betrachtet ihren Wuchs, runzelt ab und zu unwillig die Stirn. Daskind tut es ihm nach, bleibt ihm auf den Fersen, stumm. Die Bäume singen ihre Lieder; Buchen, Birken, hohe, schlanke Tannen miteinander im Gespräch, das jedenfalls behauptet Kari Kenel, wenn er dem Kind den Wald erklärt. Der bewundert das helle Grün der jungen Buchenblätter, ohne, vom Gedanken ans Grünezimmer aufgeschreckt wie Daskind, wegschauen zu müssen. Der sieht ein anderes Grün, einen andern Wald, weit entfernt im fremden Land.

Sie erreichen die Lichtung. Das Weiberfeld. Vor vielen Jahren, erzählen sich die Dörfler, habe sich hier eine am eigenen Fleisch und Blut versündigt, das Gesetz Gottes verachtend. Da sei der Teufel in die Lichtung eingebrochen und habe die Mächler Olga geholt. Noch heute, bei klarer Vollmondnacht, höre man das brünstige Geschrei der Hure.

Den Sohn habe keiner im Haus gewollt. Als Knecht habe er nichts getaugt, nicht richtig im Kopf sei er gewesen. Irgendwann nachdem sich der Mächler Marti zu Tode gesoffen habe, sei auch der Sohn verschwunden.

Daskind setzt sich ins Gras, rupft am blühenden Thymian, atmet den bittersüßen Duft, denkt ans Geschick der Hure. Es muss das Grün sein, denkt Daskind, Kind Selberschuld, das Grün. Ein Wolkenschatten zerlöchert die Grasfläche. Schweigend kauen Kind und Mann.

An wuchernden Berberitzen und Sanddorn vorbei nehmen sie den Abstieg. Den schwierigeren Weg, sagt Kari Kenel, der sei ihm lieber. Der Weg führt einer Schlucht entlang. Aus dieser Schlucht soll der Teufel gekommen sein, um die sündige Mächlerin zu holen. Tief unten im Gestein orgelt der Bach, schleift sich durch den Fels dem Dorf zu, wo er, seiner Gewalt beraubt, die Bewohner mit seinem reichen Fischbestand erfreut.

Langsam setzt Kari Kenel Fuß vor Fuß. Hier im Schattloch bleibt der Saumpfad den ganzen Sommer über nass und glitschig. Es ist also trotz der genagelten Militärschuhe Vorsicht geboten. Leichtfüßig hinter ihm Daskind. Macht sich ein Spiel daraus, möglichst nah am Abgrund zu gehen. Hört das Orgeln des Bachs als ein grünes Gebet. Lästergebet, Lichtfressergebet. Hört die Brunstschreie der Mächlerin und die des Entsetzens. Greift nach dem Rücken des Mannes vor ihm, der, auf den Stoß nicht gefasst, auf dem nassen Waldschlick ausgleitet, stolpert und schwer in die Zweige über dem Abgrund fällt. Eine Ewigkeit Erschrecken in den Augen Kari Kenels, der – von den Zweigen aufgehalten – erst in den Abgrund unter ihm und dann ins Gesicht des Kindes starrt. Dunkel ist das Grau vom Erschrecken. Schaut Daskind durch die Angst hindurch mit festem Blick bis zum jubelnden Schrei der Mächlerin, zum Schrei, der ein Tier ist in eisiger Nacht. Kind Ohnegrund. Kann den jetzt unbewegten Himmel über sich einatmen. Und die Angst des Mannes im Gezweig. Könnte zutreten, die Hand, ins Holz verkrampft, zertreten. Müsste fallen, in jene Nächte zurückfallen, aus denen es emporgestiegen ist, in jene eisigen Nächte, die Daskind bewohnt und schon immer bewohnt hat. Wäre Ordnung für lange im Kind.

Aber einer wie Kari Kenel ist ein Widergänger. Bannt den Blick des Kindes trotz der Angst, überrascht das Kind mit stiller Ergebung. Schon löst sich das Bild auf, wird zum Schatten, als der Mann die Hand ausstreckt und dann wieder auf festem Boden steht. Neben dem Kind. Die Hand des Kindes in der Hand des Mannes. Das weint jetzt, Daskind. Hat einen neuen Schmerz gefunden.

Daskind - Brandzauber - Angeklagt

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