Читать книгу Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3 - Mario Covi - Страница 10
8. SIMPATICO
ОглавлениеDa mag der Wind wehen wie er will, Hein Seemann wird mit seinen Döntjes irgendwann immer in Gewässern landen, wo es mit tantenhafter Kaffeekränzchenziererei vorbei ist. Und was soll’s auch! Storys aus Puffs und Pinten erzählen doch nur von den Schwächen und Schwachheiten der Seeleute, haben also etwas sehr Menschliches an sich.
In meinem Wust von Tonbändern fand ich folgenden Mitschnitt einer Plauderei mit dem Ersten meines damaligen Schiffes, Ende 1980. Er erzählte aus der Glanzzeit Puerto Limóns, Costa Rica, so in den Jahren 1966, 1968.
„Das war in Puerto Limón die erste Zeit auch noch so. Wenn man am ersten Abend an Land ging, und man war mit einer los, und am nächsten Abend wollte man nicht wieder, da hattest du aber ´n schweren Stand! Damals war das noch alles in der Stadt. Richtige Kneipen mit Bordellbetrieb nebenbei, kleine Tanzlokale‚ Oasis-Bar, Portuguesa-Bar…“
„War das die berühmte Kneipenreihe direkt gegenüber der Pier?“, fragte ich.
„Nee, das war in Puerto Cortés, Honduras. Da machte man gleich die Leinen vorm Puff fest. Der Dampfer hatte gerade angelegt, da war die Besatzung schon verschwunden. Dann wurde mal kurz mit dem Typhon gehupt, und da guckten aus irgendwelchen Fenstern die ‚Piepels‘ (Seemannsschnack für Leute, englisch ‚people‘) heraus. Dann hieß es: wenigstens Ladebäume hoch und Luken auf, und dann waren sie wieder verschwunden. Zum Mittagessen wurde wieder kurz gehupt. Dann waren sie abermals verschwunden...“
„Tja, das waren heiße Zeiten! Aber das ist dann bei ‚Fifi‘ alles unter den Wellen begraben worden.“
„Wer war Fifi?“
„Ein Hurrikan. Sommer 1974.“
„Wie sah das denn vorher aus?“
„Na, da war die Pier, dann kam eine schmale Straße, so dass ein Lastwagen fahren konnte, und auf der anderen Seite, da waren einstöckige kleine Holzhäuser. Unten die Kneipe und oben waren die... diese... kleinen Abteilungen...“
Der Erste wusste sich zu zieren. Früher oder später würde das Wort ‚Fickställe‘ aber doch fallen, mit dem die Seelords die kleinen Liebeskabuffs so drastisch zu bezeichnen pflegten.
„Was kostete zu der Zeit noch so eine Nacht der heißen Liebe?“, fragte ich den Ersten.
„Ach du großer Gott! Fünf Dollar, dann war man besoffen und man hatte seine kleinen Freuden dabei. Eine ganze Nacht lang, und morgens um halb sieben war noch das Frühstück mit drin...“
„Die Damen durften nicht rüber aufs Schiff kommen?“
„Nee, rüber durften sie nicht. Von Seiten der Schiffsführung aus... Aber oben, da hatten sie so einen kleinen Balkon. Und morgens, da veranstalteten dann alle Damen auf ihren Balkons die große Waschung. Dann haben sie sich entblößt und von oben bis unten abgeschrubbt. Und auf dem Dampfer, da standen sie alle mit Ferngläsern und stierten! Das war dann noch so ´ne kleine Zugabe. Wie gesagt, das Notwendigste an Bord wurde erledigt. Aber in der restlichen Zeit hatte man sich in den Kneipen oder in den Betten herumgetrieben!“
„Wie lange habt ihr gelegen?“
„So ´ne Woche.“
„War das ein Bananenhafen?“
„Nee, Stückgut und Bananen, aber da war extra eine Bananenpier.“
„Wie lange lag so ´n Bananenjäger?“
„Wir haben für 235.000 Kartons etwa acht Stunden Ladezeit gebraucht. Aber das war meist nur in Cortés, wo das so schnell ging. Zum Glück klappte das mit der Eisenbahn nicht so recht. Wenn da Stückgutdampfer und Bananenjäger lagen, dann ging die große Schlägerei um die Waggons los. Wer am besten schmierte, der bekam die Waggons. Und, hatte man Glück, dann waren die Waggons weg!“
Wer kannte ihn nicht, den ‚Bananaboat-Song‘ von Harry Belafonte, in dem der Tallyman zum Zählen der Bananen aufgefordert wurde, zum Tallieren, wie Seeleute das Nachzählen gelieferter Stückgutpartien nannten. Auch sang Harry Belafonte von tödlichen schwarzen Taranteln, die sich in den Bananenstauden versteckten. Tatsächlich wurden einst mit diesen Stauden Ungeziefer und Giftschlangen auf die Schiffe geschleppt. Ein Bananenfahrer erzählte mir einmal, wie er die Reaktion eines Arbeiters an der Pier erlebte, der von einer hochgiftigen Schlange in die Hand gebissen worden war: „... In no time hatte der seine Staude hingeschmissen, seine Machete aus dem Gürtel gerissen und sich mit einem Hieb die Hand abgehackt! Dann war er ohnmächtig zusammengebrochen. Aber das war seine einzige Chance, zu überleben...“
Zurück zu erfreulicheren Dingen in diesen Bananenrepubliken!
„Und das ist vorbei mit Puerto Cortés?“
„Na, die Pieseln mit den gleichen Namen, die gibt’s noch alle. Bloß sind die jetzt nicht mehr direkt am Hafen. Durch den Hurrikan war ja die ganze Pier weg. Die Hälfte der Stadt, das war alles platt!“
„Hatte es Tote gegeben?“
„Ja, eine ganze Menge! Vor der Küste, die kleinen Inseln, die Cays, die waren zeitweise ganz weg.“
Die mittelamerikanischen Staaten waren stets durch Hurrikane und Hochwasser bedroht. Ich erinnere nur an den Hurrikan ‚Mitch‘ im Jahr 1998, der allein in Honduras mindestens 6.000 Menschleben gefordert hatte.
„Jetzt habense ´ne neue Pier, und die Kneipen sind mehr in der Stadt. Das ist jetzt alles rein Business, ne? Nicht mehr diese Freundlichkeit, diese Liebe, wie es vor zehn Jahren war. Das ist vorbei. No money – no honey!“
„Tja, no money – no honey... Gibt es denn die anderen Häfen noch?“
„Aber ja, haben wir ja mitgekriegt, dass es noch solche Häfen gibt“, meinte der Erste und erinnerte uns an unsere Erinnerungen – wir hatten gerade eine ereignisreiche Amazonasfahrt hinter uns. „Häfen, wo man nicht gleich nach dem Geld fragte...“
Jeder Seemann, der damals Lateinamerika kennen gelernt hatte, wusste garantiert von einem Simpatico-Erlebnis zu berichten. Simpatico, damit bezeichneten wir Seeleute die aus Sympathie verschenkte Gunst südamerikanischer Mädchen. Ein Seiten füllendes Thema! Aber, es herrschte auch die Auffassung, dass diejenigen, welche von derartigen Gunstbezeugungen schwärmten, sich allesamt in die eigene Tasche logen. Man konnte ja sehen, dass am Ende einer heißen Hafenzeit diejenigen, denen das alles nichts gekostet haben wollte, ebenso blank und pleite waren wie die anderen Janmaaten.
Trotzdem besteht fast jeder Südamerikafahrer auf seine ureigene Erinnerung an so eine süße, heiße, aus reiner Sympathie verbrachte Liebesnacht! Und wenn man der Mädchen leidenschaftliches Entgegenkommen mal mit einem hübschen Kleid, einem Stück Schmuck oder einer Geldüberweisung an die darbende Mutter belohnte, so war das keine Bezahlung, nein, höchstens ein Vergelten in Naturalien, beglückender als das Hinblättern des Hurenlohns, Augenwischerei für beide Seiten, klar, aber eben viel sympathischer!
Wow! Zurückblickend – und auf den Bandmitschnitten zurückhörend - kommen ja richtige Jugendsünden zum Vorschein: „Wenn ich mir überlege, du, wie ich das erste Mal in Buenaventura war, so als unbedarfter Funker, über beide Ohren in so ´ne kleine Kolumbianerin verliebt...“ – Puh, wenn man sich selber so tönen hört, ich weiß nicht... Jedenfalls beichtete ich da ohne Reue: „...Und dann, abends, na ja, in die Koje, der Liebe frönen, aber vorher? Die war fromm, die hatte sich vor der Koje hingekniet und gebetet. Über dem Bett hing alles voll mit Bildern von Jesus und Maria und sämtlichen Heiligen. Und da waren rote Lämpchen, keusche rote Lämpchen. Alles schön kitschig illuminiert. Irgendwie rührend. Und sie war so ´n richtig niedliches Mädchen, und ich war noch in meiner etwas religiöseren Phase zu der Zeit und sagte mir, betest halt mit. Da haben wir zusammen vor der Koje gekniet, unser Abendgebet gesprochen, und dann sind wir in die Koje gehopst und haben herrlich und in Freuden gebumst!“
So richtig schön geschmacklos, ich weiß! Aber sollen Dinge, die geschehen sind, unbedingt anders dargestellt werden, nur damit sie sich besser ausnehmen, vielleicht stilvoller sind? Ich hatte nun mal mit dem wilden süßen Vogel vor der Lotterliege gekniet, und wir waren glücklich da oben auf dem berüchtigtsten Lasterhügel Südamerikas. Laut Aussage einiger Seeleute hatte er allerdings schon vor vielen Jahren sein schamloses Existieren einstellen müssen. So wird dieses Stück erlebter Geographie nur noch im unerschöpflichen Vorrat ausschweifender Seemannspuffgeschichten weiterleben: ‚La Pilota‘, das verruchte Teerjackenparadies oben beim Wasserturm in Buenaventura, Kolumbien, Pazifikküste, von Seeleuten ‚Schanker-Hill‘ genannt.
Ich war zu jener Zeit – 1962 - wirklich noch ein unbedarfter Jüngling im stoppligen Haar, aber die Atmosphäre in diesem Pfahlbauviertel am Berghang hatte mich ungemein fasziniert. Diese lebensüberschäumende Kloake, dieses betörende und gleichzeitig verstörende Wuchergeschwür einer typisch lateinamerikanischen Gesellschaftsstruktur.
Vom Hafen bis zum Wasserturm kostete damals ein Taxi drei Pesos. Zu Fuß durch die Slums unterhalb des Hügels zu gehen galt als äußerst gefährlich. Auf einem Schiff erzählte man mir, ein ganz Selbstbewusster habe sich auf seine Cleverness, seine Körperstärke und seinen Revolver verlassen, als er dem Schanker-Hill zustrebte. Er war dann zwar lebend, aber nur noch in Unterhosen an Bord zurückgeschlichen gekommen.
Oben, auf dem Hügel, reihten sich die Bars, Tanzschuppen, Bumslokale und Imbiss-Stuben, allesamt Stätten des Lasters, zu beiden Seiten einer schlammigen Straße. Meist waren die Verschläge blau, türkisgrün oder in geilem Rosa gestrichen, den Lieblingsfarben der Dritten Welt. Nach hinten raus standen manche der Holzhäuser, wegen des abfallenden Geländes, auf hohen Pfählen. Aus diesen Piratenspelunken waberte eine aufregende Mischung aus Lärm und Gerüchen, Musik und brünstigem Moschus. In einigen furchterregenden Höhlen bewegte sich eine dichtgedrängte Masse schwitzender Kolumbianer, meist Mulatten und Schwarze, im hypnotisierenden Gehämmer greller Cumbias und Merengues. Sie ließen ihre Hüften im ungestümen Stakkato der fetzigen Dschungelrhythmen kreisen, deren afrikanische Ursprünge unverkennbar waren. Was war das für ein lustvolles Unterleibwiegen! Was für ein prachtvolles Wogen saftiger Weiberhintern!
An dem einen Ende des Kolumbianerkiezes gab’s auch eine deutsche Bierschwemme, die ‚Hamburg-Bar‘, mit deutschem Wirt – vermutlich einem achteraus gesegelten ehemaligen Seemann – und Freddy-Schnulzen über heimwehkranke treudeutsche Sailor-und-Söldner-Mannhaftigkeit. Nein, dann schon lieber diese Flammenwerfer-Merengues, die glutvollen Leidenschaftsausbrüche südamerikanischer Musikalität!
Und dann, die jungen Frauen! Milchkaffee-Mestizenmädchen und Mahagoni-Mulatas! Schwarzlockige ‚Chiquitas‘, in deren Adern sich das Blut altspanischer Konquistadoren, indianischer Bergbauern und afrikanischer Sklaven zu roter Pfeffersauce vermischt hatte! Wildlinge mit Kohlenaugen, deren Blicke einem Seemann das Herz brachen! Vollblutsweiber mit Lippen, deren Weichheit den hartgesottensten Bootsmann und Matrosenschinder zum Streichelbärchen zähmte!
Aber, sie hatten auch Zähne, diese Teufelchen, und sie waren zu einer Leidenschaft fähig, die vor Blut nicht zurückschreckte. Wehe dem Seemann, der mal hier, mal dort naschen wollte! Wenn die Liebe letztendlich auch meist bezahlt wurde, ‚Amor‘ und ‚Cariño‘ waren Worte, die vor allem in Kolumbien mit rollendem Zungenschlag gesprochen wurden. Und einer feurigen ‚Colombiana‘ Liebe war seit jeher heiß, unbändig und erbarmungslos – ob von Dauer, stand ja nicht zur Diskussion! Da flogen die Fetzen, wenn sich zwei Señoritas gegenseitig des Männerausspannens bezichtigten. Da flogen auch manches Janmaaten Fetzen, wenn sich die Mädchen solidarisierten und gegen den Weiberhelden Front machten. Und es floss Blut! Rasierklingen und Messer gehörten zur Standardbewaffnung der ‚Chicas‘, abgebrochene Flaschenhälse standen im Handumdrehen als barbarische Bedrohung zur Verfügung – und wurden auch blitzschnell benutzt!
Eine, enttäuscht vom verglimmenden Strohfeuer einer heftigen Liebesnacht, bewies ihrem Sailor die Grenzenlosigkeit ihrer Leidenschaft, indem sie mit so einem Mordinstrument jene delikate, markant bewaldete Erhebung ihres von Liebe und Drogen aufgepeitschten Körpers bearbeitete, der Ästheten einstmals die eher in einer topographischen Karte zu vermutende Bezeichnung ‚Venushügel‘ verpasst hatten. Blut und Selbstverstümmelung als Liebesbeweis! Danach wunderte ich mich nicht mehr über die Narben, die einige der Hafenmädchen stolz vorzeigten. Doch meistens hatten sie diese weder im Zweikampf, noch im Wahn der Leidenschaft davongetragen, sondern hatten sie sich kühl berechnend vor dem Spiegel selbst zugefügt, so akkurat saßen die dekorativen Schmisse und Schmucknarben.
Natürlich spielte Rauschgift in diesem Milieu eine Rolle. Die alte Indianer-Koka vielleicht, bestimmt aber Marihuana, das im fernen Europa noch so gut wie unbekannt war. Im nüchternen Zustand betrachtet war das gesamte ‚Barrio‘ sowieso ein von Laster, Verbrechen, Elend und Seuchen aufgedunsenes Geschwür, dem Hein Seemann nicht ohne Grund den wenig schmeichelhaften Kosenamen ‚Schanker-Hill‘ gegeben hatte. Neben vielen anderen südamerikanischen Gestaden war Kolumbien als heißes Pflaster verschrien. Bereits auf Reede, im Fluss, hatten Piraten unser Kabelgatt geknackt und tausend Liter Schiffsfarbe gestohlen.
Die politischen Verhältnisse hatten der Gewalt einen erheblichen Stellenwert eingeräumt. ‚Violencia‘ war kolumbianischer Alltag. ‚Bandoleros‘ trieben auf eigene Faust ihr Unwesen, oder sie fanden einen Job entweder bei der linken Guerilla, bei den rechten Todesschwadronen, oder – mittlerweile – bei der Drogenmafia. Korruption, Violencia und die erbarmungslose Chancenlosigkeit des kleinen Mannes, es war eigentlich fast egal, von welcher Seite in Kolumbien die Schüsse fielen. Sie waren, und sind meist tödlich – und außer dem Weltrekord in Sachen Drogenanbau ist das Land seit jeher auch rekordverdächtig bei Mord und Totschlag!
Was Wunder also, dass da oben auf dem Schanker-Hill ein kernig als Westernheld ausstaffierter Sheriff patrouillierte: Bodyguard der Bar- und Bumsbesitzer, Gorilla für Gäste, Zuhälter, Puffmütter und das Heer der Nutten. Ein Söldner, der zur Gaudi der Seelords filmechte Szenen lieferte, wenn er die Kaschemmen stiefelstampfend und sporenklirrend betrat und seinen Colt gegen die Decke leer ballerte, oder einer peinlichen Wandbemalung das Auge ausschoss. Es hieß, dass diese ‚Pistoleros‘ in regelmäßigen Abständen branchenüblich und stilgerecht abgestochen oder umgenietet wurden.
Trotz solch martialischer Show von ‚Law and Order‘ wurde in den dunklen Gassen geraubt und gefleddert. Das Wechseln der Kneipe, der kurze Weg von einer Pinte zur nächsten, konnte mit einem Schlag über die Rübe enden. Ich sah manchen Seemann wutentbrannt sein Handgelenk reiben: die Uhr war weg!
„Ich bin nur eben vom Nachbarpuff rübergekommen!“, schimpfte einer der ausgeplünderten Matrosen. „Nur ´n paar Meter, ´n paar Schritte! Da waren vier, fünf Jungs. Kinder. Rotzfreche Bengels, flachsen mit mir herum, blödeln, kreisen mich ein, und in null Komma nichts hattense aber auch alles gezottelt!“
„Jaja!“, lachte da ein anderer Janmaat und zitierte versonnen den albernen schweinischen Stammtisch-Schnack: „Geld im Eimer, Uhr ist weg, an den Fingern Mösendreck, und im Herzen Trippersorgen: das ist Seemanns Montagmorgen!“
Lange, bevor diese kolumbianischen Kinder-Desperados in der Weltöffentlichkeit Beachtung fanden – etwa die ‚Gamines‘ der Hauptstadt Bogotá -, hatten sie an Örtlichkeiten wie Schanker-Hill ihr Unwesen getrieben. Kinder, die im Kampf ums Dasein zu Banditen geworden waren.
Indes, was ficht den Seemann die Weltpolitik, die Machenschaften der Mächtigen an! Dort oben beim Wasserturm wollte man das Leben kosten und nicht die Welt verändern, man wollte nachholen, was man auf langen Seetörns versäumt zu haben glaubte, man wollte sich an der prallen Titte des sündigen Lebens säuisch satt trinken! Man gab der einen oder anderen elendigen Bettlergestalt einen Peso, oder scheuchte sie weg wie die ‚Chuchos‘, die räudigen Gassenköter. Und wenn man, ohne ausgeraubt worden zu sein und ohne sich einen weggeholt zu haben, über die Runden gekommen war, na, dann konnte man echt nicht murren!
Ich weiß nicht mehr, wie lange unser Frachter in Buenaventura lag. Ich weiß nur noch, dass wir alle leuchtende Augen hatten. Die ersten Nächte verbrachte ich in diesem von Lämpchen und Heiligen bewachten Kabuff, direkt neben der Musikbox, die ununterbrochen fetzte oder schluchzte. Vielleicht war das eine feinfühlige Vorschrift, denn die Wände zwischen den einzelnen Brunftboxen waren so niedrig und dünn, dass ein einziges sittenloses Röhren und Kichern die luftigen Rattenverschläge durchtost hätte.
Ein älterer Fahrensmann, der mit seinem Sohn zur See fuhr, erzählte mir von einem Landgang in Indonesien, wo auch er den sanften Verlockungen eines Mädchens erlegen war: „Ich bin da in so ´nem windigen Verschlag mit der Lütten inne gang, da grunzt und rammelt nebenan einer so unverschämt, dass ich gegen die Bambuswand brülle: ‚He, Seemann! Gleich fällt uns beiden die Bude auf ´n Arsch bei deinem Gedöns!‘ – Sofort war der Kerl mucksmäuschenstill. Ich denk schon, der hat sich davongemacht mit seinem Vogel, da hör ich’s flüstern: ‚Vadder, bist du’s?‘...“
Tja, eine plärrende Musikbox hätte die peinliche Begegnung zwischen Vater und Sohn am nächsten Morgen – „Sag bloß Mudder nix!“ – überflüssig gemacht...
Zurück nach Kolumbien. Dort oben unterm Wasserturm konnte es einem natürlich auch passieren, wenn man an einem Nachmittag das verrufene Viertel längs schlenderte, die letzten Cujambels soeben verjubelt hatte und sich allmählich mit dem Gedanken des Abschiednehmens anfreundete, dass eine der reiferen Vollblutweiber auf einen zukam, lächelte, einen an der Hand nahm und zu sich in einen schummerigen Verschlag schleppte. Jegliches Argumentieren, dass man blank sei und nur noch drei Pesos für ein Taxi zurück zum Schiff besitze, wurde mit verspielten Zärtlichkeiten weggewischt, mit erwachender Leidenschaft erstickt. - „Simpatico“, hieß es dann nur.
Ach ja! Das alte Zauberwort ‚Simpatico‘...