Читать книгу Seefahrt - Abenteuer oder Beruf? - Teil 3 - Mario Covi - Страница 3
1. AUCH DAS MEER IST UMWELT
ОглавлениеEin halbes Jahr war ich nun auf der "Marlene-S". Nächste Reise sollten wir in die Karibik. Eventuell...
Wir lagen in Ellesmere, bei Liverpool, und eine Horde von Hafenmädchen tummelte sich an Bord. Arbeitslose junge Dinger, zum Teil ganz niedlich, zum Teil armselige, schlampenhafte Kreaturen.
Drei Tage später, am 22. April 1982, erfuhren wir, dass es nichts würde mit der Karibikreise. Wir fuhren erst mal nach Antwerpen. Da im Augenblick keine Charter aufzutreiben war, sollten wir anschließend nach Bremerhaven in die Werft gehen. Das war die große Gelegenheit, Frau und Kind wiederzusehen!
Als wir Vlissingen passierten, rief Kapitän Edeling (alle Namen meiner Kollegen sind auch in diesem Band geändert) von der Brücke: „Funker, komm mal schnell hoch: Da! Ihre Kollegen!“ – Und er wies auf ein ankerndes Greenpeace-Schiff, das, wie ich erfuhr, einem Säureverklapper auflauerte. Ich fühlte mich geehrt, mit den weitaus konsequenteren Regenbogenkriegern auf eine Stufe gestellt zu werden. Ich spürte aber auch die hämische Provokation. Denn der Alte machte keinen Hehl daraus, diese Typen alle für Spinner, das Problem der Umweltverseuchung für übertriebenes Gerede, die Proteste gegen eine Vergewaltigung unseres Planeten für inkompetente Behinderung wichtiger Industriezweige durch wirklichkeitsfremde Traumtänzer zu halten. Es ärgerte mich, dass sich derlei Scheuklappenperspektive mit dem Attribut realistischen Denkens zierte. So fragte ich die feixende Brückengarde, ob es denn keine traumtänzerische Beschränktheit sei, vor Tatsachen wie Giftmüllskandalen oder Ölpest die Augen zuzukneifen. Den Alten fragte ich, ob es ihm entgangen sei, dass beispielsweise Elb-Aal wegen Schwermetallrückständen und Blumenkohlkrankheit nicht mehr genießbar sei. Seine Antwort war wie eine Formel, die kaum deutlicher artikulierte, wo der Hund begraben lag: „Wieso, ich esse keinen Aal!“
Das war einer der Augenblicke, in denen es einem die Sprache verschlägt. Der absolute Sieg trivialer Binsenweisheit...
Es war schon erstaunlich, wie man vor jährlich 50 Millionen Tonnen Umweltgiften, die behördlich abgesegnet in der Nordsee verklappt und verbrannt wurden, die klugen Blauäugelein schließen konnte. Da schütteten Passagierschiffe, auch deutsche, täglich Tonnen von Abfällen ins Meer. Dieselben zu TV-Kitsch vermarkteten Luxus-Liner, die ihren Fahrgästen die heile Welt zu zeigen vorgaben. Ein Offizier berichtete mir, man habe peinlich darauf geachtet, dass – etwa in den malerischen Fjorden Norwegens – der Müll keine imagezerstörenden Gegenstände, auf denen der Schiffsname stand, enthalten habe.
Da wurden Tanks gewaschen und ohne mit der Wimper zu zucken in verbotenen Zonen Öl und Bilgenschlamm ins Meer gepumpt. Ins gleiche Bild passten die kleinkarierten Behördenmaßnahmen, um Öltagebuchfälschern das Handwerk zu legen. Wenn da ein sowieso schon morscher Supertanker auch noch tüchtig überladen Wilhelmshaven anlief und dies ruchbar wurde, konnte die Wasserschutzpolizei nur die Höchststrafe von 10.000 Mark verhängen. Vorausgesetzt, die Gesellschaft, deren Flagge die potentielle Ölpestbombe zierte, war überhaupt über irgendein Fürstentumpostfach oder einen bananenrepublikanischen Briefkasten zu erreichen. Dabei waren zehn Mille nur ein Trinkgeld im Vergleich zum Reibach, der durch die Überladung gemacht worden war. Das Geld ließ sich lächelnd, mit einem weltmännischen „Sorry!“ über den Kapitänsschreibtisch schieben. Im Zweikampf gegen das internationale Profitpiratentum zogen die Behörden dauernd den Kürzeren. Das erbitterte auch viele ehrenwerte Kapitäne, Reeder und Seeleute, die derartiges Verhalten als unfairen Wettbewerb und alles andere als erstrebenswert fanden.
Ich blättere in meinen Tagebuchblättern zurück und finde unter dem 20. Juni 1981 folgenden Eintrag: „Erreichen die Straße von Gibraltar. Abends stellen sich der Chief und der Zweite Ingenieur zu einem Tonbandgespräch zur Verfügung, dessen einleitendes Thema mir in den Sinn kommt, als wir die südspanische Sonnenküste entlang pflügen: Das Wasser ist voller Unrat und Dreck. Hier hatte ich mich vor etwa sechs Jahren mit einem Australier im Faltboot hinausgewagt, und in einem langgezogenen Strömungsband voller Abfälle waren wir zweimal einem Hai begegnet, der sich in dieser witterungsgesättigten Jauche sichtlich wohl fühlte. Wir hatten ihm mit leisen Paddelschlägen weiten Raum gegeben, was der haierfahrene australische Kanu-Surfer bei den Ausmaßen der Rückenfinne als Gebot der Vernunft erachtet hatte...“
Damals, Mitte der siebziger Jahre, war mir die Verschmutzung dieser Gewässer hautnah vorgeführt worden. Inzwischen war mir beim Schippern durch das Mittelmeer immer deutlicher geworden, welche Sauerei da stattfand. Im Bereich großer Küstenstädte wurde die See zur keimstrotzenden Kloake. Streckenweise konnte man im Mittelmeer alle paar Meter ein Stück Plastik schwimmen sehen: leuchtende Einkaufstüten, bunte Kunststoffkanister, weiße Styroporfetzen, die Farbenpracht sämtlicher Polyäthylen-Gebrauchsartikel, denen eine gedankenlose Wegwerfgesellschaft Lebewohl gesagt hatte. Und diese farbenprächtige Schweinerei war nur die augenfällige Oberfläche eines weitaus tiefer gehenden Problems, vor dem auch wir Seeleute gerne die Augen verschlossen.
So fragte ich also den Chief, was mit dem alten Öl gemacht werde.
„Normalerweise kommt das in den Schlammtank, und dann – irgendwie geben wir das dann an Land. Wenn die Möglichkeit besteht. Oder man pumpt es ab, in Ölzonen, wo das erlaubt ist.“
„Nun sind Sie aber in einem Fahrtgebiet, wo das nicht möglich ist. Was machen Sie dann?“
„Tja, was mach ich dann... Wenn’s dunkel ist, dann raus den Mist. Und hoffen, dass es keiner sieht!“
„Es ist nicht erlaubt. Aber, aus welchen Gründen machen Sie es trotzdem?“
„Um Schwierigkeiten mit der Reederei aus dem Wege zu gehen. Und weil ich keine Gelegenheit habe, das Zeug abzugeben. Wo soll ich damit hin?“
„Haben Sie das schon so praktiziert?“, fragte ich noch einmal. Des Chiefs Antwort war ehrlich: „Natürlich!“
Wir kamen auf das Öltagebuch zu sprechen. Chief und Zweiter waren sich einig, dass man eventuelle Falscheintragungen mit größter Vorsicht vornehmen sollte. Der Chief gab zu: „Ja, man muss es schon frisieren, mit der Menge, muss eben sagen, dass alle vier Wochen oder so gepumpt wurde. Oder mal richtig was aufschreiben: fünf, sechs, sieben Tonnen. Und da muss man mit hinkommen. Man darf da nicht zu oft was reinschreiben!“
Der Zweite meinte zu diesem Problem: „Wurst ist mir das auf gar keinen Fall! Und wenn ich Öl über Bord pumpe, dann ist das für mich, dass ich unter einem Zwang stehe, das zu machen. Weigere ich mich, dann kann ich damit rechnen, dass ich die längste Zeit, wenn ich Chief wäre, als Chief gefahren bin. Also ist das eine reine Überlegungssache, dass einem das Hemd näher ist als die Hose, und man dann das Öl doch in verbotenen Gebieten über Bord pumpt. Es bleibt einem ja gar keine andere Möglichkeit, wenn man Familie hat, wenn man Verpflichtungen hat...“
Die beiden Schiffsingenieure konnten noch ein markantes Beispiel für die Aggressivität des Mittelmeerwassers beisteuern. Sie erzählten, dass sie die Seewasserrohre im Mittelmeergebiet alle sechs Monate austauschen müssten. „Dann sind sie durchgefressen“, sagte der Chief. „Wenn wir aber im Atlantik, oder sonst wo herum schippern, dann halten die Dinger gut und gerne zwei Jahre!“
Über die Manipulationen, mit denen Kapitän und Chief eines Säureverklappungsschiffes die Umwelt betrogen hatten, berichtete mir ein ehemaliges Besatzungsmitglied: „Die bekamen pro Abfahrt eine extra Prämie. Also ließen sie beim Laden über die geöffneten Ventile den Dreck gleich in den Fluss fließen. Und wenn dann das Schiff offiziell voll war, hatten sie bereits einen Teil der Ladung abgelassen und Zeit für eine schnelle Tour gewonnen. Den Rest pumpten sie während der Fahrt aus den Tanks, also schon lange, bevor das Schiff die genehmigte Verklappungszone in der Nordsee erreichte. Die fuhren nur rein und raus, und kassierten Prämien...“
Als vor einigen Jahren das Öldesaster auf einer Bohrinsel von einem Mitglied der Crew eines Versorgers fotografiert wurde, was von einem Hubschrauber aus beobachtet worden war, sollte der Mann den belichteten Film herausrücken. Als er sich weigerte und nicht unter Druck setzen ließ, kaufte man sich sein Schweigen für angeblich zweieinhalbtausend Dollar.
Auch das Meer, vor allem das Meer ist Umwelt! Aber es wird weiter gemauschelt, beschissen und betrogen. Über die Leihgabe Erde können wir kleinen, einzelnen Menschlein längst nicht mehr bestimmen. Wir dürfen zwar kräftig mithelfen, den ollen Globus mit Überfluss voll zu müllen. Doch besitzen wir den Planeten Erde? Nein, den Anspruch haben längst Institutionen erhoben: Der weltweite Filz der Konzerne und Trusts, die Multis, die ‚Global Player‘...