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Erstes Kapitel

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Die goldenen Strahlen der Sommersonne wärmten an diesem Tage das Kopfsteinpflaster der Straßen von Rom, als der Kardinal Rodrigo Borgia geschwinden Schritts vom Vatikan zu dem dreistöckigen Haus an der Piazza de Merlo unterwegs war, wo er drei kleine Kinder sein Eigen nennen konnte: seine Söhne Cesare und Juan und seine Tochter Lucrezia. Fleisch von seinem Fleische, Blut von seinem Blute. An diesem Tage fühlte sich der Vizekanzler des Papstes, der zweitmächtigste Mann der Heiligen Römisch-Katholischen Kirche besonders gesegnet.

Beim Hause der Mutter seiner Kinder, Vanozza Catanei, angelangt, pfiff er vergnügt vor sich hin. Als Sohn der Kirche war ihm die Ehe verboten, doch als Gottesmann war er sich gewiss, Einblick in die Pläne des Herrn zu haben. Denn hatte nicht der himmlische Vater sogar im Paradies zur Vervollständigung Adams diesem sein Weib Eva geschaffen? Folgte daraus etwa nicht, dass in dieser von Unglück erfüllten, unzuverlässigen Welt ein Mann den Trost einer Frau noch dringender brauchte? Er hatte schon als junger Bischof drei Kinder gezeugt, aber diese drei Jüngsten seiner Kinder, die er mit Vanozza hatte, waren ihm besonders teuer. Sie schienen in ihm die gleichen großen Leidenschaften zu entfachen, wie sie es getan hatte. Und schon jetzt, da sie noch so klein waren, stellte er sich vor, dass sie auf seinen Schultern stünden und mit ihm den Riesen bildeten, der berufen sein würde, den Kirchenstaat zu einigen und die Herrschaft der Heiligen Römisch-Katholischen Kirche über die Welt auszudehnen.

Die Kinder waren es gewöhnt, den regelmäßigen Besucher des Hauses »Papa« zu nennen und empfanden dessen Ergebenheit ihnen gegenüber und Loyalität zum Heiligen Stuhl als keineswegs unvereinbar. Und die Tatsache, dass dieser Mann zugleich ihr Vater und ein Kardinal der Heiligen Römisch-Katholischen Kirche war, hatte für sie nichts Beunruhigendes. Schritten nicht auch der Sohn und die Tochter Papst Innozenz’ bei festlichen Prozessionen und Umzügen in großer Pracht durch die Straßen Roms?

Kardinal Rodrigo Borgia war mit seiner Geliebten Vanozza schon seit über zehn Jahren zusammen. Er lächelte, wenn er daran dachte, wie wenige Frauen ihm so viel Erregung verschafft und sein Interesse so lange hatten wach halten können wie diese. Nicht etwa, dass Vanozza die einzige Frau in seinem Leben gewesen wäre, denn er war ein Mann mit großem Verlangen auf alle weltlichen Genüsse. Doch die wichtigste Stellung unter seinen Frauen kam zweifellos Vanozza zu. Sie war intelligent – aus seiner Sicht –, schön und mit ihr konnte er von irdischen und himmlischen Dingen reden. Sie hatte ihm schon oft weise Ratschläge erteilt, und er hatte sich dafür erkenntlich gezeigt, als großzügiger Liebhaber und ergebener Vater ihrer Kinder.

Vanozza stand im Eingang ihres Hauses und winkte tapfer lächelnd ihren drei Kindern zum Abschied. Eine ihrer großen Stärken bestand nun, da sie das vierzigste Lebensjahr vollendet hatte, darin, den Mann zu verstehen, der die Gewänder eines Kardinals trug. Sie wusste, dass er von glühendem Ehrgeiz beseelt war, ihm ein unauslöschliches Feuer im Leibe brannte und er unentwegt auf eine Strategie sann, welche die Reichweite der Heiligen Katholischen Kirche erweitern, neue Bündnisse für sie schließen, die sie stärken und seine persönliche Macht festigen sollte. Er hatte über all diese Dinge mit ihr gesprochen. Ideen marschierten durch seinen Geist so unaufhaltsam wie Armeen durch neue Territorien. Es war ihm bestimmt, ein großer Menschenführer zu werden, und mit ihm würden auch ihre Kinder emporkommen. Vanozza versuchte sich mit dem Wissen zu trösten, dass sie als des Kardinals legitime Erben eines Tages Reichtum, Macht und günstige Verbindungen ihr Eigen nennen würden; also konnte sie sie ziehen lassen.

Nun drückte sie nur Jofre, den Säugling, an sich; ihn konnte man ihr noch nicht wegnehmen, ihn hatte sie noch an der Brust. Bald schon würde auch er fortgehen müssen. Ihre dunklen Augen waren feucht von Tränen. Nur einmal schaute ihre Tochter Lucrezia zurück. Die Knaben sahen geradeaus und wandten sich nicht nach ihr um.

Vanozza sah die ansehnliche, achtunggebietende Gestalt des Kardinals nach der Hand ihres jüngeren Sohns Juan greifen und die winzige Hand seiner dreijährigen Tochter Lucrezia halten. Ihr ältester Sohn Cesare schien sich übergangen zu fühlen und sah bestimmt bereits mürrisch und unzufrieden aus. Da drohte gewiss Ärger. Doch mit der Zeit würde Rodrigo die Kinder genauso gut kennen lernen, wie sie sie kannte. Zögernd schloss sie das schwere hölzerne Haustor.

Sie waren erst wenige Schritte gegangen, als Cesare, der nun ganz unverhohlen zornig war, seinen Bruder Juan einen so kräftigen Stoß versetzte, dass Juan die Hand seines Vaters loslassen musste und fast zu Boden gestürzt wäre. Der Kardinal verhinderte den Sturz des kleinen Jungen, drehte sich um und fragte: »Cesare, mein Sohn, konntest du nicht einfach um das bitten, was du willst, anstatt deinen Bruder zu stoßen?«

Juan, der nur ein Jahr jünger, aber viel schmächtiger als der siebenjährige Cesare war, kicherte stolz, als der Vater ihm so zu Hilfe kam. Doch ehe er sich lange in seiner Genugtuung wiegen konnte, trat Cesare dem kleinen Bruder heftig auf den Fuß.

Juan schrie vor Schmerz auf.

Der Kardinal packte Cesare mit seiner großen Hand am Hemd, hob ihn hoch und schüttelte ihn so derb, dass ihm die kastanienbraunen Locken ins Gesicht fielen. Dann stellte er das Kind wieder auf die Füße. Er kniete vor dem kleinen Jungen nieder, seine grauen Augen schauten bereits sanfter. »Was ist, Cesare? Was hat dir so missfallen?«

Die dunklen Augen des Jungen glühten wie Kohlen und er starrte den Vater an. »Ich hasse ihn, Papa«, sagte er mit leidenschaftlicher Stimme. »Du ziehst ihn immer vor.«

»Nein, nein, Cesare«, meinte der Kardinal belustigt. »Die Stärke einer Familie besteht wie die Stärke eines Heeres in der gegenseitigen Loyalität ihrer Angehörigen. Überdies ist es eine Todsünde, den eigenen Bruder zu hassen, und es gibt keinen guten Grund, dass man solcher Empfindungen wegen das eigene Seelenheil in Gefahr bringt.« Er stand nun, hoch aufragend, neben seinen kleinen Söhnen. Dann klopfte er sich lächelnd auf den stattlichen Bauch. »Es gibt doch sicherlich genug von mir für euch alle ... oder etwa nicht?«

Rodrigo Borgia war ein beleibter Mann, jedoch groß genug, sein Gewicht zu tragen. Er war eher auf plebejische denn auf aristokratische Art gut aussehend. Seine dunklen Augen funkelten oft belustigt, seine Nase war zwar groß, aber nicht abstoßend, und die vollen sinnlichen Lippen, die gewöhnlich lächelten, verliehen ihm ein großzügiges Äußeres. Doch es war seine persönliche Anziehungskraft, die unfassbare Energie, die er ausstrahlte, die jeden davon überzeugte, dass er einer der interessantesten Männer seiner Zeit war.

»Ces, du kannst meinen Platz haben«, sagte die Tochter Rodrigos nun zu Cesare mit einer so klaren Stimme, dass sich der Kardinal fasziniert ihr zuwandte. Lucrezia, die mit vor der Brust verschränkten Armen dastand und deren lange blonde Locken über die Schultern hingen, hatte einen Ausdruck fester Entschlossenheit auf ihrem engelsgleichen Gesichtchen.

»Willst du nicht deines Papas Hand halten?«, fragte der Kardinal, als wollte er mit ihr schmollen.

»Ich muss nicht weinen, wenn ich nicht deine Hand halte«, sagte sie. »Und ich werde auch deshalb nicht gleich wütend.«

»Crezia«, meinte Cesare, »sei nicht dumm. Juan benimmt sich einfach wie ein Baby. Er kann sehr gut alleine gehen.« Er starrte seinen Bruder wütend an, während dieser schnell mit dem seidenen Ärmel des Hemdes seine Tränen trocknete.

Der Kardinal kraulte Juan das dunkle Haar und tröstete ihn. »Hör auf zu weinen. Du kannst meine Hand nehmen.« Dann wandte er sich zu Cesare und sagte: »Und du, mein kleiner Krieger, kannst die andere nehmen.« Dann sah er Lucrezia an und lächelte. »Und du, süßes Kind? Was soll Papa mit dir machen?«

Als das Kind seinen Gesichtsausdruck nicht änderte und keine Gemütsregung erkennen ließ, war der Kardinal entzückt. Er lächelte anerkennend. »Du bist wirklich Papas Tochter und zum Lohn für deine Großmut und deine Tapferkeit darfst du auf dem einzigen Ehrenplatz sitzen.«

Rodrigo Borgia beugte sich nieder und hob das kleine Mädchen hoch und setzte es auf seine Schultern. Dabei lachte er voller Freude.

Als er nun, umweht von seinen fließenden, eleganten Gewändern, vorwärts schritt, sah seine Tochter aus wie eine neue und schöne Krone auf dem Kopfe des Kardinals.

An diesem Tage brachte Rodrigo Borgia seine Kinder im Orsini-Palast unter, der dem seinigen gegenüber am Vatikan stand. Seine verwitwete Cousine Adriana Orsini sorgte dort für sie und überwachte ihre Erziehung. Als Adrianas Sohn Orso sich mit dreizehn verlobte, zog seine Verlobte Julia Farnese, die damals schon fünfzehn war, ebenfalls in den Palast und kümmerte sich mit Adriana um die Kinder.

Obwohl nun der Kardinal die Alltagsverantwortung für seine Kinder übernommen hatte, besuchten diese doch noch ihre Mutter, die jetzt mit ihrem dritten Ehemann, Carlo Canale, verheiratet war. Rodrigo Borgia hatte, wie bereits die beiden früheren Ehemänner Vanozzas, auch diesen dritten für sie ausgewählt, denn er wusste, dass eine Witwe einen Ehemann brauchte, der ihr Schutz bot und den Ruf eines angesehenen Hauses. Der Kardinal war gut zu ihr gewesen, und was sie nicht von ihm erhalten hatte, hatte sie von ihren verstorbenen Ehemännern geerbt. Im Gegensatz zu den schönen, aber geistlosen Kurtisanen, mit denen sich mancher römische Edelmann zu schmücken glaubte, war Vanozza eine praktische Frau und wurde deswegen von Rodrigo umso mehr bewundert. Sie besaß mehrere gut geführte Gasthäuser und ein Landgut, aus dem sie ein ansehnliches Einkommen bezog – und da sie eine fromme Frau war, hatte sie auch eine der Madonna geweihte Kapelle errichten lassen, in der sie ihre täglichen Gebete sprach.

Nach zehn Jahren hatte ihre Leidenschaft füreinander begonnen sich abzukühlen und so wurden sie gute Freunde.

Nach wenigen Wochen musste Vanozza auch Jofre hergeben, denn der Knabe verzehrte sich nach seinen Brüdern und seiner Schwester. Und so befanden sich nun alle Kinder Rodrigo Borgias in der Obhut seiner Cousine.

Wie es sich für die Kinder eines Kardinals gehörte, wurden sie während der nächsten Jahre von den fähigsten Lehrern Roms unterrichtet, in den Geisteswissenschaften, in Astronomie und Astrologie, in alter Geschichte und verschiedenen Sprachen, darunter Spanisch, Französisch, Englisch und natürlich die Sprache der Kirche, Latein. Cesare tat sich durch seine Intelligenz und seinen Ehrgeiz hervor, aber am meisten versprach die Entwicklung Lucrezias, denn sie besaß vor allem Charakter und wahre Tugend.

Obwohl viele junge Mädchen in die Klöster geschickt und dort erzogen und den Heiligen geweiht wurden, wurde, mit Einwilligung des Kardinals und auf Rat Adrianas, Lucrezia den Musen geweiht und von den gleichen hochbegabten Lehrern erzogen wie ihre Brüder. Weil sie die Künste liebte, lernte sie die Laute zu schlagen, zu tanzen und zu zeichnen. Sie konnte hervorragend auf silbernen und goldenen Stoffen sticken.

Wie es ihre Pflicht war, entwickelte Lucrezia alle Reize und Talente, die ihren Wert für die ehelichen Bündnisse zu steigern geeignet waren, von denen die Familie der Borgias zukünftige Vorteile erhoffte. Insbesondere liebte sie die Poesie. Stundenlang saß sie über Versen, welche die Liebe zu Gott und Entzückung für ihn zum Gegenstand hatten. Auch die romantische Liebe liebte sie zu besingen. Aber insbesondere fühlte sie sich von den Heiligen inspiriert, und oft war ihr Herz so voll, dass ihr die Worte fehlten.

Julia Farnese verwöhnte Lucrezia wie eine jüngere Schwester, und Adriana bedachte sie, wie auch der Kardinal, reichlich mit Aufmerksamkeit. Sie wuchs also als glückliches Kind von angenehmem Wesen auf. Sie war wissbegierig und umgänglich. Disharmonie war ihr zuwider, und so tat sie stets, was in ihrer Macht stand, um den Frieden in der Familie zu wahren.

An einem schönen Sonntag, nachdem er im Petersdom das Hochamt gefeiert hatte, lud der Kardinal Borgia seine Kinder in den Vatikanpalast ein. Er bewies damit Mut, wenn nicht sogar eine gewisse Verwegenheit, denn bis zu den Tagen von Papst Innozenz war es üblich gewesen, dass Kleriker ihre Kinder als ihre Neffen und Nichten ausgaben. Bekannte sich ein Kleriker offen zu seiner Vaterschaft, so riskierte er, bei der nächsten Ernennung zu einem hohen kirchlichen Amt übergangen zu werden. Natürlich war bekannt, dass Kardinäle und sogar Päpste Kinder hatten, jeder wusste, dass auch Kirchenfürsten sündigten, aber so lange diese geheimen Beziehungen unter dem Deckmantel der Familie verborgen blieben und nur auf geheimen Pergamenten unzweideutig festgestellt wurden, wurde die Ehre des Amtes nicht davon befleckt. Mochte jeder glauben, was er wollte, der Kardinal jedoch hatte für Heuchelei nichts übrig. Natürlich gab es Zeiten und Gelegenheiten, bei denen auch er die Wahrheit zu ändern und zu beschönigen genötigt war. Aber das war selbstverständlich, er war schließlich Diplomat.

Adriana zog den Kindern zu diesem Anlass die schönsten Kleider an. Cesare ging in schwarzem Satin, Juan in weißer Seide, und der erst zweijährige Jofre trug einen blauen Samtanzug, der reich mit Stickerei besetzt war. Julia kleidete Lucrezia in ein pfirsichfarbenes langes Spitzenkleid und setzte dem Mädchen ein kleines Diadem in die hellblonden Locken.

Der Kardinal hatte soeben die Lektüre eines Dokuments beendet, das ihm von seinem obersten Rat Duarte Brandao aus Florenz gebracht worden war. Es ging darin um einen gewissen Bruder des Ordens der Dominikaner, der neuerdings in Florenz von sich reden machte. Von diesem Savonarola hieß es, er wäre ein Prophet und vom Heiligen Geist inspiriert. Der Kardinal sah jedoch seine Zwecke durch ihn gefährdet, vor allem, weil das Volk von Florenz sich zu seinen Predigten drängte und seinen Ermahnungen zujubelte. Er war ein sehr wortgewandter Prediger, galt als Seher, und seine feurigen Worte richteten sich oft gegen die fleischlichen und finanziellen Exzesse des römischen Papsttums.

»Wir müssen diesen einfachen Ordensbruder im Auge behalten«, sagte Rodrigo Borgia. »Denn schon manche große Dynastie ist gestürzt worden durch einfache Männer, die sich im Besitz einer heiligen Wahrheit glaubten.« Brandao war groß und dünn, mit langem schwarzem Haar und eleganten Gesichtszügen. Er schien sanften und freundlichen Wesens zu sein; doch in Rom verlautete gerüchteweise, dass, wenn er durch Untreue oder Unverschämtheit herausgefordert wurde, der Zorn dieses Mannes nicht seinesgleichen hatte. Dass nur ein Narr es wagen würde, sich ihn zum Feinde zu machen, war allgemeine Meinung. Jetzt glättete sich Duarte den Schnurrbart mit dem Zeigefinger, während er darüber nachsann, was Rodrigo Borgia gesagt hatte.

»Es heißt auch, dass dieser Mönch von der Kanzel die Medici angreift und dass die Bürger von Florenz ihm dabei zujubeln.«

Als die Kinder Rodrigo Borgias private Gemächer betraten, verstummte das Gespräch. Duarte Brandao grüßte sie mit einem Lächeln und trat beiseite.

Lucrezia warf sich dem Kardinal freudig in die Arme, aber die Jungen standen abwartend, die Hände auf dem Rücken. »Kommt, meine Söhne«, sagte Rodrigo, der noch immer seine Tochter in den Armen hielt. »Kommt und gebt Papa einen Kuss.« Und mit einem warmen Lächeln des Willkommens winkte er ihnen zu, doch näher zu kommen.

Cesare war als Erster beim Vater. Rodrigo Borgia setzte Lucrezia auf einen kleinen goldenen Hocker, der zu seinen Füßen stand, und umarmte seinen Sohn. Er war ein kräftiger Junge, groß und muskulös. Dem Vater gefiel diese Robustheit, sie vergewisserte ihn seiner eigenen Zukunft. Er lockerte seine Umarmung und schob den Jungen auf Armeslänge von sich, sodass er ihn ansehen konnte. »Cesare«, sagte er liebevoll. »Ich danke der heiligen Jungfrau jeden Tag, denn du erfreust mein Herz jedes Mal, wenn ich dich anschaue.« Cesare lächelte glücklich; dass sein Vater sich freute, ihn zu sehen, machte ihn froh.

Dann trat Cesare beiseite, um Platz für Juan zu machen. Es mochte der schnelle Herzschlag des jüngeren Knaben gewesen sein, den er an der eigenen Brust fühlte, es mochte der schnelle Atem gewesen sein, der die Nervosität des Jungen verriet, irgendetwas jedenfalls ließ Juan verletzlich und besonders schutzbedürftig erscheinen. Und als der Kardinal ihn umarmte, drückte er ihn nicht so fest an sich wie zuvor den Älteren, doch hielt er ihn ein wenig länger.

Speiste der Kardinal in seinen Gemächern im Vatikan allein, so aß er spartanisch, nur Brot, Früchte und Käse, doch an diesem Tag hatte er befohlen, ein üppiges Mahl aufzutragen, mit Nudeln, Geflügel, Rindfleisch und Pyramiden von kandierten Kastanien.

Als sich nun die Kinder, Adriana, deren Sohn Orso und die schöne und bezaubernde Julia Farnese plaudernd und lachend zu Tisch setzten, fühlte sich Rodrigo Borgia in der Huld des Glücks. So, im Kreise seiner Familie und Freunde, befand er das Erdenleben für gut. Er sprach ein stilles Dankgebet. Als ihm sein Diener blutroten Wein in seinen silbernen Pokal goss, war er noch immer von diesem Empfinden beseelt. Und so bot er, als Zeichen der Zuneigung, seinem Sohn Juan, der neben ihm saß, den ersten Schluck an.

Juan kostete den Wein und verzog das Gesicht. »Er ist zu bitter, Papa. Ich mag ihn nicht.«

Rodrigo Borgia, stets auf der Hut, erstarrte vor Furcht. Dies war ein süßer Wein, bitter durfte er keinesfalls schmecken ...

Sofort klagte Juan über Übelkeit und Magenschmerzen ließen ihn sich krümmen. Sein Vater und Adriana versuchten, ihn zu beruhigen, doch kurz darauf musste Juan sich heftig erbrechen. Der Kardinal hob den Jungen aus seinem Sessel und trug ihn in das Vorzimmer, wo er ihn auf ein mit Brokat bedecktes Sofa legte.

Umgehend wurde der päpstliche Leibarzt gerufen, aber noch ehe er eintraf, hatte Juan das Bewusstsein verloren.

»Gift«, erklärte der Arzt, nachdem er das Kind untersucht hatte.

Juan war weiß wie der Tod und fieberte bereits; ein dünner Streifen schwarzer Galle rann ihm aus dem Munde. Er sah sehr klein und hilflos aus. Rodrigo Borgia verlor seine Beherrschung. Er wurde wütend. »Ein Gift, das mir zugedacht war ...«

Duarte Brandao stand neben ihm, nun mit gezogenem Degen, wachsam für den Fall, dass noch weitere Anschläge gegen die Sicherheit des Kardinals oder seiner Familie zu gewärtigen wären.

Der Kardinal wandte sich an ihn: »Es gibt einen Feind im Palast. Lassen Sie alle Angehörigen des Hauses sich im Hauptsaal versammeln. Geben Sie jedem einen Becher Wein zu trinken und bringen Sie mir denjenigen, der sich weigert.«

Adriana flüsterte bestürzt: »Geliebter Vetter, Euer Hochwürden, Euer Kummer ist mir allzu verständlich, aber auf diese Weise werdet Ihr Eure treuesten Bediensteten verlieren, denn viele werden erkranken und manche sterben ...«

»Ich werde ihnen nicht den Wein anbieten, den mein armer unschuldiger Sohn zu trinken bekam. Der Wein, den ich ihnen einschenken lassen werde, wird rein sein. Aber der Sünder wird fürchten, daran zu ersticken, noch ehe er den Becher an die Lippen setzt.«

Duarte führte sofort die Anordnungen des Kardinals aus. Juan lag still wie ein Stein, blass wie der Tod. Adriana, Julia und Lucrezia saßen an seiner Seite und legten ihm nasse Tücher auf die Stirn und rieben sie mit Heilsalben ein.

Kardinal Rodrigo Borgia nahm die kleine schlaffe Hand des Kranken und küsste sie, dann begab er sich in seine Hauskapelle und kniete vor der Madonna zum Gebet nieder. Er trug ihr Argumente vor, denn er wusste, dass sie verstand, was es hieß, einen Sohn zu verlieren, und dass sie den Schmerz kannte, den ein solcher Verlust verursacht. Und dann gelobte er: »Ich werde tun, was in meiner Macht steht, alles irgend Menschenmögliche, die unsterblichen Seelen von Abertausenden der einen wahren Kirche zuzuführen. Deiner Kirche, Heilige Mutter. Ich werde dafür sorgen, dass sie deinen Sohn anbeten, wenn du nur meinen Sohn vom Tode erretten mögest ...«

Der junge Cesare stand an der Schwelle der Kapelle, und als der Kardinal zu ihm hinüberblickte, hatte er Tränen in den Augen. »Komm, Cesare. Komm, mein Sohn. Bete für deinen Bruder.« Und Cesare kniete neben seinem Vater nieder.

In den Gemächern des Kardinals saßen alle schweigend beisammen, bis Duarte zurückkam und verkündete: »Der Schuldige ist gefunden. Es ist ein Küchenjunge, der früher im Dienste des Hauses Rimini stand.«

Rimini war ein kleines Herzogtum an der Ostküste Italiens. Der regierende Herzog Gaspare Malatesta war ein gefürchteter Feind Roms und des Papstes. Er war ein massiger Mann, sein Körper groß genug für die Seelen von zweien, sein Gesicht zerklüftet und kantig. Aber es war seines krausen, wilden roten Haares wegen, dass er »der Löwe« genannt wurde.

Kardinal Borgia entfernte sich von der Seite seines kranken Sohnes und flüsterte Duarte zu: »Fragen Sie den Küchenjungen, weshalb er Seine Heiligkeit so gering schätzt. Und dann sorgen Sie dafür, dass er die Weinflasche von unserem Tisch austrinkt. Achten Sie darauf, dass er sie bis auf den letzten Tropfen austrinkt.«

»Und was sollen wir tun, wenn der Wein zu wirken beginnt?«, fragte er.

Der Kardinal, dessen Gesicht gerötet war und dessen Augen glühten, antwortete: »Setzen Sie ihn auf einen Esel, binden Sie ihn fest und schicken Sie ihn mit einer Botschaft an den ›Löwen‹ von Rimini. Sagen Sie ihm, er soll schon mal anfangen, um Vergebung zu beten und seinen Frieden mit Gott zu schließen.«

Juan lag mehrere Wochen lang wie in tiefem Schlaf, und der Kardinal bestand darauf, dass der Kranke im Vatikan blieb und von seinem eigenen Leibarzt behandelt wurde. Während Adriana an seinem Krankenbett saß und mehrere Dienerinnen ihn pflegten, kniete Rodrigo Borgia stundenlang in seiner Kapelle vor der Madonna. »Ich werde die Seelen von Tausenden in deine Kirche führen«, gelobte er inbrünstig. »Wenn du nur Christus bitten wolltest, meinen Sohn zu verschonen.«

Als seine Gebete erhört wurden und Juan sich erholte, war der Kardinal der Heiligen Katholischen Kirche und seiner Familie in noch tieferer Ergebenheit verbunden als zuvor.

Aber Rodrigo Borgia wusste, dass der Himmel allein ihm die Sicherheit seiner Familie nicht für lange garantieren konnte. Und so begriff er, dass noch eine weitere Maßnahme getroffen werden musste.

Der Kardinal hatte keine andere Wahl, er wusste, dass er den nunmehr unter dem Namen Don Michelotto auch in Rom bekannten Miguel Corello aus Spanien holen lassen musste ...

Dieser uneheliche Neffe des Kardinals Rodrigo Borgia hatte das Drängen der Mächte des Schicksals bereits am Anfang seines Erdenweges verspürt. Als Kind in Valencia hatte er weder zur Bosheit noch zur Grausamkeit geneigt, vielmehr oft die Verteidigung jener armen Seelen übernommen, deren Güte sie verwundbar für anderer Menschen Grausamkeit machte. Denn allzu oft wird Freundlichkeit als Schwäche missverstanden.

Miguel Corello hatte sich schon als Kind seiner Bestimmung ergeben: die Apostel Gottes und der Heiligen Römischen Kirche zu beschützen.

Miguel war ein starker Junge und in seiner Treue so wild entschlossen wie in seinen Taten. Eines Tages hatte er das Haus seiner Mutter, der Schwester des Kardinals, gegen einen gefürchteten Räuber verteidigt.

Er war damals erst sechzehn gewesen, aber tapfer hatte er sich dem Räuber und dessen Gesellen widersetzt, als sie ins Haus eindrangen und die hölzerne Truhe aufzubrechen suchten, in der sich die kostbaren heiligen Reliquien und das Leinen befanden, die Wertsachen, die seiner Mutter am teuersten waren. Als Miguel, der selten sprach, die Banditen verfluchte und sich weigerte, beiseite zu gehen, versetzte ihm der Anführer einen Messerstich ins Gesicht, der ihm die Wange tief aufschlitzte. Miguels Mutter schrie, als sie das Blut fließen und ihm auf seine Brust tropfen sah. Seine Schwester brach in Schluchzen aus, aber Miguel rührte sich nicht von der Stelle.

Da inzwischen draußen auf der Straße die Leute zusammenliefen und Krach schlugen, hielten es die Räuber schließlich doch für besser, das Weite zu suchen. Sie verließen das Dorf und flohen in die Berge.

Einige Tage später, als die gleiche Bande das Dorf erneut überfiel, war man dort auf der Hut, leistete Widerstand und verjagte die Räuber. Der Anführer, der Miguel die Wange aufgeschlitzt hatte, wurde von ihm gefangen genommen. Am nächsten Morgen sah man ihn, einen dicken Strick um den Hals, am Ast eines großen Baumes auf dem Dorfplatz hängen.

Von diesem Tage an verbreitete sich die Kunde, dass mit Miguel Corello nicht gut Kirschen essen war, durch das Königreich Valencia, und aus Furcht vor der Vergeltung, wagte niemand mehr, ihm, seiner Familie oder seinen Freunden etwas anzutun. Die Narbe des Messerstichs entstellte sein Gesicht, sodass es ständig zu einer Grimasse verzerrt zu sein schien, aber sonst hatte er bei jenem Angriff keinen bleibenden Schaden davongetragen. Und obwohl diese Narbe im Gesicht jedes anderen Mannes abschreckend gewirkt hätte, gaben die barmherzigen Blicke seiner goldbraunen Augen jedem zu verstehen, dass der Ruf eines Gerechten, der Don Miguel vorausging, das Verdienst einer aufrechten Gesinnung und barmherzigen Seele war. Damals begannen ihn die Bauern liebevoll »Don Michelotto« zu rufen. Auch in Rom wurde er unter diesem Namen respektiert.

Kardinal Rodrigo Borgia war der Meinung, dass in jeder Familie irgendjemand hervortreten musste, das Wort Gottes zu verkündigen. Doch dass es hinter diesem, im Schatten, andere geben müsste, die ihm den Rücken deckten und seinen heiligen Bemühungen den Erfolg sicherten. Er schloss also, dass die Inhaber hoher Kirchenämter menschliche Hilfe verteilen konnten – so wie die Welt, in der man lebte, nach Gottes unerforschlichem Ratschluss eingerichtet war.

Dass der junge Don Michelotto die Rolle des Übeltäters zu spielen berufen wurde, überraschte weder seinen Auftraggeber noch ihn selbst, denn er war ein überlegener Charakter. Seine Liebe und Treue zum himmlischen Vater und zum Heiligen Stuhl standen nie in Zweifel, der geflüsterten Verleumdungen seiner Feinde ungeachtet. Denn Rodrigo Borgia war überzeugt, dass Don Michelotto seinen Willen stets dem des himmlischen Vaters unterordnen und die Befehle der Heiligen Mutter Kirche gehorsam ausführen würde.

Und wie der Kardinal gewiss war, zu seinen Handlungen durch göttliche Eingebung angeleitet zu werden, so auch Don Michelotto. Sodass sich ihm die Frage nach der etwaigen Sündhaftigkeit dieser Handlungen erst gar nicht stellte. Denn jedes Mal, wenn er einem Feinde des Kardinals oder der Kirche die Luft abschnitt, tat er doch im Grunde nichts anderes, als die Seelen dieser Missetäter vor das Jüngste Gericht zu bringen. Und so ließ kurz nach Juans Genesung Rodrigo Borgia, der selbst in Valencia aufgewachsen war und das Blut kannte, das in den Adern dieses Spaniers floss, seinen Neffen Miguel nach Rom kommen. Er beauftragte den inzwischen zwanzigjährigen jungen Mann mit der Aufsicht über die Sicherheit seiner Familie. Und als dann die Kinder des Kardinals älter wurden, merkten sie bald, dass ihnen der Schatten Don Michelottos, wohin sie auch gingen, überall folgte.

Wann immer der Kardinal nun in Rom war und ihn seine Pflichten als Vizekanzler nicht zur Abwesenheit nötigten, besuchte er seine Kinder, sprach und spielte mit ihnen. Oft war Don Michelotto dabei an seiner Seite. Und bei der ersten Gelegenheit floh er die erstickende Sommerhitze der engen überfüllten Gassen der Stadt aufs Land.

Die Familie

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