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Viertes Kapitel

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Kardinal Giuliano della Roveres Rachegelüste wurden allmählich zu einer Besessenheit. Oft erwachte er nachts, vor Kälte zitternd und bebend, weil der Papst in seine Träume eingedrungen war. Und so plante er, wenn er morgens in der Kapelle unter den wachsamen Augen riesiger Marmorstatuen barmherziger Heiliger und farbenprächtiger Bildnisse heiliger Märtyrer kniete und seine Gebete murmelte, insgeheim die Vernichtung des Papstes.

Es war nicht nur della Roveres Scheitern in seinem Bemühen, Papst zu werden, obwohl es sicher eine Rolle gespielt hatte. Er war davon überzeugt, dass Alexander in seinem tiefsten Innern ein unmoralischer Mensch war.

Der gewinnende Charme und das Charisma des Papstes schienen die Männer seiner Umgebung ganz gleichgültig werden zu lassen hinsichtlich ihrer eigentlichen Aufgabe, der Arbeit am Seelenheil der verirrten Menschheit, und unfähig, sich ihm zu widersetzen, wenn er seine Kinder in hohen Kirchenämtern unterbrachte. Viele der Kardinäle und die meisten Könige, ebenso wie die Bürger der Stadt Rom vergaben ihm seine Exzesse und schienen seine gigantischen Prozessionen, Bälle, Bankette, Schauspiele und aufwendigen Feste zu genießen, welche die Gelder verschlangen, die besser darauf verwandt worden wären, den Kirchenstaat zu verteidigen und die päpstlichen Truppen in neue Territorien einmarschieren zu lassen.

Im Gegensatz zu dem liebenswürdigen Papst Alexander war Kardinal della Rovere ein ungeduldiger Mann, der zu heftigen Zornesausbrüchen neigte, ein Mann, der nur auf der Jagd oder im Kriege im Einklang mit sich und der Welt zu sein schien. Und aufgrund dieses Charakterfehlers hielt er sich für einen tugendhaften Mann. Die Welt des Fleisches besaß keine Reize für ihn, obgleich er drei Töchter gezeugt hatte. Und in seinem ganzen Leben hatte er nur einmal wirklich geliebt.

Kardinal della Rovere gab sich mit einer gewissen Würde, die vertrauenserweckend gewesen wäre, wäre da nicht dieses Flackern des Fanatismus in seinen großen dunklen Augen gewesen. Die starre Haltung des massiven Schädels mit den starken quadratischen Backenknochen zeichnete sein Gesicht mit schroffen Linien und Winkeln. Er entblößte selten lächelnd die Schönheit seiner kleinen regelmäßigen Zähne, und nur die Grübchen im Kinn gaben diesem Gesicht etwas Sanftes. Es war ein Gesicht aus dem Mittelalter, das eines Menschen im Angesicht des Gerichts. Selbst die steinerne Eckigkeit seines Körpers vermittelte weniger den Eindruck von Stärke als vielmehr von unnachgiebiger Beharrlichkeit bei einer vorgefassten Meinung. Dass er Mut und Intelligenz besaß, bestritt niemand. Aber man mochte ihn nicht besonders, wegen seiner groben und verletzenden Reden, die so gar nichts von der leichtfüßigen Eleganz derer des Papstes hatten. Er war ein zu fürchtender Feind, das war nicht zu leugnen.

In seinen vielen Briefen an den französischen König Karl, an König Ferrante von Neapel und an andere klagte er ein über das andere Mal den Papst der Simonie an – des Ämterschacherns –, bezichtigte ihn der Schwindelei, der Bestechung, des Nepotismus, der Gier, der Gefräßigkeit und aller Art von fleischlichen Sünden.

Und manche dieser Anschuldigungen waren nicht von der Hand zu weisen. Nach seiner Wahl hatte Papst Alexander VI. etliche wertvolle Schlösser den Kardinälen übereignet, die im Konklave für ihn gestimmt hatten, ebenso hatte er die wichtigsten Ämter im Vatikan unter seine Parteigänger verteilt. Ascanio Sforza hatte das Amt des Vizekanzlers erhalten, weil er im letzten Wahlgang geholfen hatte, die Stellung des Papstes zu festigen. Ascanio hatte desgleichen ein Schloss, Kirchen und mehrere Lehen bekommen. Man erzählte auch, dass in der dunklen Nacht vor der Wahl zwei Packesel, beladen mit Silber, aus dem Palast Kardinal Rodrigo Borgias den Weg in den Palast Kardinal Ascanio Sforzas genommen hätten. Die Stimme des Kardinals Orsini brachte dem heiligen Mann zwei Städte im Werte von Tausenden von Dukaten ein, und andere Kardinäle bezogen für ihr Entgegenkommen ansehnliche Pfründen und Lehen. Giuliano della Rovere selbst hatte das Amt des päpstlichen Legaten in Avignon erhalten, die Festung Ostia, sowie Senigallia, eine Burg und andere Ämter, darunter die Domherrenpfründe von Florenz.

Die Praxis der Verteilung von Pfründen und Territorien war nicht neu. Es war üblich, dass Päpste gleich nach der Wahl ihren Besitz verteilten, denn ihre Schlösser und sonstigen Besitzungen wären sonst sofort von den Bürgern von Rom geplündert worden. Und wer hatte solche Belohnungen besser verdient als die Kardinäle, die für den Sieger der Wahl gestimmt hatten? Und so war es eher ein Beweis von Alexanders Großzügigkeit, dass della Rovere solche Pfründen bekommen hat, denn es war bekannt, dass er seine Stimme für sich selbst abgegeben hat.

Doch der Vorwurf der Simonie war unerhört. Kardinal della Rovere kam aus einer reicheren Familie und hatte sehr viel einflussreichere Verbindungen als Kardinal Rodrigo Borgia. Wenn das Amt des Papstes käuflich war und die Wahl mit aufwendigen Geschenken gewonnen werden konnte, so hätte della Rovere seinen Gegner leicht überbieten und die Wahl für sich gewinnen können.

Doch jetzt wollte Giuliano della Rovere, da ihn die erfahrene Kränkung alle Vernunft und seinen politischen gesunden Menschenverstand hintan setzen ließ, im Verein mit anderen missgestimmten Kardinälen König Karl von Frankreich bitten, ein Allgemeines Konzil einzuberufen.

Das Allgemeine Konzil, eine Versammlung der Kardinäle, Bischöfe und führenden Laien, hatte einst dazu gedient, die Macht und Souveränität des Papstes zu beschränken. Damals hatte es einem Papst Anordnungen geben, ja, im äußersten Falle, sogar die Absetzung eines Papstes beschließen können. Doch seitdem Pius II. das Konzil vor dreißig Jahren entmachtet hatte, war von einem Konzil nichts mehr zu befürchten.

Als indessen der Papst seinem Sohn Cesare den roten Kardinalshut verliehen hatte, fasste Kardinal della Rovere in seinem übermäßigen Zorn im Verein mit seinen Bundesgenossen den Plan, dem Begriff des Allgemeinen Konzils neues Leben einzuhauchen, um Alexander zu zerstören.

Della Rovere verließ Rom bald nach der Investitur Cesares. Zunächst begab er sich auf seinen Bischofssitz nach Ostia, um von dort aus seine Operationen gegen Alexander in Angriff zu nehmen. Sobald das geschehen sein würde, beabsichtigte er, nach Frankreich zu reisen und sich unter den Schutz König Karls zu stellen.

Nachdem Papst Alexander VI. für die Zukunft seiner Söhne gesorgt hatte, musste er beginnen, die Stellung seiner Tochter im großen Plan zu bestimmen. Sorgfältig erwog er, was zu tun sei. Lucrezia war zwar erst dreizehn, aber er konnte nicht länger warten. Er musste sie Giovanni Sforza aus Pesaro versprechen, obwohl er sie schon zwei jungen Spaniern versprochen hatte, als er noch Kardinal gewesen war. Aber seitdem er Papst war, hatte sich die politische Lage geändert, und er musste sorgfältig planen, um eine gütliche Einigung mit Mailand zu erlangen. Seine früheren Versprechen mussten zurückgenommen werden, nach Möglichkeit ohne die jungen Spanier, denen sie zugedacht gewesen war, vor den Kopf zu stoßen oder zu verletzen.

Lucrezia war zur Herstellung ehelicher Familienbündnisse die beste Karte, die er hatte. Der jetzt mit sechsundzwanzig Jahren verwitwete Giovanni (seine junge Frau war im Kindbett gestorben) bot sich zur Schließung eines solchen, sehr vorteilhaften Bündnisses an. Alexander wusste, dass er sich beeilen musste, denn Giovannis Onkel, »der Mohr«, war der mächtigste Mann in Mailand. Er musste zum Freunde gewonnen werden, ehe er sich mit einem von den auswärtigen Königen verbündete, sei es mit dem von Frankreich, sei es mit dem von Spanien.

Alexander war sich bewusst, dass, im Falle es ihm nicht gelingen würde, die vielen Stadtstaaten und kleinen Fürstentümer Italiens zu einem Staat unter dem Gesetz des Heiligen Stuhls zu vereinigen, die türkischen Barbaren, die ungläubigen Mohammedaner, das schöne Land binnen kurzem überrennen und erobern würden. Sie würden die erste Gelegenheit wahrnehmen, in Italien einzufallen. So viele Seelen würden verloren gehen, aber auch der Heiligen Katholischen Kirche erhebliche Einkünfte. Wenn es ihm nicht gelingen sollte, die Loyalität des Volkes zu bewahren und Rom vor dem Einfall der Fremden zu beschützen, wenn er die päpstliche Gewalt nicht nutzen konnte, um die Macht der Heiligen Mutter Kirche zu vermehren, dann war zu befürchten, dass ein anderer Kardinal – und das würde zweifellos Giuliano della Rovere sein – seinen Platz an der Spitze der Kirche einnähme, was seine ganze Familie in ernste Gefahr stürzen würde. Sicherlich würden sie der Ketzerei bezichtigt und gefoltert werden. Das wäre die einfachste Methode, sie verschwinden zu lassen. Die Güter und Besitzungen, deren Erwerb ihn so viele Jahre harter Arbeit gekostet hatte, würden ihnen gestohlen werden, und mit nichts würden sie da stehen. Das war jedenfalls ein viel schlimmeres Schicksal als das, welches er jetzt seiner entzückenden Tochter zugedacht hatte.

Nach einer schlaflosen Nacht, in der er in seinen Gemächern ruhelos auf und ab gegangen war, auf den Knien vor seinem Hausaltar um göttliche Führung gebetet hatte, ließ er seine Kinder rufen. Cesare, Juan und Lucrezia. Jofre war noch zu klein und überdies nicht der Hellste seiner Jungen. Der strategische Plan des Vaters würde Jofre nur verwirren.

In Gegenwart von Fremden pflegte Lucrezia vor ihrem Vater zu knicksen, seinen Ring zu küssen und niederzuknien mit der Achtung, die seinem hohen Amt gebührte. Waren sie aber allein, rannte die Tochter dem Vater entgegen, warf ihm die Arme um den Hals und küsste ihn zärtlich. Oh, das liebe Kind ging ihm aufrichtig zu Herzen!

Heute hielt Papst Alexander sie von sich weg, anstatt sie, wie gewöhnlich, auch seinerseits in die Arme zu schließen, sodass sie unmittelbar vor ihm stehen bleiben musste.

»Was ist los, Papa?«, fragte sie und ihr Gesichtsausdruck verriet Überraschung. Wenn ihr Vater jemals ihretwegen bekümmert zu sein schien, war sie stets todunglücklich. Sie war groß für eine Dreizehnjährige und eine echte Schönheit, ihre Haut so blass wie Porzellan und ihre Züge so fein, wie von Rafael gemalt. Ihre Augen funkelten vor Intelligenz und ihre Bewegungen waren von fließender Anmut. Lucrezia war das Licht im Leben ihres Vaters, und in ihrer Gegenwart fiel es dem Papst schwer, an die Schrift oder an Strategie zu denken.

»Papa«, wiederholte Lucrezia ungeduldig, »was ist los? Was habe ich getan, um Ihnen zu missfallen?«

»Du musst bald heiraten«, erklärte er rundheraus.

»O Papa«, rief Lucrezia, auf die Knie fallend. »Ich kann Sie noch nicht verlassen. Das würde ich nicht überleben.«

Alexander stand auf und hob seine Tochter hoch, drückte sie an sich und tröstete das weinende Kind. Er schnalzte begütigend mit der Zunge und flüsterte: »Lucrezia, ich muss dieses Bündnis schließen, das heißt aber nicht, dass du gleich fortgehen musst. Nun, bitte, trockne deine Tränen und lass es mich erklären.«

Sie saß auf einem goldenen Kissen ihm zu Füßen und hörte zu.

»Die Sforzas in Mailand sind sehr mächtig, und dem Neffen des Herzogs, dem jungen Giovanni, ist gerade die Frau im Kindbett gestorben. Er hat in das ihm angetragene Ehebündnis eingewilligt. Du weißt, dass Papa nur das Beste für uns alle will. Und du bist alt genug zu verstehen, dass, wenn es mir nicht mehr gelingt, mich mit diesen großen mächtigen Familien zu verbünden, meine Tage als Oberhaupt der Christenheit gezählt sind. Werde ich aber entmachtet, geraten wir alle in Gefahr, und das kann ich nicht zulassen.«

Lucrezia beugte den Kopf und nickte verständnisvoll. Sie sah sehr jung aus.

Als Alexander ausgeredet hatte, stand er auf und begann in dem großen Raum umherzugehen, wobei er überlegte, wie er sein neues Ansinnen am einfühlsamsten vorbringen könnte.

Schließlich wandte er sich an seine Tochter und fragte: »Weißt du schon, wie man mit einem Mann schläft? Hat dir das schon irgendjemand erklärt?«

»Nein, Papa«, sagte sie, und zum ersten Mal lächelte sie ihn lasziv an, wie sie schon viele Kurtisanen hatte lächeln sehen ...

Alexander schüttelte den Kopf voller Staunen über seine kleine Tochter. Sie war so gefühlvoll wie ihre Mutter und reagierte bereits jetzt, noch im Kindesalter, so gewitzt und aufgeweckt.

Er winkte seine Söhne Cesare und Juan heran. Beide knieten vor ihm nieder und senkten respektvoll die Köpfe.

»Steht auf, meine Söhne. Wir haben zu reden. Wir müssen Entscheidungen für unser aller Zukunft treffen, aufgrund dessen, was heute von uns hier besprochen werden wird.«

Cesare war nachdenklich und neigte zu Selbstbeobachtung, aber er war nicht so umgänglich und gefällig wie seine Schwester. Seit früher Kindheit trieb ihn brennender Ehrgeiz, und er bestand darauf, in jedem erdenklichen Wettstreit zu gewinnen, egal welche Mittel er dafür aufbieten musste. Juan war sehr empfindlich, was ihn selbst betraf. Glaubte er, beleidigt oder geschädigt worden zu sein, so reagierte er sehr heftig. Anderen zugefügte Verletzungen ließen ihn kalt. Er hatte eine grausame Ader und liebte es, boshafte Mienen aufzusetzen. Die Anmut Lucrezias fehlte ihm vollkommen, er hatte auch nichts von dem Charisma seines älteren Bruders. Nichtsdestoweniger war Alexander, der in ihm eine Verletzlichkeit spürte, die Cesare und Lucrezia fremd war, ihm sehr zugetan.

»Papa, warum haben Sie uns rufen lassen?«, fragte Cesare und sah aus dem Fenster. Er fühlte sich voller Energie und der Tag war schön. Er wollte draußen in der Stadt sein. »Heute Mittag gibt es ein schönes Fest auf dem Platz, bei dem wir nicht fehlen sollten ...«

Alexander ging zu seinem Lieblingssessel in der Ecke des geräumigen Gemachs. »Setzt euch, Kinder, setzt euch zu mir«, befahl er ihnen sanft. Alle drei setzten sich ihm zu Füßen auf große seidene Kissen.

Lächelnd glitt sein Arm über ihre Köpfe. »Dies ist die größte Familie in der ganzen Christenheit. Wir werden uns erheben mit den großen Taten, die wir für die Heilige Römisch-Katholische Kirche vollbringen werden, wir werden viele Seelen retten, und wir werden ein gutes Leben führen als Arbeiter im Weinberg des Herrn. Aber ihr wisst, dass auch Opfer gebracht werden müssen. Und wie wir in den Leben vieler unserer Heiligen gelesen haben ... fordern große Taten große Opfer.« Er schlug das Kreuzzeichen.

Er sah Lucrezia an, die ihm zu Füßen auf dem Teppich saß und an der Schulter ihres Bruders Cesare lehnte. Daneben saß Juan und polierte einen neuen Dolch, den man ihm geschenkt hatte. »Cesare, Juan? Ich nehme an, dass ihr schon mal mit einer Frau geschlafen habt.«

Juan runzelte die Stirn. »Natürlich, Papa. Wieso fragen Sie danach?«

»Man sollte vor wichtigen Entscheidungen immer so viele Informationen wie möglich einholen«, sagte er. Dann wandte er sich wieder an seinen ältesten Sohn. »Cesare, und du? Hast du schon mit einer Frau geschlafen?«

»Mit vielen«, antwortete Cesare.

»Und wie hat es ihnen gefallen?«, fragte Alexander seine beiden Söhne.

Juan verzog ungeduldig das Gesicht. »Woher soll ich das wissen?«, fragte er lachend. »Ich habe mir nie die Mühe gemacht, sie zu fragen.«

Der Papst senkte den Kopf. »Cesare, hat es den Frauen, mit denen du geschlafen hast, gefallen?«

Cesare antwortete lächelnd und offen: »Ich nehme es jedenfalls an, Vater. Denn jede von ihnen hat mich gebeten, wieder zu kommen.«

Papst Alexander sah seine Tochter an, die ihn mit einer Mischung aus Neugier und Erwartung beobachtete. Dann schaute er wieder seine Söhne an.

»Wer von euch ist willens, mit seiner Schwester zu schlafen?«

Juan tat, als langweilte ihn die Frage. »Papa«, sagte er, »ich würde lieber ins Kloster gehen.«

Alexander lächelte. »Du bist ein dummer junger Mann.«

Aber jetzt runzelte Lucrezia die Stirn. »Wieso fragen Sie meine Brüder, ohne vorher mich zu fragen? Wenn einer von ihnen mit mir schlafen sollte, sollte ich die Wahl haben, oder?«

Cesare klopfte ihr beschwichtigend auf die Hand. »Papa, was ist der Grund von alledem? Weshalb stellen Sie solch ein Ansinnen? Und haben Sie keine Angst, dass wir für eine solche Tat alle zur Hölle verdammt werden könnten?«

Papst Alexander stand auf und ging durch den Torbogen in den nächsten Saal. Er wies auf die fünf Paneele, die, mit Gemälden geschmückt, den großen Torbogen gliederten und fragte: »Habt ihr bei euren Studien nichts von den großen ägyptischen Dynastien erfahren, wo die Geschwisterehe üblich war, um das königliche Blut rein zu halten? Kennt ihr die Geschichte von der jungen Isis nicht, die sich mit ihrem Bruder, dem König Osiris vermählt, dem ältesten Sohn des Himmels und der Erde? Würdet ihr sie kennen, dann wüsstet ihr, dass Isis und Osiris dann einen Sohn namens Horus hatten und zu dritt eine Heilige Dreifaltigkeit bildeten, die der christlichen Dreifaltigkeit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes voranging. Sie halfen den Menschen, den Schlingen des Teufels zu entkommen, und sorgten dafür, dass gute Seelen in Ewigkeit wiedergeboren wurden. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und unserer Heiligen Dreifaltigkeit ist, dass unter ihnen eine Frau war.«

Er lächelte Lucrezia an: »Ägypten war eine der fortgeschrittensten Zivilisationen der Geschichte und wir dürfen uns doch wohl ein Beispiel an den Ägyptern nehmen.«

»Das kann nicht der einzige Grund sein, Vater«, sagte Cesare. »Sie waren Heiden und hatten heidnische Götter. Sie müssen noch irgendwas anderes in Betracht gezogen haben, wovon Sie uns nichts gesagt haben.«

Alexander ging zu Lucrezia hinüber und streichelte ihr langes blondes Haar. Er spürte, wie sein Gewissen sich regte. Aber er konnte seinen Kindern nicht anvertrauen, welche Erwägung tatsächlich den Ausschlag für seine Entscheidung gegeben hatte: dass er so und nicht anders zu Werke zu gehen gedachte, weil er das Herz der Frau verstand. Weil er wusste, dass der erste Mann, dem sie sich ergab, der Gebieter ihrer Liebe und Treue sein würde. Denn wenn sie sich dem ersten Mann hingab, pflegte das Weib diesem auch die Schlüssel zu ihrem Herzen und zu ihrer Seele hinzugeben. In Lucrezias speziellem Fall musste er dafür sorgen, dass sie nicht auch die Schlüssel des Königreichs dabei mit hingab. Aus dieser Notwendigkeit folgte, dass Alexander, da er niemals gedachte, einem Fremden zu gestatten, Anspruch auf seine beste Liegenschaft zu erheben, nunmehr diesen Anspruch selber geltend machen musste.

»Wir sind eine Familie. Und Treue zur Familie ist unsere erste und oberste Pflicht. Wir müssen voneinander lernen, einander schützen und vor allem einander verbunden sein und bleiben. Denn wenn wir diese Pflicht erfüllen, können wir nie besiegt werden – wird aber unsere Treue wankend, werden wir der Verdammnis anheimfallen.« Der Papst wandte sich nun an Lucrezia. »Und du hast Recht, mein Kind. Denn in diesem Fall hast wirklich du die Wahl. Du kannst den Mann nicht wählen, mit dem du verheiratet werden wirst. Jetzt aber kannst du dir aussuchen, mit wem du zuerst ins Bett gehen willst.«

Lucrezia sah Juan an und legte dann verschämt den Kopf zur Seite und sagte: »Ich würde lieber ins Kloster gehen, als mit Juan zu schlafen.« Dann wandte sie sich zu Cesare: »Du musst mir versprechen, sanft zu sein, denn wir werden nicht Krieg miteinander führen, sondern das Lieben üben, mein lieber Bruder.«

Cesare lächelte und verbeugte sich theatralisch. »Du hast mein Wort. Und du, meine liebe Schwester, könntest mir über Liebe und Treue mehr beibringen, als ich bisher gelernt habe, und das sollte mir sehr nützlich sein.«

»Papa?«, fragte sie und sah den Vater mit großen Augen an. »Werden Sie da sein und aufpassen, dass alles gut geht? Ohne Sie würde ich den Mut nicht haben. Denn ich habe da schon Geschichten gehört, sowohl von Julia als auch von meinen Kammerfrauen.«

Alexander sah sie an. »Ich werde da sein. Wie ich auch dabei sein werde in der Nacht, in der du offiziell in den Stand der Ehe trittst. Denn ohne Zeugen ist ein Vertrag nicht gültig.«

»Danke, Papa«, sagte sie. Dann sprang sie auf und umarmte ihn. »Kann ich ein schönes neues Kleid und einen Rubinring haben für diese Zeremonie?«

»Natürlich, zwei, wenn du willst.«

Eine Woche später saß, in seine blendend weiße Seidenrobe gehüllt, Alexander auf seinem Thron. Die schwere Tiara hatte er nicht aufgesetzt, nur eine kleine Kappe aus Seide. Die gegenüber dem Bett errichtete hohe Plattform stand vor einem Hintergrund erlesener Schönheit in einem der am prächtigsten ausgestatteten Räume in den erst kürzlich neu eingerichteten Borgiagemächern.

Cesare und Lucrezia wurden gerufen, doch die Diener angewiesen, sich zu entfernen, bis Alexander ihnen ein Zeichen zur Rückkehr geben würde.

Der Papst sah seinem Sohn und seiner Tochter zu, während sie sich entkleideten. Lucrezia kicherte, als Cesare sich schließlich seines Anzuges entledigte.

Er sah auf zu ihr und lächelte. Alexander dachte, wie seltsam und irgendwie rührend es doch sei, dass er wahre Zärtlichkeit im Gesicht seines Sohnes nur dann sah, wenn dieser mit seiner Schwester zusammen war. Obwohl er sonst stets der Angreifer war, schien er bei ihr in der Gewalt der Frau zu sein.

Sie war ein Schatz, Lucrezia, nicht nur um ihrer Schönheit wegen, obgleich es keine feinere Seide gab als die goldenen Löckchen, die ihr Gesicht rahmten. Ihre Augen schimmerten, als würden sie ein Geheimnis bergen. Jetzt fragte sich der Papst, was es war, das diesen Glanz verursachte. Sie war gut proportioniert, wiewohl noch ein wenig zu dünn mit ihren knospenden Brüsten und der makellosen Haut. Es war eine Freude, sie zu betrachten, sie war ein Traum für jeden Mann, der sie besitzen würde.

Und sein Sohn Cesare? Kein olympischer Gott des Altertums hatte eine vollkommenere Gestalt gehabt. Hochgewachsen und sehnig war er der Inbegriff von Stärke und junger Männlichkeit.

Oh, hätte er doch die anderen Tugenden, die ihm wirksamer dienen konnten als sein treibender Ehrgeiz. Aber in diesem Augenblick, als er zu seiner Schwester hinübersah, wurde Cesares Gesicht weich.

»Bin ich wirklich sehr schön?«, fragte Lucrezia ihren Bruder. Und als dieser nickte, wandte sie den Kopf dem Vater zu. »Wirklich, Papa? Glauben Sie auch, dass Sie eine Schönere als mich vielleicht noch nie gesehen haben?«

Der Papst nickte und lächelte. »Du bist schön, mein Kind. Wahrhaftig eine der schönsten Schöpfungen Gottes.« Er hob die Hand, schlug langsam das Kreuzzeichen und segnete sie. Dann gebot er ihnen zu beginnen.

Alexanders Herz war erfüllt von Freude und Dankbarkeit für diese Kinder, die er aus tiefster Seele liebte ... So musste Gottvater empfunden haben, wenn er Adam und Eva im Garten des Paradieses beobachtet hatte. Doch nachdem er sich kurz an dieser Vorstellung geweidet hatte, erwachte sein Misstrauen. War das die Hybris, an der so viele von den antiken Helden gelitten hatten?, fragte er sich und bekreuzigte sich bei einem Gebet um Vergebung. Doch andererseits sahen sie so unschuldig aus, seine Kinder, die jungen Gesichter so voller Neugierde und Vergnügen, dass sie ein Paradies wie dieses hier wohl niemals wieder besuchen würden. Und war das nicht der Zweck des Mannes und des Weibes? Gottes Freude zu fühlen? Hatte nicht die Religion Leiden genug verursacht und war Gott nur auf diese Weise zu verehren? Die Welt der Menschen war so voller Verrat, dass nur hier, im Palast ihres Vaters, in Christi heiliger Residenz, seine Kinder sich in Sicherheit und beschützt fühlen durften. Dafür zu sorgen, dass es so blieb, fühlte er sich verantwortlich. Das war seine Pflicht. Denn diese Gelegenheiten größter Lust würden ihnen helfen, die Prüfungen und Plagen zu überstehen, denen letztlich auch sie begegnen würden.

Das große Federbett war mit seidenen Tüchern und feinen Leinenlaken bedeckt, so dass Lucrezia vor Vergnügen kreischte, als sie sich hineinfallen ließ. Cesare, dessen Männlichkeit schon erregt war, sprang schnell auf sie und erschreckte sie. »Papa?«, schrie sie laut. »Papa, Cesare tut mir weh ...« Papst Alexander stand auf. »Cesare, so gehst du mit Frauen ins Bett? Welch ein Jammer! Ich muss mir wohl selbst die Schuld geben, meine Pflicht dir gegenüber versäumt zu haben, denn wenn nicht ich, wer sonst hätte dir zeigen sollen, wie man den Himmel zur Erde herabbringt?«

Cesare war aufgestanden und stand nun neben dem Bett, seine Augen funkelten. Er fühlte sich von seiner Schwester abgewiesen und von seinem Vater getadelt. Aber er war noch jung und der kalte Guss hatte sein Feuer nicht gelöscht.

Alexander ging zum Bett, wo Cesare ihm Platz machte. »Komm her, mein Sohn«, sagte er zu dem Jungen. »Komm her, Crezia, komm näher an die Bettkante.« Er gab ihr ein Zeichen und sie kam schnell auf die beiden zu. Dann begann der Papst, seinem Sohn die Hand führend, den Körper seiner Tochter zu streicheln, langsam und zärtlich. Erst das Gesicht, dann ihren Hals hinab und dann über ihre kleinen festen Brüste, wobei er Cesare erklärte: »Hab’s nicht so eilig, mein Sohn. Nimm dir Zeit, die Schönheit zu genießen. Es gibt nichts Köstlicheres auf der Welt als den Körper einer Frau, als den Geruch einer Frau, wenn sie sich ... willig hingibt. Wenn du aber zu übereilt vorgehst, wirst du das Wesentliche des Liebesspiels verfehlen und die armen Dinger erschrecken ...«

Lucrezia lag nun still mit halb geschlossenen Augen, ihr Atem wurde schneller, als ihr die über ihren Körper streichelnden Hände ihres Bruders wachsende Lust verschafften. Als er ihren Bauch erreichte und begann, tiefer hinabzudringen, öffneten sich ihre Augen und sie versuchte zu rufen, aber das Beben ihres Körpers raubte ihr die Stimme, als nun die Wellen der Lust ihre tiefste Seele erschütterten. »Papa?«, flüsterte sie, »Papa? Ist es nicht sündig, solche Lust zu fühlen? Ich komme doch deshalb nicht in die Hölle, oder?«

»Würde Papa deine unsterbliche Seele in Gefahr bringen?«, fragte er.

Papst Alexander, der immer noch seinem Sohn die Hand führte, war Lucrezia nahe genug, um ihren warmen Atem im Gesicht zu spüren und die Heftigkeit seiner Reaktion auf sie erschreckte ihn. Er ließ plötzlich Cesares Hand los und sagte mit rauer Stimme zu seinem Sohn: »Jetzt nimm sie, aber nimm sie langsam. Zärtlich, sei ein Liebhaber, sei ein Mann. Ehre sie. Aber ... nimm sie.«

Aufgewühlt wandte er sich schnell ab und ging durch den Raum, um wieder auf seinem Thron Platz zu nehmen. Doch als er dann seine Tochter seufzen hörte, als sie abermals vor Lust stöhnte und dann wieder, fürchtete er plötzlich für sich selbst. Sein Herz klopfte heftig und zu schnell, und er spürte, dass ihm schwindelig wurde. Eine so heftige innere Bewegung hatte er noch nie verspürt, eine so erschütternde Erregung hatte ihn noch nie ergriffen, wenn er Zeuge des fleischlichen Aktes gewesen war. Er verstand plötzlich alles. Obwohl Cesare es überstehen, erlöst werden mochte, trotzdem hatte doch er selbst, als Stellvertreter Christi auf Erden, soeben die Schlange im Garten Eden gesehen. Das Wissen ließ ihm den Schädel pochen. Dass er, berührte er das Kind jemals wieder, verdammt sein würde in alle Ewigkeit. Denn die Lust, die er verspürte, war nicht irdisch, und es gab keinen Zweifel daran, dass sie die Ursache seines Falls aus dem Stand der Gnade sein würde. Er betete an diesem Tage, er betete zum Vater, zum Sohn, zum Heiligen Geist, ihn nie wieder in Versuchung zu führen. »Erlöse mich von dem Bösen«, flüsterte er und als er wieder aufsah, lagen seine beiden Kinder nackt und erschöpft im Bett.

»Kinder«, sagte er und alle Kraft war aus seiner Stimme geschwunden. »Zieht eure Kleider an und kommt zu mir ...«

Und als sie vor ihm knieten, sagte Lucrezia mit Tränen in den Augen: »Danke, Vater. Ich kann mir nicht vorstellen, mich einem anderen auf diese Weise hinzugeben, ohne zuvor dieses hier erlebt zu haben. Ich hatte solche Angst gehabt und doch habe ich so große Lust empfunden.« Sie wandte sich dann an ihren Bruder. »Cesare, mein Bruder. Ich danke auch dir. Ich kann mir nicht denken, irgendwen so zu lieben, wie ich in diesem Augenblick dich liebe.«

Cesare lächelte und erwiderte nichts.

Und als der Papst Alexander auf seine Kinder hinabblickte, sah er etwas in Cesares Augen, das ihn beunruhigte. Er hatte nicht daran gedacht, seinen Sohn auf einen Haken hinzuweisen, der den Mann in der Liebe droht straucheln zu lassen. Weil wahre Liebe eine Frau ermächtigt, einen Mann jedoch gefährdet. Und jetzt konnte er sehen, dass dieser Tag, wiewohl er vielleicht ein Segen für seine Tochter gewesen war und die Dynastie der Borgias gefestigt haben mochte, sich eines Tages aber als Fluch für seinen Sohn erweisen könnte.

Die Familie

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