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Fünftes Kapitel

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An dem Tage der Ankunft von Lucrezias zukünftigem Gatten, des Herzogs von Pesaro, Giovanni Sforza, sollte es in Rom, und dafür hatte Papst Alexander Vorbereitungen getroffen, zur Feier des Tages eine große Prozession geben. Denn der Papst wusste, dass Giovannis Onkel Ludovico, Il Moro, darin ein Zeichen der Hochachtung sehen und dies als Beweis der Aufrichtigkeit seines Willens zur Freundschaft sehen würde.

Aber Alexander berücksichtigte noch andere Gesichtspunkte. Als Heiliger Vater kannte er die Herzen und Seelen seines Volkes und wusste, dass es solch prächtige Umzüge liebte. Dergleichen versicherte es seines Wohlwollens und des Wohlwollens ihres himmlischen Vaters und brachte willkommene Abwechslung in die Langeweile ihres dürftigen, armseligen Lebens. Wenn es Grund zum Feiern gab, kam damit auch neue Hoffnung in die Stadt, und diese bewahrte oft die verzweifeltsten Subjekte unter den Bürgern davor, einander irgendwelcher Nichtigkeiten wegen umzubringen.

Das Leben der am wenigsten vom Glück begünstigten Bürger Roms war so freudlos, dass er sich verpflichtet fühlte, sie hin und wieder zu unterhalten, ihren Seelen Nahrung zu geben – denn wie sonst hätte er sich ihrer andauernden Unterstützung des päpstlichen Regiments vergewissern können? Wenn immer wieder die Saat des Neides in den Herzen von Menschen keimte, die man die Lüste von schlechten, aber vom Glück begünstigten Leuten gewahr werden ließ, wie konnte ein Herrscher sich dann der Treue seiner Untertanen vergewissern? Vergnügen müssen geteilt werden, denn nur auf diese Weise war die Verzweiflung der Armen in Schach zu halten.

Es war an diesem warmen, sanften Tage, von Rosenduft erfüllt, an dem Cesare, Juan und Jofre Borgia zu den steinernen Toren Roms ritten, den Herzog von Pesaro zu begrüßen. Sie wurden dabei vom gesamten römischen Senat begleitet, sowie von den festlich gewandeten Gesandten von Florenz, Neapel, Venedig und Mailand, als auch von den Botschaftern der Könige von Frankreich und Spanien.

Die Prozession würde dem Gast auf dem Rückweg in die Stadt folgen, vorbei am Palast seines Onkels, des Vizekanzlers Ascanio Sforza, wo der junge Herzog bis zu seiner Hochzeit logieren würde. Sie würde weiter durch die Straßen ziehen bis zum Vatikan. Alexander hatte seine Söhne angewiesen, an Lucrezias Palast vorbeizuziehen, sodass sie einen Blick auf ihren Bräutigam werfen konnte. Obwohl der Vater sich bemüht hatte, ihre Ängste zu beschwichtigen, indem er ihr versprach, dass sie auch nach ihrer Verehelichung mit Julia und Adriana in ihrem Palast Santa Maria del Portico wohnen bleiben dürfte und erst nach Ablauf eines Jahres nach Pesaro zu reisen brauchte, schien das Kind noch immer verstört. Und Alexander hatte niemals Frieden, solange seine Tochter unglücklich war.

Die Vorbereitungen für den Umzug hatten viele Wochen gedauert, aber jetzt war alles fertig. Es gab Narren in Anzügen aus grünem und hellgelbem Samt, Gaukler, die mit bunten Stäben jonglierten und bunte Pappmaché-Bälle in die Höhe warfen, während Pfeifen schrillten und Trompeten schmetterten, um die Sinne der römischen Bürger zu erheitern, die am Straßenrand standen, um dem Einzug des Herzogs von Pesaro zuzusehen, der die junge Tochter des Papstes freien sollte ...

Früh an diesem Morgen war Cesare mit einem Kopfschmerz erwacht, der ihm die Schläfen zu sprengen drohte. Er versuchte, sich von der ihm als unangenehme Verpflichtung erscheinenden Aufgabe entbinden zu lassen. Davon wollte jedoch sein Vater nichts hören. »Als Vertreter des Heiligen Vaters wirst du von deiner Pflicht nicht entbunden werden, wenn du nicht gerade von der Pest oder der Malaria aufs Sterbebett geworfen wirst«, sagte der Papst streng. Dann stürmte er aus dem Zimmer.

Cesare hätte widersprochen, wäre nicht seine Schwester gekommen, um ihm gut zuzureden. Als sie gehört hatte, dass er unwohl sei, war sie gleich durch den unterirdischen Gang von ihrem Palast herübergekommen. Jetzt saß sie auf seiner Bettkante, rieb ihm sanft den schmerzenden Kopf. »Ces, wer wird mir über diesen Mann, den ich heiraten soll, die Wahrheit sagen, wenn nicht du? Wem sonst kann ich trauen?«

»Crezia, wozu willst du die Wahrheit wissen?«, fragte er. »Du bist ihm schon versprochen und daran kann ich nichts mehr ändern.«

Lucrezia lächelte ihren Bruder an und strich ihm mit den Fingern durchs Haar. Sie beugte sich vor, küsste ihn zärtlich auf den Mund und dann lächelte sie. »Fällt dir das auch so schwer wie mir? Denn ich mag mir einen anderen Mann in meinem Bett gar nicht vorstellen. Ich werde weinen und mir die Augen zuhalten, und obwohl ich ihn nicht werde nötigen können, auf seine ehelichen Rechte zu verzichten, werde ich mich doch weigern, ihn zu küssen. Das schwöre ich dir, geliebter Bruder.«

Cesare holte tief Atem und beschloss zu tun, was seine Schwester wünschte. »Ich hoffe um unserer beider willen, dass er kein Ungetüm ist, oder ich werde ihn töten müssen, ehe er dich auch nur berührt.«

Lucrezia kicherte. »Du und ich, wir werden einen Heiligen Krieg anfangen«, sagte sie, denn Cesares Reaktion gefiel ihr. »Papa wird dann noch mehr zu tun haben als jetzt. Er wird Mailand befrieden müssen, wenn du Giovanni getötet hast; und dann wird Neapel kommen und um ein Bündnis bitten. Vielleicht wird ›der Mohr‹ dich gefangen nehmen und dich in ihren Kerkern festsetzen, um dich zu foltern. Während dann Papa versuchen wird, dich mit der päpstlichen Armee zu retten, wird Venedig sicherlich irgendwas im Hinterhalt haben, um zu versuchen, ein Stück des Kirchenstaats zu erobern. Und Florenz wird seine besten Künstler damit beschäftigen, Spottbilder von uns zu malen und seine Propheten, uns ewige Verdammnis anzudrohen!« Sie lachte so laut, dass sie rückwärts aufs Bett fiel.

Cesare liebte es, sie lachen zu hören. Er vergaß darüber die Existenz aller anderen und ihr Lachen besänftigte sogar seinen Zorn gegen den Vater. Nun klang auch der pochende Kopfschmerz ab. Und so hatte er eingewilligt, den Umzug mitzumachen ...

Sobald Lucrezia die Musik des nahenden Umzugs hörte, lief sie die Treppe hinauf in den zweiten Stock, wo der Hauptraum des Schlosses lag, aus dem sich eine Loggia wie die Hand eines Riesen mit gekrümmten Fingern über die Straße hinausreckte. Julia Farnese, die nun schon seit über zwei Jahren die Geliebte des Papstes war, half Lucrezia, ein Kleid von tiefgrüner Seide mit milchweißen Ärmeln und edelsteinbesetztem Leibchen auszuwählen. Dann frisierte sie Lucrezia und ordnete ihre blonden Locken so auf den Scheitel, dass ihr nur noch einzelne in die Stirn und den Nacken fielen. Vornehm sah sie aus.

Seit Monaten hatte Julia sich bemüht, Lucrezia zu verstehen zu geben, was sie in der Hochzeitsnacht zu erwarten habe; aber Lucrezia hatte nie sonderlich Acht gegeben. Wenn Julia ihr ausführlich erklärte, wie es anzufangen sei, einem Mann zu gefallen, waren Lucrezias Herz und Sinn sofort bei Cesare. Denn obwohl sie niemandem etwas davon erzählte, waren doch tagein, tagaus viele ihrer Gedanken von ihrer Liebe zu Cesare erfüllt.

Als sie nun auf den Balkon hinaustrat, war sie überrascht, die Menschenmenge zu sehen, die sie draußen erwartete. Ihr Vater hatte natürlich Leibwächter für sie angeordnet, aber vor den Blütenblättern, die in dichten Wolken auf sie hinabschwebten und den Balkon bedeckten, konnten diese sie nicht bewahren. Sie lächelte und winkte der Menge zu.

Als der Umzug sich näherte, lachte Lucrezia über den Gaukler, der ihm voranging, und applaudierte den Trompeten und Flöten, die ihre lustigsten Weisen spielten. Dann sah sie sie kommen, ganz hinten.

Zuerst ihren Bruder Cesare, stattlich und vornehm ritt er seinen Schimmel, in grader, aufrechter Haltung mit ernster Miene. Er hob den Kopf, um sie anzusehen und lächelte. Juan folgte ihm und achtete nicht auf sie, er beugte sich vielmehr hinab, um von den Damen der Straße, die ihm zuriefen, Blumen in Empfang zu nehmen. Lucrezias jüngerer Bruder Jofre winkte ihr zu mit einem dümmlichen, aber glücklichen Lächeln.

Hinter ihren Brüdern sah sie ihn. Giovanni Sforza. Er hatte lange dunkle Locken, einen gut geschnittenen Bart, eine feine Nase, war kleiner und untersetzter als ihre Brüder. Sie war befangen und verlegen, als sie ihn erblickte, aber als er zu der Loggia aufsah, sein Pferd zügelte und sie grüßte, knickste auch sie grüßend, wie man es sie gelehrt hatte.

In drei Tagen würde sie vermählt werden, und während die Prozession weiterzog zum Hause ihres Vaters, brannte sie darauf zu erfahren, was Adriana und Julia über ihren Bräutigam zu sagen haben würden. Denn während Adriana sie würde trösten wollen und ihr sagen würde, dass alles wunderbar werden würde, konnte sie erwarten, von Julia die Wahrheit zu hören.

Als sie ins Innere des Palais zurückgekehrt waren, fragte Lucrezia die beiden. »Was meint ihr? Ist er ein Ekel?«

Julia lachte. »Ich finde, dass er eigentlich ganz ordentlich aussieht, wenn er auch ein ziemlich großer Mann ist ...«

Lucrezia wusste genau, was sie meinte. Dann umarmte Julia sie. »Der wird schon passabel sein. Schließlich musst du ja nur dem Heiligen Vater und dem himmlischen Vater zuliebe heiraten und dein übriges Leben berührt das nur am Rande.«

Sobald Alexander offiziell in den Papst-Palast eingezogen war, ließ er sich in kahlen und seit langem leer stehenden Räumen die berühmten Borgiagemächer einrichten. Sein privater Empfangssaal, die Sala dei misteri, war von seinem Lieblingskünstler, dem Maler Pinturicchio, mit großen Wandgemälden ausgeschmückt worden.

Auf einem von dessen Wandgemälden war Alexander selbst als Zeuge der Himmelfahrt Christi zu sehen. Er trägt den großen, mit Juwelen besetzten Mantel und hat seine goldene Tiara neben sich auf den Boden gestellt. Er blickt zum Himmel auf, wo der gen Himmel fahrende Erlöser ihn segnet.

Auf weiteren Wandgemälden sah man andere Angehörige der Familie des Papstes, die längst verstorbene Heilige, Märtyrer und andere religiöse Gestalten verkörperten. Lucrezia war hinreißend schön in der Rolle der schlanken, blonden, heiligen Katharina, Cesare war ein Kaiser auf goldenem Thron, Juan ein orientalischer Potentat und Jofre ein pausbäckiges Engelchen. Und über allen herrschte der angreifende rote Stier, das Wappentier und Wahrzeichen der Borgias.

Auf die Tür des zweiten Raums der Borgiagemächer hatte Pinturicchio die Jungfrau Maria in ihrer ganzen stillen Schönheit gemalt. Die Madonna war Alexanders Lieblingsheilige, also hatte der Künstler Julia Farnese als Modell benutzt und mit einem Gemälde gleich zwei Leidenschaften Alexanders befriedigt.

Der Saal des Glaubens, der nicht weniger als tausend Schritte im Geviert maß, war gewölbt und Fresken füllten die Lunetten und Medaillons der Decke. Jedem der Apostel war eine Szene gewidmet, wo er die frohe Botschaft den Propheten vorlas, die nur darauf brannten, dieselbe allen Völkern zu verkünden. Die Propheten aber hatten die Gesichter von Alexander, Cesare, Juan und Jofre.

Alle diese Räume waren überdies mit Bildteppichen und goldenem Zierrat geschmückt. Im Saal des Glaubens stand der Papstthron, auf dem Alexander saß, wenn er wichtige Gäste empfing. Seitlich des Throns standen verzierte Bänkchen, auf denen die Besucher Seiner Heiligkeit niederknieten, um Füße und Ring des Papstes zu küssen, sowie Diwane für die Mächtigen, denen Seine Heiligkeit längere Audienzen gewährte, während ihre Kreuzzugspläne besprochen wurden und man erörterte, wer die Städte Italiens regieren sollte und wie.

Der Herzog von Pesaro, Giovanni Sforza, wurde nun in die Gemächer des Papstes geführt. Er beugte sich vor, den heiligen Fuß zu küssen und dann den heiligen Ring. Er war stark beeindruckt von der Schönheit des Vatikan und den Schätzen, die bald die seinen sein würden. Denn seine junge Braut sollte ihm eine Mitgift von dreißigtausend Dukaten mit in die Ehe bringen, womit er sein Haus in Pesaro würde verschönern und sich noch manchen anderen Luxus würde leisten können.

Während Papst Alexander ihn in der Familie willkommen hieß, dachte Giovanni an seine zukünftigen Schwäger. Von den beiden älteren war ihm Juan lieber als Cesare. Jofre war noch zu jung, um in Betracht zu kommen. Cesare hatte ihn nicht sonderlich freundlich aufgenommen, aber Juan hatte dem Herzog versprochen, dafür zu sorgen, dass er sich vor seiner Hochzeit noch ein bisschen amüsieren könne, was ihn glauben ließ, dass die Sache vielleicht nicht ganz so schlimm sei, wie er sich eingebildet hatte. Ob es sich nun so verhielt oder anders, er hätte sich darüber niemals mit seinem Onkel, Il Moro, unterhalten können, wollte er nicht riskieren, dass Mailand Pesaro zurücknahm, in welchem Falle er sein Herzogtum so schnell wieder los sein würde, wie er es erhalten hatte.

An jenem Nachmittag, kurz nachdem alle Gäste zum Begehen der Festlichkeiten im Vatikan eingetroffen waren, verschwand Cesare unauffällig. Er verließ den Palast zu Pferde und galoppierte aufs Land hinaus. Zwar hatte er kaum Zeit mit Sforza verbracht und doch hasste er den Kerl bereits. Ein ungehobelter Angeber war er, nichts als ein Esel. Und womöglich noch blöder als Jofre und noch arroganter als Juan. Was sollte seine süße Schwester mit einem derartigen Ehemann anfangen? Und was sollte er ihr sagen, wenn er sie wiedersah?

Selbst wenn Cesare gegen seinen zukünftigen Schwager heftige Abneigung empfand, so fühlte sich doch Juan zu ihm hingezogen. Juan hatte wenige Freunde am Hofe, und sein einziger ständiger Gefährte war der türkische Prinz Dschem, der auf Wunsch seines Bruders, des regierenden Sultans Bajasid II., als Geisel am päpstlichen Hofe lebte.

Sultan Bajasid hatte, in der Befürchtung, dass christliche Kreuzfahrer planten, ihn zu stürzen, unter dem Vorwand, seinen Bruder Dschem auf den Thron zu bringen, eine diesbezügliche Vereinbarung mit Papst Innozenz getroffen. Der Papst verpflichtete sich, Dschem als Geisel im Vatikan festzuhalten und erhielt dafür jährlich die Summe von vierzigtausend Dukaten. Nach dem Tode seines Vorgängers hatte Papst Alexander an der Vereinbarung festgehalten. Der türkische Prinz lebte als Ehrengast im Vatikan und das Geld des ungläubigen Türken floss in die Kasse der Heiligen Römisch-Katholischen Kirche.

Der dreißigjährige Dschem, der mit Turban, dunklem Gesicht und schwarzem, gebogenem Schnurrbart mürrisch auf seine römischen Nachbarn blickte, trug auch im Vatikan türkische Tracht. Schon bald begann Juan sich wie er zu kleiden, offizielle Gelegenheiten ausgenommen. Obwohl Dschem fast doppelt so alt wie Juan war, steckten die beiden fast ständig zusammen und der türkische Prinz hatte großen Einfluss auf den verzogenen und verwöhnten Sohn des Papstes. Der Papst duldete diese Freundschaft nicht nur, weil er von Dschem vierzigtausend Dukaten jährlich hatte, sondern auch, weil Dschems Gesellschaft den gewöhnlich ziemlich trübseligen Juan irgendwie aufzuheitern schien. Cesare jedoch fand die Gesellschaft der beiden unerträglich.

In der Nacht vor der Hochzeit lud Juan Giovanni Sforza ein, ihn und Dschem durch die Hurenhäuser Roms zu begleiten. Giovanni willigte sofort ein. Dschem und der Herzog von Pesaro schienen Gefallen aneinander zu finden und unterhielten sich freundschaftlich, während sie schmausten und tranken, wobei keiner hinter dem anderen zurückstand. Die Bürger von Rom hielten auf Abstand von den hohen Gästen und luden sie nicht in ihre Läden oder Häuser ein.

Mit den Prostituierten war das etwas anderes. Juan war ihnen vertraut und sie wetteten untereinander, welche ihn am häufigsten ins Bett kriegen könnte. Es wurde zwar erzählt, dass er Dschems Geliebter sei, aber die Kurtisanen, die ihr täglich Brot damit verdienten, mit Männern von Stand ins Bett zu gehen, kümmerte das nicht, denn wenn er sie zu seinem Vergnügen aufsuchte, bezahlte er sie großzügig.

Eins der Mädchen, das Juan häufig besuchte, war etwa fünfzehn Jahre alt, hatte langes dunkles Haar und geschwungene Wimpern. Sie hieß Avalona und war die Tochter eines Gastwirts. Sie hatte Juan wirklich gerne. Doch in jener Nacht, in der die drei jungen Männer aus dem Vatikan die Runde durch die römischen Bordelle machten, bot Juan Avalona erst seinem Schwager an und schickte sie dann auch noch mit Dschem hinauf. Juan war zu betrunken, ihre Gefühle zu berücksichtigen. Als dann er zu ihr kam und die vertraute Wärme und Zuneigung bei ihr zu finden erwartete, drehte sie sich von ihm weg und weigerte sich, ihn zu küssen. Juan, empfindlich, wie er war, war sofort eifersüchtig und glaubte, sie hätte lieber bei seinem Schwager gelegen als bei ihm. Zur Strafe für diese Beleidigung schlug er sie und sie weigerte sich dann, mit ihm zu sprechen. Auf dem Heimweg in den Palast war er finsterster Laune. Aber Giovanni Sforza und Dschem hatten sich ausgezeichnet amüsiert und bemerkten kaum, dass Juan beleidigt war.

Der Tag der Hochzeit kam schnell. Lucrezia sah in einem Brautkleid aus rotem Samt, mit Pelz besetzt, das hellblonde Haar wie gesponnenes Gold, mit Rubinen und Diamanten geschmückt, wahrhaft königlich aus. Julia Farnese trug ein einfaches rosenrotes Seidenkleid, das ihre blasse Schönheit unterstrich. Adriana hatte eine dunkelblaue Samtrobe ohne Schmuck gewählt, um Lucrezias juwelenbesetztem Leibchen keine Konkurrenz zu machen.

Nur der Bräutigam Giovanni Sforza, der einen geborgten breiten goldenen Kragen trug, ihr Bruder Juan und dessen Freund, der türkische Prinz Dschem, waren noch prächtiger gekleidet als Lucrezia. Die drei trugen Turbane aus weißer Seide und Stolen aus goldenem Brokat, die nicht nur das Brautkleid, sondern sogar das päpstliche Ornat übertrafen.

Alexander hatte Lucrezias Bruder Juan angewiesen, die Braut zum Altar zu führen. Und sie wusste, dass Cesare zornig war. Aber dennoch hielt sie die getroffene Anordnung für die bestmögliche, denn sie wusste, dass Cesare den Brautvater nicht willig spielen würde. Sie fragte sich sogar, ob er der Zeremonie überhaupt beiwohnen würde, obgleich der Vater ihm das ausdrücklich befohlen hatte. Höchstwahrscheinlich würde es erneut Streit geben; und dann würde er vielleicht wieder davongaloppieren und aufs Land fliehen. Sie betete, dass er das diesmal nicht machen würde, denn auf Cesares Anwesenheit bei der Zeremonie kam es ihr vor allem an, denn er war es, den sie liebte.

Die Hochzeit fand im großen Saal des Vatikan statt, gegen den Widerspruch vieler Kirchenmänner, die glaubten, dass sich in diesen heiligen Hallen nur mit den Geschäften der Kirche befasste Männer versammeln sollten. Der Papst aber wollte, dass die Hochzeit seiner Tochter im Vatikan gefeiert würde, und so geschah es denn auch.

Auf einer erhöhten Plattform am Kopf des Saals war der Thron des Papstes, sechs mit burgunderrotem Samt bezogene Sessel standen zu jeder Seite für die zwölf neu ernannten Kardinäle des Papstes. In der Privatkapelle des Papstes, die kleiner und weniger prächtig war als die Hauptkapelle in der Peterskirche, hatte er vor den riesigen Statuen marmorner Heiliger in den Seiten des Altars lange Reihen von goldenen und silbernen Leuchtern aufstellen lassen, in denen hohe Kerzen brannten.

Der Bischof, der in fließendem Ornat, die hohe silberne Mitra auf dem Haupte, der Zeremonie präsidierte, sprach seine Gebete in Lateinisch und gab der Braut und dem Bräutigam seinen Segen.

Der Duft des während des Segens brennenden Weihrauchs war ungewöhnlich frisch und eindringlich, denn das Räucherwerk war erst vor wenigen Tagen als Geschenk des türkischen Sultans Bajasid II., des Bruders von Prinz Dschem, aus dem Orient eingetroffen.

Der dicke weiße Rauch biss Lucrezia in der Kehle, sie musste einen Hustenanfall mit dem Taschentuch ersticken. Der Anblick des gekreuzigten Jesus an einem riesigen Holzkreuz erschien ihr ebenso unheildrohend wie das große Schwert, das der Bischof über ihre Häupter hielt, als sie ihre Gelübde sprachen.

Schließlich sah sie ihren Bruder Cesare am Eingang der Kapelle. Es hatte sie beunruhigt, dass der für ihn bestimmte Sessel leer geblieben war.

Die vergangene Nacht hatte sie auf den Knien im Gebet zur Madonna verbracht, die sie um Vergebung angefleht hatte, nachdem sie wieder durch den unterirdischen Gang das Zimmer ihres Bruders Cesare aufgesucht hatte, um sich ihm noch einmal hinzugeben. Es war schon erstaunlich, dass sie sich ihm mit solcher Lust hingab, bei dem Gedanken an den anderen aber vor Schrecken erstarrte. Sie kannte diesen anderen, den sie zum Manne nehmen sollte, ja gar nicht. Sie hatte ihn einmal vom Balkon aus auf der Straße gesehen, und als sie gestern im gleichen Raum miteinander gewesen waren, hatte er nicht ein einziges Wort an sie gerichtet oder irgendwie ihre Existenz zur Kenntnis genommen.

Nun, da sie auf kleinen goldenen Schemeln vor dem Altar knieten, waren die ersten Worte, die sie von ihrem Bräutigam hörte: »Ich werde diese Frau zur Frau nehmen ...«, und seine Stimme schien ihr ohne Anmut und von unangenehmen Klang zu sein.

Wie in Trance versprach Lucrezia, ihn als ihren Mann zu lieben und zu ehren, doch waren ihre Augen auf den in feierliches priesterliches Schwarz gekleideten Cesare gerichtet, der nun neben ihrem Bruder Juan stand.

Er sah sie nicht an.

Später saß Lucrezia Borgia in großer Pracht neben ihrem Bräutigam Giovanni, ihrer Gouvernante Adriana und Julia Farnese, die sie sich als Brautjungfer erwählt hatte, an der erhöhten Tafel in der Sala Reale, einem der großen Säle des Vatikan. Auch die Enkelin des verstorbenen Papstes Innozenz, Battestina, saß am anderen Ende des Saals an der Tafel. Viele Gäste saßen auf Kissen am Boden. Rings um den Saal waren Tische voller Speisen und Süßigkeiten aufgestellt, und sobald die Gäste gegessen hatten, wurde die Mitte des Saals geräumt, wo dann Komödianten auftraten. Später sollten auch noch Tänzer und Sänger das Publikum unterhalten.

Verschiedene Male sah Lucrezia zu ihrem Bräutigam hinüber, aber er nahm sie nicht zur Kenntnis und schien vollauf damit beschäftigt, sich Essen in den Mund zu stopfen und mit Wein nachzuspülen. Angeekelt wandte sie den Blick ab. An diesem Tage, der doch hätte ihr Ehrentag sein sollen, fehlte Lucrezia – was in ihrem ganzen Leben nur wenige Male vorkam – die Mutter. Da nun Julia die Geliebte des Papstes war, war für Vanozza kein Platz mehr im Palast.

Als Lucrezia erneut zu ihrem Bräutigam hinübersah, fragte sie sich, ob sie sich jemals an seinen grimmigen Gesichtsausdruck gewöhnen würde. Die Vorstellung, ihr Haus in Rom zu verlassen und mit ihm in Pesaro leben zu müssen, erfüllte sie mit Verzweiflung. Dankbar erinnerte sie sich des Versprechens ihres Vaters, dass sie sich mit dem Umzug ein Jahr lang Zeit lassen könne.

Umgeben von der Fröhlichkeit und dem Gelächter der Gäste fühlte sich Lucrezia unglaublich einsam. Sie war nicht hungrig, trank aber mehrere Schlucke von dem köstlichen rubinroten Wein, der ihr in den silbernen Pokal geschenkt worden war, und bald war sie angeheitert. Sie begann, mit ihren Brautjungfern zu schwatzen und hatte letztendlich sogar ihren Spaß. Denn schließlich feierte man doch ein Fest und sie war erst dreizehn Jahre alt.

Später verkündete Papst Alexander, dass das Abendessen in seinen Privatgemächern serviert werden würde, wo dann dem Brautpaar die Hochzeitsgeschenke überreicht werden könnten. Ehe er die Sala Reale verließ, wies er die Bediensteten an, die übrig gebliebenen Süßigkeiten aus dem Fenster zu werfen, auf dass auch die Volksmenge unten auf der Piazza von dem Fest etwas hätte.

Es war bereits lange nach Mitternacht, als Lucrezia endlich Gelegenheit fand, mit ihrem Vater zu sprechen. Er saß allein an seinem Schreibtisch. Die meisten Gäste hatten sich bereits verabschiedet und nur ihre Brüder und einige Kardinäle hielten sich noch im Vorzimmer auf.

Lucrezia näherte sich dem Papst zögernd, denn sie wollte ihn nicht verletzen, aber die Sache war zu wichtig, als dass man sie hätte auf die lange Bank schieben können. Sie kniete vor ihm nieder, senkte den Kopf und wartete auf die Erlaubnis, reden zu dürfen.

Papst Alexander lächelte und ermutigte sie sodann: »Nun, mein Kind, erzähle Papa, was du auf dem Herzen hast.«

Lucrezia sah auf, ihre Augen glänzten, aber ihr Gesicht war bleich nach den Erlebnissen dieses Tages.

»Papa«, sagte sie leise, kaum hörbar. »Papa, muss ich wirklich schon heute Nacht mit Giovanni ins Schlafzimmer gehen? Müssen Sie sich von der Erfüllung des Ehevertrages wirklich schon heute Nacht durch den Augenschein überzeugen?«

Der Papst richtete die Augen gen Himmel. Auch er hatte darüber schon länger nachgedacht, als zuzugeben ihm lieb gewesen wäre.

»Wenn nicht jetzt, wann dann, mein Kind?«, fragte er sanft.

»Nur ein wenig später«, sagte sie.

»Unangenehme Verpflichtungen sollte man sich immer so schnell wie möglich vom Halse schaffen. Danach kann man dann weiterleben, ohne dauernd dieses Damoklesschwert über seinem Kopfe hängen zu sehen ...«, sagte er liebevoll lächelnd.

Lucrezia holte tief Luft und seufzte. »Muss auch mein Bruder Cesare dabei sein?«

Papst Alexander runzelte die Stirn. »Na, und wenn schon? Solange wie auch dein Papa zur Stelle ist. Die Erfüllung des Vertrages muss von drei Zeugen beglaubigt werden.«

Lucrezia nickte. »Mir wäre es lieber, wenn nicht ausgerechnet er einer von den dreien sein müsste.«

»Wenn du das wünschst, wird es so sein«, sagte der Papst.

Auf dem Wege in das Schlafgemach zögerten beide Brautleute sichtlich. Er, weil er noch seiner verstorbenen Frau gedachte, sie, weil es ihr peinlich war, unter den Augen von Zeugen sich zu Giovanni zu legen, und weil es ihr widerstrebte, sich von jemand anderem als Cesare berühren zu lassen. Ihr war jetzt aber so schwindelig, dass ihr alles ziemlich egal war. Lucrezia hatte nach ihrem Bruder Ausschau gehalten, der hatte aber offenbar das Weite gesucht. So hatte sie versucht, sich Mut anzutrinken für das Unvermeidliche: Dreimal hatte sie in kurzer Zeit ihren Pokal vollgeschenkt.

Im Schlafgemach entkleideten sich die Brautleute mit Hilfe der Dienerschaft und dann schlüpften beide unter die weißseidenen Betttücher, wobei sie darauf achteten, einander nicht vor Ankunft der Zeugen zu berühren.

Nachdem der Papst eingetreten war, nahm er auf einem mit Samt bezogenen Sessel Platz, der einem großen Wandteppich gegenüber stand, auf dem Kreuzfahrer dargestellt waren. Auf deren Bild konnte er sich konzentrieren und beten. In der Hand hielt er einen kostbaren Rosenkranz. Neben ihm saßen Kardinal Ascanio Sforza und Julias Bruder, Kardinal Farnese, der es nach seiner Investitur durch Alexander hatte hinnehmen müssen, der »Unterrock-Kardinal« genannt zu werden.

Giovanni Sforza sagte kein Wort zu Lucrezia, er lehnte sich nur zu ihr herüber, wobei sein Gesicht dem ihren zu nahe kam, und packte sie grob bei den Schultern, um sie an sich zu ziehen. Er versuchte sie zu küssen, sie aber wandte das Gesicht ab und verbarg es an seinem Hals. Er roch wie ein Ochse. Und als er begann, sie abzutasten, fühlte sie ihren Körper vor Ekel zittern. Für einen Augenblick überkam sie Übelkeit, und sie hoffte, dass jemand einen Nachttopf unter das Bett gestellt hatte, für alle Fälle. Plötzlich überfiel sie eine überwältigende Traurigkeit, und sie fürchtete, in Tränen auszubrechen. Doch als er sie dann bestieg, fühlte sie nichts mehr. Sie hatte die Augen geschlossen und dachte sich weit weg, an einen Ort, wo sie durch hohes Schilf rannte und sich auf einer Wiese weichen grünen Grases wälzte ... ans Ufer des Silbersees, wo sie frei war.

Am nächsten Morgen, als Lucrezia hinauslief, um Cesare zu begrüßen, der eben zu den Ställen unterwegs war, fand sie ihn verstört. Sie versuchte, sich zu erklären, aber er hörte nicht zu. Und so stand sie schließlich stumm da und sah ihm zu, wie er sein Pferd sattelte und aufzäumte.

Erst zwei Tage später kehrte er zurück. Er sagte, er hätte die Zeit auf dem Lande damit verbracht, über seine Zukunft nachzudenken und über sie. Er hätte ihr vergeben, aber das machte sie zornig. »Was ist da zu vergeben? Ich habe getan, was ich musste. Du klagst immer darüber, ein Kardinal sein zu müssen, aber ich wäre lieber ein Kardinal als eine Frau.«

Cesare antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Wir müssen sein, was wir nach dem Willen des Heiligen Vaters sein sollen. Denn ich wäre lieber Soldat als Kardinal. So kriegt also keiner von uns beiden, was er will.«

Cesare begriff, dass die wichtigste Schlacht, die ihm bevorstand, das Walten seines eigenen freien Willens sein würde. Denn die Liebe braucht keine Bundesgenossen, um den freien Willen gefangen zu nehmen. Und er liebte seinen Vater. Er hatte dessen Strategien lange genug studiert, um zu wissen, wozu Alexander fähig war, und wusste, dass er selber nicht zu derartigem Verrat imstande sein würde. Nach Cesares Meinung war es ein geringeres Verbrechen, einem Mann seine Liegenschaften, seine bewegliche Habe, ja selbst das Leben zu nehmen, als ihn seines freien Willens zu berauben, denn ohne diesen ist der Mensch ja nur die Marionette seines eigenen Bedürfnisses – ohne Leben, ohne Wahl – ein Lasttier, das dem Knall der Peitsche eines anderen gehorcht. Cesare schwor sich, niemals dieses Lasttier zu werden.

Obwohl Cesare verstand, was sein Vater getan hatte, als er ihm befahl, Lucrezia zu beschlafen, fühlte er sich doch der Aufgabe, sie zu lieben, gewachsen. Und danach machte er sich weis, dass es seine freie Wahl gewesen war, sich in sie zu verlieben. Dennoch war eine verborgene Karte mit im Spiel. Lucrezia liebte heftig genug, um das wildeste Tier zu zähmen. So wurde sie, ohne es zu wissen, die Peitsche, mit der ihr Vater knallte.

Lucrezia begann zu weinen und Cesare umarmte und drückte sie, versuchte, sie zu trösten. »Es wird schon noch alles gut, Crezia.« Lange stand er so, hielt sie fest und streichelte ihre blonden Locken. Schließlich trocknete er ihre Tränen. »Mach dir keine Sorgen wegen dieser dreibeinigen Wachtel Sforza, denn trotz allem haben wir ja noch uns.«

Die Familie

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