Читать книгу Die dunkle Arena - Mario Puzo - Страница 9
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ОглавлениеDer zweite Friedenssommer ging für Mosca schnell vorüber. Die Arbeit auf dem Stützpunkt war so leicht, es schien, als ob er überhaupt nur da wäre, um Eddie Cassin Gesellschaft zu leisten, ihm zuzuhören, wenn er seine Geschichten erzählte, und ihn zu vertreten, wenn er zu betrunken war, um zur Arbeit zu kommen. Eddie hatte nicht viel zu tun. Leutnant Forte kam nur jeden Morgen auf ein paar Minuten ins Büro, um Papiere zu unterschreiben, und begab sich dann in die Operationsabteilung, um einen Flug für sich herauszuschinden und den Rest des Tages im Gespräch mit seinen Pilotenfreunden zu verbringen. Nach der Arbeit ging Mosca mit Wolf und Eddie und manchmal auch Gordon in den Ratskeller essen; das war die offizielle Messe für amerikanische Offiziere und Beamte in Bremen.
Die Abende verbrachte er mit Hella im Zimmer. Sie lagen zusammen auf der Couch und lasen, während das Radio, das auf einen deutschen Sender eingestellt war, leise Musik spielte. Wenn dann die warme, sommerliche Dämmerung hereinbrach, sahen sie sich an, lächelten und gingen zu Bett. Das Radio ließen sie bis sehr spät laufen.
Es war ein ruhiges Stockwerk, in dem sie wohnten, aber in den Geschossen unter ihnen gab es jeden Abend Partys. In den Sommernächten füllte der blecherne Ton des Radios die Metzer Straße, und mit kreischenden Bremsen und viel Geschrei hielten die Jeeps vor dem Haus, vollbeladen mit Amerikanern in ihren olivgrünen Ausgehuniformen, hübsche, nacktbeinige deutsche Mädchen auf dem Schoß. Gelächter und Gläserklirren aus den offenen Fenstern veranlaßten manchen Passanten, neugierig den Kopf herumzudrehen, bevor er seinen Weg fortsetzte. Zuweilen hörten sie später auch Cassin, wenn er in betrunkenem Zustand im Vorgarten randalierte oder eine seiner Freundinnen wüst beschimpfte. Manchmal gingen die Partys schon früher zu Ende, und dann ließ ein später Sommerwind, dessen Frische durch den Geruch des Schutts verpestet war, die Blätter in den Zweigen der Bäume rascheln, die die Straße säumten.
Sonntags kochten Hella und Frau Meyer gemeinsam das Mittagessen in der Meyerschen Dachwohnung – meist einen Hasen oder eine Ente und frisches Gemüse, die Eddie und Mosca auf einem nahegelegenen Bauernhof einhandelten. Zum Abschluß gab es Kaffee aus der Kantine und Eiscreme. Wenn sie fertiggegessen hatten, überließen Hella und Mosca Eddie und Frau Meyer ihren Whisky und unternahmen einen langen Spaziergang quer durch die Stadt.
Mosca, die Zigarre im Mund, Hella in einem seiner gestärkten weißen Hemden, die Ärmel fein säuberlich über die Ellbogen hochgekrempelt, so schlenderten sie am Polizeipräsidium vorbei, an dessen grünstichigem Beton noch die Spuren der Explosion zu erkennen waren, und, ein Stück weiter, am Glocke-Haus, in dem jetzt der amerikanische Rotkreuzklub untergebracht war. Auf dem Platz davor standen Kinder und bettelten um Zigaretten und Schokolade. Stoppelbärtige Männer mit Wehrmachtsmützen und zerrissenen, gefärbten Uniformjacken stürzten sich auf die Kippen, sobald einer der in olivgrüne Uniformen gekleideten GIs, die am Gebäude lehnten, einen Stummel mit den Fingern wegschnellte. Die GIs lungerten herum und beäugten die Frauen und die »Fräuleins«, die langsam vorbeidefilierten und eine kleine Weile später, nachdem sie die Runde um das Haus gemacht hatten, abermals vorbeikamen und noch einmal und wieder. Für die aufmerksam abwartenden, belustigten Zuschauer war es eine Art Karussell, bei dem sie mit Sicherheit annehmen durften, daß dieses oder jenes vertraute Gesicht stets von neuem vor ihnen auftauchen würde. An diesen warmen Sommernachmittagen ging es hier zu wie auf einem belebten Marktplatz.
Alle paar Minuten trafen olivfarbene Armeeautobusse und schlammbespritzte Lastwagen auf dem Platz ein und brachten Besatzungstruppen aus den umliegenden Dörfern, aber auch von weiter her, wie etwa aus Bremerhaven. Die Hosenbeine fein säuberlich in die blankgeputzten, mahagonifarbenen Stiefel gestopft, fielen die GIs in ihren frisch gebügelten Uniformen durch ihr adrettes Aussehen auf. Die englischen Soldaten schwitzten in ihrem dicken Wollzeug und unter ihren barettartigen Kopfbedeckungen. Die Matrosen der amerikanischen Handelsmarine, in ihren ausgefransten Hosen und schmutzigen Pullovern, verwegen aussehende Burschen, von denen einige buschige Vollbärte zur Schau trugen, ließen es mürrisch über sich ergehen, daß die Militärpolizisten ihre Ausweise kontrollierten, bevor sie das Gebäude betreten durften.
Hin und wieder räumten die deutschen Polizisten in ihren gefärbten uniformähnlichen Monturen den Platz, indem sie die jugendlichen Bettler in die vielen Seitenstraßen abdrängten, die hungrig blickenden Kippenjäger ans andere Ende des Platzes schoben, wo sie dann auf den Stufen der deutschen Fernmeldezentrale rasten durften. Während dies vor sich ging, bewegte sich das Fräuleinkarussell etwas schneller, aber die Damen wurden nicht belästigt.
Mosca holte sich Sandwiches aus dem Rotkreuzklub; dann gingen sie weiter und mischten sich in den Strom von Menschen, die allesamt unterwegs zum Bürgerpark waren.
Sonntags unternehmen die Deutschen immer noch ihre traditionellen Nachmittagsspaziergänge. Die Männer schritten mit der ihnen als Familienoberhaupt angemessenen Würde dahin, einige mit ungestopften Pfeifen im Mund. Ihre Ehefrauen schoben die Kinderwagen, und ihre Sprößlinge hüpften gesittet und ein wenig lustlos hinterher. Die Sonne fing den Staub ein, den der leichte Wind durch die Ruinen blies, hielt ihn fest und schloß ihn ein, so daß er wie ein goldener Schleier über der Stadt hing.
Und nachdem sie dann eine große, rötlich schimmernde Ebene von Ruinen durchquert hatten, eine dem Erdboden gleichgemachte Reihe von Wohnstätten, eine Wüste von Stein, Mörtel und Eisen, erreichten sie endlich das offene Land. Sie gingen weiter, bis sie müde waren, und machten Rast in einem grünen, dichtbewachsenen Feld. Sie machten Rast und schliefen und aßen die Brote, die sie mitgebracht hatten, und wenn der Platz genügend abgeschieden war, liebten sie sich friedlich in der leeren Welt, die sie zu umgeben schien.
Wenn die Sonne am Himmel sank, kehrten sie in die Stadt zurück. Die Abenddämmerung breitete sich über die Ruinen aus, und auf dem Platz sahen sie die GIs aus dem Rotkreuzhaus kommen. Die Sieger hatten sich an Sandwiches und Eiscreme gütlich getan, an Cokes und Ping-Pong und der berufsmäßigen, sterilen Freundlichkeit der Empfangsdamen. Auf den Straßen lungerten die Soldaten herum, so wie sie es daheim an den Straßenecken zu tun pflegten. Die Reihen der auf und ab gehenden Fräuleins lichteten sich, und Sieger und Besiegte verschwanden zusammen in den mit Schutt angeräumten Seitengassen, um sich in halbzerstörte Zimmer oder, wenn die Zeit drängte, in höhlenartige Keller zurückzuziehen. Auf dem Platz, der nun still und schwarz dalag, standen nur mehr ein paar optimistische Bettler herum, ein Kind, oder zwei, und einige wenige in der Nachbarschaft wohnhafte Mädchen. Wie bei einem zu Ende gehenden Jahrmarkt sickerte das verworrene Geräusch von Musik aus dem Haus, flutete sanft über die einsamen Gestalten auf dem Platz hinweg und rieselte durch die Ruinen zu den Wassern der Weser hinab. Die Musik verklang. Mosca und Hella wanderten am Ufer entlang und blickten auf das von Mondlicht beschienene Skelett der Stadt auf der anderen Seite.
In der Metzer Straße warteten Frau Meyer und Eddie Cassin mit Tee und Kuchen auf sie. Vom Alkohol benebelt, lag Eddie manchmal auf der Couch, wurde aber gleich wieder lebendig, wenn er ihre Stimmen hörte. Sie tranken ihren Tee und plauderten, genossen den neuen, unverfälschten Frieden der lauen Sommernacht und ließen sich von der wohligen Müdigkeit übermannen, die zu traumlosem Schlaf führte.