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Prolog

Daniela war ein paar Stunden zu früh. Alle, die davon etwas verstanden, hatten ihre Ankunft erst für den angehenden Nachmittag erwartet. Doch nun war sie da. Zornig kam sie daher und unbändig, wich keinem der Hindernisse aus, arbeitete sich an Tälern und Bergkuppen ab, an Brücken, Dächern und Masten, an Werbebannern und Baukränen.

Schon seit fast zwei Wochen war es ununterbrochen windig gewesen in Norddeutschland. Ein Umstand, dem die Einheimischen im Harz mit Gleichmut begegneten. So etwas war man hier gewöhnt. Nur die wenigen Touristen, die sich um diese Jahreszeit hierher verirrten, traf es unvorbereitet. Als Daniela von Süden und Westen kommend die ersten Höhenzüge des kleinen, aber stolzen Mittelgebirges erreichte, war Cora, ihre kleine Schwester, bereits seit einigen Stunden fort. Ab den späten Abendstunden dieses Novembertages war es unvermittelt völlig windstill gewesen, und das hatte Nachtarbeiter oder die Menschen, die aus Sorge um ihr Habe oder aus anderen Gründen schlecht schlafen konnten, aufatmen lassen – in der trügerischen Hoffnung, das Gröbste hinter sich zu haben. Auf die Wetterleute verließ man sich hier nicht. Wind und Wolken trieben es rund um den Brocken nach ganz eigenen Gesetzen.

Doch nun war Daniela da. Im Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin hatte es zunächst Diskussionen um den Namen gegeben. Nach Cora war nun der Buchstabe D an der Reihe, Dorothea hätte ganz passabel gepasst, nur hatte es vor nicht allzu langer Zeit bereits ein Hoch dieses Namens gegeben. Einer der Meteorologen schlug Dagmar vor, in Würdigung seiner Frau, die just am gestrigen Tag ihren fünfzigsten Geburtstag begangen hatte, doch dieser Kollege war im Institut nicht sehr beliebt, und so überging man ihn einfach und schließlich wurde an die Nachrichtenagenturen der Name Daniela gemeldet.

Daniela kam zunächst aus Neufundland, wo sie einfach so geboren worden war. Ein ganz normales Tiefdruckgebiet, wie es sie zu jeder Zeit unzählige Male auf der Welt gab. Doch immer mehr warme Luft stieg nach oben, Daniela wuchs heran und zog deshalb schnell die Aufmerksamkeit der Meteorologen auf sich. Sie beobachteten ihre nach Osten verlaufende Bahn über den Atlantik genau und erkannten bald, dass man es hier mit einem Orkan zu tun haben würde, wenn die Front Europa erreichte. Sie würde nicht so gewaltig sein wie einige berühmte Vorfahren, etwa Lothar oder Kyrill, aber dennoch so stark, dass man es für besser hielt, eine Unwetterwarnung herauszugeben.

Nachdem Daniela über die Britischen Inseln hinweggezogen war, traf sie auf das Festland, beschleunigte wiederum und benötigte daher nur noch eine Nacht bis zu den westlichen Ausläufern des Harzes.

Danielas Kraft würde – so hatten es die Wissenschaftler errechnet – in ein paar Stunden merklich nachlassen. Aber noch war dieser Zeitpunkt nicht gekommen. Der hoch aufragende Brocken wirkte wie eine Flasche, an der sich der Windstrom teilte, um hernach dicht an seinem Bauch entlangzuströmen. Auf der Rückseite des Berges bündelte er seine Kräfte wieder und zog weiter gen Osten. Seine Energie reichte durchaus noch, um den ohnehin bereits geschwächten Baumbestand auf den Höhenzügen des Ostharzes anzugreifen. Denn auch der Boden war durch den spärlichen Regen der letzten beiden Sommer entkräftet. Deshalb konnte er besonders die dort reichlich vorhandenen Flachwurzler nicht halten. Und so geschah es, dass am Morgen dieses Novembertages die ersten besonders exponiert stehenden ausgewachsenen Fichten ihren Widerstand aufgaben und ganz in der Nähe des Großen Thumkuhlenkopfes mit mächtigem Getöse zu Boden stürzten.

Wagen 8

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