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Kapitel 7
ОглавлениеTreveris, im Frühjahr 442
Am ungeschützten Ufer der Mosella gegenüber der Stadt, wo sich die Straße nach Colonia bald in den alten Weinbergen verlor, lebte seit dem ersten Barbarenüberfall niemand mehr. Das Dorf, das es hier einst gegeben hatte, war verschwunden, und vom Tempel des Lenus Mars erhoben sich nur noch die Ruinen am Berghang. Doch weiter oben am Berg, unweit einer Quelle, schmiegte sich eine Hütte an den Waldrand. Niemand würde es wagen, hier, außerhalb der schützenden Stadmauern, noch zu leben, es sei denn, er war so alt, dass er den Tod nicht mehr fürchtete, oder selbst Barbar.
Wala war beides, und deshalb hatte er keine Angst vor den Barbaren. Niemand würde sich die Mühe machen, einen alten Mann zu überfallen und ihm die wenigen Habseligkeiten zu rauben, die er besaß, meinte er, und es schien, als hätte er Recht.
Er war auch verrückt genug, jetzt, in den ersten Tagen des März, ein Bad im eiskalten Quellwasser zu nehmen. Das steinerne Becken, das von der Quelle der Göttin gespeist wurde, musste vor langer Zeit, noch bevor der Tempel am Fuß des Berges erbaut worden war, errichtet worden sein.
Aelia saß am Rand des kleinen Beckens und beobachtete, wie der alte Mann durch das Wasser watete. Die Tunika schlotterte um seinen knochigen Leib, er zitterte und hatte blaue Lippen, aber trotzdem durchquerte er das Becken mit einer Entschlossenheit, die eher zu einem jungen Mann gepasst hätte.
Aelia fragte sich nicht zum ersten Mal, wie alt Wala war. Sie hatte die letzten Wintermonate mit ihm in seiner Hütte gelebt und das Leben einer Einsiedlerin geführt. Sie hatte seinen Geschichten zugehört und mit ihm das Wenige gegessen, das Woche für Woche aus dem Palast der Stadtwache gekommen war. Sie hatte gelernt, wie man sich im Wald zurechtfindet und Tierfallen aufstellt, wie man Tiere häutet, ausnimmt und zubereitet, wie man mit ein paar Äpfeln und etwas Hirse einen schmackhaften Brei zubereiten konnte und welche der Kräuter, die überall an Schnüren in Walas Hütte hingen, gegen nicht enden wollenden Winterhusten oder Übelkeit halfen. Wala war einmal Arzt gewesen, in seinem früheren Leben, wie er sagte, bei einer Einheit des Grenzheeres, die Tertinius angeführt hatte. Er war kein richtiger Arzt, keiner im römischen Sinne, sondern nur ein Heiler aus einem fränkischen Dorf jenseits des Rhenus, in dem er gelebt hatte, bevor er mit seinem Stamm während eines Hungerwinters den zugefrorenen Fluss überquert hatte und ins römische Reich eingedrungen war. In jenem härtesten Winter seit Menschengedenken hatte er zu den ersten Franken gehört, die Treveris überfallen und geplündert hatten, weil die Not sie dazu getrieben hatte, und war dann in römische Gefangenschaft geraten. Nachdem die Barbaren besiegt worden waren, hatte er Tertinius als Sklave gedient, zuerst als Truppenarzt, später als Freigelassener. Seitdem er in der Hütte lebte, hatte er dem Präfekten alles zugetragen, was in den Wäldern geschah, und ihn gewarnt, wenn sich dort etwas Verdächtiges regte – ein wichtiger Außenposten einer geschwächten Stadt, die sich von ihren Feinden bedrängt sah.
Wala besaß das Vertrauen des Präfekten, nicht nur, weil er diesem schon so lange diente, sondern auch, weil er sowohl die fränkische als auch die römische Lebensweise kannte und aus der Klugheit beider Völker schöpfen konnte. Das war etwas, das Männer wie Tertinius zu schätzen wussten.
Wala war klug. Er hatte die Falten von Jahrzehnten im Gesicht und die Weisheit von Jahrhunderten in den Augen, und er glaubte fest an die erneuernde Kraft eines Bades im Quellwasser der Göttin.
Dort, wo die heilige Quelle aus dem Grund des Felsens austrat und das Becken speiste, hielt er inne, wandte sich triumphierend zu Aelia um und lachte. »Siehst du! Es geht! Es ist wunderbar!«
Er drehte sich im Kreis, als wollte er tanzen. »Komm rein!«, rief er. »Die Göttin wird dir ein neues Leben schenken!« Er kicherte wie ein kleiner Junge, und um ihr zu beweisen, dass das Wasser tatsächlich jene heilenden Kräfte hatte, von denen er immer sprach, dann spritzte er sie nass.
Aelia zuckte zusammen, aber sie verzog keine Miene. Der Alte war wirklich verrückt. Die Märzsonne wärmte noch nicht, und aus dem kalten Boden waren gerade mal die ersten grünen Sprösslinge hervorgekrochen, da musste er ein Bad im Quellwasser nehmen!
Er spritzte sie wieder nass. »Komm rein, das wird dir gut tun!«
Sie konnte gut darauf verzichten. Es war schon schlimm genug, dass sie Fränkisch mit ihm sprechen musste. Mit einem Starrsinn, der alten Menschen oft zu eigen ist, hatte Wala von Anfang an darauf bestanden, dass sie in der Sprache seiner Vorfahren mit ihm redete, jene Sprache, die sie nie mehr sprechen wollte. Sie hatte sich lange geweigert und ihm anfangs nur widerwillig zugehört. Aber dann hatte sie an Verina gedacht und daran, dass sie Wala in allem gehorchen musste, damit der Freundin nichts geschah, und hatte sich widerwillig gefügt. Aber sie musste ja nicht mit ihm im Quellwasser baden!
»Schau her!«, rief Wala und tauchte unter, bis das Wasser sich über ihm schloss. Lange blieb er unten, während sein schütteres Haar sich im Wasser ausbreitete, als wollte es fliegen. Aelia sah Luftbläschen aufsteigen, als der alte Mann die Atemluft langsam ausstieß, doch sie blieb still am Felsrand sitzen. Oh nein, er würde sie nicht täuschen! Sie kannte alle Tricks, mit denen die Kämpfer versuchten, sich gegenseitig hinters Licht zu führen. Sie würde sich von seiner vorgespielten Ohnmacht nicht überlisten lassen.
Doch Wala tauchte nicht wieder auf. Nach einer endlos scheinenden Weile, in der keine Luftbläschen mehr gekommen waren, trudelte sein alter Körper im Wasser. Aelia sprang auf. Verdammt noch mal! Wenn der Alte jetzt den Kältetod stürbe, würde man ihr womöglich noch die Schuld daran geben und Verina nie mehr aus dem Kerker lassen. Sie hob einen Fuß, tauchte ihn ins Wasser. Meine Güte, war das kalt! Aelia holte tief Luft, gab sich einen Ruck und ließ sich langsam ins Wasser gleiten, bis ihre Füße den felsigen Grund erreicht hatten. Hel und Ungeheuer! Das Eiswasser durchbohrte ihre Haut und wollte ihr schier das Fleisch von den Knochen reißen. Sie watete zu Wala, packte den alten Mann und richtete ihn auf. Doch kaum hatte sie das getan, kam er von selbst wieder auf die Beine und rang nach Luft. Er keuchte. »Ich dachte schon, du würdest nie mehr kommen!«
Aelia fühlte, wie ihr Herz vor Wut und Angst klopfte. »Du jagst mir einen solchen Schrecken ein?«
Sie schöpfte einen Schwall Wasser mit ihren Händen und schleuderte ihn gegen den alten Mann, der sich mit einer zischenden Fontäne wehrte. Eine Wasserschlacht entstand, in der das Wasser hin- und herflog, bis beide vollkommen durchnässt waren.
»Es ist gut, dass du im Quellwasser gebadet hast«, lächelte Wala zufrieden, als sie zur Hütte zurückgingen. »Es wird dir deine Kräfte zurückgeben.«
Aelia schüttelte den Kopf.
Aber insgeheim musste sie doch lächeln – das erste Mal seit langer Zeit.
Sie gingen zurück in die Hütte, trockneten sich, aßen etwas und wärmten sich am Feuer. Kaum fühlte Aelia wieder die Wärme ihren Körper durchströmen, klopfte es an der Tür. Wala erhob sich und ging hinaus. Bald hörte Aelia Stimmen von draußen. Sie schlich sich zur Tür.
Tertinius sprach mit Wala vor der Hütte am Waldrand. Sein roter Offiziersmantel hob sich leuchtend vom hellblauen Frühlingshimmel ab. Sein Centurio Lucanus und ein anderer Offizier warteten in gebührendem Abstand. Tertinius sprach so leise, dass Aelia nicht verstehen konnte, was er sagte. Sie trat näher an den Türspalt heran und lauschte.
»… ist sie bereit?«
Wala erwiderte etwas, das sie nicht verstand. Tertinius nickte. Er sah bleich aus, sein Gesicht war schmaler als sonst.
»Bist du dir sicher?«, fragte Wala.
»Wie kann man jemals sicher sein? Mein Mann im Norden ist tot und die Zeit drängt. Er lässt mir keinen Aufschub. Er verlangt, dass jemand zu ihnen geht.«
»Gewiss, Vortrefflicher. Niemand kennt sich so gut aus wie du«, schmeichelte Wala in beschwichtigendem Tonfall. »Weiß er denn –«
»… dass es diesmal ein Mädchen ist? Gott bewahre!« Tertinius lächelte flüchtig. »Es wird reichen, dass er es weiß, wenn sie erst dort ist. Ungewöhnliche Zeiten erfordern ungewöhnliche Wege.«
»Wohl gesprochen, Präfekt«, sagte Wala. »Ich muss zugeben, dass das Mädchen eine angenehme Gesellschafterin war. Ich werde sie vermissen.«
»Das musst du nicht, Wala, du wirst sie begleiten.«
Wala erwiderte nichts. Eine Weile lang war nur das Vogelgezwitscher aus dem Wald zu hören. Dann sagte er so leise, dass Aelia ihn kaum verstand: »Du willst auf dein Ohr im Wald verzichten?«
»Ich verzichte ungern auf die Weisheit deines Ratschlags. Aber ich brauche dich bei ihr. Niemand kennt die Tücken der nordgallischen Einöden besser als du.«
»Aber Vortrefflicher, vergiss nicht das Können deiner Männer.«
Tertinius machte eine wegwerfende Handbewegung.
Wala sah schweigend auf den Waldboden, seine Gestalt schien in sich zusammenzusinken. Eine Weile sah er so mutlos aus, dass er Aelia leid tat.
»Nun, du musst in großen Nöten sein, wenn du einen alten Mann wie mich mit dieser Aufgabe betraust, Herr«, sagte er schließlich. »Willst du, dass ich mein Leben fern der Heimat beschließe?«
»Gewiss nicht. Nichts würde mich mehr erfreuen, als dich noch vor Jahresfrist lebendig an Leib und Seele wiederzusehen. Aber ich brauche Männer, denen ich vertraue und auf die ich mich verlassen kann.«
Ein kleines Lächeln spielte um Walas verdörrte Lippen. »Vortrefflicher, ich mache mir nichts vor, was dein Ansinnen betrifft. Du schickst ein Mädchen und einen alten Mann, weil du auf keinen deiner Männer verzichten willst.«
Tertinius stemmte die Arme in seine Hüften. »Mein Guter, ich hatte gehofft, dich nie daran erinnern zu müssen, aber nun muss ich es doch. Du bist mir etwas schuldig.«
Wala seufzte tief. »Du brauchst mich nicht an meine alten Schulden zu erinnern, Vortrefflicher, die kenne ich selbst. Noch habe ich mein Gedächtnis nicht verloren. Ich werde meine Habseligkeiten zusammenpacken, und du gibst uns einen Mann zu unserem Schutz mit.«
Mit diesen Worten wandte er sich vom Präfekten ab und ging zur Hütte.
»Das Mädchen ist Schutz genug«, sagte Tertinius.
Aelia trat aus der Hütte, stapfte durch das vom Morgentau noch feuchte Gras zu Tertinius und verbeugte sich knapp.
»Wo ist Verina?«, fragte sie nach einer kurzen, gerade noch standesgemäßen Begrüßung. »Geht es ihr gut?«
Tertinius musterte Aelia von oben bis unten, als sähe er sie zum ersten Mal. »Deine Haare stehen dir gut!«
Wala hielt inne und wandte sich um. »Ja, ist sie nicht hübsch, Vortrefflicher? Viel zu hübsch!«
»Lass mich meine Freundin sehen, bevor du mich wegschickst, Herr. Du hast es mir versprochen!«
Tertinius rieb sich das Kinn. Er winkte einem seiner Männer, der daraufhin ein Stoffbündel hervorzog und es Aelia gab. »Zieh das hier an. Deine Freundin wirst du gleich sehen.«
Als Aelia sich nicht rührte, fuhr er sie an: »Na los, worauf wartest du noch? Euer Schiff liegt schon im Hafen!«
Da verschwand sie in der Hütte, um sich umzuziehen. Sie würde Verina sehen, gleich! Die ganze Zeit über hatte sie sich gefragt, wo die Freundin wohl wäre und wie es ihr ginge. Sie wäre längst in den undurchdringlichen Wald geflohen, wenn Wala ihr nicht immer wieder versichert hätte, dass sie dem Präfekten vertrauen könnte und es Verina bestimmt gut ginge, solange sie tue, was er verlange. Er sei ein Mann, der sein Wort halte.
Sie schlüpfte in die Gewänder, die Tertinius ihr mitgebracht hatte – eine schlichte Tunika aus braunem Leinen, Beinkleider, einen Wollmantel –, Männerkleidung. Ein guter Einfall, dachte sie, als sie sich den breiten Ledergürtel um die Hüften schlang, mit den kurzen Haaren kann man mich auf den ersten Blick wirklich für einen Mann halten.
Tertinius nickte zufrieden, als sie wieder vor die Hütte trat. »Ihr werdet als einfache Reisende unterwegs sein. In Gegenwart von Fremden wirst du nur das Nötigste sprechen und das Reden Wala überlassen, verstanden?«
Aelia nickte, obwohl sie nicht wusste, was er mit ihr vorhatte. Sie würde aber alles tun, wenn er nur sein Wort halten und Verina und ihr die Freiheit schenken würde. Sie beobachtete, wie Wala seine Hütte verschloss und ein Schutzzeichen davor in die Luft malte. Tränen standen in seinen Augen, als er sich zu ihr umwandte. Er zog sie an ihrer Tunika ein paar Schritte weiter, zu jener Stelle, von der aus sie hinunter ins Tal blicken konnten. Unterhalb der Weinberge am östlichen Ufer, auf einer lang gestreckten erdigen Fläche, lag Treveris wie ein weißer Flecken am silbernen Fluss, umgeben vom ersten frischen Grün des Frühlings.
Wala bückte sich und griff mit seinen dünnen Händen in die Erde. »Hier«, sagte er zu Aelia und öffnete seine Hand. »Nimm das, verwahre es gut. Dann kommst du eines Tages wieder zurück.«
Sie sah auf die feuchten Klumpen in seiner Hand, und die Angst kroch ihr langsam den Rücken herauf. Sie nahm die Erde und ließ sie in die eingenähte Tasche ihrer Beinkleider gleiten. Dann folgten sie den Soldaten den Berg hinab zum Wagen, der am Flussufer auf sie wartete.
Sie fuhren nicht sofort zum Hafen, sondern die Via Valentinian hinauf, um die Stadt durch das südliche Tor, die Porta Media, wieder zu verlassen. Gewaltig ragten die beiden Türme des Stadttores vor ihnen auf. Auf einen Wink von Tertiniusʼ Männern öffneten die Wachsoldaten die mächtige Tür zwischen den Türmen und ließen den Wagen hindurch. Langsam rumpelten sie über die alte steinerne Straße, die stadtauswärts nach Mettis führte. Aelia nahm das Leder fort, das die Öffnung in der Tür des Reisewagens verschloss, und sah hinaus. Grabsteine säumten ihren Weg – unter ihnen große, verzierte Monumente, die sich reiche Römer für die Ewigkeit geschaffen hatten. Ihre verwitterten Steine trugen Inschriften, die sie nicht lesen konnte.
Im Hof des Klosters St. Eucharius hielt ihr Wagen an. Tertinius machte Lucanus ein Zeichen und stieg aus der Kutsche. Der Offizier packte Aelia grob, zog sie aus dem Wagen und folgte ihm. Er schien ihr den Faustschlag immer noch übel zu nehmen. Sie blinzelte in das Tageslicht. Vor ihnen lag ein Friedhof, in dessen Mitte sich eine kleine Kirche erhob. Auf ihrem roten Ziegeldach prangte ein eisernes Kreuz. Tertinius gebot Aelia, ihm zu folgen, und ging zur Kirche. Er stieg die Stufen zum Eingang hinauf, warf eine Kupfermünze in das Körbchen einer Magd, die dort kauerte, und verschwand im Inneren der Kirche. Die Magd trug einen Kapuzenmantel, unter dem hellblondes Haar hervorlugte, und eine Augenbinde. Als sie die Münze klimpern hörte, lächelte sie und bedankte sich.
»Gott wird es dir vergelten.«
Verina! Aelia öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch da drückte Lucanus ihr seine Hand auf den Mund. »Ein Laut und sie stirbt!«, zischte er an ihrem Ohr, während er sie mit dem anderen Arm festhielt.
Aelias unterdrückter Schrei würgte in ihrer Kehle. Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, sich loszureißen und auf die Freundin zuzustürzen. In ihren Armen zuckte es, doch Lucanus merkte es und verstärkte seinen Griff. Mit Tränen in den Augen beobachtete Aelia, wie Verina das Körbchen umklammerte, während sie sich artig bei jedem Pilger bedankte, der eine Münze hineinfallen ließ.
Tertinius kam wieder aus der Kirche. »Hast du genug gesehen?«, fragte er leise. Die beiden Soldaten nahmen Aelia in die Mitte und schoben sie zurück zum Wagen, der auf dem Hof auf sie wartete.
Aelia blickte sich nach Verina um, die immer noch ahnungslos an der Kirchentür saß, als Tertinius ihren Arm nahm und sie in den Wagen schob, in dem Wala auf sie wartete.
Die Tür schlug zu, der Wagen rollte vom Hof. Aelia wagte es nicht, noch einen Blick hinauszuwerfen, aus Angst, in Tränen auszubrechen. Erst als sie ein Stück gefahren waren, gelang es ihr, den Kloß im Hals herunterzuschlucken.
»Deiner Freundin geht es gut«, erklang die Stimme des Präfekten aus dem Dunkel des Wagens. »Das wird so bleiben, solange du tust, was ich dir sage. Hast du verstanden?«
Aelia nickte. Es gelang ihr kaum, seiner Stimme zuzuhören, die von Barbarenvölkern redete, die das Reich umzingelt hätten, von Bündnisverträgen, die das Pergament nicht wert seien, auf dem sie stünden, von der Notwendigkeit, die Feinde zu beobachten.
»… im Norden gibt es einen fränkischen König, der …« Der Präfekt stockte kurz und fuhr dann fort: »Wala wird dich an seinen Hof bringen, er kennt den Weg. Du wirst dort bleiben und meinem Mittelsmann alles von ihm berichten, bis du einen anderen Befehl erhältst.«
Seine Stimme klang fremd. Die Räder rumpelten über die Steine der Straße. Aelia hatte plötzlich das Bedürfnis, das Leder in der Tür wegzureißen, um Licht und Luft hereinzulassen, aber sie wagte es nicht.
»Ich soll für dich spionieren?«, fragte sie mit zitternder Stimme.
»Wenn du es so nennen willst, ja.«
»Aber …«
»Kein Aber. Wala wird in deiner Nähe bleiben, bis du sicher am Königshof bist.«
Aelia schluckte, um ihre aufsteigende Angst niederzukämpfen. »Wie lange?«
»Bis du einen anderen Befehl erhältst.«
»Wie wird das gehen?«
»Wenn du am Königshof angekommen bist, wird Wala dir unseren Mann schicken. Er ist immer in deiner Nähe. Ihm wirst du alles sagen, was du herausgefunden hast, und er wird es weitergeben. Auf demselben Weg wirst du auch Befehle von mir erhalten.«
»Warum bleibt Wala nicht dort?«, fragte Aelia. Sie hörte Tertinius in der Dunkelheit leise seufzen. »Vertrau mir, ich mache das nicht zum ersten Mal. Ich sage dir genau so viel, wie du für deinen Auftrag wissen musst. Zuviel Wissen schadet nur.«
»Du meinst, je weniger ich weiß, desto weniger kann ich verraten, wenn sie mich entdecken.«
Tertinius schwieg eine Weile. »Sie werden dich nicht entdecken, wenn du geschickt genug bist. Wenn du allerdings fliehst oder dich auf andere Weise deinem Auftrag zu entziehen versuchst, wird deine Freundin sterben. Wenn du mir alles berichtest und tust, was ich dir sage, werde ich euch beiden die Freiheit schenken.«
Aelia nickte. Sie merkte, wie sie zu zittern begann.
Tertinius beugte sich nach vorn. »Nun wiederhole den Satz«, forderte er sie auf. Aelia erinnerte sich an jene Worte, die sie mit Wala mehrfach geübt hatte.
»Caelum, non animum mutant qui trans mare currunt.«
Der Präfekt nickte zufrieden. »Unser Mann wird sich dir mit diesem Satz zu erkennen geben. Außerdem – falls etwas geschehen sollte – muss sich jeder, der behauptet, einer meiner Spione zu sein, dir diesen Satz sagen, sonst verrätst du ihm gar nichts. Hast du verstanden?«
»Ja.«
»Gut. Wala wird dir alles Weitere erklären. Ihr werdet über die Flüsse reisen, das ist zwar der weitere und längere Weg, aber er ist sicherer. Ich möchte kein Risiko eingehen.«
Aelia nickte, aber Tertiniusʼ Worte beruhigten sie nicht – im Gegenteil.
Der Wagen hielt und sie stiegen aus. Im grauen Licht des Morgens floss die Mosella an ihnen vorbei. In ihrem aufgewühlten Wasser schaukelten Fischerboote, und mitten zwischen ihnen, am hölzernen Anlegesteg, lag ein Handelsschiff. Galla Placidia prangte in roten Lettern auf seinem bauchigen Rumpf. Aelia musste daran denken, dass es auch ein Schiff gewesen war, das ihren Vater mitgenommen hatte. Ihre Hand glitt in ihr Gewand und fühlte die Erde darin. Er hat vergessen, Erde mitzunehmen, dachte sie. Deshalb ist er nie zurückgekommen.